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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Braucht die Stadtsoziologie einen Perspektivenwechsel? Hat sich das Erkenntnispotential der traditionellen Stadtforschung erschöpft oder ist gar ihr Erkenntnisgegenstand verloren gegangen angesichts der Tatsache, dass Stadt/Land-Unterschiede zunehmend verschwinden bzw. angesichts einer zunehmenden Verstädterung der Gesellschaft? Die Bemühungen, denen stadtsoziologische Forschungen gelten, zielen darauf ab, gesellschaftliche Entwicklungen zu erklären, welche in der Stadt, die als Spiegel der Gesellschaft begriffen wird, sichtbar werden. Diese Sichtweise unterstellt, dass es im Prinzip keine Rolle spielt, in welcher Stadt gerade ein bestimmtes gesellschaftliches Phänomen untersucht wird. Generell gilt: Es werden Phänomene in der Stadt untersucht. Im Rahmen des noch jungen Forschungsansatzes Eigenlogik der Stadt wird ein anderer Weg vorgeschlagen, der möglicherweise zu einem Paradigmenwechsel in der Stadtsoziologie führt. Dieser Forschungsansatz geht davon aus, dass herkömmliche Bedeutungszuweisungen von der Stadt überholt sind, dagegen werden Städten spezifische Strukturen und Eigenschaften zugesprochen, welche unabhängig von den jeweiligen Akteuren ortsspezifische Handlungsmuster erzeugen. Daher soll nicht mehr in der Stadt, sondern die Stadt selbst untersucht werden. Im Rahmen des Postulats einer Eigenlogik der Stadt sprechen schließlich einige Autoren auch von einem Habitus der Stadt , wobei der Habitusbegriff im Sinne Bourdieus gebraucht wird. Das vorliegende Buch geht der Frage nach, inwieweit Bourdieus Habituskonzept auf städtesoziologische Analysen übertragbar ist bzw. inwieweit man davon sprechen kann, dass Städte über einen Habitus verfügen ohne einem Anthropomorphismus zu verfallen. Bourdieu ging es immer um eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung und die Frage ist, ob diese von ihm immer wieder geforderte kritische Haltung des Sozialwissenschaftlers mit diesem neuen Ansatz nicht vielleicht verloren geht.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.4, Sozialer Raum und Lebensstile: Bei dem von Bourdieu entwickelten Konstrukt des sozialen Raumes handelt es sich um eine ‘abstrakte Darstellung’ (vgl. Bourdieu 1982: 277). Dieser Raum ist statisch und erfasst die Totalität von Positionen. Wie Bollnow unterscheidet auch Bourdieu nach unterschiedlichen Räumen, so stellt er dem sozialen Raum den praktischen Raum der Alltagsexistenz gegenüber und zieht eine Parallele bezüglich des Verhältnisses dieser Räume zu einander : ‘Der hier konstruierte Raum (…) verhält sich zum praktischen Raum der Alltagsexistenz mit seinen Abständen, die man einhält oder markiert, und seinen Nächsten, die ferner sein können als jeder Fremde, wie der geometrische Raum zum hodologischen Raum der Alltagsexistenz mit seinen Lehrstellen und Diskontinuitäten’ (ebd.: 277). Bourdieu vermeidet – bewusst oder unbewusst – den Begriff der Gesellschaft. Der soziale Raum, der aus unterschiedlichen Feldern besteht, kann allerdings der Gesellschaft gleichgesetzt werden. Eine vollständige Aufzählung vorhandener Felder ist nicht möglich, da es unendlich viele Felder gibt bzw. geben kann. Einige bedeutende Felder sind: das Feld der Wirtschaft, das Feld der Politik, das Feld der Künste, das Feld der Wissenschaft. Die Struktur eines Feldes ist bestimmt durch die Verteilungsstruktur der unterschiedlichen Kapitalsorten. Der soziale Raum wird quasi belebt durch das permanente Ringen der Akteure um Positionserhalt oder Positionsveränderung und dabei entstehen wiederum ‘objektiv klassifizierbare Praxisformen’ sowie ‘nicht minder objektive und selbst wieder klassifizierbare Klassifikationsverfahren’(ebd: 277), also Verfahren des Bewertens und Beurteilens. Erzeugungsprinzip