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- Polizei und Fans - ein gestörtes Verhältnis? Eine empirische Untersuchung von gewalttätigem Zuschauerverhalten im deutschen Profifußball
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2009
AuflagenNr.: 1
Seiten: 164
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Gewalt und Fußball stehen seit Jahrzehnten in einer wechselseitigen Beziehung. In Deutschland erreichte das Problem in den 70er und 80er Jahren besondere Brisanz, als verfeindete Hooliganmobs von Bundesligavereinen für zahlreiche Tote und Verletzte verantwortlich waren. Seitdem geht die deutsche Polizei massiv und repressiv gegen gewaltbereite Fußballfans vor. Die Sicherheitsvorkehrungen in und um die Stadien haben sich zuletzt auch im Zuge der WM 2006 massiv weiterentwickelt: Große Polizeipräsenz, Kameraüberwachung, szenekundige Beamte, Polizisten in Zivil, strikte Blocktrennung zwischen den Fanlagern, Fanprojekte und Sicherheitsbeauftragte der Vereine sollen dafür sorgen, dass der mittlerweile zum gesellschaftlichen Event hochstilisierte Profifußball nicht durch gewalttätige Exzesse einzelner instrumentalisiert wird. Doch viele aktive Fußballfans kritisieren diesen enormen Sicherheitsapparat und hinterfragen die Verhältnis- und Rechtmäßigkeit vor allem der polizeilichen Maßnahmen. Dazu häufen sich zusehends Berichte von Fanvereinigungen und Faninitiativen über ungerechtfertigte Stadionverbote, repressive Kontrollen, unrechtmäßige Speicherung von persönlichen Daten und über die Kriminalisierung friedlicher Fans. Es stellt sich die Frage: Treten die Ordnungshüter in gewissen Situationen als zusätzliche Aggressoren auf und verstärkt der Auftritt der Sicherheitskräfte das Feindbild Polizei auch bei nicht gewaltbereiten Fans? Die vorliegende empirisch-soziologische Untersuchung beleuchtet das Verhältnis zwischen Fans und Polizei eingehender. Sie hinterfragt, ob die massive Präsenz und das Vorgehen der Polizei im Rahmen von professionellen Fußballspielen teilweise für Aggressionen und Fangewalt in und um die deutschen Stadien mitverantwortlich sind. Sie will klären, wie es zu einer Eskalation zwischen Fans und Polizeikräften kommen kann. Dabei wird zunächst eine Definition der verschiedenen Zuschauergruppen im Fußballstadion gegeben. Es soll aufgezeigt werden, welche Arten von Fans mittlerweile Gewalt verüben. Da in den letzten Jahren eine Änderung in der Fankultur zu beobachten ist, soll besonders auf die neue Fansubkultur der Ultras eingegangen werden. Im Anschluss werden Theorien und phänomenologische Erklärungsansätze zur Zuschauergewalt behandelt und mit ihnen die Einflussfaktoren und Ursachen aufgezeigt, die aggressive Handlungen bei Fußballspielen bedingen können. Darüber hinaus werden einige empirische Untersuchungen zur Thematik vorgestellt und analysiert, um den Stand der Forschung deutlich zu machen. Eine Analyse von Feldforschung und qualitativer Experteninterviews soll letztlich Aufschluss geben, inwieweit das Verhältnis zwischen Fans und Polizei als gestört bezeichnet werden kann. Dabei werden Präventivmaßnahmen vorgestellt und deren Umsetzung in der realen Welt des sozialen Systems Fußball analysíert, um adäquate Lösungsansätze gegen die Gewalt in deutschen Stadien aufzuzeigen.
Textprobe: Kapitel 5.1.6, Theorie zum polizeilichen Aggressor: Die Reaktionen auf Zuschauergewalt seitens der Polizei sind eindeutig in ihrer polizeilichen Aufgabe mit Gefahrenabwehr und Strafverfolgung definiert. Dass die Polizei diesem Auftrag größtenteils gerecht wird, steht außer Frage. Auch das vieles von dem, was zwischen rivalisierenden Fans geschieht, nach bürgerlichem Recht als Straftat oder Ordnungswidrigkeit angesehen und geahndet werden muss. Allerdings ist festzuhalten, dass polizeiliche Maßnahmen oftmals einer Diskussion und Kritik in Bezug auf situative Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit ausgesetzt sind. Pilz und Gehrmann gehen davon aus, dass Zuschauergewalt hervorgerufen bzw. verstärkt werden könne durch die Art und Umsetzung jener polizeilichen Maßnahmen. Diese hervorgerufene Gewalt richtet sich dann zumeist gegen die Polizei selbst. Grundlegend sind dabei die Beobachtungen von Buford, der in der englischen Hooliganszene vermehrt situative Angriffe von Hooligans, aber auch von Mitgliedern anderer Zuschauergruppen gegen die Polizei schildert. Demnach seien diese gewalttätigen Übergriffe oftmals aufgrund repressiver Maßnahmen der Polizei hervorgerufen worden, z.B. durch Gebrauch von Tränengas, massiver Einsatz von Schlagstöcken und Schusswaffen. Gehrmann beschreibt ähnliche Vorfälle in Deutschland und spricht mitunter von grundlosen oder maßlos überzogenen Einsätzen der Polizei: ‘Zweifellos gibt es sie, die Gewalttäter in Uniform, die nur zufälligerweise auf der Seite des Gesetzes agieren’. Er sieht das Problem aber nicht als eines von persönlichen Unzulänglichkeiten einzelner Beamten, sondern in der strukturellen Vorgehensweise der Ordnungshüter. Speziell nach den tragischen Vorkommnissen im Brüsseler Heysel-Stadion 1985 mit dutzenden Toten, der Tragödie von Bradford und dem Drama von Hillsborough sah sich die Polizei in Europa, auch durch die öffentliche Meinung einer erhöhten Pflichterfüllung bei Fußballspielen ausgesetzt, was in der Folge ihre repressiven Maßnahmen verstärkte: Durchsuchungen von Fanbussen, Begleitung und Beobachtung durch szenekundige und zivile Beamte, Videoüberwachung, Bereitstellen von Wasserwerfern, Einsatz von Gummiknüppeln und Reizgas mehrten die kritischen Töne nicht nur seitens von Fanvereinigungen, sondern auch von Fanforschern. So kritisiert Pilz etwa, dass die verstärkten Kontrollen der Fans im Stadionbereich nicht zu einer Befriedung, sondern nur zu einer Verlagerung der Gewalt an Drittorte, also in weniger stark überwachte und kontrollierte Räume führen. Außerdem führe laut Pilz die starke Kontrolle bei unorganisierten und aktiven Fußballfans mitunter zu einer Verfestigung der Sympathie von gewaltbereiten Gruppen und damit zu einer zusätzlichen Gefahr der Eskalation von Gewalt und Kriminalisierung dieser Fans. Ein Beispiel dafür ist die Absperrung und Abmarschverzögerung ganzer Fanblöcke, die den Unmut auch von generell friedlichen Fans schüren kann und eine Solidarisierung mit gewaltbereiten Zuschauern möglich macht. Pilz spricht dabei von einem sozialen Raum, der von aggressiven Reizen gekennzeichnet ist und die Neigungen zu gewalttätigen Handlungen erhöht. Andererseits bescheinigen Garland und Rowe der polizeilichen Vorgehensweise durchaus eine erfolgreiche Taktik gegen Zuschauergewalt. Jedoch sprechen sie im Zusammenhang mit ‘unorganized hooliganism’ von einer Form von Unordnung, Verwirrung und Regellosigkeit, die offensichtlich weit schwieriger für die Polizei zu überwachen ist und andere durchsetzende Maßnahmen zur Folge haben müsste. Frosdick und Marsh beobachten, dass es neben repressiven Maßnahmen durchaus Anzeichen gebe mehr auf präventive und vorausschauende Maßnahmen zu setzen, wie etwa das aus den Niederlanden stammende ‘friendly but firm policing’, dass eine aggressiv aufgeladene Grundstimmung zwischen Zuschauern und Polizei gar nicht erst aufkommen lassen will, indem die Polizei zwar präsent ist, jedoch mehr im Hintergrund bleibt und im Stadion zumeist einfache Uniformen trägt. Denn in Deutschland