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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Es ist in der Literatur besonders das beredte Schweigen, welches Rückschlüsse auf die Gemütsverfassung oder die Absichten des fiktionalen Personals zulässt. Schweigen als die nicht in Worte gefasste und damit der Welt nicht zugänglich gemachte Rede impliziert eine Hermetik und Unzugänglichkeit der Intentionen von Protagonist und Autor, das Eine in das Andere greifend. Der Autor versagt seinem Protagonisten die Sprache dort, wo er den Hörer-und zum Ausgang des Mittelalters hin den Leser-im Ungewissen lassen will über dessen tatsächliche und damit verborgene Absichten hinsichtlich eines weiteren Handlungsverlaufs, dessen im Dunkeln liegender Fortgang insbesondere durch dieses Schweigen seine Spannung bewahrt. Nur die Fantasie des Hörers vermag dieses Schweigen zu füllen in einem sehr individuellen interpretatorischen Akt, der die Leerstelle in der Rede immer wieder von neuem aufarbeitet. Die Kunstfertigkeit des Autors lässt aber das Schweigen in der Literatur, bei deren Rezeption nur einer der fünf Sinne zur Anwendung kommen kann, artifizieller erscheinen als in der von einem Hörer verfolgten tatsächlichen und realen Rede. Die Gründe für das Versagen der Rede sind so vielfältig wie seine Auswirkungen, die Wahrnehmung von Schweigen so unterschiedlich wie die es auslösenden Gedankengänge und ihre Gründe. Im höfischen Epos wie in Gottfrieds Tristan ist das Schweigen ein anderes, hängt es doch eng mit der damaligen Sozialisation in ihrem gesellschaftlichen Kontext zusammen. Das Schweigen dient dort den gesellschaftlich erlernten Regeln wie in anderen Schweigesituationen ihrem Bruch. So dient es dem mittelalterlichen Dichter als Mittel einer zeitgenössischen Gesellschaftskritik an einer höfischen Gesellschaft, in der Lüge, Verstellung, Falschheit und Intrigen eine entscheidende Rolle spielen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5., Das Schweigen der Menschen: Im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Mathias Lexer wird der Terminus list umschrieben mit den Eigenschaften Weisheit, Klugheit und Schlauheit, welche sich in der protagonistischen Aktion sodann als weise, kluge oder schlaue Absicht oder Handlung generiert. Weisheit kann sich häufig auch im Schweigen beweisen, indessen Klugheit und Schlauheit sogleich ihre zunächst positive Konnotation verlieren, wenn sie in Form von Arglist und Unaufrichtigkeit ihren Niederschlag finden. Unter dem Mantel von Wissenschaft und Kunst wird list auch rasch zum hohen Bildungsgut, das Bewunderung hervorruft, im Ansehen der höfischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert genießend. Nicht umsonst wird dem Bildungsweg Tristans eine hohe ‘Bedeutung beigemessen, da zwischen Bildung und List ein Zusammenhang besteht und beide wiederum mit der Liebe verknüpft sind’, auch insofern die list im Sinne von Betrug eines gewissen Maßes an Schläue bedarf. Als ein zu erreichendes höchstes Gut des Menschen stellt sich die Weisheit in ihrem Grad als ein sukzessiver Erwerb einer im Verlaufe des Lebens sich durch jegliche Erfahrungen und Erkenntnisse konstituierende Reife dar, die in der Gesamtheit ihres Niederschlags auch als Lebenserfahrung bezeichnet werden kann. Mit fortschreitender Weisheit kann sich in ihrem Träger auch ein Schweigen ausbreiten als Folge einer Erkenntnis, die es verbietet, ein Wissen weiter zu geben an Zeitgenossen, deren auf minderer Stufe angesiedelter oder stagnierender Reifegrad die Fruchtbarkeit einer solchen Weitergabe nicht nahe legt, insbesondere wenn diese gar zu einer Missauslegung führen möchte. In Gottfrieds Tristan erscheint mit Weisheit indessen keiner der Protagonisten behaftet, sehr wohl aber der Erzähler, dessen Auktorialität sich an verschiedenen Stellen wie im huote-Exkurs als einem Verständnis tieferer Zusammenhänge offenbart. Im Kreise der Protagonisten in Wolframs Parzival hingegen kann dem Einsiedler Trevrizent durchaus Weisheit als eine umfassende Erkenntnis des Lebens und seiner Zusammenhänge attestiert werden, wie er sie in weiten Zügen an den Sinn suchenden Neffen Parzival weitergibt. Die Klugheit als Attribut eines weitaus größeren Kreises von Protagonisten hingegen kann als ein vernünftiges und umsichtiges Verhalten auf der Grundlage eines gesunden Menschenverstands gelten. Das Schweigen und Verschweigen von geplanten Handlungszügen sind Elemente der Klugheit wie auch der Schlauheit, wenngleich diese eine negative Konnotation erfährt, ist sie doch stets mit einem Maß an Raffinement ausgestattet, das im negativen Sinne der Durchtriebenheit und Verschlagenheit selten entbehrt. Die list als Ganzes, mit diesen und anderen stets als Planungen in der Zukunft liegenden Varianten als Spielarten kann definiert werden als ‘geistige, durch Wissen geschulte und Talent geförderte, vorausberechnende und vorausplanende Fähigkeit und deren Anwendung’. 