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- Weibliche Mediation: Über Neutralität, Freiwilligkeit, Allparteilichkeit und andere patriarchale Märchen
Soziologie
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 160
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Dieses Buch beschäftigt sich damit, ob, und wenn ja, inwieweit Feminismus und Mediation zusammenpassen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der weiblichen Sicht und der weiblichen Praxis der Mediation. Zentrale Begriffe der Mediation, wie Allparteilichkeit, Neutralität und Freiwilligkeit werden unter die Lupe genommen und erweisen sich als nicht haltbar. Sofern von einem weiblichen Mediationsverständnis und weiblicher Mediationspraxis ausgegangen wird, zeigt sich, dass sowohl der männlich gesetzte Rahmen der Mediation, als auch die männlich gesetzte Methode gesprengt wird. Dies führt dazu, dass Feminismus - selbst wenn nicht als solcher deklariert - und Mediation einander verstärken - gelebte weibliche Friedenspolitik.
Textprobe: Kapitel1.2.2, Weltbild der Mediation: Im Lauf der Jahrhunderte hat die Mediation unterschiedliche Definitionen erlebt. Solon war nicht nur Mediator sondern zugleich auch gesetzgebender Staatsmann Athens (vgl. Duss-von Werdt, 2005, S. 24). Agnes von Poitou würde man 2009 vermutlich wegen Befangenheit ablehnen. Die kirchlichen Mediatoren waren allesamt zuerst der Kirche verpflichtet. Auch Napoleon Bonaparte nannte sich im Jahr 1803 Mediator, als er der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Verfassung vorschrieb, nachdem diese an Frankreich gefallen war (ebd.). Heutige Definitionen lauten zum Beispiel: ‘Mediation ist die Unterstützung einer Verhandlung durch einen neutralen Helfer, der seine Tätigkeit als schlichte Dienstleistung begreift und ausübt.’ (Haft & Schlieffen, 2002, S. 76). Das österreichische Zivilgesetzbuch besagt: ‘Mediation ist eine auf Freiwilligkeit der Parteien beruhende Tätigkeit, bei der ein fachlich ausgebildeter, neutraler Vermittler (Mediator) mit anerkannten Methoden die Kommunikation zwischen den Parteien systematisch mit dem Ziel fördert, eine von den Parteien selbst verantwortete Lösung ihres Konfliktes zu ermöglichen.’ (BGBl., 2003, S. 124). Mediation braucht also ‘zweierlei’: Parteien – und Vermittelnde. So weit, so gut (?) – schwieriger wird es, wenn die ‘Parteien’ freiwillig handeln müssen – ‘eine auf Freiwilligkeit der Parteien beruhende Tätigkeit’. Einmal davon abgesehen, dass die Freiwilligkeit in etlichen Bereichen der Mediation von Gesetzes wegen nicht gegeben sein kann, da Mediation gesetzlich vorgeschrieben ist, etwa im Bereich des außergerichtlichen Tatausgleichs, der ‘Lehrlingsmediation’ oder der Mediation im Zusammenhang mit Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, dürfen mindestens zwei weitere Fragen dazu nicht übersehen werden. Erstens: wie steht es um die Freiwilligkeit, wenn Mediation z. B.: von der Unternehmensleitung – vorsichtig formuliert – im Konfliktfall gewünscht wird? Wie freiwillig erfolgt die Teilnahme der Beteiligten, die möglicherweise primär aus Angst um ihren Arbeitsplatz teilnehmen, oder um nicht in den Ruf verkrusteten Konservativismus zu kommen, oder aus ganz anderen Gründen, die die Freiwilligkeit zumindest relativieren wenn nicht ganz ausschließen? Die Frage lautet: wie freiwillig ist freiwillig? Zweitens ist die Frage zu stellen, was der freie Wille denn ist – ein Frage, die bis heute nicht geklärt ist. Klärungsansätze gibt es in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen – sie reichen von der Behauptung, dass es einen freien Willen gibt, bis zu der dass es ihn nicht gibt. Blackmore erhielt zu ihren Fragen nach dem freien Willen unter anderem folgende Antworten: ‘Es gibt eine übertriebene und eine nüchterne Vorstellung der Willensfreiheit. Die übertriebene Vorstellung nach der ich (...) der Urheber meiner Handlungen sein soll, führt in die Irre. Aber wenn (...) Willensfreiheit lediglich bedeutet, dass ich mich auch hätte anders entscheiden können, dann gibt es sehr wohl einen freien Willen (...). (Block, 2007, S. 49), oder: ‘Nach allem was wir wissen, ist das Gehirn eine kausale Maschine. Es geht von einem Zustand zum nächsten aufgrund vorheriger Bedingungen, (...). Das Gehirn arbeitet ja so, dass es unter anderem diese Benutzerillusion hat (...). Sie erkennen bewusst ihre Optionen, (...) Sie treffen bewusst Ihre Wahl, und danach erfolgt dann Ihre Handlung.’ (Churchland, 2007, S. 91f) und: ‘Ja, er (der freie Wille) ist eine Illusion, aber eine mit einer gewissen ‘Bodenhaftung’, (...). Er fühlt sich sehr real an. Die Erfahrung des bewussten Willens betrifft nicht nur den Geist, sondern auch den Körper und liefert uns eine Art ‘Urheberschaftsemotion’, die für uns markiert, was wir getan zu haben fühlen.’ (Wegner, 2007, S. 359). Schon diese wenigen Antworten zeigen wie breit das Diskussionsspektrum ist. Das BGBl., 2003, S. 124 aber geht von der – nicht näher beschriebenen – Freiwilligkeit als gegeben aus. Warum das so ist, beschreibt Möllers: ‘Moderne Verfassungen, (...) verstehen sich ganz dezidiert als Verfassungen der Freiheit, (...) auch als politische Entscheidung zu Freiheit. Individuelle Freiheit erscheint in diesem Kontext als ein wechselseitiges Versprechen der Bürger, sich als willensfreie und vernunftfähige Wesen anzuerkennen (...).’ (Möllers, 2008, S. 250f zit. n. Duttge, 2009, S. 17). Es wäre nun durchaus denkbar, dass es Verfassungen gibt, die Freiheit, Willensfreiheit, Vernunft... gar nicht erst erwähnen – es muss also einen Grund geben, warum das in modernen Verfassungen extra angeführt wird. Die Fundstelle dafür trägt den Namen Charles Darwin. Er prägte ein Weltbild, in dem es sowohl innerhalb der Arten ums Überleben der Starken durch Auslese geht, als auch ums Überleben der Arten untereinander (vgl. Bauer, 2008, S. 103-107). Von da ist der Sprung zum höherwertigen Menschen nicht weit, und es verwundert nicht, dass sich moderne Demokratien davon distanzieren wollen. Gleichzeitig ist der Distanzierungsversuch mit einer Vielzahl von Regeln (Gesetzen) abgesichert, welche exekutiert werden müssen. Daraus ist zu schließen, dass es mit dem ‘wechselseitigen Versprechen der Bürger, sich als willensfreie und vernunftfähige Wesen anzuerkennen’ nicht sonderlich weit her ist, was im Übrigen auch die fast 110 Millionen Kriegstote (zu 90 % unter der Zivilbevölkerung zu finden) im 20. Jahrhundert belegen (vgl. Fuchs & Sommer, 2004, S. 3). Neuerdings könnte auf die modernen Demokratien ein weiteres Problem zukommen, das aus der Neurowissenschaft auf sie zurollt: Die mögliche Aufhebung des freien Willens als ‘Tatbestand’ – wenn es keinen freien Willen gibt, wie gibt es dann ein Verantwortlich-Sein-Für? In Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass bereits vor der ‘bewussten Entscheidung’ zu Etwas, ein messbares und diese Handlung ankündigendes Bereitschaftspotential vorliegt. Das heißt aber, dass die ‘Entscheidung’ vor dem Bewusstwerden bereits getroffen war. Noch bleibt abzuwarten was weitere Forschungen ergeben (vgl. Streng, 2009, S. 97). Die Mediation bewegt sich also – wie die Betrachtung der Freiwilligkeit zeigt – in einem System, das einerseits noch immer vom Darwinismus geprägt ist, andererseits sich davon per Gesetz distanziert. Auch hier kann die Praxis mit der Idee nicht mithalten. Sie ist allerdings nicht ein Abklatsch dieses Systems. Mediation ist Vermittlung auf Basis der Menschenrechte. Dort ist im Artikel 1 zu lesen: ‘Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren’ (Generalversammlung der Vereinten Nationen, 1948). Die Vermittlung erfolgt diskursiv, als ‘(...) konkreter Vollzug der Ethik. Sie handelt das Normative des Verhandelns und Handelns, die gerechten Lösungen und ihre einverständliche Einhaltung aus.’ (Duss-von Wert, 2005, S. 257). Aus dieser durchaus anderen Definition der Mediation ergibt sich, dass Mediation das ist – oder günstigenfalls das ist – was Demokratie sein sollte, sofern der Mehrheitsbeschluss durch den Konsens ersetzt wird. Ausgehandelt werden keineswegs nur die Streitpunkte, sondern auch die Normen des Verhandelns selbst. Aus dem Diskurs ragt der ‘fachlich ausgebildete, systematisch mit anerkannten Methoden die Kommunikation fördernde neutrale Mediator’ nicht mehr als Gegenpol zu den zerstrittenen Parteien heraus. Es ist ein Gespräch von drei Personen mit unterschiedlichen Informationen, die sie zu teilen beschlossen haben, mit dem Wunsch mehr zu erfahren von den anderen und Missverständnisse möglichst zu klären. Die Frage der Neutralität kann hier nicht gestellt werden, da Meditierende zumindest dem ‘konkreten Vollzug der Ethik’ verpflichtet sind und dafür zu sorgen haben, dass dies möglich ist. Im Sinne herrschaftsfreier Diskurse müssen dazu z. B.: Hierarchien außer Kraft gesetzt werden. Diskursbereitschaft setzt Freiwilligkeit nicht zwingend voraus, es genügt die Entscheidung dazu. Es geht nicht um ‘selbst verantwortete Lösungen’, sondern um weit mehr – es geht um gerechte Lösungen und deren Einhaltung, wobei die Frage: Was ist gerecht? als auch die Frage der Einhaltung von den Beteiligten verhandelt wird. In diesem Sinne ist Mediation gelebte Demokratie und hat per Definition den Auftrag dazu. Das ist zugleich wesentlich weniger und wesentlich mehr als das österreichische Gesetz festlegt und fordert.
Ulrike Bach, MA wurde 1961 geboren. In ihrer Studienzeit schloss sie sich der feministischen Bewegung an, wendetet sich jedoch wieder davon ab, da sie die damalige feministische Haltung gegenüber Müttern missbilligte und als Unrecht gegen Frauen empfand. Im Zuge des Mediationsstudiums fand sie eine Möglichkeit wieder anzuknüpfen und die Weltbilder miteinander zu versöhnen.