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- Inklusion in Kanada und Deutschland: Möglichkeiten zur Verbesserung von Inklusion in Deutschland
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Thema Inklusion, der gemeinsame Unterricht aller SchülerInnen, beschäftigt die Lehrerinnen und Lehrer aktuell wie kaum ein anderes Thema. Das von den Vereinten Nationen bereits 2006 verabschiedete Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen , auch: UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) genannt, trat schon im Jahre 2008 in Kraft. Am 24. Februar 2009 wurde die BRK auch von Deutschland ratifiziert und stellt damit einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag für die Bundesregierung dar. Inklusion wurde zwar aufgrund der BRK weiter in den Fokus gerückt, befasst sich aber mit Nichten nur mit dem Recht von Menschen mit Behinderungen auf eine allgemeine Schulbildung, sondern umfasst alle Bereiche des menschlichen Lebens. Inklusion umfasst alle Menschen und kennt daher auch keine Unterscheidungen zwischen Menschen mit Behinderungen und solchen ohne, vielmehr findet überhaupt keine Kategorisierung statt, weder in der Schule, noch in irgendeinem anderen Bereich der Gesellschaft. Am Beispiel von New Brunswick wird deutlich, dass es möglich ist, Inklusion auch auf breiterer Ebene zu verwirklichen. Hier wagte man schon 1986 den Schritt zu einer Schule für alle Kinder und seither wird dort überall gemeinsamer Unterricht angeboten. Im Rest des Landes sieht es aber nicht unbedingt schlechter aus: Alle exeptional children werden in Kanada gemeinsam unterrichtet und bekommen eine individuelle Förderung, genauso wie auch alle anderen SchülerInnen, die Hilfe benötigen, diese bei Bedarf in verschiedenen Einrichtungen innerhalb der Schule bekommen können.
Textprobe: Kapitel 3.3, Migrationspolitik als Schlüsselfaktor? Die Unterschiede zwischen Kanada und Deutschland beginnen bereits auf der Ebene der Integrationspolitik und sind nicht allein auf das Schulsystem beschränkt. Es scheint deutlich, dass diese beiden Elemente nicht voneinander zu trennen sind und sich gegenseitig beeinflussen. Migranten tragen zur Entwicklung der Länder bei und haben demnach auch einen entscheidenden Einfluss auf die Bildungssysteme des jeweiligen Staates, da sich dieser auch besonders in der Schule um die Eingliederung der zugezogenen Bevölkerung in die Gesellschaft kümmern sollte, um eine Ausgrenzung zu vermeiden. Gerade deshalb erscheint es wichtig, im Zuge einer Inklusionsdebatte zu erörtern, welchen Einfluss der Umgang mit Migranten auf das Schulwesen und die gesellschaftliche Offenheit gegenüber Fremden und anderen sozialen Gruppen hat. Der Migranten-Anteil in der Provinz New Brunswick liegt laut STATISTICS CANADA (2007) bei 26.395 Einwohnern, was nur etwa 3,5 % entspricht und somit relativ gering ist. Demnach hätte man in New Brunswick zwar weniger Schwierigkeiten mit der Eingliederung von Einwanderern, dennoch soll hier beleuchtet werden, wie es dazu kommt, dass sich die Kanadier offener gegenüber Inklusion und der Eingliederung von Kindern zeigen, die mindestens sprachliche Defizite bei der Einwanderung aufweisen. Ein nahezu gleicher Prozentsatz von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland und Kanada macht diese beiden Staaten dahingehend besonders gut vergleichbar (STEIN 2011b:150). Nach LÖSER (2010:42f) hat die Integrationspolitik Deutschlands eher assimilierende Ziele und unterscheidet sich damit grundlegend von der kanadischen Politik, die vom Multikulturalismus lebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Deutschland diverse bilaterale Verträge ein, die dazu führten, dass viele südeuropäische Migranten nach Deutschland kamen, um den industriellen Sektor in Deutschland wieder anzukurbeln. Für diese Tätigkeiten waren schulische oder berufliche Qualifikationen nur in geringem Maße erforderlich. Ein Rotationsprinzip sollte verhindern, dass die Migranten auf Dauer sesshaft werden. Trotzdem bekamen viele eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, auch nachdem die aktive Anwerbung 1973 gestoppt wurde (HÖRNER & WERLER 2007:131). Da man aber ursprünglich davon ausgegangen ist, dass es sich nur um einen zeitlich begrenzten Arbeitsaufenthalt handeln würde, wurden wenige Hilfen zur Integration angeboten (LÖSER 2010:43). Der starke Zuzug hielt allerdings nach HÖRNER & WERLER (2007:131) weiter an, was auch durch den politischen Umbruch in Osteuropa weiter begünstigt wurde. In der Summe wanderten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges etwa 20 Millionen Menschen nach Deutschland ein (HÖRNER & WERLER 2007:131). Erst 1998 wurde, LÖSER (2010:43) zufolge, Deutschland vom vermeintlich ethnischkulturellen homogenen Nationalstaat zum Einwanderungsland erklärt, was dazu führen sollte, dass die deutsche Staatsbürgerschaft für Menschen mit anderen kulturellen oder ethnischen Wurzeln nicht mehr nahezu ausgeschlossen war. Zuvor war es kaum möglich den Status des Ausländers abzulegen und hierin liegt auch ein weiterer zentraler Unterschied zum kanadischen Modell. Mittlerweile gibt es in Deutschland zwar strengere Bestimmungen, die bestimmte Arten von Immigranten bevorzugen, aber trotzdem kann aufgrund der EU-Freizügigkeit ein Zuzug aus EU-Staaten im Prinzip nicht verhindert werden (HÖRNER & WERLER 2007:131). Der Kontrast zur kanadischen Politik wird deutlich, wenn man das von Kanada angestrebte Mosaik als Gegenteil von Assimilation betrachtet. Bereits 1988 wurde dies in der Verfassung verankert, womit man sich verfassungsrechtlich zum Multikulturalismus bekannt hat (LÖSER 2010:44), was in vielen kanadischen Publikationen als eine Bereicherung dargestellt wird und entsprechend auch von der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird (LÖSER 2010:46f). Dem kanadischen Konzept der individuellen Förderung liegt eben auch aus genannten Gründen eine ganz andere Lernkultur zugrunde. Die Tatsache der Heterogenität ist so unübersehbar, dass niemand auf den Gedanken käme, Heterogenität herstellen zu wollen. (RATZKI 2008:89) Zwar wird in Kanada immer das gesellschaftliche Mosaik hervorgehoben, allerdings muss man dann auch einen Blick auf die Einwanderungspolitik der kanadischen Regierung werfen. Der Staat wirbt intensiv um Einwanderer und wählt diese nach bestimmten Kriterien aus: Die beiden Migrantentypen skilled workers oder businessclass immigrants werden beispielsweise bevorzugt aufgenommen, was Schulbildung und berufliche Qualifikation der Einwanderer als Auswahlkriterien mehr in den Fokus rückt. Trotzdem kommen natürlich auch Flüchtlinge oder andere Menschen in das Land, die weniger den kanadischen Nützlichkeitskriterien entsprechen (HÖRNER & WERLER 2007:126). Aufgrund dieser Politik kommt das Land zwangsläufig nicht an der Integration von Nicht-Muttersprachlern vorbei, sucht sich aber auch gleichzeitig besonders qualifizierte und entsprechend gebildete Migranten aus. Die ebenso dazugehörige Familie, die möglicherweise Schwierigkeiten beim Erlernen von Englisch oder Französisch hat, bedarf aber trotz allem besonderer Aufmerksamkeit. Hier werden Programme für Erwachsene mit Sprach- und Integrationskursen angeboten (HÖRNER & WERLER 2007:137), um diesen so bei der Integration behilflich zu sein. Es wird zusätzlich auch noch muttersprachlicher Sprachunterricht angeboten und für die Kinder der Einwandererfamilien, die der Landessprache nicht mächtig sind, gibt es in der Schule die sogenannten Resource Center, die sich um deren Bedürfnisse kümmern und dazu beitragen, dass diese Kinder schnellstmöglich am normalen Schulalltag teilnehmen können. 