beider sozialen Akte, also der gezeigten Praxisformen wie der Klassifikationsverfahren ist laut Bourdieu der Habitus, und in der Dialektik zwischen beiden entsteht ein weiterer Raum: der Raum der Lebensstile bzw. die ‘repräsentierte soziale Welt’ (ebd.: 278). Entwickelt hat Bourdieu das Modell des sozialen Raumes wie das des Raums der Lebensstile in der Auseinandersetzung mit Weber´schen Begriffen Klasse und Stand. Bourdieu betont, dass ‘alle Züge, die Max Weber dem Stand zuschreibt, zur symbolischen Ordnung gehören’ (Bourdieu 1970: 59). Während Klassen sich durch ihre symbolischen Beziehungen zueinander auszeichnen (vgl. ebd.: 57), unterscheiden sich die Stände nach der Art des Konsums und sind ‘weniger durch ein >Haben< als durch ein >Sein< gekennzeichnet’ (ebd.: 59 f.). Hier wird die Nähe zu Bourdieus Terminus des Lebensstils deutlich. Mit dem ‘Sein’ ist nicht das bloße Da-Sein der Ontologie gemeint, auch nicht das ‘Sein’ im Fromm´schen Sinne. Vielmehr sollen symbolische Unterscheidungen zum Ausdruck gebracht werden, welche ‘am deutlichsten die Stellung in der Sozialstruktur symbolisieren’ (ebd.: 60), dazu zählen Sprache und Bildung, aber auch Kleidung und Geschmack. Bourdieu gewinnt seine Erkenntnisse über die unterschiedlichen Lebensstile im sozialen Raum durch Sekundäranalysen von Studien über Freizeit- und Konsum-verhalten, ästhetisches Empfinden, äußere Erscheinung, Moralvorstellungen, Trink- und Essgewohnheiten usw. Auch wenn diese Studien in Frankreich vorgenommen wurden, das typisch Französische ist laut Bourdieu lediglich der empirische Gegenstand, jedoch ist er der Meinung, dass sich ‘hinter der singulären Institution einer bestimmten Gesellschaft die strukturelle Invariante und zugleich die entsprechende Institution in einem anderen Sozialraum ansatzweise erschließen lassen sollten’ (ebd.: 12), denn wer ‘nur ein wenig mit strukturalem Denken vertraut ist, dem dürfte kaum schwerfallen zu begreifen, daß die Selbstetikettierung mit französischen Bezeichnungen (Institut de Beauté, Confiserie, Haute Coiffure, etc.) für die Luxusboutiquen in Frankfurt, München oder Hamburg die gleiche Funktion erfüllt wie englische Ladenschilder (hair-dresser, shirt-maker, interior designer) für die einschlägigen Geschäfte der rue du Faubourg Saint-Honoré’ (ebd.: 12). Tatsächlich ist heute – viele Jahre nach der Veröffentlichung seiner Studien - festzustellen, dass keine eindeutige Zuordnung von (Landes)Sprache und Land existiert. Ein Café de Paris in Saarbrücken will beispielsweise ein Stück französisches Flair vermitteln oder die Nähe zu Frankreich symbolisieren, ein hairdresser in Mannheim will vielleicht demonstrieren, dass die Kunden in seinem Laden die neuesten Trends erwartet. Bourdieu´s Studien verfolgen nicht das Anliegen, lediglich komparative und deskriptive Analysen hervorzubringen. Ihm geht es darum, soziale Ungleichheiten herauszuarbeiten und abzubilden. Die Struktur der Lebensstile und der Präferenzen stehen in einem ‘engen Zusammenhang primär mit dem Ausbildungsgrad, sekundär mit der sozialen Herkunft’ (ebd.: 18), wobei die soziale Herkunft einen maßgeblichen Einfluss auf den Zugang zum Bildungssystem sowie Motivation zu Bildung hat. Dass die soziale Herkunft dennoch lediglich an zweiter Stelle rangiert, hängt vermutlich damit zusammen, dass Bourdieu in jedem Fall das Potential zur Veränderung sieht, dass es also möglich ist, zumindest über den Weg der Ausbildung eine Distanz zur sozialen Herkunft zu schaffen. Die soziale Herkunft oder die Klasse wird nach Bourdieu nicht in erster Linie vom Kapital oder wie bei Marx vom Besitz von Produktionsgütern bestimmt, auch nicht vom Grad der Ausbildung. Es ist für Bourdieu der Geschmack, der sich ‘als bevorzugtes Merkmal von Klasse’ (ebd.: 18) anbietet. Mit Geschmack bezeichnet Bourdieu jenes