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- Migration in literarischen Werken: Identitätsbildung und Fremderfahrung in Texten von Aysel Özakin und Emine Sevgi Özdamar
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Betreten der Fremde wird zur Bedrohung für Existenz und Identität, die Folge: Bodenlosigkeit, Orientierungslosigkeit und - als letzte Konsequenz - Verlust der Heimat und des Selbst. Wer mag sich solchem aussetzen? Gründe und Folgen der Migration bilden ein großes Feld zwischen Identitätsdiffusion und räumlicher Fremde als Erprobungsfeld des Ich . Migration kann sich innerhalb nationaler Grenzen, beispielsweise als klassische Bewegung vom Dorf in die Stadt vollziehen, innerhalb eines begrenzten geografischen Raumes und natürlich auch zwischen Staaten und Kontinenten. Meiner Studie liegt ein weiter Migrationsbegriff zu Grunde. Die Einengung auf dem großen Feld der Wanderbewegungen findet durch die Beschränkung auf literarische Werke statt und durch die klare Eingrenzung innerhalb dieses Feldes auf die Werke zweier türkischstämmiger Autorinnen. Dabei werde ich zeigen, wie die Auseinandersetzung mit der Fremde Wege einer erneuten Beheimatung aufzeigt.
Textprobe: Kapitel 3, Wanderwege: Gleich zwei weibliche Lebensläufe, die sich zwischen Deutschland, der Türkei und der Schweiz entwickeln, bietet die Autorin Aysel Özakin in ihrem Roman Die blaue Maske. In Rückblenden zeigt die Autorin die Entwicklung der beiden Protagonistinnen, die zunächst enge Freundschaft, später tiefe Abneigung verbindet. Die Ich-Erzählerin, deren Name bis zuletzt ungenannt bleibt, wird bei einer Lesereise in Zürich vom Mann ihrer mittlerweile verstorbenen Freundin Dina überraschend angesprochen. Ein vereinbartes Treffen zwischen den beiden findet aufgrund eines Missverständnisses nicht statt und spontan entscheidet sich die Ich-Erzählerin in Zürich zu bleiben, um Nachforschungen über das Leben ihrer Freundin anzustellen, immer von der Hoffnung begleitet, vielleicht zufällig deren Mann erneut zu treffen, der sie persönlich fasziniert und anzieht. In Rückschauen der Ich-Erzählerin entfalten sich die Lebenswege der beiden Frauen in den letzten 20 Jahren. Dina, die aus liberalem Elternhaus stammende junge Autorin, Besitzerin einer Stimme, die eher zu einem amüsierfreudigen jungen Mann als zu einer Frau passen würde und die Ich-Erzählerin, die selbst ihre Kindheit in einem der Tradition und der Religion verhafteten Randviertel verbracht hatte. Von Anfang an stellt Aysel Özakin beide Protagonistinnen vergleichend gegenüber. Daher betrachte ich sie im Rahmen des Identitätskonzeptes von Keupp als jeweilige ‚signifikante Andere’, die damit für die eigene Positionierung und Orientierung eine wichtige Rolle spielen. Um dennoch die Möglichkeit zu haben, die Folgen der Migration für die jeweiligen Protagonistinnen zu untersuchen, werden beide Frauen von mir getrennt voneinander behandelt, wobei der Schwerpunkt bei der Ich-Erzählerin liegt, da sie auch im Roman selbst deutlich im Mittelpunkt steht. Da in beiden Lebensläufen ein mehrfacher Wechsel des Lebensortes statt findet, soll auch die Frage verfolgt werden, welche Formen von Migration stattfinden und inwieweit diese in ähnlicher Weise bewältigt werden. Auch hier lege ich die Betonung auf der Ich-Erzählerin, da die Migrationsproblematik in Bezug auf Dina kaum thematisiert wird. Schwierig ist an diesem Vorgehen, dass Dina nur durch die Erzählungen der Ich-Erzählerin vermittelt wird, also ihr Leben aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet wird. Die Ich-Erzählerin nutzt Dina vor allem als Gegenbild, von dem sie sich mit Formulierungen wie ‚Ich dagegen’ absetzt. Die Ich-Erzählerin: Von der Lehrerin zur Schriftstellerin Aus religiös-konservativem Elternhaus stammend, verdient die Ich-Erzählerin ihren Lebensunterhalt als Lehrerin. Eine innere Unruhe, eine Unzufriedenheit, die sie nicht näher benennen