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- Studentenproteste in Deutschland und Frankreich: Studiengebühren und „Contrat première embauche“
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 12.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Studentische Proteste haben vielfältige Ursachen: hochschulpolitische Problemstellungen, universitäre Reformpläne oder Verschlechterung der finanziellen Situation. In Deutschland löste die Einführung von Studiengebühren vor allem in den Jahren 2005 und 2006 Protestaktionen aus. Dennoch sind deutsche Studenten in ihrem Protestverhalten vergleichsweise zurückhaltend: In Frankreich sind die Streiks der Studenten konsequent, geschlossen und traditionsreich. Diese Studie vergleicht die Studentenproteste aus dem Jahr 2006 miteinander. Gegenstand des Vergleichs ist der Protest der deutschen Studenten gegen die Einführung von Studiengebühren und der Protest französischer Studenten gegen den Contrat première embauche, der die Abschaffung des Kündigungsschutzes in den ersten beiden Arbeitsjahren vorsah. Anhand mehrerer Faktoren untersucht die Autorin, warum zwischen den Protesten französischer und deutscher Studenten solch erhebliche Unterschiede herrschen. Welche Rolle spielt die politische Partizipation? Inwiefern prägen Massenuniversitäten und drohende Arbeitslosigkeit das Verhalten der Studenten? Welchen Einfluss nehmen veränderte Wertorientierungen auf die Protestneigung? Abschließend setzt sich die Autorin mit der Frage auseinander, ob französische Zustände an deutschen Universitäten möglich seien.
Textprobe: Kapitel 2.1, Der Einfluss veränderter Wertorientierungen auf die Protestneigung: Der Modernisierungsgrad und der damit produzierte Wohlstand einer Gesellschaft beeinflussen die Werteeinstellungen der Bürger, wie Gerhards und Hölscher in ihrer Untersuchung über die kulturellen Unterschiede in der Europäischen Union analysiert haben. Je moderner eine Gesellschaft, desto stärker wird die Trennung von Religion und Gesellschaft sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter akzeptiert. Der Modernisierungsgrad beeinflusst außerdem den Grad des ökonomischen Wohlstandes und die Unterstützung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. Neben dem Modernisierungsgrad haben zwei weitere Elemente einen Einfluss auf die individuellen Wertorientierungen. Zu nennen ist erstens die kulturell-religiöse Traditionslinie eines Landes. Religionsgemeinschaften entwickeln eigene Vorstellungen einer idealen Gesellschaft. Diese Ideale wiederum beeinflussen die Gläubigen einer Religionsgemeinschaft. Damit nehmen individuelle Religionsvorstellungen Einfluss auf die Wertorientierungen des Einzelnen. Zweitens ist die politisch-institutionelle Ordnung ein entscheidender Faktor. Die politische Ordnung prägt die Einstellung der Bürger, beispielsweise hinsichtlich der Familienleitbilder. Bevor in diesem Kapitel der Einfluss von Wertorientierung auf die individuelle Protestneigung untersucht wird, werden zunächst die zentralen Begriffe Wert und Wertewandel definiert und anschließend der Zusammenhang zwischen Modernisierung und Werteeinstellung erläutert. Als Wert wird eine gesellschaftliche Wertorientierung verstanden, eine dauerhafte Orientierung einer Person im Hinblick auf das sozial Erwünschte . Gerhards und Hölscher definieren den Begriff Wert anhand dreier Kriterien. Werte können erstens gerechtfertigt werden und unterscheiden sich deshalb von Interessen, Bedürfnissen und Präferenzen. Werte sind damit als gerechtfertigte Wünsche und bewertete Präferenzen zu verstehen. Werte sind zweitens zeitlich generalisierte Orientierungen, da Werte in der Sozialisation erworben werden und stabil bleiben. Drittens sind Werte abstrakte Orientierungen: Werte beeinflussen Normen und konkrete Einstellungen. Der Wertewandel führt zu einer Veränderung der Wertorientierungen, zu einer stärkeren Individualisierung und zu einer Zunahme so genannter nicht-materieller Werte (Emanzipation, Umweltschutz) . Der Wertewandel verweist auf kollektive Umorientierungsprozesse und ist meistens eine Präferenzverschiebung in charakteristischen Bereichen, wie Raschke feststellt. Er versteht Wertewandel als kollektiven Interaktionsprozess, der auf spezifischen sozio-ökonomischen Voraussetzungen und der Auseinandersetzung mit dominanten Problemlagern basiert. Nach Inglehart ist der Wertewandel vor allem ein Resultat der zunehmenden Befriedigung materieller Werte. Die zunehmende Befriedigung resultiert aus der Postmodernisierung, in deren Verlauf