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- Kinderschutz und beteiligte Institutionen: Wie gelingt die erfolgreiche Zusammenarbeit?
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Zahlreiche Institutionen müssen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zusammenarbeiten, um einen effektiven Schutz von Kindern gewährleisten zu können. In der Praxis gestalten sich diese Kooperationen nicht immer problemlos. Die Autorin begleitete das Leipziger Netzwerk für Kinderschutz drei Jahre lang auf seinem Weg zur Professionalisierung. In das nun vorliegende Buch flossen sowohl die praktischen Ergebnisse der Evaluation als auch theoretische Aspekte zu den Themen Kindeswohlgefährdung, Frühe Hilfen, Netzwerke und deren Bewertung. Eine Anleitung für Koordinatoren, Beteiligte und all jene, die Interesse an einer erfolgreichen Gestaltung von Arbeitsbeziehungen zeigen.
Textprobe: Kapitel 2.3.2.2, Praktische Erfahrungen: Die Analyse der praktischen Erfahrungen der inzwischen sehr zahlreichen Vernetzungsprojekte führt zu einem ergiebigen Wissensspeicher über Netzwerkarbeit. Die Haupterkenntnis der Sozialraumkoordination in Köln Höhenberg/ Vingst besteht in der Feststellung, dass Netzwerke nur von unten mit aktiver Beteiligung aller entwickelt werden können (Birkle & Hildebrand, 2008). Wurde von Leitungsebene aus versucht, nicht transparente Strukturen zu etablieren, führte dies zu Unzufriedenheit der NetzwerkpartnerInnen und nicht selten zum Abbruch der Kooperationsbeziehungen. Ein ähnliches Ergebnis brachte die Auswertung des Projekts ‘Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren’ (Breuksch & Engelberg, 2008). Zusätzlich wurde hierbei noch die Notwendigkeit der gemeinsam empfundenen Sinnhaftigkeit der Vernetzungsarbeit betont. Dass es wirkungsvoller ist, bestehende Beziehungen auszubauen statt neue Netzwerke zu gründen, zeigte sich sowohl bei dem ‘Netzwerk Frühe Förderung’ (Müller-Brackmann & Selbach, 2008) als auch der ‘Lernenden Region Köln’ (Spieckermann, 2008). Ziegenhain et al. (2010) arbeiten in ihrer Evaluation im Rahmen des bereits erwähnten Modellprojekts ‘Guter Start ins Kinderleben’ folgende Aspekte heraus: Um Missverständnisse zwischen NetzwerkpartnerInnen unterschiedlicher Systeme im Bereich der Frühen Hilfen zu vermeiden, ist es notwendig, sich zunächst die Stärken, aber auch die Schwächen der eigenen Profession zu verdeutlichen. In einem weiteren Schritt müssen diese Erkenntnisse ausgetauscht werden, damit das Handeln bzw. Nichthandeln der anderen korrekt prognostiziert werden kann. Bestehende Vorurteile lassen sich gut durch gemeinsame Erlebnisse wie Fortbildungen verringern, da hierbei emotionale Nähe hergestellt wird, das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung gestärkt und eben jener Wissenstransfer vonstattengehen kann. Weitere ExpertInnengespräche mit VertreterInnen der Kinder- und Jugendhilfe und des Gesundheitswesens förderten folgende Hauptkomponenten einer gelingenden Kooperation zutage: eine verbindliche, vertrauensvolle, wertschätzende Beziehung auf Augenhöhe, fallbezogene Anforderungen wie die Entwicklung gemeinsamer Verfahrensabläufe oder Kommunikationsregeln und die Klärung der Aufgabenverteilung sowie fallübergreifende Aspekte wie die Information über Herangehensweisen, Entscheidungsabläufe, Ziele, Erwartungen und Motivation zur Zusammenarbeit. Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt griff die Forderungen von Bund und Ländern nach Vernetzung der AkteurInnen in sozialen Arbeitsfeldern und deren Qualifizierung auf und führte von 2001 bis 2003 in den Kreisverbänden Bremen, Halle, Hannover und Nürnberg das Modellprojekt ‘Qualitätsentwicklung für lokale Netzwerkarbeit’ durch (AWO Bundesverband e. V., 2004). Die wissenschaftliche Begleitung erfolgte durch das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, das die in den vier unterschiedlichen Projekten gewonnenen Erfahrungen in der Publikation ‘Evaluationskonzept und Analyseraster zur Netzwerkentwicklung’ strukturierte und analysierte. Diese im deutschsprachigen Raum allein stehende ausführliche Grundlagenarbeit ordnet die relevanten Kriterien gemäß der Entwicklungsphasen der Vernetzung den Kategorien Konzept-, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zu (Groß, Holz & Boeckh, 2005). Konzeptqualität: Die Hauptaufgabe in der Konzeptphase besteht in der Vorbereitung der Netzwerkgründung. Je gründlicher diese Vorarbeiten durchgeführt werden, desto erfolgreicher wird die gesamte Vernetzung ausfallen. Neben der Suche nach MitstreiterInnen und der Erstellung eines inhaltlichen Konzepts und Arbeitsplans ist es notwendig, gemeinsam das Anliegen der Netzwerkarbeit zu bestimmen und den Kenntnisstand zur Problemsituation, deren Ursachen sowie erfolgreiche Maßnahmen zur Veränderung zusammenzutragen. Häufig ergibt sich dabei ein Bedarf nach weiterer Qualifizierung, bei der möglichst ansässige Forschungsinstitute und Universitäten einbezogen werden sollten. Ein entscheidendes Erfolgskriterium besteht darüber hinaus in der gemeinsamen Formulierung konkreter Ziele, die zu späteren Zeitpunkten regelmäßige Evaluationen ermöglichen. Neben dieser kooperativen Arbeit ist ebenso die Vorbereitung innerhalb der beteiligten Einrichtungen ein wichtiger Bestandteil. Groß, Holz und Boeckh (2005) empfehlen dazu die Bildung interner Netzwerkgruppen, um ausreichend Kapazitäten zu haben, die eigene Notwendigkeit und Motivation und Erwartungen bezüglich der Netzwerkarbeit zu eruieren und den Wissensstand zu bilanzieren. Zu guter Letzt gilt es eine geeignete Koordinationsperson zu bestimmen, die über ausreichende Organisations- und Kommunikationsfähigkeiten verfügt, da der Erfolg der Arbeit in bedeutendem Maße mit dem Engagement und den Qualitäten dieser zentralen Person in Verbindung steht. Strukturqualität: Die Strukturqualität lässt sich in die Unterkategorien Netzwerkstruktur, Informations- und Kommunikationssystem, Ressourcen und Zielsystem einteilen. Die Netzwerkstruktur muss hierbei die Bedingung erfüllen, alle relevanten AkteurInnen zum Themengebiet in einer gleichberechtigten, überschaubaren, unbürokratischen und effizienten Art und Weise zusammenzuführen. Eindeutig festgelegte Zuständigkeiten sorgen für Transparenz und Verbindlichkeit. Je nach Bedarf sind diese in Vereinbarungen, Verträgen oder der Geschäftsordnung schriftlich zu fixieren. Bei der Verteilung der Aufgaben müssen die unterschiedlichen Kompetenzen und Ressourcen der TeilnehmerInnen kommuniziert und im Blick behalten werden, um potentielle Enttäuschungen zu verhindern. Eine professionelle Koordinationsperson bereitet regelmäßige Treffen vor und nach, überwacht die Einhaltung von Terminen und führt neue NetzwerkpartnerInnen systematisch in die Arbeit ein. Ein gemeinsam erarbeitetes, funktionsfähiges Informations- und Kommunikationssystem ist das Kernstück jeder gelingenden Netzwerkarbeit. Zu Beginn steht die gegenseitige Information über die jeweiligen Möglichkeiten und Bedingungen zur Vernetzung gepaart mit relevanten Aspekten zum Hintergrund der Einrichtung oder der Profession. Für die Netzwerktreffen müssen Kommunikationsregeln ausgehandelt werden, deren Einhaltung von einem/r ModeratorIn überwacht wird. Ebenfalls erforderlich sind gut etablierte Verfahrensweisen zum Informationsfluss zwischen den Treffen, um dauerhaft einen einheitlichen Wissensstand sicherzustellen. Ferner ist ein Krisenmanagement von Bedeutung, in dem vorab geregelt wird, an wen in welcher Form Kritik gerichtet wird und wie damit umgegangen werden soll. Ob sich die