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- Treiben uns die Neuen Medien in den Wahnsinn? Über den Diskurs um Informationsflut, Überforderung und Überlastung
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Abb.: 9
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Seit einigen Jahren scheint eine neue Epidemie die Industrieländer heimzusuchen: Stress, Erschöpfung und Depressionen – meist zusammengefasst unter dem Namen Burnout-Syndrom. Auf der Suche nach Gründen für diese Erschöpfungswelle spielen die Neuen Medien und die Digitalisierung stets eine zentrale Rolle. Mit einer diskursanalytischen Herangehensweise möchte die vorliegende Studie herausstellen, wie die neuen digitalen Medien mit Problemen wie Erschöpfung und Überforderung diskursiv in Verbindung gebracht werden. Die Relevanz und Aktualität der Thematik zeigt sich nicht nur in ihrer starken massenmedialen Präsenz, sondern auch in den vermehrt geforderten und teilweise inzwischen bereits umgesetzten Regeln im Umgang mit den Neuen Medien bei zahlreichen Unternehmen. Die Studie bietet sowohl einen Einblick in aktuelle Entwicklungen des Medien- und Gesellschaftswandels als auch einen historischen Rückblick auf vergangene Mediendiskurse. Vor diesem Hintergrund bietet die Studie den LeserInnen spannende Ergebnisse, die den Blick auf die aktuelle Debatte maßgeblich verändern können.
Textprobe: Kapitel 3.3, Mediendiskursgeschichte: Mit einem Rückblick auf die Mediendiskursgeschichte soll ein Einblick in vergangene Mediendiskurse und somit in vergangene Institutionalisierungsprozesse gegeben werden. Der Fokus liegt hierbei auf den als problematisch dargestellten Aspekten der jeweils neuen Medien. Dadurch soll gezeigt werden, dass diese problematischen Aspekte mit immer wiederkehrenden Argumenten konstituiert wurden. 3.3.1, Nostalgie und die Dämonisierung des Neuen: Begonnen werden soll für den Rückblick auf vergangene Mediendiskurse bei der Schriftkritik Platons. Diese wird immer wieder angeführt, wenn es darum geht, die lange Tradition der Medienkritik zu unterstreichen. Sie gilt als geradezu paradigmatisch, oder wie Raible (2006: 93) schreibt, als ‘prototypisch’ für alle folgenden (kritisierenden) Mediendiskurse, da sie Argumente und Argumentationsmuster aufweist, die auch in heutigen Mediendiskursen noch aktuell sind (vgl. Raible 2006: 88 ff.). Bezug genommen wird auf den Dialog Phaidros, in dem Sokrates und Phaidros über die Bedeutung des neuen Mediums Schrift debattieren. Zentrales Muster ist auf der einen Seite die Verherrlichung des Vergangenen, der der Argwohn gegenüber Neuem entgegengestellt wird. Auf der anderen Seite steht die euphorische Begrüßung des Fortschritts. Diese stark polarisierende Bewertung des Potenzials jeweils neuer Medien ist typisch (vgl. Neuberger 2005: 79). Mediendiskurse bewegen sich stets oszillierend zwischen gesellschaftlichen Krisen- und Utopiediskursen (vgl. Schneider/ Spangenberg 2002: 20). Auch Schneider konstatiert: ‘Fragt man nach (…) dem Muster, dem dieser Mediendiskurs folgt, so ergibt sich (…): Es gibt diejenigen, die warnen und jene, die ein neues Zeitalter begrüßen’ (Schneider 2000: 25), was eine für Kulturkritik typische Aufteilung in ‘Kulturpessimismus und Kultureuphorie’ (Schneider 2000: 28 Pethes 2002: 215) verdeutlicht. Im Dialog zwischen Phaidros und Sokrates wird der Mythos von Teuth aufgegriffen, der dem König Thamus von seiner neuen Erfindung, der Schrift, berichtet. Während Teuth voller Begeisterung