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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 124
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Als zwei der wichtigsten Denker des zwanzigsten Jahrhunderts haben Jacques Derrida und Niklas Luhmann erheblich zur westlichen Philosophie, Geistes- und Sozialwissenschaft beigetragen. Ein Vergleich ihrer Ansätze in Bezug auf ihr Verständnis der Begriffe Zeichen und Differenz muss sich mit den Unterschieden und den leicht zu übersehenden Gemeinsamkeiten beider Theorien auseinandersetzen. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob eine der beiden Theorien mehr Wahrheitsgehalt hat als die andere. Es geht nicht um eine qualitative Bewertung, welche der beiden Theorien vermeintlich besser sei und welche Theorie in Zukunft missachtet werden könne. Dazu kreieren sich Luhmann und Derrida zu sehr ihre jeweils eigenen Wahrheiten und gehen von zum Teil recht verschiedenen Prämissen und Weltsichten aus. Ein Vergleich wird dadurch nicht zu einem leichteren Unterfangen denn nicht alles, was sich formal inhaltlich und paradigmatisch unterscheidet, lässt sich sinnvoll vergleichen. Dies trifft besonders auf zwei so geschlossene Theorieansätze wie die von Luhmann und Derrida zu. Ferner geht es nicht darum, beide Theorien zu einer zu vereinen, was unmöglich ist, da beide Ansätze zu verschieden sind. Es bleiben jedoch einzelne frappierende Parallelen, die einen Vergleich nahe legen und die es gilt, näher zu beleuchten. Deswegen kann das Ziel einer Studie wie der folgenden lediglich sein, die Unterschiede bzw. die Gemeinsamkeiten zwischen Derridas Dekonstruktion und Luhmanns Systemtheorie anzudeuten und gewisse parallele Perspektiven und Standpunkte gegenüberzustellen und zu erörtern. Hier durch soll ein besseres Verständnis für die Logik beider Theorieansätze sowie der Ähnlichkeiten und der vergleichbaren Lösungsversuche erlangt werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel Differenzbegriffe im Vergleich: Formkalkül vs. Différance: Über die Differenzauffassungen bei Derrida und Luhmann lässt sich sagen, dass sie, obwohl sie aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen kommen, gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Derrida bezieht sich größtenteils auf den von Saussure entwickelten linguistischen Begriff der Differenz, der sich besonders im Zeichenbegriff des letzteren etabliert. Die différance macht dabei das Denken von Differenzen ohne positive Einheiten oder Identitäten möglich. Die Differenz wird somit selbst zu einer Einheit. Bei Luhmann ist der Differenzbegriff der Mathematik entlehnt. Wie weiter oben gezeigt, übernimmt Luhmann weitestgehend den Formkalkül des Mathematikers George Spencer Brown. Der Formbegriff bei Spencer Brown ist ebenfalls durch eine Ablehnung positiver Einzelglieder gekennzeichnet. Mit dem Imperativ Triff eine Unterscheidung (Spencer Brown 1997, 3), wird der Identitätsbegriff auf eine Differenz verschoben. Keine Seite der Unterscheidung ist denkbar ohne die andere Seite, von der sie unterschieden wird. Wie kann man die beiden Differenzbegriffe jedoch vergleichen? Armin Nassehi (1995) hat in einem Aufsatz mit dem Titel Différend, Différance und Distinction – Zur Differenz der Differenzen bei Lyotard, Derrida und in der Formenlogik ebenfalls die Frage behandelt, wie sich die unterschiedlichen Differenzauffassungen bei Derrida und in der Systemtheorie vergleichen lassen. Als einen dritten Vergleichsaspekt hat er außerdem das Differenzdenken Lyotards dazu genommen. Jedoch ist diese letzte Geste Nassehis für die weiteren Ausführungen nur von marginalem Interesse, so dass im Folgenden hauptsächlich die Argumente bezüglich des Formkalküls und der différance nachvollzogen und kritisch betrachtet werden. In seinem in vier Teile gegliederten Vergleich geht Nassehi ähnlich wie die vorliegende Arbeit vor. Zunächst werden die Differenzbegriffe der einzelnen Autoren rekonstruiert, um sie dann im letzten Teil mit dem Titel Differenzen der Differenzen auswertend zu vergleichen. Dabei kommt Nassehi bezüglich der différance zu dem Schluss, dass sie den Formkalkül zwar nicht ganz aber in großen Teilen erfassen könne. Derridas différance könne nur vorsichtig andeuten, dass alles sinnhafte Geschehen, alles Kommunizieren und Bezeichnen mit der Handhabung