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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Abb.: 12
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Nicht nur in den westlichen Mediendemokratien, sondern auch in den zahlreichen autoritär regierten Staaten der Welt haben sich die Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten in jüngerer Zeit erheblich verschoben. Die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht einzelnen Aktivisten oder Bewegungen völlig neue Möglichkeiten der politischen Teilhabe. Insbesondere Modernisierungsdiktaturen wie die Volksrepublik China werden damit vor beachtliche Herausforderungen gestellt und versuchen Wege zwischen technologischer Modernisierung und den Erhalt ihrer Alleinherrschaft zu finden. Aber wie können verschiedene Technologien für politischen Aktivismus in autoritären Systemen genutzt werden? Und wie reagieren Diktaturen auf die Bedrohung ihres medienpolitischen Kontrollanspruchs? Das vorliegende Buch versucht Antworten auf diese Fragen zu geben, indem es die Ausbreitung technologischer Innovationen wie Internet und Mobilfunks am Beispiel der Volksrepublik China näher beleuchtet.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.1.2, Politische Folgekosten autoritärer Kommunikationspolitik: Die Regulierung der öffentlichen politischen Kommunikation und die Konzentration der Kommunikationsmacht in den Händen der Regimeelite führen dazu, dass sich autoritäre Systeme mit zwei sich gegenseitig bedingenden Problemen konfrontiert sehen: Zum einen kann die rigorose Medienkontrolle und Beschneidung der individuellen Kommunikationsrechte der Bürger dazu führen, dass sich in der Bevölkerung verstärkt Unzufriedenheit darüber ausbreitet und sich in einem generellen Misstrauen gegenüber den staatlichen Medien und der politischen Führung manifestiert. Auf der anderen Seite führt die fehlende öffentliche Diskussion über relevante Themen und Missstände aber gleichzeitig auch zu einer starken Einschränkung des Informations- Input in das politische System (vgl. Saxer 1998: 42f., 57 Voltmer 2000: 132). Laut Pürer (2006: 427) hat jedes moderne politische System ein ,Unterrichtungsbedürfnis’ durch die Massenmedien, d.h. es will selbst informiert werden im Hinblick auf Meinungs-, Einstellungs-, und Verhaltensveränderungen der Bevölkerung, bzw. relevanter Akteure. Politische Eliten in rechtsstaatlichen demokratischen Systemen können die ,natürlichen’ demoskopischen Charakteristika demokratischer Systeme, wie regelmäßige freie Wahlen, den öffentlichen und freien (Medien-)Diskurs über Politik, sowie die Garantie der Bürgerrechte, wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, dazu nutzen, die politischen Maßnahmen den vorherrschenden Stimmungen anzupassen oder unpopuläre Maßnahmen im Rahmen der öffentlichen Diskussion mit dem politischen Gegner zu rechtfertigen. In autoritären Systemen finden dagegen keine freien Wahlen statt und auch die Partizipationsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure oder der Opposition durch friedliche Demonstrationen oder Protestaktionen werden beschnitten. Ein Nebeneffekt ist, dass keine Kontrolle der staatlichen Behörden durch die Opposition oder die, vierte Gewalt’ der Massenmedien stattfinden kann und das System somit für Korruption und Vetternwirtschaft anfällig macht. Die strikte Kontrolle der Massenmedien durch die politische Führung und die Begrenzung öffentlicher politischer Kommunikation, sowie die Monopolisierung von Kommunikationsmacht durch das Regime führen dazu, dass autoritäre Systeme immer mit einer systeminhärenten Blindheit gegenüber Stimmungen und Entwicklungen in der Bevölkerung zu kämpfen haben. Autoritäre Systeme haben nicht viele Möglichkeiten diesen Mangel an Übersicht zu kompensieren. Eine Möglichkeit ist die Entwicklung demoskopischer Instrumente, was, angesichts mangelnder Freiheit der Wissenschaft, nicht einfach durchführbar ist. Eine andere Methode stellen umfangreiche Überwachungs- und Spitzelapparate dar, welche einerseits die öffentliche Kommunikation zu überwachen haben, andererseits als Augen und Ohren der politischen Führung dienen sollen, ebenso wie die Vertreter der staatlichen Massenmedien im Land (vgl. Grant 2001: 155 Pürer 2006: 420ff.). Zahlreiche historische Experimente autoritärer Regime mit Liberalisierungen der Meinungsfreiheit zeigen, dass den Machthabern diese Systemschwäche durchaus bewusst