seine neue Erfindung preist, verweist Thamus auf deren Gefahren und Mängel. So geht es beispielsweise um den Nutzen der Schrift, den beide sehr unterschiedlich einschätzen. Während Teuth die Vorteile für Erinnerungsfähigkeit und Weisheit betont, die die Schrift mit sich bringen würde, ist Thamus der Überzeugung, dass sie vielmehr Vergessenheit und Vernachlässigung des Erinnerns zur Folge haben würde (vgl. Raible 2006: 90). Im Zuge dieser Vorbehalte gegenüber des neuen Mediums Schrift veränderten sich auch die gesellschaftlichen Konzepte von Erinnerung, Wissen und Weisheit, bzw. wurden zusätzliche Konzepte etabliert. Diese neuen Konzepte heiligten stets die Mündlichkeit während sie die Schriftlichkeit dämonisierten. So wurde eigentliche Weisheit der scheinhaften Weisheit gegenübergestellt, lebendiges Wissen stand neben totem Wissen und das Konzept von Gedächtnis wurde in menschliches und künstliches unterteilt (vgl. Schneider 2000: 31). Hier wird das bereits angesprochene Muster, das Alte kostbar zu schätzen und das Neue als Bedrohung dieser Kostbarkeit zu sehen, sehr deutlich. Eben diesem Muster folgend, wurde die Schrift zweitausend Jahre später im Zuge des Vormarschs audiovisueller Medien ‘von der Gefahr zum gefährdeten Gut’ (Schneider 2000: 35). Sehr gut erkennbar wird dieses Muster auch am Beispiel von Gewaltdarstellungen in den Medien: ‘Während ein Mord bei Shakespeare oder Homer als Bestandteil eines Kunstwerkes ein sogenanntes Bildungsgut darstellt, ist ein vergleichbares Delikt etwa im Rahmen einer Fernsehserie als Ausgeburt niederer Massenkultur anzusehen (…)’ (Kunczik 1993: 111). Die Verherrlichung des Alten lässt sich auch in aktuellen Mediendiskursen zum ‚Wettstreit‘ zwischen den analogen (alten) und den digitalen Medien wiedererkennen: So gilt beispielsweise analoge Fotografie ebenso wie analoges Filmen oftmals als künstlerisch hochwertiger und auf Papier gedruckten Informationen wird oftmals noch eine höhere Glaubwürdigkeit attestiert. Doch belegt das Beispiel von der Neuverhandlung bestimmter Konzepte, wie bei der Schrift die Konzepte von Wissen und Erinnern, nicht nur die Dichotomie zwischen Verherrlichung des Vergangenen und dem Argwohn gegenüber dem Neuen. Es verdeutlicht außerdem, dass dem Diskurs über neue Medien stets automatisch ein Diskurs über Gesellschaft angeheftet zu sein scheint. 3.3.2, Kontrollverlust: Zur Verherrlichung des Alten oder des Vergangenen gesellt sich in der Regel auch die Angst vor und somit die Abwehr des Neuen. Diese Angst äußert sich in verschiedenen Argumenten, die letztendlich von der Angst vor Kontrollverlust herrühren. Der Kontrollverlust kann sich zum einen auf die Sorge bestimmter Eliten und Machthaber beziehen, die die Schwächung oder gar Auflösung bestehender Hierarchien befürchten, da mit dem Medienwandel seit jeher auch eine Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten einherging. Auch in direktem Bezug auf die jeweilig neue ‚Technologie‘ besteht eine Angst vor Kontrollverlust im Sinne eines Nicht-Beherrschens des neuen Mediums. Entsprechend ist ein häufiges Muster auch die Vorstellung von einem neuen Medium als ‘verhexende Technik’ (Schneider 2000: 35). Das von Platons Schriftkritik ausgehende Muster wird immer wieder aufgegriffen, um ‘die Medien in den Griff zu bekommen, bzw. sie so zu konfigurieren, dass die Gefahren und das Bedrohliche, die in ihnen gesehen werden, gebannt sind.’ (Schneider 2000: 37). So äußert sich Sokrates gegenüber Phaidros besorgt darüber, dass ein Text – einmal verschriftlicht – unkontrolliert zirkuliert und dadurch zum einen in ‚falsche Hände‘ gelangen und zum anderen ‚falsch‘ verstanden werden könnte: ‘Und wenn er einmal geschrieben ist, treibt sich jeder geschriebene Text überall herum, ebenso bei den Verständigen wie bei denen, für die er gar nicht passt (…).’ (Raible 2006: 91). Diese Befürchtungen stellen letztendlich ein Plädoyer für autoritäre Strukturen dar, da schlussendlich irgendeine Instanz die Entscheidung treffen müsste, welcher Text für wen ‚passt‘. Diese Idee von einer Instanz, die darüber entscheiden soll, wer Zugang zu Informationen haben soll und wer nicht, die jedoch nie klar benannt wird, tritt im Zuge späterer Mediendiskurse ebenfalls immer wieder auf und bestärkt lediglich die o.g. These von der Angst vor Kontrollverlust bestimmter Eliten, die oftmals mit der Proklamation des allgemeinen Werteverfalls Hand in Hand geht. Eine solche Sorge um den allgemeinen Werteverfall zeigte sich z. B. in Bezug auf die Auswirkungen des Buches, bzw. der Leihbüchereien im England des 18. Jahrhunderts. Kritiker befürchteten den ‘Untergang der Kultur’ (Kunczik 1993: 109), da durch Leihstätten, die laut Kritikerstimmen hauptsächlich mit ‘Schund’ von ‘unqualifizierten Schriftstellern’ (Kunczik 1993: 109) gefüllt waren, plötzlich breite Bevölkerungsschichten Zugang zum Medium Buch erhielten. Ebensolche Befürchtungen wurden auch in Bezug auf das Kino geäußert, als sich in Deutschland bereits kurze Zeit nach Erfindung des Kinematographen Vereinigungen zur Bekämpfung des sogenannten ‘Schundfilms’ formierten. Allgemeiner Werteverfall durch pornografische und gewalterfüllte Darstellungen waren auch zu jener Zeit Gründe für die Ablehnung des neuen Mediums (vgl. Kunczik 1993: 111). Ähnliche Sorgen werden auch im aktuellen Diskurs in Bezug auf die Neuen Medien immer wieder laut (vgl. z. B. Meckel 2007: 187). Neben der Angst vor Kontrollverlust in Bezug auf fragwürdige und ‚gefährliche‘ Inhalte, dem damit einhergehenden Werteverfall und der Bedrohung bestehender Autoritäten, geht es außerdem um die Beherrschbarkeit der jeweils neuen Medien an sich. So erklärt etwa Neuberger (2005: 80), dass Extrempositionen verschiedener Akteure stark von deren Nähe zu bestimmten Medien abhängen. Personen, die Lebensunterhalt und Status aus einem bestimmten Medium bzw. aus der Beherrschung eines bestimmten Mediums gewinnen, werden sich logischerweise bedroht fühlen, wenn ‚ihr‘ Medium Gefahr läuft, durch ein Neues verdrängt zu werden. Doch natürlich können auch bei nicht professionellen Mediennutzern Neuerungen als bedrohlich empfunden werden. Neues und Unbekanntes bergen stets eine potentielle Bedrohung – und das nicht nur im Bereich der Medien. Mit einem Zitat von Faulstich (1997: 19) lässt sich diese Haltung gut zusammenfassen: Es ist immer eine Art ‘Abwehrmechanismus gegenüber einem neuen Medium, das einen sozialen Paradigmenwechsel mit sich bringt’, erkennbar und damit einhergehend ein ‘verzweifelter (und vergeblicher) Versuch, das Rad der Geschichte doch noch zurückzudrehen und die alte Ordnung (…) zu retten’.
Anja Schneck wurde 1984 in Heidelberg geboren. Ihr Studium der Angewandten Kulturwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg schloss sie im Jahr 2012 mit dem Grad Magister Artium erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte sie praktische Erfahrungen in der IT-Branche, welche wichtigen Input für die Umsetzung der vorliegenden Studie boten.