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- Das türkische Patentsystem und strategische Optionen für ein KMU oder Start-up: Wissenswertes über Patentangelegenheiten in der Türkei
Wirtschaftswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Abb.: 20
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die heutige Wirtschaftslage zwingt Unternehmen, ihre immateriellen Güter rechtlich zu schützen. Hier gilt es, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten jeweils die optimale IP-Strategie zu entwickeln. Der optimale IP-Schutz, insbesondere der Patentschutz, hängt von vielen Einflussfaktoren, wie der Branche, der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens oder der geografischen Lage der Märkte ab. Somit ist die optimale Patentstrategie immer eine individuelle Angelegenheit. Allerdings führen das schweizerische und das europäische Patentsystem nicht immer zu einem optimalen Ergebnis. Im Vergleich dazu handelt es sich beim türkischen Patentsystem um ein noch junges, in der Entwicklung befindliches System, was Erfindern zugutekommt und für europäische Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bedeuten kann. Die vorliegende Arbeit behandelt diese Thematik. Dabei soll das türkische Patentsystem mit Blick auf ein europäisches KMU oder Start-up-Unternehmen verglichen werden. Zu diesem Zweck werden die Unterschiede zwischen dem schweizerischen und dem europäischen Patentsystem in den Bereichen Erteilungsverfahren, Wirkung des Patentschutzes, Lizenzverträge, Patentverletzung Rechtsdurchsetzung und Patentstrategie beschrieben.
Textprobe: Kapitel 9, Bewertung des türkischen Patentrechts: Das türkische Patentsystem fällt durch seinen erfinderfreundlichen Charakter auf, weil es einige Optionen bietet, die weder im schweizerischen noch im europäischen Patentrecht möglich sind. Besonders interessant sind diese Optionen für finanzschwache KMU oder Start-up-Unternehmen, weil das System im Vergleich zum europäischen Patentsystem rasche, günstige und dazu noch umfangreiche Schutzmöglichkeiten bietet. Somit gelangt man in der Türkei im Vergleich zu anderen Patentsystemen relativ schnell zu einem Patentschutz. Wenn es sich um einen zu Unrecht erteilten Schutz handelt, kann die Nichtigerklärung dieses Schutzes länger andauern als die Vergabe des Schutzes. Dafür muss der Rechtsinhaber lediglich den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in Anspruch nehmen. Wegen der Problematik des Reverse Engineering sind Unternehmen auf möglichst rasche Schutzerteilung für ihre Erfindungen angewiesen. In vielen Branchen wie beispielsweise der Elektronikbranche müssen Erfindungen möglichst früh veröffentlicht werden, damit neue Trends gesetzt werden können oder zu mindestens nicht verpasst werden. Die Neuheitsschonfrist beträgt in der Türkei zwölf Monate, sodass Frühveröffentlichungen ebenfalls möglich sind. Dies stellt für innovative Branchen einen grossen Vorteil dar. 9.1., Patent ohne Sachprüfung: Einen der interessantesten Punkte im türkischen Patentrecht bildet sicherlich das Patent ohne Sachprüfung. Ohne Inanspruchnahme von staatlichen Förderprogrammen ist ein vollwertiger Patentschutz im besten Fall für ungefähr 424 CHF zu erhalten. Dies könnte sogar neben einer Anmeldung in türkischer Sprache auch in deutsch, französisch oder englisch erfolgen, was die Anmeldung für ausländische Unternehmen extrem vereinfacht. Hinzu kommt, dass die Türkei nur ein modifiziertes Einspruchsverfahren vorsieht. Dies bedeutet für die Öffentlichkeit, dass ein zu Unrecht erteiltes Patent mit vollumfänglichem Schutz nur mit einem langdauernden Nichtigkeitsprozess oder einem negativen Entscheid der beantragten Sachprüfung für nichtig erklärt werden kann. Unabhängig davon, um welche Variante es sich handelt, geniesst das Patent bis zur Nichtigerklärung seinen vollständigen Schutz, sodass der Inhaber die