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Sport

Alexander Kralj

Sport im Betrieb der Fahrradkuriere: Die Entstehung einer sportlichen Subkultur

ISBN: 978-3-95934-511-8

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Nach ethnographischen Gesichtspunkten ist das Phänomen Sport ein typisches Teilgebiet moderner Lebenswelten und damit eine Art Sonderkultur. Diese wiederum umfasst zahlreiche Subkulturen, die sich um die unterschiedlichen Varianten und Arten des Sports sammeln. Aber wie treten solche Subkulturen in Erscheinung? Wo bestehen Gemeinsamkeiten und worin unterscheiden sie sich? Und was sind überhaupt die kennzeichnenden Elemente, die eine Subkultur zu einer Subkultur des Sports machen? Antworten auf solche und weitere Überlegungen liefert dieses Buch. Im Zentrum steht die Frage, ob Fahrradkuriere eine sportliche Subkultur repräsentieren. Da ebendiese Gruppierung seitens der Sportwissenschaften bisher nur geringfügig beachtet wurde, liegt ein besonderes Augenmerk auf der Frage, welchen Sinn Fahrradkurierer mit ihrer Aktivität verbinden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Fahrradkurier – Was ist das?: 2.1, Äußere Sichtweise: 2.1.1, Auftreten: Nahezu jeder, der sich zeitweilig in größeren Städten aufhält, hat sie schon einmal gesehen, nicht wenige hatten auch schon direkt mit ihnen zu tun: entweder als Mitteilnehmer im Straßenverkehr oder sogar im persönlichen Kontakt bei eiligen Zustellungen. Die Rede ist von den Fahrradkurieren zum einen und von der wahrnehmenden Öffentlichkeit zum anderen. Dabei geht es allerdings zunächst nicht in erster Linie darum, wie Fahrradkuriere glauben, in der Allgemeinheit gesehen zu werden, sondern wie Fahrradkuriere tatsächlich durch die Augen der Allgemeinheit gesehen werden, also von außen. Sie erzeugen durch ihr Auftreten, ihre Fahrweise und ihren Kleidungsstil in der Öffentlichkeit ein Bild, das teilweise bewusst und gewollt, teilweise aber auch unbeabsichtigt erzeugt wird: Direkt abgeleitet von der Tätigkeit werden Attribute wie Sportlichkeit, Schnelligkeit, Jugendlichkeit, Tüchtigkeit, aber auch Rücksichtslosigkeit, deviantes Verhalten, Stress (Recher, 2002, S.39). Juan Moreno (2004), Kolumnist und Satiriker der Süddeutschen Zeitung schrieb kürzlich in der Wochenendausgabe über ein Zusammentreffen mit einem ortsansäßigen Fahrradkurier: Gestern habe ich [...] etwas gemacht, worauf ich stolz bin, und worum mich viele Menschen beneiden werden, die wie ich morgens mit ihrem Fahrrad zur Arbeit fahren, über ihr Leben nachdenken und davon träumen, etwas Großes zu tun. Gestern war ich ein Held, nur kurz, ich allein – ich habe einen Berliner Fahrradkurier überholt. Der Fahrradkurier hat zwar garnicht gemerkt, dass wir ein Rennen fuhren, zudem habe ich mich total verausgabt, [...] aber es hat sich gelohnt. Ich hatte einen Fahrradkurier überholt. Hinter den Worten findet man zunächst Bewunderung für den Fahrradkurier, der sich offensichtlich für den Autor mit relativ hoher Geschwindigkeit fortbewegt. Überholen eines anderen Verkehrsteilnehmers im Straßenverkehr steht häufig symbolisch für eine Art Bezwingen eines Gegners. Der Stolz des Autors erklärt sich dadurch, einen Fahrradkurier zumindest für Augenblicke bezwungen zu haben. Die Bewunderung