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- Süße Rheinlande. Entwicklung und Innovation in der rheinischen Schokoladenindustrie (1900 – 1970)
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2021
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Speise der Götter hat eine lange Geschichte hinter sich. Aus dem der Kakaobohne abgewonnenen bitteren, mal heiß, mal kalt zubereiteten und teils mit religiöser Bedeutung aufgeladenen Getränk mesoamerikanischer Hochkulturen wurde über viele Zwischenschritte und Fehltritte die heute fast allgegenwärtige, industriell gefertigte, in Cellophanpapier eingewickelte, meist süße Essschokolade in ihren unzähligen Variationen. Nach einer langen Reise kam die Schokolade schließlich in das von ihren Ursprüngen so weit entfernte Rheinland. An diesem Punkt in der langen Historie der Kultivierung und Nutzung der Kulturpflanze Kakao setzt diese Studie an: Von den Anfängen der industriellen Produktion Mitte des 19. Jahrhunderts, über technische Innovationen und die Hochphase der Schokoladenindustrie im Rheinland zwischen der Jahrhundertwende und dem Zweiten Weltkrieg bis zum allmählichen Niedergang in den 1960er und 1970er Jahren, geht sie der Frage nach, wie und warum sich das Rheinland zu einem Zentrum der Schokoladenindustrie entwickelte.
Textprobe: Kapitel 3. Die Anfänge: Grundlagenschaffung: Bevor sich eine Schokolade und Kakao produzierende Industrie im Rheinland sowie allgemein auf dem Gebiet der deutschen Staaten verbreiten konnte, waren zunächst verschiedene Neuerungen und Innovationen notwendig, die die dafür erforderlichen Bedingungen bereitstellen konnten. Diese Innovationen wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelt und waren unverzichtbar für das heutige Verständnis von Kakaoprodukten. Einige ausgewählte Errungenschaften unter den bedeutsamsten Erfindungen sind hierbei hervorzuheben. Dies ist zum einen das 1828 durch den niederländischen Apotheker und Schokoladenproduzenten Coenraad Johannes van Houten entwickelte Verfahren zur Herstellung eines bis dahin unbekannten Produkts: Kakaopulver eine Erfindung, [that, M.P.] marks the beginning of modern era chocolate making and production. Das Innovative an van Houtens Erfindung war, dass er es durch Alkalilösungen und eine Hydraulik-Presse schaffte, den Fettanteil der Kakaobohnen, der mehr als 50 % ausmachen konnte, so stark zu reduzieren, dass der so entstandene Presskuchen beziehungsweise das aus diesem gewonnene Pulver sich besser in Flüssigkeiten auflösen ließ, als dies mit den zuvor gängigen Produkten der Fall gewesen war. Bis zur van Houten'schen Entwicklung war es nur möglich, die fettige Kakaobutter von der aufgekochten Schokolade abzuschöpfen oder sie zuvor mit einer Handpresse aus dem sogenannten Kakaobruch herauszufiltern. Nun konnte man statt diesem age-old, thick and foamy drink (…) easily-prepared, more easily digestible cocoa konsumieren. Die Bedeutung der Erfindung des Niederländers wurde zunächst nicht von jedem erkannt, Gutachter wollten ihr sogar zunächst die Patentierung verwehren. Dabei war van Houtens Idee derart bahnbrechend, dass sie vom Prinzip her seitdem nicht mehr verändert wurde, aus Steinrollen auf Holzrahmen wurden lediglich Stahlhammermühlen. Trotz aller Vorteile, die van Houtens Kakaopulver mit sich brachte – dazu gehört hinzukommend auch seine Funktion als Basissubstanz für die jetzt beginnende Karriere des Kakaos als Essschokolade – sollte es noch bis ins nächste Jahrhundert hinein dauern, bis es auch in Deutschland voll anerkannt war, wie etwa verschiedene Beiträge und Diskussionen im Gordian zeigen. So wird die sogenannte holländische Methode etwa in einem Artikel aus dem Jahr 1906 ausdrücklich gelobt und die Fabrikanten werden mit Hinweis auf die umfangreichen Absatzmärkte holländischer Unternehmen dazu aufgefordert, diese