ist. Bekannte Beispiele der kurzzeitigen Liberalisierung öffentlicher politischer Kommunikation, wie beispielsweise der kurze Damaszener Frühling in Syrien nach Tod Hafiz al-Assads (vgl. Perthes 2005: 203- 216) oder die ,hundert Blumen’- Kampagne in Mao Zedongs Volksrepublik China 1956/57 (vgl. Klaschka 2007: 143f.) wurden aber auch sehr schnell wieder aufgegeben, als die angestaute Unzufriedenheit in der Bevölkerung im Rahmen der neu gewährten Freiheiten Überhand nahm und sich vermehrt auch gegen das politische System an sich zu richten begann. Versuche begrenzter politischer Öffnungen sind laut Bos (1996: 91ff.) zum Scheitern verurteilt, da sich nach Einleitung einer Liberalisierung zwangsläufig ein eigendynamischer Prozess entwickelt, welcher entweder zu weiterer Liberalisierung des politischen Systems oder zur Rückname der Reformschritte führen muss. Für viele Regimekritiker entpuppten sich die kurzen Öffnungsperioden auch als Falle, da der Repressionsapparat der Regime nach Beendigung des Experiments wieder mit aller Härte gegen die nun enttarnten Oppositionellen zuschlagen konnte. 2.1.3, Akteure der Zivilgesellschaft in autoritären Systemen: In dieser Studie liegt das Augenmerk auf der individuellen politischen Kommunikation der in autoritären Systemen durch Regulierung der Massenmedien und Beschneidung ihrer Kommunikationsgrundrechte vom freien politischen Diskurs und politischer Partizipation weitestgehend ausgeschlossenen Bevölkerungsteile. Die Transitionsforschung kennt den zentralen Begriff der Akteure, d.h. ,die Individuen und Gruppen, die den Transitionsprozess in Gang setzen und gestalten’ (Bos 1996: 82). Ihnen werden, trotz struktureller Zwänge, in denen sie sich bewegen, verschiedene Entscheidungs- und Handlungsoptionen zugestanden. Bei den Akteuren handelt es sich auf der einen Seite um die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten, welche idealtypisch in hard- und softliner, d.h. in konservativ oder liberal orientierte Eliten des Regimes unterteilt werden können (vgl. Bos 1996: 88). Auf der anderen Seite steht ein vielfältiges Spektrum oppositioneller Gruppen, welche sich erst als Folge beginnender politischer Öffnung zu einer breiteren Bewegung formieren können. Es handelt sich zunächst oft nur um kleine verstreute Gruppen Intellektueller, Künstler, Menschenrechtsgruppen oder kirchlicher Kreise, wozu auch Gewerkschaften, NROs und andere Interessengruppen zählen können. Das Ziel, die Bevölkerung gegen das Regime zu mobilisieren kann durch Eigendynamiken des Transitionsprozesses verursacht werden, etwa vorsichtigen politischen oder medienpolitischen Liberalisierungen, die nicht mehr, oder nur unter Einsatz unverhältnismäßiger Maßnahmen durch das Regime, zurückzunehmen sind, aber auch durch organisierte oppositionelle Kräfte orchestriert werden (Bos 1996: 81- 110). In der Forschung ist in den letzten Jahren das Konzept der Zivilgesellschaft populär geworden, welches nach Croissant et al. (2000) jene ,intermediäre Sphäre zwischen der Privatheit des Individuums, der Familie, des Unternehmens etc. und dem Raum des Politischen (…) in der vorwiegend kollektive Akteure öffentliche Interessen organisieren und artikulieren’ (ebd.: 16) bezeichnet. Die Zivilgesellschaft ist geprägt durch einen hohen Grad an Staatsferne, auch wenn die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Akteure durchaus auf den Staat bzw. die Politik bezogen sein können, indem sie eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen Individuen und dem Staat wahrnehmen (Allum 1995: 55f.). Es sind vor allem fünf allgemeine Funktionen der Zivilgesellschaft, aus denen ihre besondere Bedeutung für demokratisch verfasste Gesellschaften abgeleitet werden können: Sie schützen Individuen vor staatlicher Willkür, stützen die Herrschaft des Gesetzes und die Balance der Gewalten, schulen Bürger in zivilen Tugenden und rekrutieren politische Eliten. Bei kollektiven zivilgesellschaftlichen Akteuren handelt es sich um weitgehend autonom organisierte, nichtstaatliche und nicht reinökonomische Zusammenschlüsse und Assoziationen, wobei ihre Funktionen auch ambivalent und multifunktional sein können. Zum Beispiel nehmen Gewerkschaften oder Unternehmerverbände dann zivilgesellschaftliche Aufgaben wahr, wenn sie politische Forderungen stellen und nicht nur wirtschaftliche. Dem Konzept von Croissant et al. (2000) entsprechend sind allerdings nicht alle Formen gesellschaftlicher