findet seine Fortsetzung in der näheren Beschreibung des Fahrradkuriers: Mein Gegner war ein junger, fantastisch aussehender Mann. Er hatte durchtrainierte Beine, eine riesige, blonde Rastafrisur [...] und ein Renntrikot der amerikanischen Post (Moreno, 2004). In der Öffentlichkeit gilt der Fahrradkurier als sportlich, jung, dynamisch. Fahrradkuriere werden häufig von Fremden angesprochen und gefragt, wieviele Kilometer sie denn schon gefahren wären und welche Distanzen pro Tag zurücklegt werden. Für viele Menschen ist es nur schwer vorstellbar, Tag für Tag mehrere Stunden auf dem Fahrrad zu verbringen und dabei oft mehr als hundert Kilometer zurückzulegen, Fahrradkuriere gelten daher als [...] Freaks, Fahrradfreaks natürlich. Bei ihnen dreht sich alles ums Rad. Ihre Wohnungen ähneln Werkstätten: Überall liegen Fahrradteile rum. Sie bewegen sich immer mit dem Rad fort, egal, ob sie nebenan zum Bäcker wollen, in den Urlaub ans Mittelmeer fahren oder eben arbeiten. Sie lesen die Tour oder Mountainbike, und ihre Gespräche drehen sich meist um Fahrradteile (John, 2002, Abs. 5). Durch seine funktionelle und hochspezialisierte Ausrüstung erzeugt der Fahrradkurier Neugierde, wirkt aber teilweise auch befremdlich und manchmal dadurch sogar ein wenig angsteinflößend: Er hatte eine etwas sperrige, wasserdichte Tasche mit der Telefonnummer seiner Agentur umgehängt. Links an der Hüfte hingen gleich zwei Handys, rechts ein Funkgerät, auf dem Rücken eine Wasserflasche und ein Schweizer Messer. Der geht nicht zur Arbeit, der zieht in den Krieg [...] (Moreno, 2004). An belebten Orten bleiben Fußgänger unvermittelt stehen oder gehen langsamer, sobald sie einen Fahrradkurier erblicken. Das typische Knacken und Rauschen des Funkgerätes bei der Kontaktaufnahme mit der Kurierzentrale lenkt Aufmerksamkeit und viele Blicke auf den Kurier. Manche Menschen erschrecken bei diesen Geräuschen, die nicht viel lauter, dafür aber unvertrauter erscheinen als der Straßenlärm. Hin und wieder erzählen Kunden oder Passanten, sie hätten mich als Fahrradkurier für einen Polizeibeamten gehalten, die ja ebenfalls höchst funktionell ausgestattet sind und auch Funkgeräte für die Kommunikation benutzen. Ähnlich den Polizeibeamten sind Fahrradkuriere auch nicht bei der Arbeit, sondern im Einsatz . Der Fahrradkurier erzeugt den Eindruck von Wichtigkeit, so dass häufig beim Betreten eines Geschäfts Unterhaltungen unterbrochen werden: Die Arbeit des Fahrradkuriers ist also wichtig und anspruchsvoll (John, 2003, Abs. 4). Der Fahrradhelm als Schutzmaßnahme erzeugt den Eindruck höherer Gefährdung durch andere. Das bewusste Eingehen der Gefahr macht den Fahrradkurier damit einerseits zum Kämpfertypus, andererseits wirkt er durch seine Spezialausrüstung gut vorbereitet auf die sonst scheinbar schwierig zu bewältigenden Anforderungen: Das Auftreten in Radfahrerkleidung und mit einheitlicher Ausrüstung erweckt bei der Bevölkerung den Eindruck von Sportlichkeit und Souveränität, weckt Vertrauen in das Können (Recher, 2002, S.39). 