löst gerade die Anwesenheit der Polizei in ihren ‘Kampfanzügen’ nicht nur bei Hooligans eine gewisse Aggressivität aus. Diese aggressive Stimmung braucht dann nur einen Auslöser, der die Anwesenheit der Polizei rechtfertigt. In dem Sinne: ‚Wenn wir schon mal da sind, sollen sie ihren Kampf haben’. In diesen Zusammenhang passt auch die Analyse der deutschen ZIS Datei ‘Gewalttäter Sport’, dass je mehr Polizeibeamten im Stadion sind und desto mehr Einsatzstunden abgeleistet werden, umso mehr Festnahmen und Körperverletzungsdelikte sind zu verzeichnen (siehe Kapitel 4.3.3). Wohl hängt dies auch mit dem Legalitätsprinzip zusammen, was den Polizisten verpflichtet, jedes beobachtete – auch noch so kleine – Vergehen zu ahnden. So werden etwa typische zum Fußball gehörige Rituale (die von den beteiligten Fans durchaus anerkannt sind) kriminalisiert, wie z.B. das Entwenden von Schals, Blockfahnen oder anderen Fanutensilien. Weigelt spricht in ihrer Analyse gar davon, ‘dass das Einwirken der Polizei die Gewalt in den Stadien zwar verändert, nicht jedoch verhindert, eher sogar erhöht.’ Sie kommt zu dem Schluss: ‘Die Polizei ist auch ein Verursacher von Gewalt’. Seit Mitte der 80er Jahre ist die Polizei per BVG-Beschluss in seiner Kernbotschaft bei Großdemonstrationen, aber auch beim Aufmarsch gewaltbereiter Fangruppen gesetzlich zur ‘Deeskalation’ verpflichtet. Das BVG spricht von der Pflicht, rechtzeitig Kontakt aufzunehmen, Informationen auszutauschen und vertrauensvoll zu kooperieren. Die Polizei sollte dabei ihre Vorstellungen mit der gegnerischen Seite eruieren und die eigenen Absichten transparent vermitteln. In der Praxis gilt der Deeskalationsbegriff als mehrdeutig, denn es kann nicht von einer Gleichsetzung von Deeskalation auf der einen, und deeskalierenden Maßnahmen auf der anderen Seite ausgegangen werden. So können etwa kommunikative Maßnahmen einen deeskalierenden Effekt für die Situation haben, ebenso wie der Verzicht auf Schutzausrüstung und Bewaffnung auf einer symbolische Ebene vermitteln, dass die Polizei auf einen friedlichen Ausgang der Ereignisse setzt. Ein Garant für Befriedung einer Situation ist dies natürlich nicht. Umgekehrt können strenge Kontrollmaßnahmen, Videoüberwachung oder gar Ingewahrsamnahme zu einer Deeskalierung in dem Sinne der Situation beitragen, dass es zu keiner Gewalt kommt. Deeskalierende Maßnahmen können also mögliche Wege für die Polizei zur Deeskalation sein, das strategische Ziel, die Deeskalation selbst, muss aber damit nicht einhergehen. Laut Polizeipsychologen erfordert die Wirklichkeit von den Polizeibeamten ohnehin eher konfliktmindernde Schadensbegrenzung als konfliktfreie Harmonie zu verströmen. Doch ‘gerade die Polizei muss bisweilen an ihre Zielvorgaben erinnert werden. Sonst wird sie von der harten Wirklichkeit zu sehr gefangen und ist dann nicht mehr weit davon entfernt, in die nächste Eskalation verstrickt zu werden’. Mitte der 90er Jahre kommt es – auch aufgrund von Kritik aus den eigenen Reihen – zu einem Umdenken in der Polizeitaktik. Strikte Überwachung und präventive Maßnahmen werden verstärkt, um bereits im Vorfeld gewalttätige Ausschreitungen zu verhindern. Allerdings sind diese Maßnahmen weniger als Ersatz für repressive Maßnahmen, denn als Erweiterung des polizeilichen Handlungskataloges zu verstehen. Große Präsenz in Kampfanzügen und rasches Eingreifen stehen weiterhin im Kern der polizeilichen Vorgehensweise in deutschen Stadien. Laut Weigelt ist ‘auch heute noch davon auszugehen, dass die Polizei nicht zur Deeskalierung beiträgt, sondern vielmehr ein zusätzlicher Reizfaktor für Hooligans darstellt.
Fabian Friedmann, Studium der Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Soziologie, Medienwissenschaften und Sozialpsychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und der QUT in Brisbane (Australien). Abschluss 2009 als Diplom-Sozialwirt. Derzeit tätig als Freier Journalist und Mitarbeiter u.a. für Nürnberger Zeitung, kicker-Sportmagazin und 11 Freunde.
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