von Unterscheidungen zu tun habe, die eine bezeichnete und eine unbezeichnete Seite haben und nicht nur von der Differenz von Bezeichnung und Bezeichnetem geprägt würden. Insofern versteht Nassehi den Formkalkül als eine Radikalisierung der différance, der in der Perspektive Derridas nur eine bestimmte Form, nämlich die Form des Zeichens, formuliere. Letztlich macht Nassehi den Unterschied zwischen différance und Formkalkül an der unterschiedlichen Ausgangsdifferenz fest. Dabei betrachtet er die différance bereits unter dem Aspekt, dass sie selbst eine Form darstellt. Die Form der différance werde, so Nassehi, durch die beiden Seiten – also durch die Unterscheidung – Abwesenheit/Anwesenheit konstituiert, wobei es die Abwesenheit sei, die Anwesenheit bezeichne und damit zur Abwesenheit gezwungen werde. Die Form der Form basiere dagegen auf der Unterscheidung Unterscheidung/Bezeichnung und verweise auf eine Paradoxie, die wiederum den operativen und selbstreferentiellen Charakter aller Formgebung offenbare. In der Konsequenz schreibt Nassehi dem Formkalkül einen universalistischen Anspruch zu, den die différance durch ihr exemplarisches Arbeiten nicht erreichen kann. Aus Nassehis Vergleich muss man also schließen, dass der Formkalkül quasi das Differenzdenken, welches die différance beschreiben soll, absorbiert, dass also der Formkalkül die différance mitmeint und sogar noch weit darüber hinausgeht. Marcus Hahn (1996) bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die Absorption der différance im Formkalkül voreilig getroffen wird. Er weist deswegen darauf hin, dass die différance im Unterschied zur Form bei Spencer Brown ganz konsequent die Frage nach dem Ursprung stellt. Die Form im Gegenzug käme mit dem Imperativ Triff eine Unterscheidung aus und scheine die Spannung zwischen dem namenlosen Anfang des unmarked space und dem ersten Imperativ nicht zu bemerken. Außerdem ist das Denken der différance aus einem metaphysischen Paradigma von Abwesenheit und Anwesenheit nur(?) im Spiel der Zeichen wiederzufinden. Dagegen würde Derrida argumentieren, dass alles Wissen, dass gar die ganze Welt als Text (als Schrift!) aufgefasst werden müsste, was nichts anderes bedeutet, als dass die différance selbst wiederum einen universalistischen Anspruch erheben kann. Somit zieht sie genaugenommen auf eine Stufe mit dem Formkalkül und kann so ihrer Absorption entgehen. Wenn man es genau nimmt, geht auch der Formkalkül mit seiner Unterscheidung, der Form Unterscheidung/Bezeichnung von einer Perspektive der Zeichen bzw. der Bezeichnung aus. Denn erst mit der Bezeichnung wird nach dem Formkalkül die Form Unterscheidung/Bezeichnung beobachtbar. Ferner bemerkt Nassehi, dass auch im Formkalkül ein traditionelles Verhältnis umgekehrt werde: Hat man vorher – aufgrund welchen [sic. M.R.] Ideenhimmels auch immer – zunächst Seiendes bezeichnet, um es in der Mannigfaltigkeit der Welt zu unterscheiden, wird hier unterschieden, um zu bezeichnen (Nassehi 1995, 57). Insofern stehen die beiden Differenzmodelle différance und Formkalkül vielleicht doch nicht in einem solch streng hierarchischen Verhältnis wie von Nassehi angenommen. Was man Luhmann jedoch zugute halten kann, ist, dass er den Differenzbegriff in einem viel größeren Umfang als Derrida verwendet. So sind fast alle seine Betrachtungen zu System und Umwelt, zu Medien, zur Beobachtung etc. vom Differenzdenken geleitet. Vielmehr basiert seine Theorie auf der Grunddifferenz von System und Umwelt. Letztlich schafft es Luhmann, mit Hilfe seines Differenzbegriffs eine Theorie zu entwickeln, die versucht, alle Bereiche der Gesellschaft zu erklären. Derrida hingegen hat einen völlig anderen Anspruch. So versucht er gar nicht erst, eine umfassende Sozial- und Gesellschaftstheorie zu entwerfen. Vielmehr folgt er offensichtlich der Auffassung, dass die Zeit der masternarratives, der Metaerzählungen wie Lyotard einmal die großen, welterklärenden Theorien der Moderne nannte – zu denen vielleicht auch die Systemtheorie Luhmanns gezählt werden muss – vorbei ist. Dennoch können sowohl Derridas als auch Luhmanns Theorien als Supertheorien bezeichnet werden, da sie beide universell einsetzbar sind und in der Tat auch, wie weiter oben argumentiert wurde, universell eingesetzt werden.

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