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- Integration durch (Schul-)Sport: Das denken Schüler mit Migrationshintergrund darüber
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In dieser Untersuchung wird der Frage nachgegangen, ob der (Schul-)Sport die Kraft besitzt die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund in der Sekundarstufe I zu fördern. Mit anderen Worten: Entspricht der Terminus Integration durch (Schul-)Sport der Realität oder ist er dem Reich der Mythen zuzuordnen? Um Antworten auf die Forschungsfrage zu erhalten, werden qualitative Interviews mit vier männlichen Schülern mit Migrationshintergrund durchgeführt, die allesamt in einem Sportverein tätig sind. Durch die Interviews sollen Einblicke in die individuellen Sichtweisen und Einstellungen von jungen Menschen mit Migrationshintergrund zum Thema Integration geschaffen werden. Außerdem sollen die Jugendlichen mit Migrationshintergrund durch die Gespräche die Möglichkeit haben, ihre persönlichen Erfahrungen zum Thema Integration durch (Schul-)Sport zu äußern. Besonders durch diese intimen Einblicke in die Erfahrungswelt der Schüler, soll die Forschungsfrage beantwortet werden. Neben den Einstellungen und Erfahrungen sollen durch die Interviews auch Wünsche zum Vorschein kommen, die die Schüler mit Migrationshintergrund möglicherweise zu diesem Thema haben.
Textprobe: Kapitel 3.3, Integration durch Schulsport: 3.3.1, Chancen und Grenzen: Neben dem Vereinssport wird auch dem Schulsport ein großes integratives Potenzial zugesprochen. Doch welche Chancen hält der Schulsport hinsichtlich einer Integration von Schülern mit Migrationshintergrund bereit? Und wo stößt er an seine Grenzen? Weil der Sportunterricht eine Pflichtveranstaltung darstellt, biete er nach Teubert und Kleindienst-Cachay (vgl. 2010, S. 206) die Chance, Kinder und Jugendliche jeder Nationalität zu erreichen. Im Vergleich zu anderen Fächern könne der Sport Chancen der Begegnung, der Bildung von Freundschaften, der Kooperation sowie der partnerschaftlichen Konfliktaustragung schaffen, wodurch die soziale Integration gefördert werden könne. Gebken und Vosgerau (vgl. 2009, S. 4) sind der Ansicht, dass der Sport eines der wenigen Felder darstellt, in denen sich verschiedene Kulturen und Milieus überhaupt noch begegnen, was zu einer Zusammenführung und Aktivierung der Menschen mit Migrationshintergrund führen könne. Burrmann, Mutz und Zender (vgl. 2011, S. 259) sind zudem der Auffassung, dass der Schulsport besonders für leistungsschwache Schüler mit Migrationshintergrund, die häufig als ‘Bildungsverlierer’ bezeichnet werden, förderlich sein kann. Denn durch den Schulsport könnten Erfolgserlebnisse gemacht werden, die zum Aufbau einer positiven Einstellung zur Schule führen. Eine weitere Chance für die Integration durch Schulsport sehen Volk, Eckhardt und Zulauf (vgl. 2007, S. 140) darin, dass die Schulklassen soziale Systeme bilden, in denen Schüler mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam leben und lernen, was ein Stück Lebenswirklichkeit repräsentiere, wie sie auch außerhalb der Schule in der Gesellschaft vorzufinden sei. Aus diesem Grund biete die Schule, insbesondere der Schulsport, äußerst gute Voraussetzungen für das Erlernen sozialer Kompetenzen (z.B. Kooperationsfähigkeit, Fairnesserziehung, Hilfsbereitschaft), die für die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund förderlich sind. Gebken und Vosgerau (vgl. 2009, S. 4) schauen diesem Aspekt eher kritisch entgegen und meinen, dass durch den Schulsport zwar benachteiligte Schüler in ihre Klasse und Lerngruppe integriert werden können, allerdings habe der Schulsport nicht die Fähigkeit diese Schüler in die Lebenswelt