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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2024
AuflagenNr.: 1
Seiten: 100
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Erstmals stieß der Autor auf Jürgen Habermas’ Ideale Sprechsituation am Ende seines Soziologie- und Politikstudiums. Etwa zeitgleich begann die Schlichtung zu Stuttgart 21 im Oktober 2010. Ab da fing in ihm die Idee an zu reifen, das deliberative Streitgespräch (bei dem u.a. Heiner Geißler, Boris Palmer, Winfried Kretschmann sowie Rüdiger Grube miteinander im Stuttgarter Rathaus kontrovers diskutierten) mit Habermas’ Konzept zu konfrontieren. Schließlich kommt es 2024 in seiner Studie dazu, die Konfliktschlichtung mit der praktischen Wirksamkeit bzw. Umsetzbarkeit der Thesen aus der Habermasschen Theorie des Kommunikativen Handelns unter ein Brennglas zu halten. Hiermit wirft er ferner einen Blick insgesamt auf Möglichkeiten und Bedingungen von gewaltlosen Konfliktaushandlungen in Situationen, die auch von Machtsymmetrien und politischen Agenden geprägt sind. Ein für heutige Zeit mehr denn je wichtiges Werkzeug, welches möglicherweise enge Grenzen haben könnte.

Leseprobe

Textprobe: 3 Theoretische Fundierung Konzept der Idealen Sprechsituation Habermas’ Konzept der Idealen Sprechsituationen stellt das theoretische Herzstück der Diskursanalyse der Schlichtung dar. Dass Habermas sich mit einem Konzept auseinandergesetzt hat, welches im Kern skizziert, wie unter idealen Bedingungen bei Sprechsituationen Lösungen erzielt werden, ist auf verschiedene Einflüsse zurückzuführen. Zu den Einflüssen gehören der Anfang des 20. Jahrhunderts in den Sprachwissenschaften einsetzende Trend des Linguistic turn, Habermas’ Überzeugung von deliberativer Demokratie als Best Practice politischer Ordnung und Immanuel Kants kategorischer Imperativ. Mit dem Paradigmenwechsel in den Wissenschaften hin zum Linguistic turn stand sprachliches Handeln auch im Focus von Habermas (vgl. Greve 2009: 67-69). Ein Grund für die Vertiefung lag darin, dass aus Sicht von Habermas Sprache zur Mündigkeit von Individuen beiträgt. Dies begründet Habermas (1969: 163) damit, dass das, was uns aus der Natur heraushebt (...) die Sprache [ist] und deshalb mit ihrer Struktur Mündigkeit für uns gesetzt [wird]. Grundsatz von Anhänger:innen des Linguistic turn ist, dass Wahrheit in praktischen Diskursen erzielt wird (vgl. Treibel 2004: 167). Demzufolge entwickelte Habermas in Vorstudien und Ergänzung zu Theorien kommunikativen Handelns (1984) das Konzept der Idealen Sprechsituation, welches theoretisch und praktisch auf die Wahrheitsfindung bei praktischen Diskursen abzielt. Zusätzlicher Einflussfaktor bei der Konzeptentwicklung ist, dass nach Habermas das Verständnis von Demokratie als government of the people, by the people, an for the people am Besten die politische Ordnung einer deliberativen Demokratie umsetzt (vgl. 1992). Ein Grund hierfür liegt darin, dass für Habermas die Teilhabe der Öffentlichkeit an deliberativen Diskursen unabdingbar für den Prozess einer demokratischen Willensbildung ist (vgl. 1991: 130f.). Erst wenn Argumente deliberativ durch Für- und Gegenrede geprüft wurden, sind laut Habermas (ebd.) die jeweiligen Bedingungen der Gültigkeit einer Äußerung – einer Behauptung oder eines moralischen Gebots – erfüllt . Den Aufstieg von Geltungsansprüchen zu moralischen Geboten begründet Habermas mit der Logik von Immanuel Kants kategorischem Imperativ. Kants grundlegendes Prinzip moralischen Handelns (AA IV, 421) besagt handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Wie bei Kants kategorischen Imperativ kommt es bei Habermas’ Diskursethik (1991) zur Prüfung der persönlichen Handlungsvorstellung. Im Unterschied zum kategorischen Imperativ geschieht die Prüfung aber nicht im eigenen Geist, sondern im öffentlichen Diskurs. Ob eigene Geltungsansprüche zu moralischen Geboten werden, entscheidet ihr in Bezug setzen mit anderen Geltungsansprüchen. Indem der Geltungsanspruch reflexiv diskutiert wird, kann er die Stufe zum moralischen Gebot erklimmen. In den Augen von Habermas ist die ideale Sprechsituation der geeignete Ort, um deliberativ Handlungsvorstellungen zu prüfen. Aufbauend auf den dargestellten sprachsoziologischen, politischen und philosophischen Überlegungen entwickelte Habermas ideale Diskursbedingungen, um das Konzept in die Praxis zu überführen. Bedingungen Idealer Sprechsituationen Wie muss nun eine praktische Sprechsituation beschaffen sein, damit ihre Diskursqualität zu moralischen Geboten führt? Überlegungen über ideale Diskursbedingungen konkretisiert der Soziologe Max Miller in der vorab erwähnten Studie Bürgerarenen und demokratischer Prozess (1998). Für die Diskursanalyse eines Bürgerforums, bei dem über ein Bauprojekt im Hamburger Stadtteil