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Soziologie

Manfred J. Foerster

Lasten der Vergangenheit: Traditionslinien zum Nationalsozialismus

ISBN: 978-3-95935-526-1

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Produktart: Buch
Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2020
AuflagenNr.: 1
Seiten: 368
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In seinem berühmten Aufsatz Erziehung zur Mündigkeit forderte Theodor W. Adorno, dass die Aufgabe jeglicher Erziehung sei, dass sich Auschwitz und das, was es hervorgebracht hat, nicht wiederhole. Auschwitz war insofern der Endpunkt eines beispiellosen Verfalls von Humanität und Zivilisation. Sich mit den Lasten der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen, die auf nahezu allen Ebenen der menschlichen Gemeinschaft bis auf den heutigen Tag Spuren hinterlassen hat, bedeutet sich mit den bewußten und unbewußten Verankerungen von Erziehung, Tradition und Geisteshaltungen zu befassen. In dem vorliegenden Band werden daher weniger die Inhalte und Strategien nationalsozialistischer Herrschaft dargestellt, sondern vielmehr die unseligen Mentalitäten und Kulturbrüche aufgezeigt, die zu den größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte geführt haben.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1.1. Melancholie und gesellschaftliche Fluchten: Nach Herbert Marcuse besteht der affirmative Charakter der Kultur darin, daß in der bürgerlichen Epoche die Welt des Geistigen als ein selbständiges Reich der Werte, jenseits der Zivilisation, die gesellschaftliche Wirklichkeit überhöht. Ihr entscheidender Beitrag liegt in ihrem Versprechen, eine ewig bessere und wertvollere Welt zu bejahen, die sich vom alltäglichen Daseinskampf unterscheidet, die jedoch, ohne die Tatsächlichkeiten zu verändern, von jedem Individuum, von Innen her, realisiert werden kann. Mit anderen Worten: Es läßt sich demzufolge innerhalb der Kultur leben, ohne in der Welt gegenwärtig zu sein. In diesem Sinne antwortet sie auf die Not des isolierten Einzelnen mit der allgemeinen Menschlichkeit”, die Schönheit der Seele kompensiert das leibliche Elend und die äußere Knechtschaft” erfährt ihre Erlösung durch die innere Freiheit”.1 Während im Dritten Reich die Kultur und ihre Verheißungen für zahlreiche Denker und Künstler der Raum zur inneren Emigration wurde, in dem sie überlebten”, zog sich der bürgerliche Mensch der Romantik in seine innere Welt zurück und fühlte sich vor den äußeren Bedingungen seines entmündigten Daseins geschützt. Insbesondere die Romantik trug mit ihrer melancholischen Grundstimmung alle Merkmale einer Kultur der Innerlichkeit, in der das Subjekt sich in seinen seelischen Refugien behaupten konnte. Hierin lag bereits der Grund einer historischen Fehlentwicklung der Kultur, die in ihrer Substanz ausgehöhlt wurde und somit ein Jahrhundert später den Nationalsozialisten als Fassade ihrer barbarischen Zwecke dienen konnte. Zu den herausragenden Merkmalen deutscher Mentalitäten gehört daher die Romantik, die infolge der Politikabgewandtheit des Bürgertums die psychischen Grundlagen des Obrigkeitsstaates schuf, der in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung eine autoritäre Grundstimmung und das verspätete Demokratiebewußtsein vorantrieb. Vorwiegend in den bürgerlichen Kreisen des frühen 19. Jahrhunderts galt die Romantik als individuelle und kollektive Daseinsorientierung. In gewisser Weise war sie eine Erfindung” des Bürgertums, welches in den deutschen Kleinstaaten vom politischen Leben ausgeschlossen blieb. Mit ihren idealisierten, ins Ästhetische getriebene, überhöhten Bildern, mit der sie die Natur nachempfand, entwarf sie eine Gegenwelt zur Tristesse des gesellschaftlichen Alltages. Indes, so wie die Gesellschaft war auch die Natur nicht das Refugium uneingeschränkter Harmonie und Vollendung irdischen Daseins vielmehr blieb auch sie, wie die Literatur, die sie verklärend beschrieb, nur ein Fluchtraum des Individuellen, fernab von der Wirklichkeit. Jenseits der Sorgen und Nöte des profanen Daseins durchzog die Romantik schon immer ein stetiges Suchen nach einer heilen und ganzheitlichen Welt. In ihr sollte sich die schwärmerische Lethargie und Melancholie eines sich selbst vergessenden und