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- Neue Medien und Beratungsarbeit: Studie zur Nutzung von Webseiten durch Beratungsstellen und Betroffene
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 100
Abb.: 16
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Sexualisierte bzw. geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen ist nachweislich ein bestehendes Problem und Arbeitsfeld in der sozialen Arbeit. In der vorliegenden Studie wird die Relevanz des Internets in der Kommunikation über Webseiten zwischen den Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben und den Beratungsstellen untersucht. Dabei bilden Befragungen beider Gruppen die Grundlage dieser Studie. Den Gegenstand dieser Studie bilden das Nutzungsverhalten und die Erwartungen an eine Webseite aus der Sicht der Betroffenen wie auch aus der Sicht der BeraterInnen.
Textprobe: Kapitel 3.2, Kommunikation im Internet: Als Grundhypothese wird in dieser Studie davon ausgegangen, dass die von Habermas und Schulz von Thun beschriebenen Kommunikationsmodelle auch für die Kommunikation im Internet gelten. Diese Studie soll klären auf welche Weise und mit welchem Ziel das Internet als Kommunikationsknotenpunkt im Kontakt zwischen betroffenen Frauen und den Beratungsstellen dienen kann. Dabei muss zuerst die Frage geklärt werden wie und mit wem betroffene Frauen kommunizieren und was das Ziel dieser Kommunikation für die betroffenen Frauen ist. Kommunikation ist der Austausch oder die Übertragung von Informationen und somit ein wesentlicher Bestandteil bei der Nutzung des Internet. Dabei ist das Internet lediglich ein technisches Hilfsmittel für Kommunikation. Es gibt verschiedene Modelle zur Darstellung der Aspekte einer Kommunikation. Es gibt unterschiedlichen Zugangsweisen zur Beschreibung von Kommunikationsprozessen, welche wiederum zu unterschiedlichen Kommunikationsbegriffen, Kommunikationsmodellen und Kommunikationstheorien führen. Diese umfassen z. B. das ‘Nachrichtenquadrat’ von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun (Schulz von Thun, 1981), welches verschiedene Bedeutungsebenen einer Kommunikation zwischen einem Sender und einen Empfänger betrachtet oder die von Jürgen Habermas entwickelte Theorie der ‘kommunikativen Kompetenz” (TdkH, Bd. I), die ‘Sprechakte” in den Zusammenhang der objektiven, der sozialen und der subjektiven Welt stellt. Das Internet als Kommunikationsmittel wird nun genauer beleuchtet. Dabei gilt: ‘Unter cvK soll [...] jene Kommunikation zusammengefasst werden, bei der aufseiten der Empfänger einer Botschaft ein Computer zur En- und Dekodierung zum Einsatz kommt.’ (Hartmann, 2004). Das netzbasierende Medium Webseite, als Kommunikationsmittel, zeigt die Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation. Diese umfassen verschiedene veränderte Kommunikationsformen, die auch ‘neue Kommunikationsformen’ genannt werden. Diese und ihre Anwendungen realisieren interpersonelle Kommunikation in unterschiedlichen (sozialen) Kontexten. Verschiedene Unterscheidungsdimensionen auf denen die cvK verortet werden kann, zeigen einen Überblick über die Möglichkeiten und Ausformungen der Kommunikation über netzbasierte Medien auf: Die Anzahl und Güte der Sinneskanäle. Es sind verschiedene und vielfältige Sinnesmodalitäten an der jeweiligen Kommunikationsform auditiv und visuell beteiligt. Meist wird die Anzahl und Art der Sinneskanäle durch das Medium bzw. die Kommunikationstechnologie selbst festgelegt. Die Dimension der synchronen (zeitgleichen) vs. der asynchronen (zeitversetzte) Kommunikation. Asynchrone Kommunikation zeichnet sich immer durch die fehlende Möglichkeit eines sofortigen Feedbacks aus. Dazu gehört der Austausch per E-Mail. Nach Kuhn (2001) ist die Kommunikation über eine Webseite, die hier untersucht wird, eine Kommunikation vom Typ Face-to-File (FF) (Typ 2 der Definition nach Kuhn): Bei dieser Form der Kommunikation erfolgt ein