Altona-Nord diskutiert wurde, untersucht Miller mit Habermas’ Theorie Sprechakte von Teilnehmenden. Die Analyse führt Miller zu Aspekten von Diskursen, die seiner Meinung nach notwendig für die Qualität von öffentlichen Entscheidungsprozessen sind. Dabei stellt Miller (1988: 289-293) heraus, dass für Legitimität und Effizienz eines öffentlichen Diskurses die Fragen von entscheidender Bedeutung sind: Wer soll am (demokratischen) Prozess einer kollektiven Willensbildung und Entscheidungsfindung beteiligt sein? , wie muss dieser kollektive Prozess ablaufen, damit er zu Entscheidungen führt, die tatsächlich im Interesse einer jeweiligen Gesamtheit liegen? und auf welche Bereiche des sozialen Lebens soll sich der demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozess ausdehnen? Mit dem Konzept der Idealen Sprechsituationen gibt Habermas Antworten auf die von Miller hervorgehobenen Aspekte. Somit verdeutlicht Habermas mit dem Konzept, wer am demokratischen Prozess einer kollektiven Willensbildung und Entscheidungsfindung beteiligt sein soll und wie Diskurse ablaufen sollen, damit sie zu Entscheidungen führen, die tatsächlich im Interesse einer jeweiligen Gesamtheit liegen. Um den Kriterien zu entsprechen bzw. im Sinne von Habermas als Ideale Sprechsituation zu gelten, müssen praktische Diskurse folgende Bedingungen erfüllen: 1. Alle potentiellen Teilnehmer eines Diskurses müssen die gleiche Chance haben, kommunikative Sprechakte zu verwenden, so daß [sic] sie jederzeit Diskurse eröffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort perpetuieren können. 2. Alle Diskursteilnehmer müssen die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsanspruch zu problematisieren, zu begründen oder zu widerlegen, so daß [sic] keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt. (...) 3. Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde gleiche Chancen haben, repräsentative Sprechakte zu verwenden, d.h. ihre Einstellungen, Gefühle und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. (...) 4 .Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde die gleiche Chance haben, regulative Sprechakte zu verwenden, d.h. zu befehlen und sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft abzulegen und zu verlangen (vgl. 1984: 177f.). Die Diskursbedingungen des Konzepts der Idealen Sprechsituation fassen der Politikwissenschaftler Walter Reese-Schäfer und der Philosoph Georg Römpp unter den Kriterien öffentliche Teilhabe, Gleichverteilung der Rederechte, Gewaltlosigkeit und Aufrichtigkeit zusammen. Das abgeleitete Kriterium der öffentlichen Teilhabe umfasst nach Reese-Schäfer, dass Sprechsituationen inklusiv sind und somit jede/r am Verfahren teilnehmen kann (vgl. 2001: 27). Entsprechend stellt der Soziologe Niklas Luhmann (1983: VII) im Bezug auf die Bedeutung der öffentlichen Teilhabe für die Legitimation von Sprechsituationen heraus, dass sie eine Grundvoraussetzung dafür ist, um bei Sprechsituationen überhaupt legitimierte Ergebnisse zu erzielen. Zum Kriterium der Gleichverteilung der Rederechte zählen Römpp (2015: 174), dass Sprechende nicht unterbrochen werden, ohne Zeitbegrenzung Argumente vorbringen sowie andere Argumente prüfen können. Die Voraussetzung der Gewaltlosigkeit von Sprechsituationen umfasst nach Römpp (2015: 174), dass bei praktischen Diskursen keine Machtgefüge, Hierarchien oder Möglichkeiten zur Gewaltausübung bestehen. Die Bereitschaft von Sprecher:innen dazu, sich ergebnisoffen auf Diskussionen einzulassen und andere Aspekte in ihre Überlegungen einzubeziehen, um letztlich gemeinsam einen Konsens zu erzielen , ist nach Reese-Schäfer (2001: 27) ausschlaggebend für die Aufrichtigkeit von Teilnehmenden an Diskursen. Die Effizienz von Aufrichtigkeit bei Diskursen betont Luhmann (1983: VIIf.), weil sie zur Übernahme bindender Entscheidungen in die eigene Entscheidungsstruktur führt.

Über den Autor

Benjamin Kurtius wurde 1978 in Hamburg geboren. Sein Studium der Soziologie, Politik- und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg schloss der Autor im Jahre 2010 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium erfolgreich ab. Auch in seiner Heimatstadt folgte 2022 ein Master of Science der Kriminologie. Seit Anfang 2024 absolviert der Autor sein 2. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien mit den Fächern Politik - Gesellschaft - Wirtschaft, Geschichte sowie Sport in Hamburg. Bereist während seines ersten Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrung als Journalist, als er für 14 Monate das Sportressort einer Tageszeitung in Windhoek (Namibia) übernahm. Zurück in Hamburg folgten freiberufliche Engagements bei der dpa - Deutsche Presse-Agentur, dem NDR - Norddeutscher Rundfunk und der Financial Times.

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