selbstbeklagenden Individuums inmitten einer komplexen Umwelt, als Lebensentwurf äußerster Weltentfremdung verwirklichen lassen. Denn im Grunde waren die Traumwelten und die von den gesellschaftlichen Problemen entleerten Ideen der Romantik nichts anderes, als die unbewußten Schatten tiefster Depression und Melancholie jener Epoche. Im 18. Jahrhundert sprach Wilhelm von Humboldt von der kränkelnden Gemütsstimmung”, die auch in jenem Zeitalter, mehr als in den vorherigen und sogar den Deutschen, mehr als den Auswärtigen, eigen ist. Sie führt dazu, daß im Leben überhaupt das Räsonierende” mehr im Vordergrund steht, als das Handelnde und sich Befreiende”. Rüdiger Safranski sieht in den romantischen Strömungen des 19. Jahrhunderts Feuerwerke triumphierender Subjektivität. Indem die Romantiker tief ins eigene Innere schauten, glaubten sie die großen Weltzusammenhänge und Geheimnisse des Lebens zu enthüllen. Die Abstiege ins eigene Zentrum lassen die Vernunft ins Taumeln geraten, so daß das Bewußtsein zur Phantasie über das Geheimnisvolle und Abgründliche wird. Da sich diese tiefgründigen Impressionen von Weltverständnis und Gesellschaft mit der sprachlichen Rationalität nicht mehr beschreiben lassen, liebt die Romantik die Musik und die Bilderwelten mystifizierender Symbolik, nämlich das Unsagbare”.2 In keinem anderen vergleichbaren Kulturkreis, wie im deutschen, fand die Romantik einen nachhaltigeren Niederschlag, der letztlich alle gesellschaftlichen und privaten Lebensbereiche überformte und sie der politischen Wirklichkeit entzog. Doch der romantische Enthusiasmus ist nicht frei von Angst, und so bildeten die Sehnsucht nach Erlösung durch die Natur und den Tod keinen Widerspruch, wie uns Goethes Werther belehrt. Romantisches Denken und Empfinden umfaßte beides, die zerstörerische, wie auch selbstzerstörerische Potenz der Einbildung, die nach Erlösung und Tod zugleich sucht, Tod durch Erlösung und Erlösung durch Tod, dessen Sehnsucht dahin führt. Indes die Wirklichkeit konnte die Scheinwelten nicht einholen, und somit bleibt das bürgerliche Subjekt in einer unendlichen Einsamkeit sich selbst überlassen. Innerhalb der bürgerlichen und mittelständischen Intelligenzschicht gab es zwar Gedanken und Gefühle, aber nichts was in irgendeinem Sinn zu einer konkreten Aktion führen konnte”. Obgleich das Bürgertum durch den technischen Fortschritt an Selbstbewußtsein gewann, stand doch das unerschütterliche Gefüge der absolutistischen Kleinstaaten Veränderungsbestrebungen entgegen. Folglich waren die bürgerlichen Elemente von jedweder politischen Betätigung ausgeschlossen. Sie durften selbständig denken und schreiben, aber nicht handeln, und der affektuale Elan, mit dem sie ihre literarischen Werke schufen, deckte den Zusammenhang zwischen ihrer politischen Isolation und bürgerlichen Einsamkeit mit den Schwärmereien von Natur und Freiheitsliebe auf, die an der kalten Vernunft vorbei, zum Ausdruck gelangten. Das Bürgertum selbst vermochte sich nicht aus der Herrschaft des Adels und den Demütigungen des Ständestaates zu befreien es suchte einen Ausweg durch die Flucht in die Welt der Märchen mit ihrer archaischen Symbolik und in der sprichwörtlichen Sehnsucht nach der Blauen Blume”.

Über den Autor

Dr. phil. Manfred J. Foerster studierte Soziologie, Psychologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Aachen und an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und promovierte bei Micha Brumlik in Heidelberg über die Analytische Psychologie und Archetypenlehre C.G. Jungs. Außerdem machte er eine Gesangsausbildung als Operntenor in Aachen, Wiesbaden und Mainz. Er leitete über 20 Jahre die Beratungs- und Fortbildungsstelle für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter/innen des Hessischen Strafvollzuges und war als Lehrbeauftragter an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Fachbereich Erziehungswissenschaft, an der Hessischen Justizvollzugsakademie Wiesbaden sowie an der Thüringischen Justizvollzugsschule Suhl-Goldlauter tätig mit den Schwerpunkten: Frühkindliche Bindungserfahrungen und Sozialisation, Ursachen und Auswirkungen von Persönlichkeitsstörungen sowie Persönlichkeitsprofile serieller Sexual- und Gewaltdelikter.

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