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- Veränderungen für die moderne Familie und eine familienfreundliche Erwerbsarbeit. Grundlagen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Mit den Veränderungen, die der demografische und der Wertewandel in den letzten Jahrzehnten gebracht haben - für Familie, Erwerbsarbeit, Lebensgestaltung und Zeitnutzung -, zeigt sich die Notwendigkeit einer familienfreundlichen Erwerbsarbeit. Diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wirken auf die moderne Familie ein und fordern Herstellungs- und Koordinationsleistungen von ihr. Durch eine familienfreundliche Personalpolitik und durch die Mitwirkung von Arbeitgebern und Unternehmen können Familien bestmöglich unterstützt werden. Dieses Buch stellt die auf die Familie einwirkenden Veränderungen dar und zieht daraus Schlüsse für die Bedürfnisse der Beschäftigten mit Familienaufgaben. Zudem werden betriebliche Maßnahmen einer familienfreundlichen Erwerbsarbeit aufgezeigt und ihr Vorkommen in Unternehmen geprüft.
Textprobe: Kapitel 2.4. Veränderung der Zeitstrukturen: Im Kontext familiärer Veränderungen wird nun Zeit als ein wesentlicher Einflussfaktor dargestellt. Einer Definition von Zeit und ihrer veränderten Nutzung schließen sich die Folgen dessen für Familien an. Mit Perspektive auf die Kinder wird eine ganzheitliche Sicht auf das Phänomen Zeit gegeben. 2.4.1. Allgemeine Veränderungen im Zeitbewusstsein und der Zeitverwendung der Menschen: Zeit gilt als Orientierungsmuster für den Menschen, die sein lineares Leben in drei Räume begrenzt. In die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. So ist das Handeln des Menschen stets an die Zeit gebunden: Es werden Erfahrungen durch Handlungen in der Gegen-wart gemacht und damit findet die Zukunft ihre Vergegenwärtigung, woraufhin sie einen Augenblick später schon wieder vergangen ist. Die Einteilung und das Maß der Zeit hat für den Menschen und sein Leben eine Ordnungsfunktion. Zeit kann aber auch so stark normativ sein, dass ein sozialer Zwang durch sie übertragen wird. Eine Interaktion setzt ein Übereinstimmen in Zeit und Zeitbewusstsein der handelnden Individuen voraus. Für Norbert ELIAS ist sie ein kommunizierbares, soziales Orientierungssymbol im stetigen Geschehensfluss. Zeit ist die Maßeinheit der Handlungsdimension - und ihre Grenzen sind nicht etwa Flächen, sondern die Grenzen der Handlungsfähigkeit (vgl. BERNART 2010:361f.). Dieses Moment wird besonders in hochkomplexen Gesellschaften mit multioptionalen Entscheidungsspielräumen konkret, die das Individuum aufgrund zeitlicher Begrenzung nicht in ihrer Fülle wahrnehmen kann (vgl. ebd.). Neben der Bedeutung der Zeit im Sinne NEWTONs als objektiv messbare Größe hat sich die Wahrnehmung der sozialen und individuellen Lebenszeit in der Moderne stark verändert. Das Zeitverständnis der modernen und postmodernen Gesellschaft ist geprägt durch ein lineares Zeitbewusstsein mit offener Zukunft (vgl. THIEL 2007). Hingegen ist die individuelle körperliche Lebenszeit zyklisch angelegt und genetisch verankert, erkennbar am Wachstum, Reife und Verfall. Die Erschaffung der linearen Zeitmessinstrumente und damit der Abkehr von natürlichen zyklischen Rhythmen ist eine der wichtigsten Grundlagen für die aufkommende Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts. Mit der strikten Zeiteinteilung drang die Zeitdisziplinierung in das Bewusstsein der Menschen. Der vorgegebene Zeitrhythmus schafft die Einteilung in bezahlte Arbeitszeit und unentlohnte Freizeit oder Eigenzeit. In der Moderne ist der Alltag der Menschen weiter ausdifferenziert in Arbeitszeit, Pausenzeit und in der Freizeit in z.B. Hobbyzeit, Regenerationszeit, Sportzeit und auch Familienzeit (vgl. BERNART 2010). Die Zeit der Moderne und Postmoderne gilt als kontinuierlich beschleunigt. Das heißt, Zeit als Maßeinheit verändert sich nicht, jedoch das subjektive Zeiterleben der Menschen und ihrer Nutzung. So gehören Schnelligkeit, Dynamik, Mobilität und Flexibilität als Leitwerte in den Alltag, dessen Ausprägungsformen rasche Wechsel von Moden sind (vgl. THIEL 2007:105). Stetige Veränderungen der Lebensbedingungen des Menschen sind Zeichen eines Lebenswandels in Bezug auf die Beschleunigung (vgl. VIRILIO 1997). Individuelle Ergebnisse verlieren ihre Beständigkeit. In der Postmoderne ist die Beschleunigung in alle Lebensbereiche vorgedrungen. Subjektive Äußerungsformen bei den Menschen sind