Rechte auch aus einem zu Unrecht erteilten Patents über mehrere Jahre gegen Dritte durchsetzen kann. Das Patent ohne Sachprüfung bietet dem Anmelder eine Möglichkeit bei der der Anmelder nur profitieren kann. Schlimmstenfalls stellt sich heraus, dass sich die Schutzaufrechterhaltung aus verschiedenen Gründen nicht lohnt, sodass das Patent fallengelassen wird. In solch einer Konstellation hat der Inhaber mindestens die Gebühren sowie die sonstigen benötigten Ressourcen für die Sachprüfung eingespart. Wird die Sachprüfung durch einen Dritten beantragt, müssen die Gebühren durch ihn beglichen werden. Beim wirtschaftlichen Erfolg des Patents steht dem Inhaber innerhalb der siebenjährigen Frist offen, das Patent ohne Sachprüfung in ein Patent mit Sachprüfung umzuwandeln. Dafür müssen lediglich die während der Anmeldeverfahren eingesparten Gebühren und Ressourcen eingesetzt werden. In der Praxis werden oft Erfindungen gemacht, bei denen man über die Patentierung unschlüssig ist, weil der Erfolg des Patents möglicherweise ausbleiben kann. Für solche Erfindungen könnte das Patent ohne Sachprüfung als günstige Absicherung bei gleichzeitigem Offenhalten aller Möglichkeiten eingesetzt werden. 9.1.11, Torpedo-Problematik: Für viele europäische Unternehmen stellt die Möglichkeit eines sogenannten Torpedos ein grosses Risiko dar, weil hierdurch Ressourcen beansprucht werden, während gegen die Patentverletzung nichts unternommen werden kann und so mögliche Umsatzeinbussen geduldet werden müssen. Bei den Torpedo-Klagen handelt es sich um eine Methode, bei der ein potentieller Verletzer die Verletzungsklage blockiert oder zumindest zeitlich erheblich verzögert. Dazu ist eine negative Feststellungsklage in einem EU-Mitgliedstaat mit langer Verfahrensdauer zu platzieren. Bei einer Verletzungsklage kann das Gericht wegen Art.27 Abs.1 EuGVVO das Verfahren bis zur Abklärung der Zuständigkeit des ersten Gerichts nicht aufnehmen. Dies blockiert die Verletzungsklage bis zum Entscheid der negativen Feststellungsklage bei dem ersten Gericht. Aufgrund der Tatsache, dass die Türkei weder EU- noch EFTA-Mitglied ist und das Lugano-Abkommen nicht unterzeichnet hat, liegt es im Ermessen des Richters, ob die ausländischen Urteile abgewartet werden. Demnach kann eine Patentverletzungsklage in der Türkei trotz eines noch nicht abgeschlossenen Prozesses in einem EU-Mitgliedstaat eingeleitet werden. Die Gefahr von türkischen Torpedos , bei denen ein Rechtsbrecher eine negative Feststellungsklage bei einem türkischen Gericht einreicht, besteht ebenfalls nicht. In solchen Fällen wird in der Türkei die negative Feststellungsklage mit der Verletzungsklage kombiniert und ein Urteil über die verschiedenen Fragen im gleichen Prozess gefällt. Für Waren, die weder in der Türkei gefertigt noch vertrieben werden, kann dieser Vorteil genutzt werden, wenn die Türkei als Transitland benutzt wird. In der Praxis kann dies so aussehen, dass ein Zulieferer bewusst grosse Mengen patentverletzende Waren in den europäischen Markt einführt. Um zu verhindern, dass seine Tätigkeiten in den nächsten Jahren gestört werden, könnte eine negative Feststellungsklage an einem geeigneten europäischen Gericht eingereicht und danach das Verfahren in die Länge gezogen werden. Bis das Urteil der negativen Feststellungsklage gefällt wird, müssten die Rechtsinhaber im schlimmsten Fall die Verletzung ihrer Rechte dulden. Falls aber die patentverletzenden Waren über die Türkei in den europäischen Markt gelangen, könnte der Rechtsinhaber trotz der anhängigen negativen Feststellungsklage eine Verletzungsklage einleiten. Bei Erfolg dieser Verletzungsklage könnte die im Kapiteln sieben beschriebenen Massnahmen aggressiv gegen den Verletzer durchgesetzt werden, sodass der Transport über die Türkei nicht mehr möglich wird. 9.3, Fallbeispiel einer schweizerischen KMU oder Start-up: Die