System der Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata des Habitus, der an Klassenpositionen gebunden ist. Der Geschmack bringt klassifizierbare Praktiken hervor, welche sich im Lebensstil äußern Lebensstile stellen also ‘systematische Produkte des Habitus’ dar (ebd.: 281). Geschmack und Lebensstil ermöglichen einer bestimmten Klasse, sich von einer anderen Klasse zu unterscheiden und somit ist jede Praxis distinktiv, ob bewusst ausgeübt oder nicht: ‘Geschmack klassifiziert – nicht zuletzt den, der die Klassifikationen vornimmt. Die sozialen Subjekte, Klassifizierende, die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren, unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede, die sie zwischen schön und häßlich, fein und vulgär machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdrückt oder verrät.’ (ebd.: 25). Bourdieu unterscheidet drei Geschmacksformen: den ‘legitimen Geschmack’ der oberen Klasse oder der herrschenden Klasse, den ‘prätentiösen Geschmack’ der mittleren Klasse und den ‘populären oder proletarischen Geschmack’ der unteren Klasse. Der jeweilige Geschmack korreliert demzufolge mit einer bestimmten Klasse, und zwar deshalb, weil – wie Bourdieu in seinen Studien zeigt – jede Klasse für sie typische Lebensstile entwickelt. Der legitime Geschmack ist geprägt durch einen ‘Sinn für Distinktion’, wobei ‘der proletarische Lebensstil dem Bürger und vor allem dem Kleinbürger als Negativfolie, als ein Lebensstil, auf den man sich nur bezieht, um sich davon abzusetzen’ (Krais/Gebauer 2002: 39) dient. Dazu gehört auch ‘der Primat der Form über die Funktion’ (Bourdieu 1982), der sich als eine ‘Stilisierung des Lebens’ (ebd.) äußert. Das Distinktionsverhalten der Bourgeoisie oder des Großbürgers kann mit den Adjektiven vornehm, diskret, schlicht bezeichnet werden und zeichnet sich insgesamt durch ein understatement aus (vgl. Bourdieu 1982: 388). Auch das Kleinbürgertum bzw. die Mittelschichten verhalten sich distinktiv, setzen aber dieses Distinktionsverhalten bewusst ein, um sich von den unteren Schichten abzuheben. Darüber hinaus äußert sich dieses Sich-abgrenzen-Wollen in dem Versuch, sich die Vorlieben, Praktiken und Fähigkeiten des Großbürgertums anzueignen und dies mit großem Ehrgeiz und unter erheblichem Aufwand. Gerade diese übertriebene Distinktionsabsicht stößt bei der Bourgoisie auf Ablehnung. Fast schon verächtlich resümiert auch Bourdieu: Die ‘Mittlere Kultur, das ist nichts als die kleinbürgerliche Beziehung zur Kultur’ (ebd.: 513) und bringt damit selbst bewusste Distinktion zum Ausdruck. Die Unterklasse, die sich am Notwendigen orientiert, unternimmt gar nicht erst den Versuch, sich die Praktiken des legitimen Geschmacks anzueignen, im Gegenteil, kritisiert sie jedes Bemühen, das in die Richtung gehen könnte, sich dem legitimen Geschmack anzunähern (‘sowas ist nicht für unsereins’, ebd.: 596). Auch die Unterklasse verhält sich distinktiv, jedoch ist dies vor allem die unbewusste, vulgäre Variante.

Über den Autor

Christel Kohls wurde 1957 in St. Ingbert geboren. Sie arbeitete zunächst als kaufmännische Angestellte und begann 1990 das Studium der Sozialen Arbeit in Saarbrücken, das sie 1994 abschloss. Seit 1995 arbeitet sie als pädagogische Fachkraft in einer Beratungsstelle für wohnungslose Jugendliche und junge Erwachsene. Parallel studierte sie an der Fernuniversität in Hagen Soziologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften. Dieses Studium schloss sie 2014 mit dem Magistra Artium ab. Ganz im Sinne Bourdieu´s geht es der Autorin darum, Sozialwissenschaft, die sich oft als ein reiner Ego-Betrieb ausweist, durch eine theoretische Durchdringung der pädagogischen Praxis zu leben . Für sie ist Soziale Arbeit immer auch Gesellschaftskritik.

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