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Soziologie

Patrick Kraemer

Vorüberlegungen, Aufbau und Analyse von Interviews mit Angehörigen der deutschen Minderheit der Sinti und Roma

Eine narrative, biographische Interviewstudie

ISBN: 978-3-8366-7042-5

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2009
AuflagenNr.: 1
Seiten: 186
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Geschichte der kleinsten deutschen Minderheiten, der Sinti und Roma, ist eine Geschichte der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung. Die stereotypen Vorurteile, die sich in der Semantik des Zigeunerbegriffes manifestieren und die denen sich die Angehörigen der Minderheit tagtäglich stellen müssen, verbunden mit der Konstruktion des Fremden, hält die Minderheit im Verständnis der Mehrheitsgesellschaft außerhalb der Wir-Zugehörigkeit. In einer Zeit, in der die Integration von Minderheiten in Deutschland, ob nun ethnisch oder religiös behaftet, zunehmend ein Thema werden wird, wäre es ratsam sich der Fehler der Vergangenheit anzunehmen und eine Integration voranzutreiben, die nicht mehr mit Assimilation gleichgesetzt wird. Wichtig wird die Akzeptanz der Majorität gegenüber den Minoritäten sein. Ihr Verständnis, sie als gesamtgesellschaftlichen Teil zu verstehen. Dies wird aber nur funktionieren, wenn die Minderheiten sich ebenfalls als ein Teil eines Ganzen begreifen. Diese Studie soll eine Herangehensweise der Datenerhebung, ihren methodologischen Hintergrund in der qualitativen Sozialforschung wiedergeben und im letzten Schritt die Analyse von drei sich überschneidenden Themen der beiden ausgewerteten Interviews als ein mögliches Ergebnis darstellen, aus denen man Einsichten darüber gewinnt, welche Probleme die Angehörigen der Minderheit haben. Allein diese kleine Studie fördert Interessantes zu Tage und zeigt Problemlagen auf, die in der Mehrheitsbevölkerung unbekannt sind. So ist es nicht verwunderlich, dass es zu dieser deutschen Minderheit nur sehr wenige aktuelle Studien gibt. Das wissenschaftliche Interesse hält sich in Grenzen, da man sich dieser Minderheit und ihrer Lebensumstände nicht bewusst ist, oder bewusst sein will. Weiterhin sind dieser Studie die zugrundegelegten Interviews in anonymisierter Form im Anhang beigefügt.