anzuwenden und nicht eigene zu entwickeln. Die im selben Atemzug herausgebrachte Empfehlung einer bestimmten Marke doppelt gereinigter Pottasche (Kaliumkarbonat), einer für die Methode notwendigen Substanz, gibt der Betonung der Vorzüge der neuen Methode jedoch einen gewissen werbenden Beigeschmack. Ganz anders klingt es jedoch Jahre später in einem Artikel von 1923 mit der unmissverständlichen Überschrift Deutscher Kernkakao oder holländisch malträtierter Kakao , in dem gegen van Houtens Methode und deren Nachahmung in Deutschland gewettert und diese als Pottasche-Hypnose bezeichnet wird. Auch zwei Jahre später wird noch [w]ider die Laugenkakaos angeschrieben, da Kakao nur ohne Malträtierung des köstlichen, natürlichen Kakaoaromas durch widerlich riechende und widerlich schmeckende Pottaschelauge genießbar sei. Trotz dieser polarisierenden Ansichten begann Neugebaur & Lohmann als eines der ersten Unternehmen in Deutschland mit der Herstellung des neuen Produkts, zum einen aufgrund von geschäftlichen Kontakten in die Niederlande, zum anderen aufgrund des dafür wachsenden Kundenkreises. Die zweite hervorzuhebende Innovation für die Zukunft der Schokoladenproduktion kam aus dem Land, das heute wohl wie kein anderes mit Schokolade assoziiert wird: der Schweiz. Dort erblickte passenderweise das Produkt das Licht der Konsumwelt, das heute als prototypische Assoziation eines aus Kakao entstandenen Lebensmittels gelten kann: die Milchschokolade. 1878 konnte der aus Vevey stammende Schokoladenhersteller Daniel Peter auf der Weltausstellung in Paris die weltweit erste Milchschokolade präsentieren. Die Grundlage für diese Innovation schuf allerdings bereits 1867 der Chemiker Henri Nestlé mit der Erfindung des Milchpulvers durch die Entwicklung eines Verfahrens, dass der Milch durch Verdampfung die Feuchtigkeit entziehen konnte. Die Bedeutung von Nestlés Entwicklung lässt sich bereits an der weiteren Geschichte seiner Firma erkennen, die heute das weltweit größte Unternehmen der Lebensmittelbranche darstellt. Ursprünglich für Kindernahrung gedacht, griff Peter diese Entwicklung für die Schokoladenproduktion auf. In den Handel kam die Milchschokolade wenig später schließlich in den 1890er Jahren durch die Schweizer Firma Suchard. Bis 1912 war schließlich der gesamten Schokoladenindustrie die Methode zu ihrer Herstellung bekannt. Eine alternative Geschichte der Erfindung der Milchschokolade findet sich allerdings im Fachblatt Gordian . Dort heißt es, aus einem englischen Buch zitierend, dass lange vor Peter schon in England Milchschokolade fabriziert worden sei. So habe bereits im 18. Jahrhundert der königliche Arzt Sir Hans Sloane (1660-1753) eine Mischung aus Milch und Schokolade hergestellt. Auf diesem Rezept basierend habe zudem die englische Firma Cadbury bereits zwischen 1849 und 1885 Milchschokolade vertrieben. Der Wahrheitsgehalt dieser Variante bleibt jedoch fraglich, vor allem unter der Berücksichtigung der für die Herstellung von Milchschokolade notwendigen Erfindung des Milchpulvers. Die Ehre der Urheberschaft kann somit aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest für die heute noch gängige Version von Milchschokolade der Schweiz zukommen. Unabhängig davon wurde die Bedeutung der Innovation für die Zukunft der Schokoladenunternehmen bereits wenige Jahrzehnte später deutlich: Ihr Anteil an der Schokoladenproduktion Deutschlands betrug in den 1930er Jahren bereits 64 % und auch in allen anderen konsumierenden Ländern war by the 1930s milk chocolate (…) the most popular chocolate type. Zu diesen Innovationen, die die Qualität und Bandbreite der kakaobasierten Produkte erheblich verbesserten und erweiterten, kamen im selben Zeitraum noch verschiedene technische Entwicklungen hinzu, ohne die die industrielle Produktion von Schokolade im 20. Jahrhundert nicht möglich gewesen