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- Menschenbildannahmen in Entwicklungstheorien. Zusammenhänge zwischen Menschenbild, Theorieformulierung, Methodenverständnis und der Gestaltung pädagogischer Interaktionsprozesse
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In wissenschaftlichen Theorien sind Menschenbilder konstitutiv für Forschungs- und Theoriebildungsprozesse, für Methodenwahl und Zielgestaltung. Entsprechend sind sie in Entwicklungstheorien ausschlaggebend dafür, wie Entwicklung verstanden und beschrieben wird – ob sie als Reifeprozess betrachtet wird oder sich als Ergebnis von sozialen Lernprozessen ergibt, ob sie vorwiegend kontinuierlich oder diskontinuierlich verläuft. All diese Beschreibungsversuche von menschlicher Entwicklung spiegeln eine bestimmte Grundauffassung über den Menschen wider. Diese Arbeit will durch den Rückgriff auf einschlägige Forschungen die meist nur latent implizierten Menschenbildannahmen offenlegen, um sodann, in einem zweiten Schritt, deren Beziehungen zu Entwicklungsverständnis und pädagogischer Praxisgestaltung deutlich zu machen: Wie hängen Theorieaufbau und Menschenbildannahmen zusammen? Und welchen Einfluss haben derartige paradigmatische Vorannahmen, die das Wesen des Menschen betreffen, auf die Vorstellung und das Verständnis von Entwicklungsabläufen? Nach dem Aufzeigen verschiedenster Systematisierungsmöglichkeiten bestehender Entwicklungstheorien sucht die Autorin in einer abschließenden Betrachtung einen eigenen Standpunkt zu konzeptualisieren und zu begründen.
Textprobe: Kapitel 3. Das mechanistische Paradigma: 3.1. Der Mensch als eine reaktive Maschine : Das mechanistische Paradigma folgt dem Leitbild der Mechanik und orientiert sich an der Metapher der Maschine. Die Welt, das Leben, die Entwicklung – alles hängt auf irgendeine Weise miteinander zusammen und folgt den Gesetzen und Kräften von Ursache-Wirkungsverschachtelungen. MILLER (1993) gebraucht hier treffend den Begriff des Uhrwerkes um die Weltverhältnisse zu beschreiben, die diesem Paradigma zugrunde liegen: Bestimmte Kräfte wirken auf die einzelnen Teile ein und setzten einen Mechanismus in Gang, der die Uhr von einem Zustand in einen anderen überführt. In der Konsequenz wird menschliches Verhalten bzw. menschlich-psychische Funktionen wie Denken, Fühlen, Wollen als Resultat wirkender Ursachen verstanden. Das Erscheinungsbild des Ganzen lässt sich immer auf seine einzelnen (ursächlichen) Komponenten zurückführen (Elementarismus). Wie die Bewegung des Uhrzeigers von dem Funktionieren des Uhrwerkes, und dieses wiederum von der Batterie etc. abhängt, so ist der Organismus im Maschinenmodell auf sich allein gestellt nicht aktiv, sondern allenfalls reaktiv. Der Mensch wird als ein passiver Reizempfänger verstanden, der nach der klassischen S-R-Konzeption (Stimulus-Response) durch bestimmt Reize aus seiner Umwelt zu einem bestimmten Verhalten stimuliert wird. WATSON (1924), der Begründer des Behaviorismus, behauptete einst, dem S-R-Postulat folgend, dass er mit der geeigneten äußeren Umgebung bzw. Beeinflussung aus jedem Mensch nach Belieben einen Rechtsanwalt, einen Verbrecher oder ein Genie machen könne. Eine solche Aussage spiegelt das mechanistisch-kausale Prinzip wieder, dass bestimmte einwirkende Kräfte auch eine bestimmte (und keine andere) Reaktion hervorrufen. Wenn menschliches Verhalten in diesem Sinne dem Prinzip nach vorhersagbar wird, so auch nur, weil wesentliche Aspekte des Menschseins wie Reflexion, Emotionen und Subjektivität verleugnet oder ausgeklammert werden – sprich, geistige Phänomene existieren im mechanistischen Menschenverständnis nicht was zählt ist Materielles, das was beobachtbar, messbar und zählbar ist. Aus einem geistig lebendigen Menschen wird eine menschliche Maschine. Aufgabe des Behavioristen sei es demnach – so WATSON – festzustellen, wofür die menschliche Maschine geeignet ist und brauchbare Vorhersagen über die künftigen Fähigkeiten zu machen, sobald die Gesellschaft solche Informationen benötigt . Wie scheinbar leicht es ist, eine Analogie vom Menschen zur Maschine zu konzipieren zeigt folgendes Zitat von Watson: Was versteht der Behaviorist unter Persönlichkeit? (…) [Wir] wollen versuchen uns den Menschen als eine zusammengesetzte organische Maschine vorzustellen. Was wir damit meinen, ist nicht sehr kompliziert. Nimm vier Räder mit Reifen, Achsen, Differentialgetriebe, Benzinmotor und Karosserie baue sie zusammen und wir haben ein Auto von einem bestimmten Typ. Das Auto ist für eine bestimmte Aufgabe geeignet. (…) In ähnlicher Weise ist dieser Mann, dieses organische Lebewesen, dieser John Doe, der, was die Teile betrifft, aus Kopf, Armen, Händen, Rumpf, Beinen, Füßen, Zehen und Nerven-, Muskel-, Drüsensystem aufgebaut ist (…) für bestimmte Arbeiten geeignet” (Watson 1986, S.266). WATSON ist jedoch nicht der Erste, der eine Gleichsetzung von Mensch und Maschine vollzog. Im neuzeitlichen abendländischen Denken ist diese Art von Relation immer schon präsent gewesen etwa im 18 Jahrhundert durch die Untersuchungen von LAMETTRIE (1709-1751) und D`HOLBACH (1723-1789), welche die anthropologische Maschinentheorie wieder kräftig belebten oder auch schon davor im 16. Jahrhundert bei DESCARTES (1596-1650), der den menschlichen Körper als Apparat begriff, der reflexiv auf sensorische Reize reagiert (davon zu unterscheiden ist sein Geistbegriff res cognitas ). Ein Analogschluss von Maschine und Mensch erweist sich insofern als reizvoll, als die genaue Kenntnis der einzelnen Maschinenteile und das Wissen über deren Konstruktions- und Funktionsmechanismen, es letzten Endes möglich machen, einerseits menschliches Verhalten gezielt vorauszusagen – durch die Rückführung auf bedingende Zustände – andererseits gezielt zu verändern. Das Individuum folgt keinen teleologischen Eigengesetzen, sondern es herrscht der Glaube an die grenzenlose Machbarkeit des Menschen durch den Menschen. Menschliche Individualität bleibt nur noch insofern gewahrt, als jede Maschine unter dem Einfluss einer Reihe besonderer Umstände (Beschaffenheit des Materials, Stabilität der Konstruktion etc.) gebaut worden ist . Die Maschinenmetapher im mechanistischen Paradigma führt noch zu weitaus mehr Analogien wie Additivität , Reduktionismus und Physikalismus (siehe dazu: Herzog, 1984). Insbesondere aber speist sie sich aus einer bestimmten philosophischen erkenntnis-theoretischen Richtung, deren Wurzeln ins 17. Jahrhundert zurückreichen. Im folgenden Teilkapitel wird jene Erkenntnistheorie zu Worte kommen. 3.2. Das ideelle Korrelat des Mechanizismus und die erkenntnistheoretische Position des Empirismus: Die dem mechanistischen Menschenbild entsprechende erkenntnistheoretische Position ist die des Empirismus, nach der alle Erkenntnis und alles Wissen aus der Erfahrung kommt, die dem Menschen nur durch Sinneseindrücke zugänglich wird. Als Hauptvertreter dieser Position gilt der Philosoph JOHN LOCKE (1632-1704), der – indem er das NEWTONsche Modell als Vorbild nahm – das Bild des Menschen als tabula rasa prägte. Von ihm stammt der vielzitierte Satz: Nichts ist im Verstande, was nicht zuvor im Sinneswahrnehmen gewesen wäre. LOCKE sieht den Verstand des Neugeborenen als ein unbeschriebenes Blatt weißes Papier, das erst im Verlauf der Lebens durch Erfahrungen an und mit der Außenwelt beschrieben und geprägt wird. REESE & OEVERTON deuten die Entwicklung der empiristischen Bewegung von LOCKE über MILLS bis hin zu den Behavioristen des 20. Jahrhunderts und den Neobehavioristen als den Versuch, das Modell des reaktiven Organismus mehr und mehr der Logik des mechanistischen Modells vom Universum anzunähern . Metaphysisch drückt sich diese mechanistische Logik vom Universum im sog. Mechanizismus aus, der (körperliche) Naturvorgänge ausschließlich durch Gesetze der Mechanik erklärt. Er steht für all diejenigen Positionen, die sich dem Materiellen als der wahren objektiven Realität verpflichtet sehen und Immaterielles, wie den menschlichen Geist und seinen Willen, nur nach materiellen (also kausalen) Erklärungsmustern akzeptieren (bzw. teilweise völlig negieren). Dazu gehören vor allem alle empirischen, d.h. auf Erfahrung beruhenden Teildisziplinen der Naturwissenschaften, wie Biologie und die Neurowissenschaften, Physik und Chemie – um nur einige zu nennen. Sie alle folgen dem Denkprinzip der Kausalität, das besagt, dass alle Ereignisse einerseits durch Ursachen entstehen, andererseits selbst wieder Bedingung für weitere Ursachen darstellen, wonach alles natürliche Geschehen in einer Reihe geschlossenen Kausalketten stattfindet. Wenn FÄH (1984) für die Biologie die kritische Frage aufstellt, ob Kausalität als Erkenntnisprinzip für die Erklärung von Lebenserscheinungen ausreichend sei, oder ob es nicht noch andere Denkprinzipien gibt, die […] zutreffender sind als das Kausalprinzip – gerade wenn es um den Humanbereich geht – , so stellt sich diese Frage umso dringender für Theorien der Entwicklungspsychologie, die den mechanistischen Prämissen folgen. Die beiden nächsten größeren Kapitel (4. und 5.) werden insbesondere auf diese Frage eine Antwort geben können. 3.3. Theorien bzw. Theoriefamilien: Behaviorismus und soziale Lerntheorien: Sowohl REESE & OVERTON (1979) als auch MILLER (1993) und ECKENSBERGER & KELLER (1998) ordnen die Theoriefamilie der behavioristischen Lerntheorien dem mechanistischen Paradigma zu. Als Begründer des Behaviorismus gilt gemeinhin der amerikanische Psychologe J. B. WATSON, der – unbefriedigt über den Status quo der damaligen Psychologie (introspektive Methode) – 1913 in seinem Artikel Psychology as the Behaviorist views it (auch Behavioristisches Manifest genannt) die Grundleitlinien für eine neue Gegenstandsbeschreibung der Psychologie proklamierte: Psychologie, wie sie der Behaviorist sieht, ist ein vollkommen objektiver, experimenteller Zweig der Naturwissenschaft. Ihr theoretisches Ziel ist die Vorhersage und Kontrolle von Verhalten. Introspektion spielt keine wesentliche Rolle in ihren Methoden, und auch der wissenschaftliche Wert ihrer Daten hängt nicht davon ab, inwieweit sie sich zu einer Interpretation in Bewußtseinsbegriffen eignen. Bei seinem Bemühen, ein einheitliches Schema der Reaktionen von Lebewesen zu gewinnen, erkennt der Behaviorist keine Trennungslinie zwischen Mensch und Tier an. Das Verhalten des Menschen in all seiner Feinheit und Komplexität macht nur einen Teil der behavioristischen Forschungen aus” (Watson 1986, S. 13). Wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand von behavioristischen Lerntheorien ist das objektivierbare Verhalten. Angestrebt wird eine bewusste Vermeidung von interpretativ-spekulativen Ansätzen, wodurch jedoch in der Konsequenz auch zentrale Aspekte des Menschseins wie Motivation, Reflexionsfähigkeit und Subjektivität in den Hintergrund geraten bzw. als nicht wissenschaftlich relevant ausgeklammert werden. Wissenschaftstheoretisch wurde dadurch ein Paradigmenwechsel in der Geschichte der Entwicklungspsychologie eingeläutet: Exogenistische Entwicklungsauffassungen lösten endogenistische (reifungsbezogene) Entwicklungsauffassungen ab, die all die Jahrhunderte zuvor, seit ARISTOTELES’ Entelechie, für die Beschreibung von Entwicklungsvorgängen vorherrschend waren. Als Wegbereiter zu diesem Paradigmenwechsel gelten insbesondere die Forschungsarbeiten des russischen Physiologen IVAN PAWLOW (1849-1936) sowie des amerikanischen Psychologen BURRHUS F. SKINNER (1904-1990). PAWLOW zeigte mit seinem Konzept der Klassischen Konditionierung , dass gewünschte Verhaltensmuster mittels Konditionierung beliebig antrainiert werden können, indem sie mit einem bestimmten Reiz – in Form von Belohnung (positive Sanktion) oder Bestrafung (negative Sanktion) – gekoppelt werden. Dahinter steht die Überzeugung der Behavioristen, dass der Mensch nach den Mechanismen von Belohnung und Bestrafung lernt und sich so in einem beständigen Prägvorgang durch äußere Faktoren befindet. Verhalten ist kein Vorgang der aus Gründen geschieht, Verhalten ist stets ein re-aktives Geschehen mit dem Ziel der Anpassung an die Umwelt. In diesem Sinne lautet der Tenor aller sozialen Lerntheorien, dass jegliche Verhaltensdispositionen, Persönlichkeitsmerkmale oder allgemeine Fähigkeiten sich nicht entwickeln, sondern nur über die Auseinandersetzung mit der sozialen und materiellen Umwelt erworben werden. Konsequenterweise ist für eine Verhaltensänderung dann nur mehr erforderlich, die Umwelt entsprechend zu (ver)ändern. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Behavioristen (als Entwicklungspsychologen der Nachkriegszeit) sich von der Vision leiten ließen, mit ihrem Programm die Gesellschaft von Grund auf zu einem Besseren konditionieren zu können. Im Weiteren wird die behavioristische Theoriefamilie in den Grundzügen ihres Entwicklungsverständnisses dargestellt werden. Im Rahmen dieser Arbeit ist es dabei wichtiger auf allgemeine Gemeinsamkeiten einzugehen, als jede einzelne Theorie mikroskopisch genau beschreiben zu wollen. Zum genaueren Verständnis sei auf einschlägige Texte verwiesen etwa in WAGNER et al. (2009), KELLER (1998), TRAUTNER (1991) oder MILLER (1993).
Rafaela Micaela Schmitt, geboren 1984 in Santander (Spanien), schloss ihr Studium der Erziehungswissenschaft und Evangelischen Theologie im Jahre 2011 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium erfolgreich ab. Bereits hier zeigte sich ihr zentrales Interesse an psychologischen Entwicklungs- und Verstehensprozessen des menschlichen Daseins, welches durch ihr ERASMUS Austauschjahr an der Psychologischen Fakultät von Valencia und dem Erwerb des Masters in Emotionaler Intelligenz an der selbigen Fakultät im Jahre 2016 gefestigt wurde. Heute arbeitet die Autorin als Sekundarstufenlehrerin in Valencia und ist in der Entwicklung von Programmen tätig, die auf die Förderung der emotionalen Intelligenz von Jugendlichen abzielen. Ein grundlegender Arbeitsbereich liegt hierbei in der kollektiven und individuellen Coaching-Arbeit mit Jugendlichen, um sie in der Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls zu unterstützen und ihnen zur Entfaltung ihres vollen Potenzials zu verhelfen.
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