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- „Ich wär so gern mal wieder richtig unbeschwert!“ Die Lebenssituation von Frauen als Partnerinnen von Männern mit Multipler Sklerose
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 12.2020
AuflagenNr.: 1
Seiten: 144
Abb.: 9
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Den Partner*innen von chronisch kranken Menschen wird in der Literatur erst in jüngerer Zeit Beachtung entgegengebracht, denn es wurde lange übersehen, welche großen Veränderungen auch für sie von der Erkrankung ausgehen. Häufig wurden sie lediglich als Quelle sozialer Unterstützung für ihre chronisch kranken Partner*innen angesehen und es wurde nicht beachtet, dass sie tagtäglich hohen körperlichen wie psychischen Anforderungen ausgesetzt sind. Deutschland ist eins der Hochrisikogebiete von Multipler Sklerose (MS), über 200.000 Menschen sind hier von der Krankheit betroffen. Es existieren zahlreiche Erlebnisberichte von an MS erkrankten Personen sowie wissenschaftliche Arbeiten über die Lebenssituation der Betroffenen. Über die Auswirkungen der Erkrankung auf das Leben der Partner*innen von Menschen mit MS gibt es bisher nur wenige Veröffentlichungen. Insbesondere zu der Lebenssituation von Frauen als Partnerinnen von Männern mit MS liegt bisher keine Forschung vor. Diese Untersuchung ermöglicht einen Einblick in die Lebensrealität der Partnerinnen von Männern mit MS und die Auswirkungen der Erkrankung auf ihren Alltag. Es wird aufgezeigt, welche Bewältigungsstrategien die Partnerinnen nutzen, um die weitreichenden Veränderungen in ihrem Leben zu verarbeiten sowie welchen Einfluss die Erkrankung ihres Partners auf ihre Gesundheit und Sexualität hat.
Textprobe: Kapitel 4.3.5 Partnerinnen und soziale Unterstützung: Soziale Unterstützung, auch social support genannt, ist moralische Unterstützung wie auch instrumentelle Hilfe, die in alltäglichen Beziehungen und Interaktionen zumeist von Frauen gespendet wird. Der Empfang von sozialer Unterstützung ist bereits als wichtiger gesundheits- und lebenserhaltender Puffer gegen Stress erkannt worden. Er kann obendrein das Auftreten von belasteten Situationen senken und die Fähigkeit des Empfängers stärken mit belasteten Situationen umzugehen (Bründel & Hurrelmann 1999, 141f.). Während der Wert des Erhaltens sozialer Unterstützung nachgewiesen wurde, sind die Folgen des Bereitstellens, besonders die massiven Gesundheitsfolgen für Frauen, eher weniger erforscht. Weibliche Arbeitskräfte sind, wie bereits erwähnt, häufig in Berufen anzutreffen, welche die gleiche Art der Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse anderer fordern, wie sie Frauen bereits in der Familie bereitstellen. Doch Berufe, in denen Unterstützung für andere geleistet wird, gerade pflegerische Berufe, sind schlecht bezahlt und prestigelos, obwohl sie emotional fordernd sind und die Pflegenden großem Stress ausgesetzt werden. Und gerade die Verbindung von Verantwortlichkeiten im Beruf und in der Familie, also die geforderte Aufmerksamkeit ihrer bezahlten und unbezahlten Arbeit, verlangt von den Frauen die Bereitstellung eines hohen Maßes an sozialer Unterstützung. Die Anforderungen an die weibliche Rolle sind so wesentlich komplexer, weshalb sie unter mehr psychischen Belastungen leiden als Männer und sich daher mehr Unterstützung verschaffen müssen. Die soziale Unterstützung, die sie bekommen, ist jedoch nicht genug, um ihre Beschwerden wirklich zu lindern (Belle 1990, 36ff.). Sie suchen sich deswegen Hilfe und Unterstützung auch außerhalb der Partnerschaft und Familie, besonders von anderen Frauen. Männer brauchen weniger soziale Unterstützung, da sie die weniger überfordernden und sozial angeseheneren Rollen übernehmen. Sie beschränken ihren Hilferahmen auf die Kernfamilie und reagieren im Gegensatz zu Frauen, die Hilfeleistungen von sich aus anbieten, eher auf Nachfrage