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- Von der Ratio allein können Europäer nicht leben: Auswege aus dem Demokratiedefizit
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 172
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Einigung Europas ist ein Projekt, das direkte und unmittelbare Konsequenzen für die Lebensbedingungen aller Bürger hat. Die stetige Verlagerung bisher nationalstaatlicher Entscheidungsbefugnisse auf EU-Ebene stellt einen Transformationsprozess dar, der die Legitimationsgrundlage europäischer Politik gravierend verändert. Doch Europa steckt in einem Dilemma: In dem Maße, wie sich europäische Politik auch an sozialstaatlichen und demokratischen Werten messen lassen muss, wird ein Demokratiedefizit deutlich, das zum immer größeren Legitimationsproblem wird. Unser aller Demokratieverständnis orientiert sich am Nationalstaat, der den Resonanzraum kollektiver Identität, politischen Selbstverständnisses und bewusstseins bildet. Wo aber ist der europäische Demos, wie kann sich eine europäische Identität und Öffentlichkeit bilden? Von der Ratio allein können Europäer nicht leben. Europa ist mehr als eine Diskussion um Defizite, es braucht Europäer mit Verstand und Herz und Feuer. Insofern lohnt der Versuch, mit diesem Band der Bestandsaufnahme der Defizite einen denkbaren Ausweg aus dem europäischen Demokratiedilemma folgen zu lassen.
Textprobe: Kapitel 2, Demos: Das die Demokratie bestimmende Prinzip der Volksherrschaft besagt, dass der Träger der politischen Herrschaft das Volk sein müsse. Die Existenz eines Demos ist – schon der Semantik folgend – konstitutiv für die Demokratie. Geht man von der eingangs zitierten Lincolnschen Trias aus, bietet sich folgendes Bild: Allenfalls die Outputbilanz effektiver Problemlösungen wirkt positiv. Politische Beteiligung und identitäre Repräsentation gelten als nicht hinreichend realisiert. Damit scheint die für die Demokratie ideale Kombination der Kriterien Regieren und Repräsentation nicht verwirklicht. Wenn aber einerseits ‘eine demokratische Legitimation einer europäischen institutionellen Ordnung (..) eines Demos (bedarf)’, andererseits aber der Zielkonflikt zwischen den Lincolnschen Elementen government for und government by the people besteht, gerät die legitimatorische Basis Europas ins Wanken. Daraus werden – auch und gerade mit Blick auf die zu untersuchende Kategorie Demos – unterschiedliche Konsequenzen gezogen. 2.1, Volk und Nation: Die Verteidigung nationaler Souveränität stellt einen Weg dar, europäische Legitimation zu suchen. Geht es um Demokratie auf transnationaler Ebene wird aus einer Sicht, die sich als national-kollektivistisch oder organizistisch bezeichnen lässt, ‘Europa’ ‘die Nation’ entgegengesetzt. Die Argumentation kreist dabei um die zentrale politisch-kulturelle Kategorie ‘Volk’. Deren Analyse stellt den Ausgangspunkt der Theoriekritik dar, die unter Würdigung der Position Scharpfs vor allem über die einschlägigen Texte Kielmannseggs und Offes erfolgen soll. 2.1.1, Ethnos und Demos: Spätestens seit Francis gilt, dass der Volksbegriff sowohl eine ethnische als auch eine politische Dimension aufweist. Ebendies markiert die sprachliche Unterscheidung zwischen Ethnos und Demos. Ethnos beschreibt die allgemeine anthropologische Realität des Volkes. Demos hingegen ist die historische Erscheinungsform der Nation als Träger des Staates. Daraus lässt sich zwar ableiten, dass zur Verwirklichung des demokratischen Prinzips die Existenz eines Demos als legitimer Träger des politischen Willens zwingend notwendig ist. Seine ethnische Homogenität lässt sich damit jedoch nicht einfordern. Wird vom Konzept des Demos als einer sich selbst als politische Einheit konstituierenden Gemeinschaft ausgegangen, müssen die notwendigen Funktionsvoraussetzungen eines politischen Gemeinwesens beachtet werden. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der identitären Legitimationsleistung. Das erkennen auch Jachtenfuchs/Kohler-Koch an: Zwar könne in funktional differenzierten Gesellschaften nicht ohne weiteres mehr von der Existenz eines gemeinsamen normativen Grundkonsenses ausgegangen werden, doch gehöre zu einem solchen Gemeinwesen ein Mindestmaß an gemeinsamer politischer Kultur, das sich eben nicht durch einen konstitutiven Akt schaffen lasse. Der legitimationsstiftenden Wirkung von Demokratieregeln müsse eine konsensuale und von einer gemeinsamen Identitätswahrnehmung getragene Zustimmung vorausgegangen sein. Fraglich, wie sich diese stiften lässt. Aus organizistischer Sicht existieren ethnisch-nationale Kollektive als einzigartige, gewachsene kulturelle Gemeinschaften. Allein die Nation spiegelt Identität und kulturelle Homogenität wider. Infolgedessen wird die Nation als notwendiges Substrat des Demos betrachtet. Kielmannsegg geht in seiner Analyse von einem europäischen Demokratiedefizit aus, aus dem sich – Demokratiefähigkeit der EU theoretisch vorausgesetzt – zwingend das Gebot der Demokratisierung ergeben müsste. Ob die Demokratisierungsfähigkeit wirklich gegeben ist, darf mit Kielmannsegg unter Verweis auf das oben dargelegte Trilemma jedoch im selben Atemzug bezweifelt werden, denn die bloße Institutionalisierung einer demokratischen Herrschaftsform entfalte nicht notwendigerweise legitimationsstiftende Wirkung. Vielmehr sei ihre Legitimationskraft an bestimmte Voraussetzungen gebunden: Deren entscheidendste sei, dass die europäischen Bürger ‘ein demokratiebedeutsames Bewusstsein der Zusammengehörigkeit’ entwickelten. Dieses demokratiebedeutsame Bewusstsein könne aber nur innerhalb einer kulturell homogenen Nation sein legitimatorisches Potential voll entfalten. Auch Ossenbühl bemerkt in diesem Zusammenhang, dass es der Europäischen Union an den Eigenschaften eines ‘melting pot of nations’ mangele, ohne den es kein europäisches Volk als Subjekt demokratischer Legitimation geben könne. Hier werden die ethnische und die demotische Dimension des Volksbegriffes nicht konsequent genug getrennt.
Simone Stampehl (Jg. 1974) studierte Politikwissenschaften, Germanistik und Rechtswissenschaften. Der Schwerpunkt ihres fachlichen Interesses liegt auf der Schaffung und Wandlung von Identitäten in gesellschaftlichen Umbruchsituationen und Transformationsprozessen. Im vorliegenden Band vereint sie staatsphilosophische und kommunikationstheroretische Ansätze bei der Erklärung des europäischen Demokratiedefizits und zeigt mögliche Wege aus diesem Dilemma auf. Simone Stampehl lebt und arbeitet als freie Übersetzerin und Autorin in Berlin. Sie unterstützt international agierende Unternehmen bei der kulturspezifischen Übersetzung und Umsetzung ihrer Projekte.
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