5.4, Isoldes Entführung durch Gandin-Schweigen als kommunikative Strategie: Der schöne und mächtige Baron Gandin, ‘ein Musterritter aus Irland, ein Damenjäger und Herzensbrecher, ein Virtuose auf dem Saiteninstrument der Rotte, die Isolde von früher her kennt’, kommt an Markes Hof, wie sich herausstellen wird, von Beginn an ganz offenkundig mit der Absicht, die schöne und von ihm bereits über lange Zeit verehrte Königin Isolde zu entführen. Gandin, offenbar ebenso verschlagen wie vielseitig begabt, trägt jene Rotte bei sich, das von ihm virtuos beherrschte Saiteninstrument mit dreieckigem Korpus. Entgegen den höfischen Gepflogenheiten legt er sein Instrument nicht ab, nicht bei der Ankunft noch bei der Begrüßung und schließlich auch nicht bei Tisch, was zu sich steigernden Irritationen und zu Spott der anwesenden Gesellschaft führt, an welchen sich das Königspaar nicht beteiligt, konsequent der Courtoisie folgend. Als die unterschwellige Provokation Früchte trägt und Gandin von Marke um eine Kostprobe seiner musikalischen Kunst gebeten wird, lehnt der irische Ritter dies ab mit der Begründung, er wolle zuvor wissen, welche Belohnung ihn erwarte, in seiner Absicht, Isolde in seinen ‚Besitz‘ zu bringen, Marke in suggestiver Weise die Frage stellend: der gast sprach: ‚hêrre, ine will, ine wizze danne umbe waz‘. (V. 13190 f.). Es sind Markes vorschnell gesprochenen und von diesem in ihrer Tragweite nicht ausreichend bedachten Worte, welche die sich abzeichnende Ungeheuerlichkeit der Forderung Gandins nicht im Entfernten kalkulieren oder nur voraussehen, es ist Markes Schweigen um die Frage, welche Belohnung sich Gandin denn wünsche, die die Entführung Isoldes nach sich ziehen wird: ‚hêrre, wie meinet ir daz? welt ir iht, des ich hân? daz ist allez getân: lât uns vernemen iuwern list, ich gib iu, swaz iu liep ist‘. (V. 13192-13196). Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Gandin auch über Tristans Abwesenheit im Bilde sein dürfte, denn als geübter und erprobter Kämpfer, dem der Ruhm zahlreicher Rittertaten vorauseilt, wird er später den Zweikampf fordern, wohl wissend, dass der König selbst ihm körperlich in keiner Weise gewachsen ist, und auf dieses Ansinnen nicht wird eingehen können. Gandin handelt von Beginn an in betrügerischer Absicht, in Verschleierung seines wahren, geplanten Vorhabens, was der Erzähler ganz deutlich zu machen weiß, wenn er ihn einen Betrüger nennt, der sich, kurz vor dem Ziel wissend, in heimlicher Genugtuung innerlich bereits ins Fäustchen lacht: der trügenaere erlachete vil inneclîche wider sich. (V. 13202 f.). Es ist das metaphorische und damit uneigentliche Sprechen Markes, dessen sich Gandin in Kenntnis des höfischen Umgangs- und Verhaltenskodexes bewusst sein muss, und dessen wörtliche Auslegung er dennoch für sich in Anspruch nimmt. Mit der Inbesitznahme der Königin nimmt Gandin nicht nur den Missbrauch des in solcher Form nicht intendierten Pauschalversprechens, sondern auch die Entehrung des Königs und seines Hofes sowie einen bleibenden Makel in Kauf, der durch die eigene Vorgehensweise auch an ihm selbst haften bleiben muss. Marke als der Repräsentant höfischen Sprechens setzt seine Worte im metaphorischen Sinn und rechnet mit demselben Verständnis bei seinem höfischen Gegenüber. Gandin jedoch meint ganz wörtlich, was er sagt, ist aber kein Einfaltspinsel, der den höfischen Code nicht beherrscht, sondern rechnet bei seinem Kontrahenten Marke mit dessen Einhaltung, während er von beginn an vorhat, ihn zu durchbrechen. Darin - nicht auf der sprachlichen Ebene - liegt sein Betrug. Gandins Schweigen in der gezielten Normabweichung, in der Nichtachtung und Nichtbeachtung des ungeschriebenen höfischen Verhaltenskodexes, provoziert zunächst des Königspaares Tadel und Zurechtweisung. Nachdem diese endlich ausbleiben, erfüllt sich das Kalkül des irischen Barons, der zurecht davon ausgehen konnte, sein Verhalten würde darauf schließen lassen, dass die Beziehung zu seinem Instrument und seine Kunst, es zu gebrauchen, von außerordentlicher Qualität sein müssten. Gandins kommunikative Strategie des Schweigens in Korrelation mit Markes Schweigen aus Contenance und dann aus Gutgläubigkeit führen schließlich folgerichtig zum Gelingen seiner Absichten.

Über den Autor

Matthias Mühlhäuser, M.A., wurde 1965 in Heilbronn geboren. Sein Studium der Germanistik mit Schwerpunkt Mediävistik und der Philosophie schloss der Autor im Jahre 2011 erfolgreich ab. Seit dem Abschluss seines Studiums arbeitet er als freier Schriftsteller.

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