ausgearbeitete Konzeption erfolgreich umsetzen lässt oder nicht, hängt zum großen Teil von den zur Verfügung stehenden zeitlichen Ressourcen ab. Neben den finanziellen, technischen und fachlichen Erfordernissen müssen diese in der Planung ausreichend berücksichtigt werden. Die Ausgestaltung des Zielsystems in Leit-, Mittler- und Handlungsziele, wobei letztere die Kriterien spezifisch, messbar, akzeptabel, realistisch und terminiert zu erfüllen haben, ist der letzte Bestandteil der Strukturqualität. Darauf aufbauend kann im Anschluss ein verbindliches Evaluationskonzept entwickelt werden, das fest im Arbeitsplan zu verankern ist, um regelmäßige interne und externe Bilanzierungen zu garantieren. Prozessqualität: Die Bewertung der Prozessqualität schließt sich inhaltlich daran an. In dem Bereich der Umsetzung der Netzwerkstruktur geht es einerseits um die Frage, ob die vereinbarten Aufgaben zuverlässig erfüllt werden, ob weitere verteilt werden müssen und ob Transparenz bei der Entscheidungsfindung besteht. Andererseits ist zu beurteilen, ob die Strukturen flexibel genug sind, um auf veränderte Rahmenbedingungen oder bei aufgetretenen Schwierigkeiten reagieren zu können. Falls ein Bedarf nach weiteren NetzwerkpartnerInnen sichtbar wird, sind sie in dieser Phase zu integrieren. Für eine funktionsfähige Informations- und Kommunikationskultur ist der regelmäßige, strukturierte und gleichberechtigte Informationsaustausch unabdingbar. Mit Konflikten muss angemessen umgegangen werden und Diskussionen sachlich und konstruktiv geführt. Die Öffentlichkeitsarbeit gewinnt an Bedeutung. Hinsichtlich des Ressourceneinsatzes der NetzwerkpartnerInnen gilt es, das verlässliche Einbringen zu beurteilen. Zu diesem Gebiet zählt auch die Einschätzung der Weiterbildungsangebote. Im Bereich der Erfolgskontrolle wird überprüft, ob die Ziele hinreichend bekannt sind, noch angemessen erscheinen oder angepasst werden müssen und ob die Evaluationen wie geplant durchgeführt werden. Ergebnisqualität: Im letzten Abschnitt der Vernetzung gewinnt die Ergebnisqualität an Bedeutung. Dabei wird die Wirkung der Arbeit sowohl auf die geplante Zielgruppe als auch auf die NetzwerkpartnerInnen mit Hilfe geeigneter quantitativer und qualitativer Indikatoren gemessen. Bewertete Veränderungen beziehen sich einerseits auf die Frage, ob die anvisierten Ziele erreicht wurden, andererseits aber auch, zu welchen ungeplanten Nebeneffekten es gekommen ist. Hierbei ist es möglich, dass paradoxe Ergebnisse auftreten so kann Kinderschutzarbeit zur Erhöhung der angezeigten Fälle führen, die durch intensivere Betreuung vermehrt sichtbar werden. Die allgemeine Wirkung der Arbeit auf die NetzwerkpartnerInnen wird vor allem daraufhin beurteilt, ob diese seit Beginn der Zusammenarbeit besser miteinander kommunizieren, eine vereinte Identität geschaffen haben und Konkurrenzdenken verringert werden konnte. Weitere Merkmale gelungener Netzwerkarbeit sind gemeinsam entwickelte Angebote oder die bessere Nutzung vorhandener Ressourcen oder Erschließung neuer Finanzierungsquellen. Die Wirkung auf die Zielgruppe wird, soweit nicht in den spezifischen Zielen des Netzwerks anders definiert, über die Zufriedenheit der Betroffenen mit den Maßnahmen und deren Auswirkungen oder einfacher zu erhebende Kriterien wie gesteigerte TeilnehmerInnenzahlen und geringere Abbruchraten erhoben.
Andrea Englisch, geboren 1977 in Leipzig, arbeitete nach ihrem Studium der Psychologie in verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe. Neben der praktischen Tätigkeit galt ihr Interesse auch stets der wissenschaftlichen Forschung, sodass sie u.a. die beratende Begleitung des Leipziger Netzwerks für Kinderschutz übernahm. Seit 2013 ist sie in ihrer eigenen familientherapeutischen Praxis in Dresden tätig.