Leseprobe

Das 3.Reich: Himmlers Vernichtungsbefehl, die Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen, soll den Antagonismus des nationalsozialistischen völkischen Gedankens der indogermanischen Rasse lösen helfen. Wegen ihrer nachgewiesenen indischen Abstammung müssten die Sinti und Roma eigentlich als Arier gelten. Die anthropologische Rassenhygiene wird zur Auflösung des Antagonismus herangezogen, die die These der rassischen minderwertigen Elemente einer Rasse konstruiert und so einen formalen Ausschlussgrund aus der Volksgemeinschaft eröffnet. Wieder einmal sind es die stereotypen Bilder der angeblichen angeborenen Kriminalität, die den Sinti und Roma, diesmal als angeborenes asoziales und kriminelles Verhalten, mit einem erbminderwertigen Rassengemisch eine genetische Minderwertigkeit attestiert. Mythische Axiome und die exakte Ratio genetischer Forschung sind heillos miteinander verquickt: Anthropologen kreieren den fiktiven nordischen Idealmenschen und messen reale Schädel mit dem Millimetermaß nach. Alle Volksschädlinge werden entmenschlicht und ausgemerzt. Die zu Grunde gelegten Konstrukte gehen von einer Vermischung der ursprünglichen arischen Gene der Sinti- und Romagemeinschaften aus. Diese erbmindernde Vermischung soll durch die Aufnahme von sogenannten Kriminellen und Asozialen während der letzten Jahrhunderte, als sie selbst verfolgt waren und sich mit anderen Verfolgten solidarisierten und zusammenschlossen, vollzogen worden sein. Sofern ein Sinto oder Rom der unmögliche Beweis der Reinrassigkeit gelungen wäre, hätte dieser den anderen Arier gleichgestellt werden müssen. Da diese Gutachten ausschließlich die Rassenhygienische und Erbbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt ausstellte, die gleichzeitig damit beauftragt war den Antagonismus aufzulösen, waren es überwiegend Todesurteile, die erstellt wurden. Diese zentrale anthropologische Institutionen war mit der Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens Amt V des Reichssicherheitshauptamtes vernetzt. Diese Sonderpolizei hatte dieselben Befugnisse und Aufgaben wie die Gestapo bei der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, nur dass sie auf die Bevölkerungsminderheit der Sinti und Roma beschränkt war. Die Verfolgung und Zuführung oblag der normalen Zigeunerpolizei, die Vernichtung übernahm die Todesmaschinerie des SS-Staates. Wiedergutmachung, Bürgerrechtsbewegung, Rostock: Der Verfolgung und Vernichtung fielen ca. 500.000 Sinti und Roma in Europa zum Opfer. Die wenigen deutschen Sinti und Roma, die überlebt hatten, standen vor dem absoluten Nichts. Ihr Hab und Gut war beschlagnahmt worden und die Familie als soziale Sicherungseinrichtung bestand nicht mehr. Gerade die jungen Überlebenden traf das Schicksal noch härter, da das von Generation weitergetragene ökonomische Wissen der Familie nicht mehr Bestand hatte und/oder die wirtschaftliche Grundlage vom nationalsozialistischen Staat geraubt worden war. Sinti und Roma waren nicht selten Opfer von Ausgrenzung und Diskriminierung durch andere KZ-Gefangene. Diese Ausgrenzung und Diskriminierung setzte sich in den Opferverbänden dahingehend fort, dass es keine nennenswerte Vertretung oder politische Arbeit für eine nachholende Emanzipation und Dekonstruktion der Zigeunerstereotypen gab, geschweige eine Einforderung von Wiedergutmachung. Nicht einmal eine Thematisierung oder Hinweis zu der Analogie der Shoa gab es. Durch die fehlende Aufarbeitung einer gesellschaftlichen Diskussion der versuchten Vernichtung aller Sinti und Roma blieben die tradierten Bilder unangetastet. Die Opfer wurden in der Bundesrepublik Deutschland, wie gewohnt, einer Sonderbehandlung ausgesetzt, ohne dass es zu Widerstand der demokratischen Institutionen kam. Wiedergutmachung wurde häufig durch altbekannte stereotype Begründungen abgelehnt. Begründungen, wie sie seien wegen ihrer Kriminalität ins KZ gekommen, sie seien Spione gewesen wegen ihres Wandertriebes, gar Leugnung der Vernichtung oder die fehlende oder abgesprochene formalistische Begründung der deutsche Staatsbürgerschaft, waren alles Ausschlusskriterien für das Bundesentschädigungsgesetz. Es kam häufig vor, dass Gutachten der Nazizeit vor Gericht Verwendung fanden oder neuerliche Gutachten von exakt den Zigeunerpolizeistellen erstellt wurden, die für die Deportation der Sinti und Roma in die KZ’s verantwortlich waren. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass diese Sonderpolizeistellen lediglich einen neuen Namen bekamen, jedoch personell unberührt blieben und gemäß Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als verfassungswidrige Sonderpolizei eingestuft werden mussten. Das alte Zigeunerbild des Sozialschmarotzers und Volksschädlings drängte die stark traumatisierten Überlebenden noch stärker an den Rand der Gesellschaft. Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts begann die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma ihre Arbeit als Interessenvertretung der Minderheit. Erster Schritt war die Installierung der eigenen Bezeichnung der Minderheit als Sinti und Roma, um die Dekonstruktion des Wortes Zigeuner zu forcieren und eine vorurteilsfrei gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Die Selbstdarstellung als deutsche Minderheit soll das überkommene Vorurteil, fremd oder anders zu sein, auflösen und richtig stellen. Anfang der neunziger Jahre wurde abermals die Zigeunerstereotype aus gesellschaftspolitischen Gründen funktionalisiert, um das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Nach gut einem Jahrzehnt der Bürgerrechtsarbeit von Sinti und Roma für die Dekonstruktion der Diskriminierungsfaktoren muss diese, Eliten gesteuerte, Instrumentalisierung zur Herrschaftssicherung als größter Rückschlag gesehen werden. Dieser in Rostock gezeigte fanatisch auf Hassprojektionen aufbauende Antiziganismus verschließt sich allen rationalen Argumentationsversuchen. Ein undefinierbares soziales Unbehagen, das Gefühl, von einer nicht greifbaren Verschwörung aggressiver Feinde bedroht zu werden, die Vorstellung einer unstreitigen Überlegenheit der Eigengruppe aufgrund anthropologisch oder moralisch begründeter Höherwertigkeit (Ethnozentrismus), hierarchisch-autoritärer Ordnungdsklischees und eine sozial destruktive Tendenz, die mit Vorliebe gegenüber als fremd definierten gesellschaftlichen Minoritäten losbricht, solche Einstellungen sind bestimmend für den voreingenommenen, für faschistische Propaganda besonders anfälligen Charakter. Dies zeigt das Dilemma, indem sich die emanzipatorische Arbeit der Sinti und Roma Verbände befindet.

Über den Autor

Patrick Kraemer, Diplom Politologe, Studium der Politikwissenschaften am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, Abschluss 2007 als Diplom-Politologe.

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