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- Schule, Berufswahl und Geschlecht in Schweden
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Beim Thema Gleichstellung und vorbildlicher Gleichstellungspolitik wird Schweden regelmäßig als Vorbild genannt und erhielt sogar die Auszeichnung als gleichgestelltestes Land Europas. Als einer der wichtigsten Sozialisationsagenten wird der Schule in Schweden bei der Vorbereitung auf das Erwerbsleben und für die Auflösung des traditionellen Studien- und Berufswahlverhaltes eine wichtige Rolle beigemessen. Die Studien- und Berufsorientierung, kurz syo, die zu Beginn der 1970er an den schwedischen Grundschulen eingeführt wurde, stellte das wichtigste Werkzeug für diese Bestrebungen dar. Zahlreiche Untersuchungen zur Situation der Geschlechter auf dem schwedischen Arbeitsmark zeigen zwar, dass insbesondere die Integration der Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr hoch ist, diese sich aber stark auf den öffentlichen Sektor beschränkt, während die Wirtschaft männlich dominiert ist. In Anbetracht des auch in Schweden nach vor stark geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarktes, geht die vorliegende Studie der Frage nach, ob es der Studien- und Berufsorientierung gelingen kann, ein weniger traditionelles Studien- und Berufswahlverhalten von Mädchen und Jungen fördern. Der Fokus wird hierbei vor allem auf die gegebenen schulischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerichtet. Unter Einbeziehung der sozialwissenschaftlichen Konzepte des doing gender , des doing gender while doing work und des undoing gender wird der Frage nachgegangen, ob es der Studien- und Berufsorientierung ihrer derzeitigen Disposition möglich ist, die gleichstellungspolitischen Ziele des Lehrplans umzusetzen und zu erreichen und welche Faktoren die Erreichung dieser Ziels fördern bzw. behindern.
Textprobe: Kapitel 1.4.3: undoing gender : Der Bedeutungsverlust von Geschlecht im Alltag und im beruflichen Handeln, ist der zentrale Bestandteil des von Stefan Hirschauer entwickelten Ansatzes des undoing gender . Dieser beschreibt im Gegensatz zum doing gender die Möglichkeit einer Neutralisierung der sozial konstruierten Geschlechterdifferenz. Zwar gibt Hirschauer dem Konzept des doing gender dahingehend Recht, dass wir einem geschlechtlichen Ausweiszwang unterliegen. Auf der anderen Seite vertritt er jedoch die Auffassung, dass das Vergessen des Geschlechts möglich ist, indem Individuen das Geschlecht lediglich registrieren, in der Interaktion die Geschlechterdifferenz als Bewertungskriterium und Handlungsschablone allerdings vernachlässigen oder ganz abwehren. Dadurch können angelaufene Interaktionsskripte, für die Geschlecht von Belang ist, leer laufen und Anschlusspunkte vermieden werden. Insbesondere Institutionen schreibt er mit Bezug auf Goffman eine dekonstruktivistische Position zu, da institutionelle Strukturen auch das Gefüge für soziale Praktiken darstellen. Durch den Abbau der etablierten institutionellen Geschlechterarrangements und einer Ambiguitätstoleranz auf Seiten der Behörden würden, seiner Auffassung nach, die Prozesse der Unterscheidung abgeschwächt oder ganz eingestellt werden. Ob Geschlecht also zu einem entscheidenden Kriterium der Einschätzung und Bewertung wird, ist demnach abhängig von einer bewussten Entscheidung der interagierenden Personen und Institutionen. Dies gilt nach Hirschauer auch im Hinblick auf die Wahl eines Berufes oder in dem hier behandelten Kontext auf die Wahl eines gymnasialen Programms. Der Frauenberuf etwa behält sein Geschlecht nur, solange Frauen ihm ihres geben (und Männer es unterlassen). Wer sich davon unabhängig macht und sich unter Absehung vom Geschlecht eines Berufes für diesen entscheidet, praktiziert ‚undoing gender’ potenziell in zwei Richtungen: primär in Bezug auf diesen Beruf, sekundär in Bezug auf sich selbst. Zu kritisieren ist an dem zitierten Artikel der implizite Aufruf an Mädchen und Frauen sich gegen klassische Frauenberufe zu entscheiden und die Bestätigung ihrer Geschlechts-zugehörigkeit von ihrer Berufswahl (zu) dissozieren , um so zur Durchmischung von bisher klassischen Männerberufen beizutragen. Durch derartige Aussagen kann der Eindruck entstehen, dass in erster Linie ein verändertes Studien- und Berufswahlverhalten von Mädchen und Frauen zu einem Bedeutungsverlust von Geschlecht in Professionen führt. Es drängt sich die Frage auf, warum an dieser Stelle nicht auch Jungen und Männer explizit zu einem aktiven undoing gender aufgefordert werden, indem sie es ebenfalls unterlassen, klassischen Männerberufen ihr Geschlecht zu geben. Hier zeigt sich bereits ein grundlegendes Problem der Geschlechterforschung und