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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Partizipation ist ein großes Schlagwort in der Sozialen Arbeit. Es besteht jedoch eine Forschungslücke hinsichtlich der Beteiligungschancen und -wünsche ausgegrenzter Menschen. Thema dieses Buches ist daher die Partizipation wohnungsloser Menschen. Die Adressat_innengruppe der Wohnungsnotfallhilfe ist gerade durch den Mangel an Teilhabe definiert und es ist somit die Kernaufgabe der Sozialarbeit diese zu fördern und herzustellen. Ziel dieser qualitativen Untersuchung ist es, die Fragen zu beantworten, ob, wie und in welchem Umfang wohnungslose Menschen in welchen Bereichen partizipieren und auf welchen Ebenen und auf welche Art und Weise sie das überhaupt möchten. Dieses Buch gliedert sich in drei Teile. Nachdem theoretische Vorannahmen erläutert wurden, wird im Anschluss das forschungsmethodische Vorgehen dargestellt, um danach die empirischen Ergebnisse der Analyse zu erörtern.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3.2, Partizipation wohnungsloser Menschen: Man kann Partizipationsprozesse damit begründen, dass die Soziale Arbeit eine Menschenrechtsprofession ist und eine Kernaufgabe die Durchsetzung von menschenwürdigen Grundbedürfnissen darstellt. Partizipation wohnungsloser Menschen kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden: Auf der individuellen Ebene kann Beteiligung mithilfe eines Empowerment- bzw. Befähigungsprozesses eine persönliche Entwicklung anstoßen. Auf einer anderen Ebene geht es um aktive Mitgliedschaft in Gruppenprozessen, wie z. B. bei der BBI. Als dritte Ebene können sich wohnungslose Menschen auch an lokalen, regionalen bzw. nationalen/ europäischen Netzwerken beteiligen (vgl. Saurer 2010). Schon im Grundsatzprogramm der BAGW aus dem Jahr 2001 wurde die Selbstorganisation, Selbsthilfe und Partizipation wohnungsloser Menschen thematisiert. Die Unterstützung des Aufbaus von Selbstorganisationen und Interessenvertretungen war erwünscht und es wurde sich für ein kooperatives Zusammenwirken von Professionellen und Betroffenen auf allen Ebenen ausgesprochen. Specht unterscheidet explizit zwischen diesen drei Begrifflichkeiten und versteht unter Partizipation ein institutionelles Arrangement, in dem Betroffene nach einem festgelegten Verfahren innerhalb einer Organisation an Entscheidungen über die Planung und Dienstleistungserbringung beteiligt werden. Selbsthilfe ist nicht mit ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ zu verwechseln, da er diese als selbst organisierte Hilfe sieht, die darauf abzielt gemeinsam mit anderen Betroffenen sich selbst aber auch anderen zu helfen. Selbstorganisation dient nach Specht v. a. einer sozialpolitischen Interessenvertretung der wohnungslosen und ausgegrenzten Menschen (vgl. Specht 2010, S. 58-59). Saurer kritisiert die Partizipationsdefinition von Specht, da sich diese lediglich auf die Beteiligung an Dienstleitungsprozessen bezieht. Nach Saurer ist Partizipation auch Teilhabe am politischen Geschehen, am kulturellen und gesellschaftlichen Leben sowie an übergeordneten Organisationen und Strukturen (vgl. Saurer o. J.). Zuletzt beschäftigte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft in ihrer Position von 2011 mit der Verbesserung der sozialen Integration wohnungsloser Menschen durch eine bürger- und gemeindenahe Wohnungsnotfallhilfeplanung (vgl. BAGW 2011b). ‚Man kann nicht nicht partizipieren‘ stellt auch Szynka zu Beginn seines Aufsatzes fest, da Selbstwerdung nur mit der gleichzeitigen Anerkennung stattfinden kann, dass man Teil eines größeren Ganzen war, ist und wird. Er beruft sich hierbei auf den Theologen Tillich, für den partizipieren bedeutet, Teil von etwas zu sein, von dem man zugleich getrennt ist (vgl. Szynka 2010, S. 41). In der Wohnungsnotfallhilfe hat sich bis heute ein patriarchalisches System erhalten. Die Gruppe der Beschäftigten steht den Adressat_innen gegenüber. Die Partizipationschancen sind ungleich verteilt. Während die Professionellen durch Verbände und Arbeitsgemeinschaften an der Ausgestaltung des Sozialsystems partizipieren, gibt es kaum etwas