bzw. Gesellschaft zu integrieren. Hierzu seien Kooperationen zu Sportvereinen oder Einrichtungen der Jugendhilfe notwendig. Dennoch gebe es nach Gebken und Vosgerau (vgl. 2009, S. 5) eine Chance, Schülern mit Migrationshintergrund durch den Schulsport grundlegende Elemente für eine erfolgreiche Integration zu vermitteln. Denn eine große Möglichkeit für ein gleichberechtigtes Miteinander sehen sie hinsichtlich der wachsenden ethnischen Heterogenität in Gesellschaft und Schule, in einem Verfügen von interkulturellem Wissen. Dieses Wissen sei wichtig, um ‘eigene und fremdkulturelle Orientierungssysteme besser verstehen und erfolgreich interagieren zu können’ (2009, S. 5). Desweiteren meinen sie, dass interkulturelle Inhalte besonders durch den Schulsport vermittelt werden können. Daraus lässt sich schließen, dass besonders die Dimension der Kulturation durch den Schulsport gefördert werden kann. Auch Gieß-Stüber und Grimminger (vgl. 2007, S. 119) sehen durch die Vielfalt von Bewegungskulturen die Gelegenheit, sich durch den Schulsport selbst zu entdecken, sowie auch Andere als anders wahrzunehmen. Die Vermittlung von interkulturellem Wissen stellt für sie eine Schlüsselkompetenz der Sportlehrkräfte dar. Jedoch wisse der Großteil der Lehrer viel zu wenig über kulturelle Bräuche, religiöse Feste und deren möglichen Auswirkungen auf den Sportunterricht (vgl. Gebken & Vosgerau, 2009, S. 7 Gieß-Stüber & Grimminger, 2007, S. 112 f.). Dieses sei darauf zurückzuführen, dass sich das deutsche Bildungssystem noch nicht an die durch Migrationsbewegungen veränderte Gesellschaft angepasst hat. Die Deutschen Schulen orientieren sich: ‘noch am Bild des nichtgewanderten, einsprachig aufgewachsenen Kindes, dessen Sozialisation in einer als sprachlich und kulturell homogen gedachten Gesellschaft stattfindet’ (Gieß-Stüber & Grimminger, 2007, S. 110). Infolgedessen werden interkulturelle Inhalte in der Aus- und Fortbildung der Lehrer bisher stark vernachlässigt, was zu einer Überforderung der Lehrkräfte im Umgang mit ethnisch heterogenen Klassen führt. Gieß-Stüber und Grimminger (vgl. 2007, S. 111) fordern infolgedessen zu einem Umdenken auf, da interkulturelle Lern- und Bildungsprozesse im Sportunterricht nicht umgesetzt werden können, wenn die Lehrer selbst nicht über interkulturelle Kompetenz verfügen. Eine weitere Chance für die Integration durch Schulsport wird in schulischen Arbeitsgemeinschaften (AGs) gesehen. Durch die Sportarbeitsgemeinschaften lassen sich nach Burrmann, Mutz und Zender besonders Zugänge zu Schülern finden, die aus sozioökonomischen und kulturell benachteiligten Familien kommen. Dieses zeige sich daran, dass vor allem Schüler mit Migrationshintergrund, die niedrige Bildungsgänge besuchen, aus ärmeren Familien stammen und mit ihren Eltern zu Hause nicht die deutsche Sprache sprechen, die Sport-AGs besuchen. Zudem nehmen Schüler mit Migrationshintergrund an schulischen Sport-AGs überproportional häufig teil. Von den Mädchen nehmen 15 Prozent und von den Jungen sogar 30 Prozent an einer Sport-AG teil. Diese Zahlen übertreffen diejenigen der Schüler ohne Migrationshintergrund (vgl. 2009, S. 256). Doch wieso erreichen gerade die Sport-AGs benachteiligte Schüler mit Migrationshintergrund? Als Gründe hierfür ist der Literatur zu entnehmen, dass die Schüler einen kostenlosen Zugang zum Sport erhalten, bei dem es keiner formalen Mitgliedschaft bedarf. Den Schülern stehen hier Sport- und Spielgeräte kostenfrei zur Verfügung. Wenn Kooperationen zwischen der Schule und Sportvereinen vorhanden sind, so können AGs die Schüler schrittweise in den Sportverein führen. Die AG bildet demnach zunächst eine Art Schutzraum, in dem die Schüler Sportarten ausprobieren können, ohne