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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2009
AuflagenNr.: 1
Seiten: 90
Abb.: 17
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Dem Fußballsport in Deutschland haftet bis heute in der Öffentlichkeit das Image an, ein ehemaliger Proletariersport gewesen zu sein. Selbst die wissenschaftlich orientierten Abhandlungen zur Kultur- und Sozialgeschichte des Fußballs betonen zumeist die tiefe proletarische Verwurzelung jenes Sports in der Arbeiterkultur noch mindestens in den 1950er Jahren, woraus dann der Schluss gezogen wird, dass die gegenwärtige, breite gesellschaftliche Akzeptanz und Relevanz des Fußballsports einzig durch die strukturelle Transformation des Fußballs zum Showsport und Kristallisationspunkt der modernen Unterhaltungsindustrie, wodurch sich jener Sport dem Wertehorizont und den ästhetischen Maßstäben höherer sozialer Schichten angenähert habe, erklärbar werde. Aber inwiefern war der Fußballsport in Deutschland tatsächlich ein sozial exklusives, proletarisches Freizeitvergnügen? Kann es nicht auch sein, dass die Charakterisierung des Fußballs als Proletariersport vielmehr aus der damaligen gesellschaftlichen Sozialstruktur resultiert, die nun mal von Arbeitern dominiert und durch proletarische Verhältnisse gekennzeichnet war, so dass die schichtungshierarchische Veränderung des Fußballpublikums wesentlich auf den sozialstrukturellen Wandel zurückzuführen ist, insofern der Fußballsport seit jeher auf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz fußt? Aufgrund der Möglichkeit die sich verändernden Rezipientenstrukturen der fußballinteressierten Leserschaft des Kicker-Sportmagazins seit 1954 zu analysieren, ist es erstmals möglich, einen empirisch fundierten Beitrag zur Frage nach der essentiellen Ursächlichkeit des als Entproletarisierung bezeichneten, schichtungshierarchischen Veränderungsprozesses des Fußballpublikums zu leisten. Darüberhinaus versteht sich diese Untersuchung hinsichtlich der soziologischen Herangehensweise, den Fußballsport eingebettet in die gesellschaftlichen Veränderungen zu betrachten, als Antwort auf die bisher defizitäre und weitestgehend im gesellschaftsfernen Raum stattfindende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fußballspiel und seinen Fans sowie hinsichtlich der (Längsschnitt-)Analyse eines Medienpublikums als Beitrag zur bisher defizitären Publikumsforschung im sportmedialen Umfeld und zur rudimentären empirischen historischen Nutzungsforschung überhaupt.
Textprobe: Kapitel 3, Theoretische Vorgehensweise zur Überprüfung der Entproletarisierung der Kicker-Leserschaft im Kontext des gesellschaftlichen Wandels: Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass zum einen eine empirische Überprüfung des vorgestellten Konzepts der Entproletarisierung des Fußballpublikums im Kontext des gesellschaftlichen Wandels (Kapitel 1) noch nicht stattgefunden hat und zum anderen, dass sich die Leserschaft des Kickers sowohl in theoretischer als auch in methodischer Hinsicht aufgrund der Möglichkeit, die sich verändernden Rezipientenstrukturen jener Sportzeitschrift seit 1954 zu analysieren, eignet (Kapitel 2), diese Forschungslücke zu schließen. Kapitel 3.1, Fragestellung und forschungsleitende Hypothesen: Angenommen wird, dass dem gewählten soziologischen Erklärungsansatz zufolge (Kapitel 1.2) der als Entproletarisierung bezeichnete, kollektive soziale Aufstieg des Fußballpublikums in der schichtungshierarchischen Veränderung der Kicker-Leserschaft im Zeitraum der ca. letzten 50 Jahre sichtbar wird, so dass sich die Frage nach der wesentlichen Ursächlichkeit jenes Entwicklungsprozesses stellt. Die in Kapitel 1.3 dargestellte Kontroverse aufgreifend wird danach gefragt, ob sich die Entproletarisierung des Fußballpublikums im Wesentlichen durch die Entwicklung des Fußballs zum Showsport bzw. zum Kristallisationspunkt der modernen Unterhaltungsindustrie erklärt, so dass erst die vornehmlich durch die Fernsehmediatisierung induzierte Gewinnung neuer, statushöherer Publikumsschichten das Fußballpublikum aus seinem proletarischen Zusammenhang gerissen hat und den Fußballsport von einem Unterschichtenphänomen zu einem quer durch alle Gesellschaftsschichten beliebten Freizeitvergnügen transformiert hat oder ob die schichtungshierarchische Veränderung des Fußballpublikums essentiell aus dem generellen, sich vollziehenden sozialstrukturellen Wandel resultiert, so dass sich unter Kontrolle jenes Wandels traditionelle, im Zeitverlauf ähnliche Publikumsstrukturen zeigen, da sich anders als etwa in England die statushöheren Schichten nicht vom Fußballsport zurückgezogen haben, insofern also der Fußball als Zuschauersport seit jeher auf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz fußt und die Bezeichnung als Proletariersport daher einem romantisch verklärten Mythos gleichkommt, der die sozialstrukturellen Gegebenheiten der früheren Jahre missachtet. Angewendet auf die Leserschaft des Kickers lassen sich dann die beiden folgenden forschungsleitenden Hypothesen formulieren: Transformationshypothese: Die Entproletarisierung der Kicker-Leserschaft resultiert essentiell aus