einseitiger Informationsaustausch. Beispielsweise erfolgt diese Art der Kommunikation beim Lesen eines Textes auf einer Webseite, ohne dass ein Rückkanal genutzt und Feedback an den Autor bzw. den Autoren gesendet wird. Diese Kommunikation erfolgt ohne prosodische, haptische und soziale Informationen. Außerdem ist diese Art der Kommunikation non-verbal und stark formalisiert. Damit unterscheidet sie sich von der Face-to-Face Kommunikation (Typ 1) (FTF / F2F), die direkt und unmittelbar stattfindet (Chatrooms nach Döring 1999), wie auch von der Face-File-Face Kommunikation (FFF) (Typ 3), bei der Informationen ausgetauscht werden und ein Feedback über einen Rückkanal erfolgt. Blogs oder Foren zählen zu der zuletzt genannten Face-File-Face Kommunikation. Es stellt sich die Frage was die Webseite als webbasiertes Kommunikationsmittel zwischen Betroffenen und Beratungsstellen leisten kann bzw. ob sie überhaupt, in dem untersuchten Kontext, das geeignete Kommunikationsmittel gegenüber anderen Formen der Internetkommunikation ist. Multimedialität sowie die Interaktivität sind allgemein positive Aspekte der computervermittelten Kommunikation. So können Text-, Ton- und Bildelemente in einer Kommunikation relativ schnell zusammengefügt werden und Inhalte veranschaulicht beziehungsweise vermittelt werden. Außerdem sind die Inhalte zeit- und ortsunabhängig abrufbar. Dies könnte in dem untersuchten Zusammenhang dazu führen, dass die Kommunikationsbarriere für hilfesuchende Frauen niedrig ist. Dieser Aspekt ist zentral in der vorliegenden Untersuchung. Die Kommunikationssituation im Internet zeigt verschiedene Besonderheiten auf, die für betroffene Frauen in ihrer speziellen Situation von Vorteil sein könnten. Zu den Besonderheiten gehören vier charakteristischen Eigenschaften, die mehr oder weniger ausgeprägt in den einzelnen Kommunikationssituationen auftreten können (Hartmann, 2004): Die Kommunikationspartner befinden sich nach situativem Kontext mehr oder weniger isoliert voneinander. Es besteht eine Anonymität anderer Personen, denn die Kommunikationspartner (Sender und Empfänger) verfügen über eingeschränktes voneinander. Gleiches gilt für die Identifizierbarkeit der eigenen Person: Inwiefern wissen die Empfänger etwas über die Identität des Senders? Eine Kopräsenz ist in vollem Maße ist nur in Face-to-face-Situationen gegeben, da die Kommunikationspartner die gleiche Umgebung teilen. Bei online-Kontakten hingegen gibt es keine Kopräsenz. Die Kommunikation über eine Webseite hat, wie fast anderen Formen der computervermittelten Kommunikation, den Nachteil, dass sie ohne verbale und nonverbale Verständigungsmittel wie Gestik, Mimik, Stimmlage, Betonung etc. auskommen muss. Somit liegt eines der Probleme der rein text- und computerbasierenden Kommunikation im Nichtvorhandensein des unmittelbaren Hörerrückmeldeverhaltens in Form von Mimik oder auch Gestik, welche im direkten Gesprächskontakt mit z.B. einer Klientin eine wesentliche Rolle einnehmen. Man kann seinen Text bzw. seine Botschaft nicht unmittelbar revidieren oder erklären, außer der Kommunikationspartner würde sein Unverständnis direkt im Antworttext kundgeben. Ein weiteres Problem ist die Entpersonalisierung durch das Internet und die Kommunikation, die nicht mehr Face-to-Face stattfindet. Da sich meine Fragestellungen und Annahmen bezüglich der Relevanz des Internet für die Soziale Arbeit, speziell die Beratungsarbeit an einem Klientel ausrichten, das sich seine Hilfeform aktiv wählt, möchte ich im folgenden zwei theoretische Grundlagen näher ausführen, die sich mit allgemeinen Theorien zur Medienwahl von Nutzern computerbasierender Information und Kommunikation beschäftigen. Die Medienwahl wird durch soziale, situative und personale Faktoren bestimmt. Dabei wirken nicht die technischen Eigenheiten der Medien unmittelbar auf die Medienwahl, sondern diese wird durch die personalen und v.a. sozialen Determinanten beeinflusst (Hartmann, 2004). Das von Reicher, Spears und Lea 1995 entwickelte SIDE-Modell (Social Identity Deindividuation Model) beschäftigt sich mit den Folgen der physischen Isolation und der visuellen Anonymität, die die Kommunikationspartner während der computervermittelten Kommunikation erleben, und ist somit wohl das komplexeste Modell der computervermittelten Kommunikation (Hartmann, 2004). Die soziale und personale Identität sind zentrale und wichtige Konzepte des SIDE-Modells. Die personale Identität ergibt sich aus den individuellen Eigenschaften und deren Bewertung im interpersonellen Vergleich (Hartmann, 2004). Die soziale Identität wird als das Gefühl einer Person verstanden, das sich aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, z.B. Geschlecht, ethnischen Gruppen oder Alters- und Berufsgruppen ergibt. Sie besteht aus verschiedenen Teilidentitäten, da eine Person ja mehreren Gruppen gleichzeitig angehören kann. Diese sind dann nach Situation und Kontext unterschiedlich ‘aktiv’ oder salient (Hartmann, 2004). Die soziale Identität tritt besonders in Situationen zutage, in denen die Deindividuation einer Person betont wird (Hartmann, 2004), wie es in der comuterbasierenden Kommunikation der Fall ist. Das SIDE-Modell wurde entwickelt, um Vorhersagen über die Folgen eben dieser Deindividuation zu machen. Es werden zwei Aspekte unterschieden: Anonymität und Identifizierbarkeit (Hartmann, 2004). In anonymen Situationen ist es schwer oder überhaupt nicht möglich, andere Personen individuell wahrzunehmen. Aufbauend auf die Theorie der sozialen Identität nach Tjfel (1978) und der Selbstkategorisierungstheorie von Turner (1982) wird mit dem SIDE-Modell angenommen, dass Personen sich unter anonymen Situationen normkonformer verhalten als in Situationen, in der sich Individuen gegenseitig identifizieren können. Identifizierbarkeit als zweiter wichtiger Aspekt bezeichnet daher das Wissen einer Person, das andere sie erkennen können. Dabei unterscheidet man das Erkennen durch Gruppen, denen man selbst angehört (Ingroup) und fremden Gruppen (Outgroup) (Boos, 2005, in: Hartmann, 2004). Neben der Unterscheidung zwischen Anonymität und Identifizierbarkeit gliedert sich das SIDE-Modell in zwei Teile: den strategischen und den kognitiven Aspekt (Hartmann, 2004). Im Gegensatz zu den Modellen der rationalen Medienwahl liegt beim Modell der Theorie des sozialen Einflusses (Social influence model: Fulk, Schmitz & Steinfeld 1990) das Hauptaugenmerk auf dem Einfluss sozialer Kontextbedingungen auf die Medienselektion (Hartmann, 2004). Die Einstellung gegenüber verschiedenen Medien ist demnach nicht allein von individuellen Nutzungserfahrungen abhängig, sondern auch von Meinungen, Einstellung und Verhalten anderer Personen. Gruppennormen nehmen hier eine besondere Stellung ein, da sie die Meinungen und Wertvorstellungen des zugehörigen sozialen Kontextes widerspiegeln (Hartmann, 2004). Die Theorie des sozialen Einflusses geht auch davon aus, dass den jeweiligen Verhaltensweisen unterschiedliche Nützlichkeitsbewertungen zugewiesen werden können, die ausschlaggebend für die spätere eigene Medienwahl sind. In empirischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass der soziale Kontext sich stärker auf Nützlichkeitsbewertung auswirkt und die persönliche Erfahrung eher auf die Nutzungsintensität (Hartmann, 2004).
Andrea Paul hat Soziale Arbeit studiert. Mit dem vorliegenden Buch verbindet sie inhaltliche Schwerpunkte der Beratungsarbeit mit von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen mit dem Thema der Neuen Medien, welches zunehmend auch in dem Bereich der sozialen Arbeit an Bedeutung gewinnt. Sie stellt damit ihre Erfahrungen aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und der Gestaltung von dementsprechenden Online- und Printmaterialen in den Zusammenhang mit Erfahrungen aus der Arbeit mit von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen.