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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Dieses Buch verbindet Medien- und Musikwissenschaften. Es ist ein Diskurs über Veränderungen in der Musik, aufgezeigt anhand verschiedener Medienrevolutionen. In die Analyse fließen aber nicht nur technische, sondern auch institutionelle und kulturelle Faktoren mit ein. In einem medientheoretischen Rahmen beschreibt der Autor wie die Erfindung der Schrift, des Buchdruckes und elektrischer Speichermedien die Musiklandschaft nachhaltig beeinflusst haben. So wurden komplexe Musikstücke erst mit der Erfindung der Schrift möglich, die es erlaubte Musik in Form von Symbolen auf Papier zu speichern . Der Buchdruck sorgte für eine massenhafte und kommerzielle Verbreitung der Notation. Dies führte zu einer Aufwertung des Komponisten und schränkte gleichzeitig den Bereich des Interpreten ein. Der Interpret war nun nicht mehr als ein Handarbeiter. Ein Gefangener der Notation, die ihn zwang das zu spielen, was der Autor des Musikstückes komponiert hat. Noch immer war Musik aber untrennbar mit der Live-Aufführung verbunden. Dies änderte sich mit der Erfindung analoger Speichermedien, wie dem Phonograph oder dem Grammophon. Musik wurde von der traditionellen Live-Aufführung getrennt und konnte sich über lokale Grenzen hinaus ausbreiten. Als Folge davon vermischten sich musikalische Einflüsse und es entstanden neue Genres. Die (vorerst) letzte Medienrevolution stellt das digitale Zeitalter dar. Der Computer als Musikinstrument verändert den Umgang mit Musik und eröffnet völlig neue Kompositionsmöglichkeiten. So konnten bis dahin neue und ungehörte Sounds produziert werden, was sich auch auf die Musikpraxis auswirkt: Viele dieser Sounds können nämlich gar nicht live gespielt werden. Die Wirtschaftlichkeit der Digitaltechnik trägt ebenfalls zu ihrem Siegeszug bei, denn digitale Instrumente sind in der Regel wesentlich billiger. Ironischerweise ist es aber auch die Digitalität, die Plattenfirmen und Labels an den Rand des finanziellen Ruins treibt, denn nie zuvor war das Kopieren und Verbreiten von Musik so einfach. Das bringt uns dazu geltende Copyrights zu überdenken.
Textprobe: Kapitel 3.1, Medien und Technologien: Während Medienwissenschaften die Medien und ihren Begriff in den Fokus nehmen und unterschiedlichste Definitionen liefern, waren Medien für die Musikwissenschaft üblicherweise kein zentrales Thema. Dabei ist Musikgeschichte schon immer technisch beschaffen und ohne Medien nicht denkbar - was nicht heißen soll, dass Musik im Sinne eines technologischen Determinismus monokausal auf Technologien und Medien zurückzuführen ist. Diese Abhängigkeit äußert sich immer wieder in Forderungen nach besseren und technisch ausgefeilteren Instrumenten, die sogar Fragen der Notation, also der medialen Speicherung und Reproduktion, vergleichsweise in den Hintergrund rücken lassen. Betrachtet man die Produktion von Instrumenten im historischen Kontext, treten auch immer Überlegungen auf, wie das Instrument klingen soll und wie man es richtig spielt. Aber auch Fragen nach ökonomischen und technischen Bedingungen für die Herstellung spielen ebenso eine große Rolle. So ist es Innovationen im Instrumentenbau zu verdanken, dass Stücke, die als unspielbar galten - wie einige Klaviersonaten von Beethoven - heute Teil der Aufnahmeprüfung zu einem Musikstudium sind. Musikgeschichte ist also auch immer die Geschichte der Kompositionstechnik und des Instrumentenbaus mit den damit verbundenen handwerklichen Fähigkeiten. Eine Mediendefinition bspw. nach Kittler könnte im Rahmen der Musikwissenschaft schon deshalb nicht greifen, weil die Trias Speichern, Übertragen und Verarbeiten von Informationen das (klassische) Musikinstrument als Medium aus der Betrachtung ausschließt und spätestens seit dem Tod des Menschen auch dieser jenen Status endgültig verloren hat und nur noch als ein Teil eines medialen Gesamtsystems seine Daseinsberechtigung hat. Hier wird die Wichtigkeit einer dynamischen Auffassung der Medientheorie für die Musikwissenschaft nochmal deutlich, denn sie erlaubt es uns, sowohl den Musiker und seine Stimme als auch sein Instrument als ein Medium musikalischer Kommunikation zu betrachten, auch wenn diese Betrachtung aus medienwissenschaftlicher Sicht nicht ganz sauber ist. Für Heinz Burow ist: [d]er Musiker, d.h. der Mensch, […] das komplexeste, vielseitigste und wandlungsfähigste Medium der Musik überhaupt, Ausgangspunkt und Zentrum aller musikalischen Kommunikationsbemühungen in genau dem gleichen Sinn, wie ein Mensch als Empfänger [Hervorhebung durch Vf.] der musikalischen Botschaft Zentrum und Ziel der Bemühung des Musikers ist. Wenn folglich im Rahmen dieser Untersuchung vom Medium die Rede ist, sind nicht nur Technologien zur massenhaften Verbreitung, Speicherung oder Verarbeitung von Inhalten gemeint, sondern auch das Instrument und der Musiker im Sinne des Wortursprungs Medium als Mittel. Unter diesem Gesichtspunkt wäre Musik im weitesten Sinne schon immer medial vermittelt. Mit neuen Medientechnologien ändern sich die Wege dieser Vermittlung jedoch und führen zu weitreichenden Veränderungen im gesamten Feld der Musik. Die Trennung von Medium und Technologie - wie sie im Falle des Musikers als Medium noch notwendig ist - verschwimmt mit den neuen Medien nach und nach, da neue Medientechnologien nicht bloß reine Musikinstrumente sind, sondern auch andere Anwendungsbereiche für sich beanspruchen. Paul Théberge weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Technologien nicht durch Form, sondern durch ihre Nutzungsweise zu Instrumenten werden. Ein Computer ist kein Musikinstrument per se, kann aber durch entsprechende Benutzung zu einem werden. 3.2, Die Notation im Zeitalter der Schrift und des Buchdrucks: 3.2.1, Schrift/Notation: Eine orale Kultur ist eine Kultur des Ohres. Der Mensch existiert im akustischen Raum und hat zur Kommunikation und zur Wissensüberlieferung nur die Sprache. Somit kann Wissensgenerierung und -überlieferung nur im Erfahrungsbereich des Menschen stattfinden, was ihn in gewisser Weise beschränkt. Zur Wissensspeicherung stehen nur mnemotechnische Mittel wie die Wiederholung oder der Reim zur Verfügung, weshalb Komplexität schwer zu erreichen ist. Mit der Schrift jedoch kommt ein neues Mittel zum Einsatz, welches einschneidende Veränderungen nach sich zieht. Die Schrift erlaubt es uns Wissen auszulagern, um es in Form von abstrakten Zeichen zu speichern und bei Bedarf wieder abzurufen. Das Sinnesorgan Ohr büßt zu Gunsten des Auges an Dominanz ein, oder - um es mit McLuhan zu sagen - man bekommt ‘ein Auge für ein Ohr’. Mit dem langen Entwicklungsprozess der Schrift geht auch die ebenso lange Entwicklung der Notation einher und führt zu weitreichenden Veränderungen in Produktion, Distribution und Rezeption von Musik. Durch die schriftliche Fixierung von Musik werden Voraussetzungen für die Reproduktion geschaffen. Der musikalische Ablauf kann angehalten und zurückverfolgt werden und ermöglicht einen Überblick über die sonst so flüchtige und verklingende Kunst. Mit anderen Worten: Die (Linien-) Notation verhält sich zur Musik wie die Schrift zur Sprache. Allgemein kann man die Notation als die zeichenhafte Visualisierung von Klangereignissen bezeichnen. Unsere Gewohnheit, Dinge und Ereignisse mit dem Auge zu erfassen, verdanken wir dem jahrhundertelangen Einfluss des Abendlandes. Zur Speicherung von Daten gab es nur die Schrift und so wurden alle relevanten Daten sprachlicher oder musikalischer Herkunft in Form von Literatur oder Notation in Zeichensystemen festgehalten. Im Kirchengesang werden seit dem neunten Jahrhundert Neumen als eine frühe Form der Notation eingesetzt. Obschon mit Neumen auch Intervallverhältnisse ausgedrückt werden, können sie ein Musikstück nicht präzise fixieren und lassen dem Interpreten einen beachtlichen Spielraum für Improvisationen bei seinen Ausführungen. In Bezug auf die Musikpraxis forderte dieser Umstand eine gewisse Flexibilität der musikalischen Struktur und begünstigte populäre klangliche Traditionen in der Musikentwicklung. Im Verlauf der weiteren Entwicklung sowie durch Innovationen in Musikpraxis und Notation wurde diese Unordnung allmählich beseitigt. Seit dem 14. Jahrhundert gilt traditionelle westliche Musik als eine spezielle Kunstform der Notation. Der Trend ging eindeutig in Richtung polyphoner Musik und verlangte der Notation eine größere Präzision ab. Es scheint kaum zu verwundern, dass etwa um die gleiche Zeit eine bis dahin neue Art von Musiker ihr Debüt feiert - der Komponist. Als Künstler und Genie gefeiert unterscheidet er sich wesentlich vom Interpreten, dem die Notation immer weniger Spielraum für Improvisation lässt. Hatte die Notation vorher noch eine beschreibende (deskriptive) Funktion, so wird sie spätestens mit dem Komponisten vorschreibend (präskriptiv). Musik wird in einer konkreten Form konserviert und zeitliche Abläufe in räumlichen Strukturen festgehalten. Quasi-mathematische Berechnungen einer Komposition und Rationalisierung erheben sich über die individuelle Musikpraxis und folgen einer eher wissenschaftlichen als praktischen Logik. Besonders die konventionelle und bis heute vorherrschende Liniennotation begünstigt diese Logik. Anfang des 18. Jahrhunderts erreichte die Entwicklung der Notation nahezu ihre heutzutage weltweit gültige Form. Zusammen mit dem neuen Status des nun nicht mehr anonymen Komponisten konnte das Symphonieorchester im heutigen Sinne unter der musikalischen und administrativen Kontrolle des Dirigenten entstehen. Die Rolle des ausübenden Musikers wurde auf diese Weise abgewertet: Er war nun nicht mehr als ein Handwerker unter vielen, denn die musikalische Verantwortung oblag jetzt dem Komponisten. Über Relevanz und Signifikanz in der westlichen Musiktradition entschied fortan die Partitur. Natürlich kann eine Partitur den Interpreten nicht zwingen, sich an diese zu halten, aber er ist als professioneller Musiker nicht nur sich selbst, sondern auch zahlreichen sozialen Institutionen verpflichtet, die eine treue Wiedergabe der Notation verlangen. Außerdem stehen Interpreten in einem Konkurrenzverhältnis und sind ersetzbar. Der gebieterische Charakter der Partitur, die den Interpreten nicht nur definiert, sondern auch in seinem Tun begrenzt, provozierte letztendlich eine Trotzreaktion. Etwa zur gleichen Zeit, in der bei Kittlers Aufschreibesystem 1800 der Dichter als autonomes Subjekt gefeiert wurde, begannen Musiker sich als individuelle Meister zu präsentieren, die mit ihren außerordentlichen musikalischen Fähigkeiten dem konventionellen Musizieren Paroli boten. ‘The art of the virtuoso was an art of immediacy, personality, shock and stimulation. It was, in short, everything that notation (and conventional performance) was not.’ Die neue Individualität der Musiker in der Romantik brachte das Star-System der westlichen Musikkultur hervor. Der Musiker wäre aber wohl kaum aus seiner Anonymität jemals ausgebrochen, wenn nicht eine große Medienrevolution den Weg dafür geebnet hätte: Der Buchdruck machte die massenhafte Reproduktion von Kompositionen möglich und weckte kapitalistische Interessen, die auf kommerzielle Verwertung von Musik abzielten. Soziale Umbrüche wie die Entstehung der Mittelklassen und die Etablierung von Handelsstädten in Europa sind ebenfalls als Folgen des Buchdrucks anzusehen. Die Kirche verlor unterdessen an Macht und es fand eine allgemeine Verweltlichung statt, die sich sowohl in Literatur als auch in der Musik äußerte. Mit zunehmendem Handel wurde die Abhängigkeit von feudalen Strukturen und Vetternwirtschaft allmählich durch einen relativ demokratischen Markt ersetzt. So konnte überhaupt erst ein europaweites Bewusstsein für Literatur und musikalische Werke entstehen.
Alex Getmann, geboren 1983 in Temir-Tau (Kasachstan), studierte an der Uni Köln Medienwissenschaften (Diplom) mit den Schwerpunkten Medienmanagement, Medienkulturwissenschaften und Musikethnologie. Darüber hinaus ist er freier Journalist. Neben seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Musikredaktion beim Radio ist er an zahlreichen Reportagen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen beteiligt.
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