80 Prozent der Kinder kommen aus eingewanderten Familien, sie sind vom ersten Tag im Kindergarten dabei. Ihre Sprachfähigkeit […] zu entwickeln, gehört schon zum Auftrag des Kindergartens. Aber dieser Auftrag endet nie und wird in Grundschule und High School weitergeführt (RATZKI 2008:89). Die SchülerInnen haben in Kanada insgesamt mehr als zehn Jahre Zeit sich zu entwickeln, ehe sie sich entscheiden müssen, welchen Bildungsweg sie gehen möchten (RATZKI 2008:90). In dieser Zeit können Lernprobleme erkannt und gezielt gefördert werden, wie RATZKI beschreibt. Demnach gehen auch alle SchülerInnen nach der achtjährigen Grundschule ohne Abschlussprüfung in die High School über, welche dann nochmal vier Jahre dauert. Erst hier wählen die Lernenden aus verschiedenen Kursen aus, um ihre Stärken möglichst gut einbringen zu können. Die Sozialstruktur der Immigranten in Kanada ist eher mittelschichtsorientiert (viele mittlere und höhere Bildungsabschlüsse). Arbeitsmigranten in Deutschland sind meist ohne Ausbildung und kommen aus sozial schwachen Schichten. (HÖRNER & WERLER 2007:137) Nach HÖRNER & WERLER (2007:136f) führt dies dazu, dass in Kanada weniger Assimilationsdruck auf die Migranten ausgeübt wird, da sie in der Gesellschaft akzeptierter sind und aufgrund ihrer politischen Rechte auch die Gestaltung des Landes beeinflussen können. In Deutschland werde den Einwanderern demzufolge nur wenig politische Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt, was auch zur Folge haben könnte, dass man sich weniger mit der neuen Heimat identifiziert und gegebenenfalls geringeres Interesse an der Teilhabe in der Gesellschaft hat. Das Gegenteil ist in Kanada der Fall: Die Politik der Multikulturalität wurde durch die Tatsache stimuliert, dass die Migranten – die in der Regel nach drei Jahren die kanadische Staatsbürgerschaft erwerben können – ein beachtliches Wählerpotential darstellen. (HÖRNER & WERLER 2007:123) Den Parteien bleibt demnach keine andere Wahl, als sich offen gegenüber allen Ethnien und sozialen Gruppen zu zeigen, wenn man politische Erfolge erzielen möchte. In Kanada ist es daher auch das Ziel, den Migranten eine kanadische Identität zu geben und dabei trotzdem nicht die eigene Herkunft zu verleugnen. Diese soll sogar noch gefestigt werden, was sich nach HÖRNER & WERLER (2007:137) dann in Schulbindung und Lernbereitschaft manifestieren würde. So wird zum Beispiel Englisch als Zweitsprache und zusätzlicher muttersprachlicher Unterricht für Migranten in den Schulen angeboten. Kritisch betrachten HÖRNER & WERLER aber die Entwicklung, dass den aboriginal languages zunehmend weniger Raum eingeräumt wird und diese durch die vielen Angebote an anderen Sprachen, der sogenannten heritage languages, zu verschwinden drohen (2007:123). Man kann hier die deutlich unterschiedliche Ausrichtung in Ausländerfragen zwischen Kanada und Deutschland erkennen. Während Deutschland sich scheinbar mit der Integration von Migranten schwer tut, wählt Kanada den offensiveren Weg und versucht ihnen entgegenzukommen. Es wird versucht, die Migranten in das System mit einzubeziehen und Multikulturaliät als positives Attribut zu verkaufen. In Kanada erlaubt eine vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquote, eine relativ problemarme wirtschaftliche Eingliederung der (ausgesuchten) Migranten . In Deutschland hingegen bringt vor allem die schwache Binnenkonjunktur eine hohe Arbeitslosigkeit mit sich, die sich an einigen ihrer Brennpunkten in Aversionen gegenüber Fremden niederschlägt (HÖRNER & WERLER 2007:136). Es ist wohl unbestritten, dass die gezielte Vorauswahl der Einwanderer einen Effekt auf den Unterricht hat. Dennoch liegt der Unterschied zwischen der Offenheit gegenüber Inklusion in Kanada im Gegensatz zu Deutschland an der gesamtgesellschaftlichen Einstellung gegenüber anderen Kulturen und sozialen Gruppen. Die multikulturelle Gesellschaft Kanadas und das damit verbundene bessere Management von Diversität wird dabei als Schlüssel für den Erfolg des kanadischen Systems charakterisiert (STEIN 2011b:151). Für die kanadische Bevölkerung ergibt sich so ein positiver und gleichsam selbstverständlicher Umgang unter anderem mit verschiedensten Kulturen, Sprachen und Religionen, was wohl seinen Ursprung, wie bereits in Kapitel 3.1. ausführlicher behandelt, in der Geschichte des Landes hat: Der Umgang mit unterschiedlichen Interessen [ist] ein konstituierendes Element der kanadischen Nationenbildung […]! (STEIN 2011b:151).