dass sie einem Leistungsdruck ausgesetzt werden, wie dies häufig in Sportvereinen der Fall ist (vgl. Burrmann, Mutz & Zender, 2009, S. 256 Vosgerau, 2009, S. 13). Besonders bei Schülerinnen mit Migrationshintergrund ist nach Vosgerau (vgl. 2009, S. 13 ff.) von großer Bedeutung, dass die Eltern der Institution Schule besonders vertrauen. Sie wissen, dass sie dort gut aufgehoben sind und sich in einem gewohnten Sozialraum bewegen und unterstützen daher die Anfänge der sportlichen Aktivitäten in der Schule eher als im Verein. Desweiteren ist Vosgerau (vgl. ebd.) der Meinung, dass AGs Ziele brauchen. Die Teilnahme an Spielen und Wettkämpfen verändere die AG, indem die Teilnehmer zielorientierter agieren und die eigenen Fähigkeiten verbessern wollen. Auch im Gruppengefüge ändere sich durch die Teilnahme an Turnieren etwas, da dadurch das Wir-Gefühl und der Zusammenhalt der Gruppe gestärkt werden. Dieses führe zu Stolz und stärkt das Selbstbewusstsein der Schüler mit Migrationshintergrund. Trotz dieser den Sport-AGs zugesprochenen Chancen für die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, steht man dem Integrationspotenzial der AG auch kritisch gegenüber. Volk, Eckhardt und Zulauf (vgl. 2007, S. 140) sehen beispielsweise die Teilnahme von Sport-AGs an Wettkämpfen skeptisch entgegen, weil mit sportlichem Wettkampf immer auch Konkurrenzdenken verbunden sei und dieses unerwünschte Verhaltensweisen wie Egoismus, Schummeln oder Foulspielen hervorrufen könne. Auch stellt sich der schrittweise Übergang von der Sport-AG in den Sportverein nach Meinung von Gebken und Vosgerau (vgl. Gebken & Vosgerau, 2009, S. 3 ff.) als schwieriges Unterfangen dar, weil der Schul- und Vereinssport oft isoliert voneinander wirken und nicht miteinander kooperieren. Zudem stellen sie fest, dass Sport-AGs in Schulen häufig zeitgleich zu Förderunterricht der Hauptfächer angeboten wird, so dass leistungsschwache Schüler an Sport-AGs nicht teilnehmen können. Vosgerau (vgl. 2009, S. 6) fasst zusammen und meint, dass die Chancen von Sport-AGs für die Integration sehr wohl vorhanden sind, diese jedoch unterschätzt und kaum genutzt und werden. Dies liege vor allem daran, dass es noch keine inhaltlichen Pläne oder Curricula gibt. Allerdings fehlen nicht nur für Sport-AGs inhaltliche Pläne, um die Integration zu fördern: Obwohl dem Schulsport von der Bildungspolitik neben der Erziehung zum Sport (beinhaltet u.a. Motivation zum lebenslangen Sporttreiben, Vermittlung grundlegender Fähigkeiten, motorischer Fertigkeiten und Kenntnissen) auch der Auftrag einer Erziehung durch Sport (beinhaltet u.a. die Vermittlung sozialer Kompetenzen) zuteilwird, wird in den aktuellen Bildungsstandards für das Fach Sport in der Realschule das Thema Integration oder Interkulturelles Wissen nicht angesprochen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004, S. 138 ff.). Damit das integrative Potenzial des Schulsports genutzt werden kann, muss hier etwas getan werden.
Michael Breckner wurde 1987 in Esslingen am Neckar geboren. Die erste Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen in den Fächern Sport, Mathematik und Biologie schloss der Autor 2012 erfolgreich mit einer Auszeichnung ab. Als Sohn siebenbürgischer Eltern, die Ende der 80er-Jahre nach Deutschland kamen, machte er in der Nähe von Stuttgart schon früh Erfahrungen mit den vielfältigen Problemen eines Kindes mit Migrationshintergrund. Dieses regte ihn mit der Zeit dazu an über das Thema der Integration nachzudenken. Als begeisterter Fußballer spielte er zudem während seiner gesamten Jugend mit Jungen aus vielfältigen Herkunftsländern gemeinsam in einer Mannschaft, was ihn u.a. zu der Frage bewegte: Kann der Sport die Integration fördern?