geschlechterbewusster Arbeit. Tätigkeiten und Maßnahmen zur Bewusstmachung und Veränderung der Herstellungsmodi von Geschlecht werden in zahlreichen Kontexten von Frauen initiiert und durchgeführt oder ihnen nach der Devise: du, som är kvinna – du kan väl ta det, det där om genus zugewiesen. Der Abbau geschlechterdifferenzierender Strukturen z.B. auf dem Arbeits-markt erscheint für einen Großteil der Männer nicht von besonderer Relevanz bzw. Brisanz zu sein. Zu diesem Ergebnis kommt auch Robertsson in seiner Studie über Männer im Gesundheitswesen. Er stellte fest, dass sowohl für die Gesellschaft, als auch für die männlichen Ärzte selbst, Geschlecht und Beruf kongruent sind. Dadurch rückt Geschlecht für ihre Person nicht in das Zentrum der Aufmerksamkeit, was zu wenig kritischen Ansichten hinsichtlich der Bedeutung von Geschlecht auf dem Arbeitsmarkt führen kann. För manliga läkare blir position och kön kongruenta. Därmed kommer kön inte i fokus och det kan innebära relativt oreflekterade uppfattningar om jämställdhet. Den paradoxala utsagan att kön inte spelar någon roll men att det är trevligt med könsblandade arbetsplatser blir därför möjligt. Hier zeigen sich die Grenzen des Konzepts. Denn es bedarf eines ausgeprägten Bewusst-seins aller Beteiligten für die Mechanismen der sozialen Konstruktion von Geschlecht durch die unterschiedlichen Formen sozialen Handelns, sowie des Darstellungsstils des eigenen Geschlechts, um die notwendigen Prozesse für eine Neutralisierung von Geschlecht in die Wege zu leiten. Insbesondere auch vor der Folie, dass das Vergessen des Geschlechts in Interaktionsprozessen nur durch eine aktive und bewusste Entscheidung dafür gelingen kann, wie Hirschauer betont. Die Neutralisation von Geschlecht, das undoing gender , ist demnach nichts, was sich von selbst herstellen wird. Ebenso wie Geschlecht durch soziales Handeln aktiv dramatisiert wird, erfordert auch die Entdramatisierung von Geschlecht, wie Faulstich-Wieland, Weber und Willems es bezeichnen, Aktivität - und zwar von allen Seiten. Die Autorinnen plädieren für eine fortlaufende Selbstreflexion des eigenen Handelns, erkennen aber auch an, dass eine kritische Selbsthinterfragung allein nicht zu einem veränderten Verhältnis der Geschlechter führt. Genderkompetenz ist dazu in ihren Augen zwingend notwendig. Was aber, wenn ein großer Teil der Bevölkerung nicht bereit ist, sich diese Kompetenz anzueignen und bewusst etwas an den bestehenden Strukturen zu ändern? In Schweden wurden in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche sogenannte Bryt-Projekte in den Schulen und auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt, um ein undoing gender voranzutreiben. Zwar zeigten sich dabei kurzzeitige Erfolge, von langer Dauer oder gar gesellschaftsverändernd waren sie jedoch nicht. Ursache hierfür ist zum einen, dass sich diese Projekte in der Regel nur an Mädchen oder Frauen richteten und ohne parallele Projekte für Jungen und Männer und vor allem ohne gleichzeitige Maßnahmen zur Bewusstmachung und Einstellungsänderung gegenüber dem unterrepräsentierten Geschlecht durchgeführt wurden. Inwiefern dies Probleme für den hier behandelten Kontext aufwirft, soll in der Darstellung der derzeit herrschenden Rahmenbedingungen in Kapitel zwei noch einmal verdeutlicht werden. Dass die Neutralisation von Geschlecht keine einfache Aufgabe ist und zudem auf einem recht instabilen Fundament steht, erkennt auch Hirschauer an. Die Herstellung der Geschlechtsneutralität erfordert nicht nur ein extrem komplexes Handlungsgefüge, sondern ist auch eine äußerst anspruchsvolle und prekäre soziale Konstruktion, die immer wieder durchkreuzt werden kann . Ob und wie die derzeit bestehenden schulischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein undoing gender begünstigen oder durchkreuzen, wird im folgenden Kapitel dargestellt.
Saskia Pagels wurde 1979 in Wismar geboren. Ihr Studium der Skandinavistik, Soziologie und Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin schloss die Autorin im Januar 2009 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium ab. Bereits während des Studiums entwickelte sie ein großes Interesse an Fragen zum geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarkt und den Folgen hinsichtlich unterschiedlicher Möglichkeiten der Geschlechter. Die bereits während des Studiums begonnene Tätigkeit als Seminarleiterin und Ausbildungsberaterin im Bereich der Berufsorientierung mit Jugendlichen motivierte sie, sich intensiver mit dem Thema der schulischen Studien- und Berufsorientierung zu beschäftigen. Die Autorin ist weiterhin im Bereich der Studien- und Berufsorientierung und als Bewerbungscoach tätig.
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