Gruppen und Bewegungen der Zivilgesellschaft zuzuordnen. Sie legen das prinzipielle Bekenntnis zur Gewaltfreiheit und eine grundlegend weltanschauliche, religiöse und politische Toleranz als normativen Maßstab an (Croissant et al. 2000: 18). Eine wichtiger Aspekt ist aber auch, dass zivilgesellschaftliche Akteure keineswegs demokratieorientiert sein müssen (ebd. 19ff.). Sie können ganz im Gegenteil dazu durch hierarchische Strukturen, selektive Mitgliedschaftskriterien oder fehlende Normen der Gleichheit geprägt sein und damit alles andere als demokratieförderndes Potential aufweisen. Die historische Erfahrung zeigt, dass insbesondere nationalistische Akteure in diesem Zusammenhang eine Bedrohung für demokratische Entwicklungen darstellen können (Merkel/ Puhle 1999: 90 Downing 1996: 18-22). Zivilgesellschaft kann deshalb sowohl Vorteile für die Entwicklung einer Demokratie mit sich bringen, als auch genau das Gegenteil bewirken und als die ,dunkle Seite der Zivilgesellschaft’ (vgl. Lauth/ Merkel 1997: 45) auch die negativen Aspekte der Gesellschaft hervorbringen. In autoritären Staaten sind zivilgesellschaftliche Akteure im Prinzip immer durch den Herrschaftsanspruch des Regimes bedroht, weitgehend schwach, marginalisiert und politisch einflusslos, da im eng begrenzten bzw. geschlossenen soziopolitischen Raum kaum Platz für die Entfaltung zivilgesellschaftlicher Assoziationen und Aktivitäten besteht und auch nicht erwünscht ist (ebd. 17). Daneben sind autoritäre Regime im Allgemeinen um eine Atomisierung der Gesellschaft bemüht, um ihren Herrschaftsanspruch zu sichern. Die staatlich regulierten und zensierten Massenmedien können in autoritären Systemen nicht als Teil der Zivilgesellschaft angesehen werden, auch wenn ihnen eine herausragende Stellung als Katalysatoren in Liberalisierungsprozessen zukommen kann (Thomaß/ Tzankoff 2001). Ein besonders lohnender Ansatz der Demokratieförderung scheint daher die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Akteure zu sein, denn je stärker eine Zivilgesellschaft ist, ,umso weniger wird sie nichtdemokratische Regime auf längere Zeit ertragen’ (Merkel/ Puhle 1999: 84). Dabei sind es von Land zu Land sehr verschiedene Kräfte, die zur Ablösung eines autoritären Regimes beitragen können (ebd. 85ff.). Lauth/ Merkel (1997: 32) betonen zudem die Bedeutung internationaler Kontakte zur Schaffung von Öffentlichkeit und Ressourcen. Diese Außenunterstützung für Transformationsregionen ist an sich sehr bedeutsam, aber Akteure, Maßnahmen und Wirkungen variieren auch hier stark. Einflussreiche ausländische Akteure können unter anderem internationale Organisationen, supranationale und intergouvernementale Zusammenschlüsse, wie die Europäische Union, Internationale Regime, einzelne Staaten, international operierende Nichtregierungsorganisationen, politische Stiftungen oder Kirchen und Gewerkschaften sein (Croissant et al. 2000: 9- 50). In Ostasien hat sich trotz des konfuzianischen Kulturerbes und der starken Gruppenorientierung der Gesellschaften (Croissant 2000: 340), auch der Einfluss der westlichen Gesellschaften bemerkbar gemacht und seinen Teil zu den politischen Umwälzungen in Südkorea und Taiwan beigetragen (ebd. 338). In Südkorea waren es vor allem die Studenten, christliche Dissidenten und Bürgerrechtsorganisationen (Croissant 1997: 152ff.), die zur Transition von der Militärdiktatur zur Demokratie beitrugen. Das Regime hatte allerdings auch schon zuvor einen begrenzten politischen und gesellschaftlichen Pluralismus gestattet und damit die Herausbildung eines Raumes für gesellschaftliche Selbstorganisation bzw. ,embryonaler zivilgesellschaftlicher Strukturen’ (ebd.: 151) gefördert. Vor allem christliche Kirchen konnten durch die Pflege von Auslandskontakten eine weltweite Aufmerksamkeit aufbauen, während das Regime zunehmend mit dem Widerspruch zwischen demokratischer Fassade und autoritärem politischem Führungsanspruch zu kämpfen hatte.

Über den Autor

Robert Lindner M.A. studierte Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Soziologie an der TU Dresden und beschäftigte sich in mehreren langen Auslandsaufenthalten, Praktika und Aufbaustudien intensiv mit China und dem ostasiatischen Raum. Er lebt derzeit in Tokio und arbeitet an seiner Doktorarbeit an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS) und der Universität Duisburg-Essen.

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