2.1.2, Fahrweise: Nichts prägt jedoch so sehr das Bild des Fahrradkuriers, wie seine Fahrweise: Sie flitzen durch die Straßen [...] wie Verrückte, springen auf ihren Rädern Bordsteinkanten rauf und runter, fahren kreuz und quer über die Fahrbahn und zeigen keinerlei Respekt vor der Straßenverkehrsordnung. Das Rot der Ampeln scheint auf sie zu wirken wie das wedelnde Tuch des Toreros auf den Stier: mit Vollgas drauf los. (John, 2002, Abs. 1). Im Straßenverkehr ist Raum zur Fortbewegung häufig stark begrenzt, so dass Fahrradkuriere vor die Wahl gestellt sind, entweder im oft langsamen Fluss des Verkehrs mitzutreiben, oder aber selbst kleinste Freiräume zu nutzen um weiter und schneller voranzukommen. Die Nutzung kleinster Freiräume macht es jedoch wiederum erforderlich, sehr nahe an Fußgängern, Autos, Hauswänden o.ä. vorbeizufahren. Für die meisten Verkehrsteilnehmer erscheint das Einfordern von Räumen und das nahe Heranfahren mit häufig hoher Geschwindigkeit jedoch als riskant und gefährlich. Häufig entsteht derart großes Unverständnis und Empörung, dass es zu Beschimpfungen und Nachrufen kommt, wie z.B.: Geh’ auf die Rennstrecke wenn du so schnell fahren musst . Manchmal stellen sich Fußgänger auf dem Gehweg absichtlich in den Weg, um ihr Territorium zu bestimmen. Seltener wird ein Kurier dabei angerempelt oder man greift ihm in den Oberarm um ihn vom Fahrrad zu zerren oder um ihn zu Fall zu bringen. Autofahrer reagieren sehr unterschiedlich sobald ein Fahrradkurier auf der Fahrbahn auftaucht. In den meisten Fällen handeln Autofahrer rücksichtsvoll und überlegt, indem sie v.a. bei Überholmanövern genügend Abstand halten und den Fahrweg des Fahrradkuriers vorausahnend mit einkalkulieren. Taxifahrer und Autokurierfahrer halten weniger Abstand zu Fahrradkurieren, da sie sich erstens in der Regel sicherer im Umgang mit ihrem Fahrzeug fühlen und zweitens wissen, dass Fahrradkuriere mit deutlich weniger Verkehrsraum auskommen und auch weniger schreckhaft sind als andere Fahrradfahrer. Im Gegensatz zu den Fußgängern wird ein höheres Fahrtempo auf der Straße von den Autofahrern eher toleriert als langsame Geschwindigkeiten. Die Toleranz findet dort seine Grenzen, wo der Fahrradkurier die Verkehrsregeln überschreitet, indem er z.B. eine Einbahnstraße in Gegenrichtung befährt. In solchen Situationen werden Räume eng gemacht und es wird besonders nahe an den Fahrradfahrer herangefahren. Vor allem Taxifahrer nutzen hier ihre bessere Kontrolle über das Fahrzeug aus und beschleunigen oft noch zusätzlich, um Frustration abzubauen. Nach Einschätzung vieler Autofahrer sind die betonierten Straßen in erster Linie für den Autoverkehr gemacht worden, andere Verkehrsteilnehmer werden daher häufig eher geduldet als gutgeheißen. Weniger geduldet wird der Fahrradkurier auf der Straße, wenn er die Wahl hat, auch einen an der Fahrbahn gelegenen Radweg zu benutzen.

Über den Autor

Alexander Kralj, Diplom-Sportwissenschaftler, wurde 1977 in Klagenfurt geboren. Das Studium der Sportwissenschaften an der Technischen Universität schloss der Autor im Jahre 2005 erfolgreich ab. Vor und während der gesamten Zeit seines Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen als Fahrradkurier. Fasziniert vom Rausch der Geschwindigkeit und des Freiheitsgefühls auf zwei Rädern war der Autor zeitgleich für mehrere Münchner Fahrradkurierzentralen aktiv und finanzierte sich auf diese Art und Weise parallel sein Studium.

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