wäre. Als eine der ersten wichtigen technischen Erfindungen ist die Entwicklung einer Maschine für die Kakaoverarbeitung zu nennen. Diese aus Frankreich stammende und Melangeur genannte Vorrichtung verwendete zwei mit Dampfkraft angetriebene und vertikal angeordnete Mühlsteine, um den gerösteten Kakaobruch zu zerkleinern und mit anderen Zutaten zu vermischen. Ab den 1820er Jahren setzte sich die Maschine in den verarbeitenden Betrieben durch und konnte die Produktion deutlich intensivieren. Von ebenfalls herausragender Bedeutung waren die von Rudolph Lindt, einem Apotheker aus Bern, in den 1880er Jahren entwickelte Methode der Conchierung sowie die dafür entwickelte und dieses Vorgehen perfektionierende Maschine, die Conche, ein an den Enden abgeschrägtes Granitbrett, auf dem an Stahlrollen befestigte Granitrollen den Kakao bearbeiteten. Lindts Idee, den Schokoladenteig auf einer Längsplatte über einen langen Zeitraum zu bearbeiten, was durch die entstehende Hitze dazu führte, dass dem Teig Bitterstoffe entzogen wurden und was durch die Verkleinerung der einzelnen Partikel zu einer Verfeinerung der Konsistenz und einem unter dem Namen Fondant- oder auch Schmelzschokolade bekannten Produkt führte, ist bis heute der Standard der Schokoladenherstellung geblieben. Seine Erfindungen wurden zunächst als Handelsgeheimnis gehütet, konnten sich letztlich aber doch verbreiten, sodass das durch sie ermöglichte Produkt, das nicht mehr mit den zuvor hergestellten brüchigen und gröberen Schokoladen zu vergleichen war, zudem eine völlig neue Wahrnehmung und Definition von Schokolade bewirkte. Zur Verbesserung der Verarbeitungstechnik kamen Roman Rossfeld zufolge jedoch auch Impulse aus der sich bereits in einem rasanten Wachstum befindlichen deutschen Schokoladenindustrie respektive der für diese produzierenden Maschinenfabriken. Zu nennen sind hier beispielsweise die Unternehmen J. M. Lehmann oder Reiche AG aus Dresden. Erstere Firma war es etwa, die einen von deutschen Produzenten ausgeschrieben Wettbewerb zur Lösung des Problems der Trennung von Kernen und Schale des Rohkakaos durch die Entwicklung einer entsprechenden Maschine gewinnen konnte. Weiterhin gab es auch die Fabriken, die ihre Maschinen selbst entwickelten, wobei etwa Stollwerck eine Vorreiterrolle inne hatte. Diese Entwicklungen stellen nur eine Auswahl der wichtigsten Innovationen dar. Welche Ausmaße etwa der Bedarf an Maschinen und welche Möglichkeiten der Arbeitsvereinfachung diese innerhalb von etwa einem halben Jahrhundert der Schokoladenindustrie gebracht haben, nachdem diese zuvor noch hauptsächlich manuell gearbeitet hatte, zeigt beispielhaft die Anzeige eines Maschinenherstellers im Gordian von 1920: Darin listet dieser seine zu verkaufenden Maschinen auf, welche jeden erdenklichen Arbeitsschritt vom Sortieren über das Reinigen bis zur Verarbeitung abdecken und vereinfachen, was bereits eine Summe von über 30 zu verwendenden Maschinen und Vorrichtungen ergibt. Die neuen Maschinen und Verfahren bedeuteten zwar die Weichenstellung für die weitere Entwicklung der sich in der Entfaltung befindlichen Schokoladenindustrie, doch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ihre Nutzung noch viele Jahre mit Gefahren für Leib und Leben der Arbeiter verbunden war: Noch 1922 verzeichnete die Branche in Deutschland 51 Todesfälle, von denen 21 durch Maschinen verursacht worden waren. Ebenso sollte es noch weit ins nächste Jahrhundert an Zeit bedürfen, bis die letzten Hindernisse der Produktion beseitigt worden waren: Bis in die 1950er Jahre musste nach der maschinellen Reinigung noch per Hand nachgereinigt werden, bis in die 1970er Jahre war das Rösten der Bohnen mehr eine Frage von Gefühl als Wissen, erst ab dann war roasting (…) controlled more by science, than art.
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