Vergleichbares für die Betroffenen. Sie partizipieren oft nur über ihre Betreuer_innen, wobei sie als Expert_innen ihrer eigenen Situation gesehen werden sollten, da ihre existenzielle Erfahrung zur Klärung der Problemlage beiträgt (vgl. Szynka 2010, S. 41-42). ‘Sharing the Power – Working Together’ (FEANTSA b o. J., S. 4) war das Motto der europäischen Konferenz der FEANTSA im Jahr 2009. Diese Aussage trifft den Kern der Partizipation von wohnungslosen Menschen sehr gut. Statt einem konstruktiven Miteinander, gibt es nämlich leider oftmals ein Für- und Nebeneinander der Professionellen und Betroffenen. ‘Die Beschäftigten benötigen den Originalton der Betroffenen, um ihre Angebote kundenorientiert zu gestalten und politisch zu verteidigen. Die Betroffenen brauchen die Professionellen, um ihre Notlagen zu überwinden aber auch, um sich und ihre Interessen in die politische Debatte einzubringen.’ (Szynka 2010, S. 42) Professionelle Hilfe sollte sich v. a. im Kontext von Partizipation anwaltschaftlich für die Interessen der Betroffenen einsetzen und ihnen ein Sprachrohr sein, um ihre existenziellen Erfahrungen und die daraus resultierenden Forderungen in die öffentliche Debatte einzubringen (vgl. Szynka 2010, S. 42). Beteiligung setzt Professionelle voraus, die sich den Partizipationsgedanken zu Eigen machen und den Betroffenen den Raum zur Teilhabe ermöglichen. Eine ‚Kultur der Anerkennung‘ führt auf Seiten der Adressat_innen wiederum zu einer ‚Kultur der Verantwortung‘. Partizipation in der Wohnungsnotfallhilfe bedeutet die Mitwirkung der Betroffenen in der eigenen Lebenswelt und darf keinen selbsttherapeutischen Selbstzweck haben, sondern erfordert Eigeninteresse. Die Möglichkeit der Mitentscheidung, z. B. in Form von Versammlungen, ist zu geben und sollte in aktiver Mitgestaltung münden (vgl. Thomas 2010, S. 50-51). Den manchmal gespürten ‚Partizipationsdruck‘, also das ‚Erzwingen‘ von Mitwirkung, gilt es aufzulösen, indem man ein Klima schafft, das auf Beteiligung wohnungsloser Frauen und Männer hinwirkt. ‘Es reicht nicht, den Menschen zu sagen, warum es gut und nützlich ist, ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen, man muss ihnen auch zeigen, wie sie das tun können.’ (Sellner o. J.) Durch eine Partizipationsphilosophie und die Schaffung entsprechender Anreize kann der Wille zur Teilhabe in gewisse Bahnen gelenkt werden. Szynka schlägt als passgenaues Modell für die Organisation von Partizipation das sog. Community Organizing vor. Dieses, aus der aktivierenden Gemeinwesenarbeit stammende, Verfahren umfasst ‘Phasen des intensiven Zuhörens, der gemeinsamen Recherche und der gemeinsamen Problemlösung.’ (Szynka 2010, S. 43) Bei dieser neuen Zusammenarbeit zwischen Professionellen und Betroffenen ergibt sich die Möglichkeit zur Selbsthilfe und zur politischen Artikulation durch die gemeinsame Analyse persönlicher Notlagen (vgl. Szynka 2010, S. 43). Hat eine Institution vor, ein Beteiligungskonzept für wohnungslose Menschen zu implementieren, kann dieses mithilfe des Toolkits der European Federation of National Organisations Working with the Homeless geplant und evaluiert werden. Basis ist, dass sich die Leitung der Institution klar zu der Beteiligung der Adressat_innen ausspricht. Die Wohnungslosenhilfe selbst muss verlangen, dass es verbindlich verpflichtende Beteiligungsstrukturen gibt. Partizipation muss in die Organisation eingebunden werden und es müssen ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Schneider plädiert dafür, dass sich die BAG Wohnungslosenhilfe und alle Mitgliedsorganisationen dazu verpflichten, ‘dass jede Organisation und Einrichtung der Wohnungslosenhilfe regelmässig monatlich 50% aller ihrer frei verfügbaren Spendeneinnahmen an die Wohnungslosenselbsthilfe/ NutzerInnengruppe direkt und unmittelbar weitergibt.’ (Schneider o. J.) Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass das Engagement der Menschen anerkannt und wert geschätzt wird. Des Weiteren sollten die sich beteiligenden wohnungslosen Menschen umgehend Feedback bekommen. Teilhabe erfordert also Kommunikation. Diese kann heute auch preisgünstig über das Internet geschehen. Deshalb sind moderne und leistungsfähige Internetzugänge ohne Reglementierung für wohnungslose Menschen bereit zu stellen – auch mit dem Ziel der Ermöglichung niedrigschwelliger Informationsweitergabe. Gute Beispiele sind hierfür die Portale berber-info.de und sozin.de. Es ist wichtig, dass alle Betroffenen die Chance zur Partizipation bekommen und auch Wohnungslose mit Multiproblemlagen einbezogen werden, denn Jede/ Jeder ist denk-, entscheidungs- und handlungsfähig – wenn auch graduell unterschiedlich vorhanden oder ‚verschüttet‘. Um dies ermöglichen zu können muss eine adäquate Unterstützung in einer angemessenen Sprache ohne Fachbegriffe gestellt werden. Förderung von Teilhabe und Selbsthilfe bedeutet auch, eine Vielfalt von unterschiedlichen Themen, Schwerpunkten, Arbeitsformen und Kulturen zuzulassen und keine Zentraleinrichtung mit Repräsentationsanspruch zu bilden. Verfahrensweisen für die Beteiligung werden von den wohnungslosen Personen selbst festgesetzt, evaluiert und verbessert. In concreto bedeutet dies, dass Zielsetzungen von Anfang an klar definiert und schriftlich niedergelegt werden. Adressat_innen evaluieren den Verlauf und Äußerungen aus ihrer Sicht und helfen mit, das Erlernte zur Anwendung zu bringen. Weiterhin sollten Qualitätsstandards und Verhaltenskodizes für die Zusammenarbeit zwischen Professionellen und Betroffenen vereinbart werden, um so sicherzustellen, dass die Beteiligung effektiv ist und wertgeschätzt wird. Da Teilhabe nicht nur vor Ort in einzelnen Institutionen stattfindet, bedürfen die Selbsthilfestrukturen einer Vernetzung (vgl. FEANTSA a o. J., S. 1-4 Schneider o. J.). Die Betroffeneninitiative ist ein positives Beispiel für erfolgreiche Beteiligung von wohnungslosen und ehemals wohnungslosen Menschen. Zu Beginn der 1990er Jahre entstand in Süddeutschland eine Betroffeneninitiative. Ziel der Vereinsgründung war die Interessenvertretung von wohnungslosen Menschen gegenüber dem Staat, der Sozialarbeit und der Gesellschaft. ‘Das Selbstverständnis der BBI liegt darin, die Entwicklungen in Verbänden und Trägern kritisch zu begleiten und sich dabei immer wieder in Sozialpolitik einzumischen.’ (Lutz Simon 2007, S. 183) Die Betroffeneninitiative informiert die Öffentlichkeit und nimmt Stellung zu sozialpolitischen Themen. Des Weiteren nimmt sie bei Veranstaltungen verschiedener Träger sowie der BAG Wohnungslosenhilfe teil und arbeitet hier auch in Fachausschüssen mit. Daneben nehmen Mitglieder der Betroffeneninitiative am jährlichen Berbertreffen teil und begleiten einzelne Projekte. Lutz und Simon schreiben, dass die BBI inzwischen fester Bestandteil und gleichberechtigter Partner des Hilfesystems ist, was Bünger in seinem Artikel bestätigt (vgl. Lutz Simon 2007, S. 182-184 Bünger o. J.). Da sich die Erwartungen und Bedürfnisse wohnungsloser Menschen gewandelt haben, sind weitere wichtige Ziele der Betroffeneninitiative die Mitbestimmung in Einrichtungen, Menschenrechtspolitik zugunsten sozial Ausgegrenzter und gesellschaftliche Partizipation. Seit der Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft von Betroffeneninitiativen wohnungsloser Menschen in Baden-Württemberg e. V. im Jahr 1999 konnte konsequenter agiert werden. Inzwischen engagieren sich wohnungslose Menschen aus über ein Dutzend Städten aktiv in der Initiative. Bundestagungen, Fachdiskussionen und politische Lobbyarbeit ohne Betroffene sind nicht mehr denkbar, was zu begrüßen ist. Die BBI ist des Weiteren durch die NAK (Nationale Armutskonferenz) und FEANTSA national und europaweit vernetzt (vgl. Bünger o. J.).

Über den Autor

Julia Schlembach ist 1986 in Würzburg geboren. 2012 schloss sie ihr Studium der Sozialen Arbeit erfolgreich mit dem Grad des Master of Arts an der Hochschule Esslingen ab. Julia Schlembach widmete sich stets sowohl praktisch, als auch theoretisch ausgegrenzten Adressat_innengruppen – im Besonderen wohnungslosen Menschen. Sie sammelte vielfältige praktische Erfahrungen im Feld der Wohnungsnotfallhilfe. Theoretisch befasste sie sich zu diesem Sujet u. a. mit Erfolgsbegriffen sowie mit männerspezifischen Hilfen.

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