Stress, Überforderung und das Gefühl, dass die Zeit nur so dahin rast (vgl. ROSA 2011:1045f.). Tatsächlich sind durch die Kommunikations- und Informationstechnik und generell durch den technischen Fortschritt höhere Geschwindigkeiten möglich: So verkürzen sich Fahrtzeiten über weite Distanzen, da Fahrzeuge mehr Leistung bringen können. Weiter sind schnellere Geschwindigkeiten etwa bei der Datenübertragung via Internet oder Telefon, Moden und Produktzyklen, charakteristisch für die Gegenwart. Zudem findet sich eine Tendenz der Verkürzung von Aufenthalts- oder Wartezeiten, um mehr Aktivitäten im eigenen Zeitplan unterzubringen (vgl. ebd. S. 1042ff. vgl. ebenso SHAW 1998:65f.). Eine weitere Neuerung ist die Aufhebung der Grenzen der Zeit, des Ortes und der sozialen Barrieren mittels Digitalisierung und Virtualisierung durch das Internet. Zu jeder Zeit, von jedem Ort und egal für wen abrufbar, bietet das Internet Zugang zu Informationen und Wissen. Zeit erhält den Anspruch der Virtualität und der Flexibilität (vgl. BERNART 2010). Kommunikation ist nicht mehr zeitverzögert, sondern in Echtzeit, ob im Nachbarraum oder in Neuseeland, auf der anderen Seite der Welt (vgl. ROSA 2011 vgl. ebenso THIEL 2007:109). Zum Aspekt der Beschleunigung kommt das Phänomen der Gleichzeitigkeit (vgl. SCHROER 2006:226). So kann beispielsweise bei der Zugfahrt über weite Distanzen noch mit dem Laptop oder mit dem Handy gearbeitet werden, um dadurch eine möglichst optimierte Nutzung der Zeit anzustreben. Dieses Phänomen der Moderne, der gleichzeitigen Ausführung von Handlungen, wird unter dem Begriff Multitasking gefasst. ROSAs Ausführungen zufolge steigt das Lebenstempo, das sich an der Zahl der Handlungen und Erlebnisse bemisst, die in einem bestimmten Zeitraum [untergebracht werden], beständig an (ROSA 2011:1053). Wie auch SENNETT (vgl. Abschnitt flexibler Mensch) diagnostiziert ROSA die Auflösung der Beständigkeit (und des Charakters) durch die Beschleunigung und geht einen Schritt weiter, indem er Burnout und Depression als moderne Zeitkrankheiten konstatiert (vgl. ebd. S. 1055ff.). Nicht nur die Überforderung durch Beschleunigung und Gleichzeitigkeit überreizen den Menschen, sondern auch die zeitlich uneingeschränkte Erreichbarkeit des Menschen durch Handys und andere Kommunikationsmittel, die die Grenzen von Privatleben und Arbeit weiter verschwimmen lassen (vgl. ZEIHER 2005:77). In Bezug auf die Arbeitszeit berichtet Karl H. HÖRNING von Zeitpionieren, die sich durch den Wunsch der Flexibilisierung ihrer Beschäftigungsverhältnisse für mehr Zeitwohlstand und Zeitsouveränität auszeichnen (vgl. HÖRNING 1990). Zeitpioniere streben nicht nach dem industriell-kapitalistischen Leitwert der materiellen Gewinnmaximierung durch Zeitoptimierung, suchen hingegen nach Zeitgewinn in bewusster Konsequenz auf Konsumverzicht. Die Zeitautonomie, die der Zeitpionier erfahren will, kann mithilfe verschiedener Neuerungen der Informationstechnik erreicht werden, so durch E-Mails, die zu selbstbestimmten Zeiten abgerufen und beantwortet werden können, Handys und Smartphones, die den Menschen überall erreichbar und arbeitsfähig werden lassen (wenn es der Zeitpionier möchte), unterstützt durch leistungsstarke UMTS-Datenübertragungsysteme mit mobilen Internetzugängen. Die Optimierung und Verdichtung der Zeit hat zur Folge, dass das Individuum noch mehr Aktionen in das Leben einplanen kann. Nicht nur Zeitpioniere sondern die Gesamtbevölkerung weist einen Trend zur Optimierung und Rationalisierung der Zeit auf, wodurch sich die eingangs erwähnten Folgen für das Individuum (Stress, Überforderung und das Gefühl, dass die Zeit nur so dahin rast) erklären. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird Zeit für das Individuum zur gefühlten knappen Ressource (vgl. HINZ 2008:67 vgl. ebenso HÖRNING 1990).
Carolina Gries, 1986 geboren, wuchs in Berlin auf. Ihr Studium der Islamwissenschaft und Pädagogik schloss die Autorin 2012 als Master of Arts mit Schwerpunkt Soziale Arbeit und Bildungsmanagement erfolgreich ab. Während ihres Studiums sammelte sie umfangreiche Erfahrungen in den Nachbardisziplinen der Arbeits- und Organisationspsychologie und Soziologie. Sehr interessiert am gesellschaftlichen Diskurs um Familien, Kinder und Senioren, schrieb die Autorin dieses Buch. In ihrer täglichen Arbeit als Human Resources Managerin geht sie momentan dem Recruiting, Personalmanagement und der Personalentwicklung nach.