türkische Wirtschaft zeigt seit Jahren einen Aufwärtstrend. Mitverantwortlich für diesen Trend sind vor allem die wachsenden Industrien. Die Textil-, Automobil- und Elektronikindustrie zählen zu den wichtigsten Industrien. Dies verdankt die Türkei unter anderem vielen internationalen Grossunternehmen, die zurzeit Produktionswerkstätten in den genannten Branchen in der Türkei betreiben. Für ein europäisches KMU oder Start-up–Unternehmen bedeutet dies, dass bei den genannten Branchen Patentschutz angestrebt werden sollte, um später gegen mögliche Verletzer Vorgehen zu können. Der Transport einer Ware kann auf dem Wasser-, dem Luft- oder auf dem Landweg erfolgen. Ein europäisches Unternehmen, welche systematische Patentverletzungen aus dem asiatischen Raum bekämpfen will, bevor die Waren in den europäischen Markt gelangen, sollte alle drei Transportmöglichkeiten abdecken. Die Einfuhr der Waren über den Wasserweg könnte effektiv bekämpft werden, wenn in Ländern mit grossem Umschlaghafen Patentschutz erlangt wird. Dies wäre für Europa der Hafen von Rotterdam in Holland. Für den Lufttransport hat der Frankfurter Flughafen in Deutschland eine ähnliche Bedeutung. Die Bekämpfung der Einfuhr über Land ist aus verschiedenen Gründen wie etwa die verschiedenen Transportrouten schwieriger. Sobald die verletzenden Waren einmal in den europäischen Raum gelangt sind, wird es wegen des offenen Zollwesens schwierig einzuschreiten. Die geografische Lage der Türkei könnte dieses Problem entschärfen, weil die Türkei als Transitland zwischen Europa und dem asiatischen Raum genutzt wird. Durch einen Patentschutz in der Türkei könnten patentverletzende Waren vor den Toren Europas gestoppt, vernichtet oder sogar durch die Möglichkeit der Zuerkennung auf sich übertragen werden. Die Möglichkeit der vorsorglichen Massnahmen im türkischen Patenrecht gewährleistet zudem eine rasche und effektive Bekämpfung. Die genannten Möglichkeiten zur Bekämpfung der Verletzungshandlungen bieten keinen hundertprozentigen Schutz. Es gibt weitere Mittel und Wege, um patentverletzende Waren in den europäischen Raum einzuführen, ohne dass der Rechtsinhaber dies verhindern kann. Diese Mittel und Wege sind jedoch im Vergleich zu kommerziellen Methoden teurer und aufwändiger zu realisieren, sodass die Profitabilität für eine patentverletzende Handlung vermindert wird. Hinzu kommt, dass die Zollbeamten im Vergleich zu Markenverletzungen bei Patentrechtsverletzungen wegen der Komplexität der Aufgabe zurückhaltender sind. Nichtsdestotrotz ist ein türkischer Patentschutz zu empfehlen.
Köksal Kuyucuoglu wurde 1986 in Konya (Türkei) geboren. Nach seinem Grundschulabschluss zog er mit seiner Familie in die Schweiz. Da die Technik ihn schon als Kind faszinierte, entschied er sich für eine vier jährige Ausbildung als Automatiker (Elektrotechniker), woran ein berufsbegleitendes, 3,5 jähriges Studium in Richtung Elektronik und Automation an der Höheren Fachschule in Basel anschloss. Dies ebnete ihm den Weg für den Masterstudiengang in Patent und Markenwesen in Zürich, welchen er in 2014 mit seiner Abschlussarbeit Das türkische Patentsystem und strategische Optionen für ein KMU oder Start-up erfolgreich abschloss. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen in der IP Branche (Intellectual Property/ Geistiges Eigentum). Diesbezüglich fielen ihm die vorhandenen Unterschiede zwischen den türkischen und europäischen Patentsystemen sowie der damit zusammenhängende Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten auf. Diese Erkenntnisse motivierten den Autor, sich in seiner Mastarbeit mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, um so die Chancen und Möglichkeiten vom türkischen Patenrecht darzustellen. Aktuell berät und unterstützt Kuyucuoglu Consulting Unternehmen in türkischen IP-Angelegenheiten sowie Patentübersetzungen in türkischer Sprache.