der Transformation des Fußballs zum Showsport hinsichtlich der Gewinnung neuer, statushöherer Publikumsschichten, so dass sich die statusniedrige Zusammensetzung der Kicker-Leserschaft im Zeitverlauf der ca. letzten 50 Jahre der Gesellschaftsstruktur angeglichen hat. Similaritätshypothese: Die Entproletarisierung der Kicker-Leserschaft resultiert essentiell aus dem schichtungshierarchischen Aufstieg der bundesdeutschen Gesellschaft im Zeitverlauf der ca. letzten 50 Jahre, so dass die Zusammensetzung der Kicker-Leserschaft seit jeher in etwa der Gesellschaftsstruktur entspricht. Kapitel 3.2, Schichttheoretischer Ansatz: Wie oben dargelegt (Kapitel 1.1), rekurriert der gewählte Terminus der Entproletarisierung auf den Begriff des Proletariats im Sinne der untersten, besitzlosen Bevölkerungsschicht und bezeichnet den schichtungshierarchischen Veränderungsprozess des Fußballpublikums im Zeitraum der ca. letzten 50 Jahre, so dass sich als soziologische Herangehensweise ein schichttheoretischer Ansatz zur Eruierung der Entproletarisierung und zur Frage nach der wesentlichen Ursächlichkeit der veränderten Sozialstruktur des Kicker-Publikums empfiehlt. Schichttheoretisch können dabei Beruf, Bildung und materieller Wohlstand als die drei klassischen Schichtindikatoren betrachtet werden. Da zum einen die genannten Statusdimensionen je für sich mit einer allgemein für erstrebenswert erachteten Lebensgestaltung verbunden (ebd.) sind und zum anderen Statusinkonsistenzen berücksichtigt werden sollten, die in modernen Gesellschaften alles andere als selten sind, wird eine mehrdimensionale Betrachtung für zweckmäßig erachtet. Dennoch kann auch in dieser Arbeit, wie in den allgemeinen Schichttheorien üblich, der Beruf als zentraler Indikator betrachtet werden, zumal die theoretischen Ausführungen zumeist auf den Arbeitersport Fußball fokussierten. Dass zusätzlich noch die Bildung als wichtige soziale Platzierungsfunktion in modernen Gesellschaften und damit als eine zentrale Ressource für Lebenschancen und das Einkommen als relativ guter Indikator für den Lebensstandard herangezogen werden, resultiert auch aus datentechnischen Restriktionen und theoretischen Überlegungen. Zum einen kann mit dem vorhandenen Datenmaterial zum Beruf (siehe Kapitel 4.3) eine exakte Statuszuweisung und Schichtzuordnung nicht geleistet werden, so dass weitere Schichtindikatoren erforderlich sind und zum anderen können die Schichtdeterminanten Bildung und Einkommen zusätzlichen Erkenntnisgewinn dahingehend generieren, dass gezielt die von den Anhängern der Transformationshypothese angenommene Distinktion der oberen Bildungsschichten und Gewinnung der neuen finanzstärkeren und konsumfähigeren Publikumsschichten überprüft werden kann. Kapitel 3.3, Sportzeitschriftenimmanente Restriktionen: Während die insbesondere seit den 1990er Jahren zu erwartenden inter- und intramedialen Substitutionseffekte nur rudimentär angesichts nicht vorhandener Daten, abgesehen von den Daten zur Nutzung der Sportbild, eruiert werden können, sollen die sportzeitschriftenimmanenten Restriktionen in der Analyse berücksichtigt werden. Wie in Kapitel 2.4 dargelegt, kann angenommen werden, dass zum größten Teil Männer den Kicker heranziehen, um sich ausführlich über den Fußballsport zu informieren und dass mit zunehmendem Alter das Lesen des Kickers seltener wird, wie Schauerte (2002) allgemein für Sportzeitschriften feststellen konnte. Zum einen sollen diese Annahmen überprüft werden und zum anderen könnten sich dadurch verzerrte Ergebnisse hinsichtlich der Überprüfung der forschungsleitenden Hypothesen ergeben. So könnte beispielsweise ein hoher Arbeiteranteil auch auf den besonders hohen Männeranteil innerhalb der Kicker-Leserschaft zurückzuführen sein und die Feststellung von Schauerte (2002), dass mit steigendem formalen Bildungsgrad Sportzeitschriften immer häufiger gelesen werden, könnte durch das vergleichsweise junge Publikum dahingehend erklärbar werden, dass jüngere Personen im Zuge der voranschreitenden Bildungsexpansion im Verhältnis zu den Älteren über höhere Bildungsabschlüsse verfügen, so dass es notwendig erscheint, das Geschlecht und das Alter als Kontrollvariablen in die Analyse einfließen zu lassen. Sollte sich jedoch hinsichtlich des Schichtungsindikators Bildung auch unter Kontrolle der Restriktionsvariablen ein sehr hohes Bildungsniveau zeigen, dann hätte dies selbstredend Konsequenzen für die Adäquanz des hier gewählten Publikums zur Überprüfung der Fragestellung. Denn dann könnte die hier getroffene Annahme der Bildungsunabhängigkeit der Sportrezeption (in dem Sinne, dass ein hoher Kenntnisstand, den insbesondere der Leser des Kickers durch das vermittelte Strukturwissen erlangt, bildungsunabhängig erzielt wird, nicht aufrechterhalten werden. Allerdings scheint diese Annahme angesichts der Darlegungen in Kapitel 2.4 auch gerechtfertigt. Insofern leistet diese Arbeit auch einen Beitrag zur Relevanz der Bildungsunabhängigkeitsannahme der Sportrezeption.
Oliver Fürtjes, Diplom-Soziologe, Diplom-Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln. Abschluss 2008 als Diplom-Soziologe.
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