kann, führt zu dem Wunsch, zu schreiben, was von ihrem Mann unterstützt wird. Er stellt sogar den Kontakt zu einem bekannten Dichter in Istanbul her, um seiner Frau, die gerade von ihrer Schwangerschaft erfahren hat, einen Besuch dort zu ermöglichen: Mein Wunsch zu schreiben machte ihm nun keine Angst mehr. Die Schwangerschaft würde den Widerspruch, den ich in mir trug, besiegen. Die Ich-Erzählerin wird in den Strudel des Istanbuler Intellektuellen-Lebens hineingezogen, fasziniert durch Dina, die sie dort kennen lernt und angeregt durch die Debatten und Diskussionen, die man in den Bars und Cafes führt: Das Fernweh, den Wunsch auszubrechen, das war, so glaube ich, ein Gefühl, dass uns alle verband. Auszubrechen aus den als rigide empfundenen Regeln der eigenen Gesellschaft, aber auch ein Ausbrechen im Sinne eines Verlassens des Landes. Özakin gibt dabei ein ausführliches Bild der damaligen Situation der Intellektuellen, verweist auch immer wieder auf statt findende Diskussionen und die sich verschärfende politische Lage. Der Wunsch, Schriftstellerin zu werden ist also Auslöser für das Verlassen des Lebensortes und die Migration nach Istanbul, er ist das vorherrschende Identitätsprojekt, dem alle anderen – wie Ehe und Beruf als Lehrerin - untergeordnet werden. Im Interview mit Wierschke betont Özakin für sich selbst, wie wichtig die Teilidentität ‚Schriftstellerin’ für ihr eigenes Leben ist. Auf die Frage, wie sie sich selbst definiere, antwortet sie: My first definition would be ‚I am a writer’, since I live my life and I experience the world through this medium. Für die Ich-Erzählerin gilt Ähnliches. Durch die Bedeutung, die das Ziel, als Schriftstellerin zu leben und erfolgreich zu sein erhält, treten andere Aspekte in den Hintergrund und es wird verständlich, dass sie gerade in der Gruppe der Intellektuellen und anderer Autoren Anerkennung und Einbettung sucht. Dies wird das Netzwerk, in dem sie ihr Identitätsprojekt verwirklichen kann. Die Akzeptanz als Schriftstellerin wird ihr auch in Deutschland und der Schweiz Halt geben, ihre Freundin Dina, der diese Anerkennung verwehrt wird, wird daran scheitern. Dennoch muss man sagen, dass die Tätigkeit als Schriftstellerin nicht im Mittelpunkt des Romans steht, sondern im Laufe der weiteren Entwicklung in den Hintergrund tritt, dort aber als fester Bezugspunkt bestehen bleibt. Die Ich-Erzählerin ist beim Eintreten in dieses neue Leben in Istanbul schwanger, was sie zunächst für sich behält, denn sie befürchtet, ihre Schwangerschaft könnte eine Besonderheit sein, die meine Gewöhnlichkeit und Provinzialität nur unterstreichen konnte. In der Wahrnehmung der Ich-Erzählerin wird die Schwangerschaft zu einem Makel, was dadurch noch betont wird, dass Dina ihr zu einer Abtreibung rät. Sie trägt das Kind jedoch aus und wird nach der Scheidung von ihrem Mann zur allein erziehenden Mutter. Wenig Raum wird im Roman der geborenen Tochter eingeräumt, auch sie ist eher ein Manko, dass man verstecken muss, ihre Existenz spielt sich in Nebensätzen ab. Was mit ihr geschieht, als die Ich-Erzählerin nach Deutschland migriert, erfährt der Leser nicht. Wierschke weist darauf hin, dass Mutter und Tochter als Sinnbild verstanden werden können: Sie verkörpern die Verpflichtungen der Protagonistin und sind der soziale Hintergrund, den sie auf der Suche nach individualistischer Lebensführung hinter sich lassen muss. Schon in der Einführung der Ich-Erzählerin zeigt sich die Art, wie Özakin ihre Personen positioniert. Es finden sich statische Pole, zwischen denen eine Entscheidung fallen muss, entweder Intellektuellen-Leben oder Provinzialität. Die Ich-Erzählerin fühlt sich zu einer Zuordnung gedrängt. Niemals wird ihr ihre Herkunft offen vorgeworfen, sie darauf angesprochen, doch in ihrer eigenen Wertung ist sie ein Makel, wie im Folgenden noch deutlich werden wird.
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