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Verlag:
Igel Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2019
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Science-Fiction setzt gern Zeitreisen in Szene, um existenzielle Fragen anschaulich zu thematisieren oder auch eskapistische Fantasien zu beflügeln. Vieles daran mag unrealistisch, unmöglich oder gar paradox sein – aber vielleicht wird erst dadurch die Auseinandersetzung mit Fragen ermöglicht, die sich niemals verdrängen lassen. Darum geht es in den Beiträgen dieses Bandes. Reisen Sie mit uns: an den Anfang der Zeit, zu den Dinosauriern, zu einem Alchimisten, ins Multiversum, zu Beziehungsgestaltungsherausforderungen bei Zeitreisen. Natürlich kommt auch Die Zeitmaschine vor. Und: sind Zeitreisen überhaupt möglich? Und wenn ja, welche? Und könnten wir darüber überhaupt angemessen sprechen?
Textprobe: Zeitreise für den Hausgebrauch: Eröffnung: Wie in so mancher seiner Geschichten setzt Ted Chiang auch in Der Kaufmann am Portal des Alchimisten abstrakte physikalische Zeitkonzepte narrativ in Szene und verbindet sie zudem mit den grundsätzlichen und existenziellen Anliegen des menschlichen Lebens. Wie der moderne Mensch der so genannten westlichen Gesellschaft sind seine Protagonisten Grenzgänger zwischen schlichten (aber gnadenlosen) Mechaniken der materiellen Welt und komplexen (aber nicht weniger herausfordernden) Qualitäten ihres Innenlebens, ihrer Psyche, ihrer Seele. Seine Figuren bestechen durch ihre Menschlichkeit: Es sind Figuren mit Profil. Menschen, die alles daran legen, ihren Platz in der Welt zu suchen oder ihn zu verstehen trachten, aber eben auch Menschen, die nicht von Schicksalsschlägen verschont geblieben sind. Verlust spielt eine große Rolle im Leben dieser Figuren. Mal ist es das Abschiednehmen von der Hoffnung, mal der Tod des eigenen Kindes oder – wie in unserem Beispiel – der Verlust der geliebten Ehefrau. Verkaufsgespräche: Unser Protagonist hört auf den Namen Fuwaad ibn Abbas (frei übersetzt: arab. ‚Löwenherz‘). Chiang lässt ihn als Erzähler der Geschichte auftreten und über eine kuriose Begegnung mit einem Alchimisten berichten. Selbst ehemaliger Sklaven- und jetzt Textilhändler aus Bagdad, macht sich Fuwaad eines Tages auf die Suche nach einem angemessenen Geschenk für einen Geschäftspartner. Bei seiner Suche stolpert er über einen gerade erst wiedereröffneten Laden, dessen Waren und Erscheinung ihn sofort faszinieren. Inhaber des Ladens ist der (selbsternannte) Alchimist Bashaarat (arab. ‚Überbringer guter Nachricht‘). Als dieser Fuwaad über seine arkane Profession unterrichtet, ist Fuwaad so interessiert, dass er sich überreden lässt, die neueste Entdeckung/Erfindung Bashaarats in Augenschein zu nehmen. Die Erfindung wirkt zunächst recht unscheinbar. Es ist ein fein gearbeiteter Ring aus dunklem Metall mit einem Durchmesser von etwa dreißig Zentimetern, der auf einem Sockel aufrecht steht. Und nun beginnt Bashaarat seine Show: Er lässt Fuwaad sich so positionieren, dass dieser nun nur noch die lotrechte Seite des Rings sieht, und er selbst greift von der rechten Seite durch den Ring hindurch, mit dem mäßig verblüffenden Resultat, dass auf der anderen Seite keine Hand zum Vorschein kommt. Fuwaad beginnt schon das Interesse an diesem verkappten Zauberkünstler zu verlieren, der ihn doch so neugierig gemacht hatte, als nach einigen Sekunden plötzlich Basharaats Hand auf der linken Seite des Rings auftaucht, winkt und sich wieder zurückzieht. Die Neugierde wiederentfacht, muss eine erneute Probe der Kunst gegeben werden: Bashaarat greift durch den Ring, scheint kurz an etwas zu zerren, um dann – wie durch Zauberei – als er seine Hand wieder zurückzieht, Fuwaads eigenen Ring in der Hand zu halten. Fauler Zauber!, denkt sich dieser, denn den Ring trage er doch in diesem Moment. (Und dem ist auch so.) Diesem Schwindler will er nicht auf den Leim gehen, und so läuft er schnell zur Hand Bashaarats, als diese ganz zuverlässig wieder einige Sekunden später erscheint, um den Trick oder den Mechanismus zu durchschauen. Doch es kommt anders: Bashaarats ‚freie‘ Hand greift nach Fuwaads Arm, stibitzt ihm den Ring vom Finger und verzieht sich wieder. Die Welt ist wieder im Reinen. Durch diese kurze Passage am Anfang der Geschichte geht Chiang auf Nummer sicher und führt dem Leser (und dem Protagonisten) seine ‚Zeitmaschine‘ im Rahmen einer überschaubaren Zeiteinheit vor. Der Ring ist eigentlich ein Tor, und zwar das Tor der Sekunden . Bashaarat besitzt aber auch ein Tor der Jahre , das nach demselben Prinzip funktioniert. Geht man durch die eine Seite des Tores hindurch, so gelangt man zwanzig Jahre in die Zukunft, geht man durch die andere Seite, landet man am gleichen Ort, nur zwanzig Jahre zuvor. Was könnte man alles tun, wenn man Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen beeinflussen könnte? Sicher einiges, aber diese Option bleibt lediglich der Fantasie anheimgestellt. Denn es gibt ein unumstößliches (Natur-)Gesetz: Vergangenheit und Zukunft können nicht geändert werden, so sehr man sich auch darum bemüht. Das Tor ist nur wie eine Tür zwischen zwei Zimmern. Man kann es vielleicht als Abkürzung sehen, aber [d]as Zimmer … bleibt dasselbe, ganz gleich, durch welche Tür man hineingeht . Da ist nicht das eine Zimmer, die Küche, in der man vor- und zubereitet, um dann ins Esszimmer hinüberzuwechseln, und sich an den Speisen labt. Vielmehr liegt hier ein sehr konkretes Zeitkonzept zugrunde, nämlich das der Prädestination. Chiangs ‚Laborbeispiel‘ mit Fuwaads Ring macht es deutlich: Auch wenn man meinen könnte, dass er frei agiert, als er den Entschluss fasst, Bashaarat zu entlarven, erfüllt sich hier nur ein Sachverhalt, der schon längst feststand, denn Bashaarat konnte/kann ihm seinen Ring ja abnehmen! Meisterlich überträgt Chiang hier ein mikrokosmisches Quantenphänomen in die makrokosmische Lebenswelt des Menschen, wenn er sich vermutlich von Richard Feynmans Forschung zur Quantenelektrodynamik inspirieren lässt. Denn Feynman zeigt u.a., dass Quantenobjekte wie Photonen (Lichtteilchen) sich nicht notwendigerweise linear in eine Richtung durch die Zeit bewegen müssen. So kann ein Elektron etwa ein Photon emittieren, bevor es dieses überhaupt absorbiert hat, Hauptsache aufs Ganze gesehen geht die Gleichung auf. Und trotzdem, entgegen der Hoffnung auf eine Änderung der Zeit, entscheidet sich Fuwaad, durch das Tor der Jahre in die Vergangenheit zu gehen. Warum?
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