es außerdem zu einer nachlassenden Wertschätzung der funktionalen Rationalität sowie zur Betonung von Selbstverwirklichung und Lebensqualität kommt. Dies führt zu einer Veränderung jener Normen, die Politik, Arbeit oder Familie bestimmen. Die postmaterialistischen Wertprioritäten hängen nach Inglehart mit einer überdurchschnittlichen Bereitschaft zum Rückgriff auf direkte Formen der politischen Beteiligung zusammen. Die Wertprioritäten sind in den Generationen unterschiedlich: Die jüngeren Geburtskohorten sind unter gesicherten ökonomischen Bedingungen aufgewachsen, so dass sich postmaterialistische Werte entfalten konnten. Verstärkt sind Umweltthemen Bestandteil der politischen Tagesordnung und nicht länger Themen wie Wirtschaftswachstum oder ökonomische Sicherheit. Als Folge der Postmodernisierung lässt das Vertrauen in und die Akzeptanz von religiösen, politischen und wissenschaftlichen Autoritäten nach. Die Parteiloyalität verfällt und es wird verstärkt auf aktive Partizipationsformen zurückgegriffen. An diesen unkonventionellen politischen Aktivitäten beteiligen sich vor allem Postmaterialisten, da sie auf Partizipationsformen zurückgreifen, die aktiver und themenbezogener sind. Außerdem wird das Partizipationsverhalten entscheidend von der Statusposition und dem religiösen Glauben beeinflusst: Angehöriger höherer Statuspositionen, darunter auch die Studenten, neigen eher zu politischem Protest. Religiöse Menschen haben eine deutliche geringere Protestneigung, da sie geringere Ansprüche an ihre Umwelt stellen. Die Modernisierung ist mit spezifischen Wertorientierungen verbunden. McClelland erkennt eine starke Leistungsorientierung bei postmodernen Gesellschaften. Während die individuelle Verantwortung und die Wettbewerbsorientierung an Bedeutung gewinnen, wird die Fremdbestimmung zunehmend abgelehnt. Die Europäische Union definiert Religion, Familie, Wirtschaft, Wohlfahrt und Politik als relevante Wertebereiche. Andere Autoren nehmen Säkularisierungsprozesse im Zusammenhang mit der ökonomischen Modernisierung an. Ökonomische Lebensbedingungen führen zu einem Bedeutungsverlust von Religion. Auch die Postmodernisierung ist mit spezifischen Wertorientierungen verbunden, die allerdings teilweise im Widerspruch zu den modernen Werten stehen. Bell stellt fest, dass die hedonistische Orientierung, beispielsweise Spaßorientierung oder emotionale Orientierung, Werte wie Leistungs- und Wettbewerbsorientierung, Sparsamkeit und Konsumverzicht ersetzten. Postmaterielle Werte sind beispielsweise das Streben nach Selbstentfaltung und Partizipation. Es bleibt festzuhalten, dass die Modernisierung einen Einfluss auf die Wertorientierungen der Bürger hat. Inwiefern beeinflusst aber der Wertewandel die individuelle Protestneigung? Gesellschaftliche Modernisierungs- und Wertewandelprozesse sind die zentrale Ursache für den verstärkten Rückgriff auf direkte Formen der politischen Partizipation: Je grundlegender der Wertewandel, desto wahrscheinlicher, daß die tradierten politischen Vermittlungsformen nicht adäquat sind, Unzufriedenheit entsteht und die Form der sozialen Bewegung gesucht wird . Offenbar beeinflusst der Wertewandel entscheidend die individuelle Protestneigung und erhöht die Neigung zu direkten Partizipationsformen. Dieser massive Wertewandel fand sowohl in Deutschland als auch in Frankreich Mitte der sechziger Jahre statt und führte zu einer dauerhaften Enttraditionalisierung und Entnormativierung der beiden Gesellschaften.
Katharina Kipp, M.A., wurde 1983 in Leverkusen geboren. Im Rahmen ihres Bachelorstudiums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf studierte sie ein Semester an der Karls-Universität in Prag. Ihr Masterstudium European Studies an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg schloss die Autorin im Jahr 2008 erfolgreich ab. Zuvor verbrachte sie ein zweites Auslandssemester an der Université de Picardie Jules Verne, Amiens. Bereits während ihres Studiums sammelte Katharina Kipp umfassende praktischer Erfahrungen in der Medien-Branche und ist heute im PR-Bereich tätig. Während ihres Auslandssemesters in Amiens erlebte die Autorin die Proteste der dortigen Studenten hautnah mit. Beeindruckt von der Geschlossenheit dieser Proteste, beschäftigte sich die Autorin mit der französischen Streikkultur. Die zu dieser Zeit aktuellen Proteste deutscher Studenten gegen Studiengebühren veranlassten Katharina Kipp die Studentenproteste in Frankreich und Deutschland zu vergleichen.
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