hin mit sozialer Unterstützung. Männer haben daneben eher kleinere soziale Netzwerke als Frauen, die eher unpersönlicher Natur sind und nicht dafür geeignet, sich Unterstützung holen zu können. Generell vertrauen sich Männer selten anderen Männern an. Männer suchen soziale Unterstützung zumeist nur bei der Partnerin und sie bitten zudem mehr um soziale Unterstützung als Frauen. Diese wenden sich in Stresssituationen eher an Frauen für emotionale Unterstützung und Verständnis als an ihre eigenen Ehemänner. Frauen sind oft nicht zufrieden mit der sozialen Unterstützung, die sie von ihren männlichen Partnern bekommen und enttäuscht darüber, dass sie von ihren Ehemännern nicht so viel Unterstützung erhalten, wie diese leisten könnten. Zusätzlich ist eine weitere Quelle von sozialem Stress der Fakt, dass sie Belastungen von ihnen nahestehenden Personen stärker als eigenen Stress erleben. Dies kann ihr Gefühl von Belastetsein steigern und einen ungünstigen Einfluss auf ihre Gesundheit haben (Nestmann/Schmerl 1990, 20f.). Das Geschlechterparadox in der sozialen Unterstützungs-Forschung zeigt, dass Frauen Männern mehr soziale Unterstützung geben als sie selbst von ihnen bekommen. Durch die Ungleichheit im partnerschaftlichen Unterstützungsprozess wird sichtbar, dass männliche Partner zur potenziellen Stressquelle für ihre Partnerinnen werden können. Zusätzlich helfen Frauen im Alltag der Familie und sind unentbehrlich, was die Pflege von kranken Familienmitgliedern betrifft. Das Gesundheitssystem würde zusammenbrechen, wenn es die unentgeltlichen Dienste der Frauen, dem dominierenden alltäglichen Hilfereservoir (Bründel & Hurrelmann 1999, 143) nicht geben würde. Männer nutzen diese Unterstützungsquelle reichlich ohne aber dafür entsprechende Gegenleistungen zu geben. So sind die männlichen Partner bei schweren Erkrankungen ihrer Frauen nur selten eine wirkliche Hilfe und lassen sie einen Großteil allein durchstehen. Männer weisen ihre Partnerinnen zudem häufiger in ein Pflegeheim ein, weil ihnen die Übernahme der Versorger- und Pflegerrolle schwerer fällt (ebd., 141ff.). Außerdem haben pflegende Ehemänner den Vorteil, dass sie insgesamt mehr soziale Unterstützung bekommen, weil ihre Pflegeleistungen nicht als selbstverständlich angenommen werden, während für pflegende Frauen die Erwartung ihren Mann bis zur eigenen Aufopferung zu pflegen viel höher ist (Hoefer 1995, 88ff.). Allgemein bietet die Ehe einen größeren Schutz für die Ehemänner. Verheiratete Männer haben eine bessere Gesundheit als alleinlebende Männer, ernähren sich besser und verüben weniger Selbstmorde. Ehefrauen dagegen profitieren gesundheitlich nicht von der Ehe, da sie hohe familiäre Arbeitsanforderungen bewältigen, hohe psychische Belastungen erleiden, die Kinderversorgung leisten und nur wenig Unterstützung von ihren Ehemännern erhalten (Bründel & Hurrelmann 1999, 143). Soziale Unterstützung für den Ehemann und die Kinder zu geben und gleichzeitig nur gelegentliche Unterstützung zurück zu bekommen, kann zu Frustration führen und die Ehefrau und Mutter ist einem größeren Risiko von Demoralisierung und Depression ausgesetzt, wenn sie nicht genug soziale Unterstützung zurückerhält. Insgesamt wird dem Geben von sozialer Unterstützung, trotz seines effektiven Schutzes vor Stress, keine Anerkennung entgegengebracht, weil soziale Unterstützung immer noch als minderwertige Sache angesehen und somit außerdem das Ansehen der damit befassten Frauen herabgesetzt wird (Belle 1990, 39ff.).
Laura Retznik, geboren 1982, absolvierte 2009 ihr Studium der Erziehungswissenschaft und Amerikanistik (M.A., Leipzig) sowie 2015 ihr Studium der Angewandten Sexualwissenschaft (M.A., Merseburg). Sie war in verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit tätig und ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Universität.
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