- Sie befinden sich:
- Fachbücher
- »
- Politik & Gesellschaft - Unsere Neuheiten
- »
- Soziologie
- »
- Gewalthandlungen bei Mädchen: Wie Gewalt zur Identitätsentwicklung eingesetzt wird
Soziologie
» weitere Bücher zum Thema
» Buch empfehlen
» Buch bewerten Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Gewalthandlungen von Mädchen und jungen Frauen weichen von dem gesellschaftlichen Bild ihrer Geschlechterrolle ab. Sie gelten als häuslich, sozial engagiert und friedfertig. Anders als Jungen wird es ihnen abgesprochen, sich laut und stürmisch zu benehmen. Reagieren sie aggressiv, wird dieses Verhalten als unnatürlich und männlich aufgefasst. Jugendgewalt ist männlich dominiert. Die Polizeiliche Kriminalstatistik gab für das Jahr 2007 an, dass 87% der jugendlichen Tatverdächtigen im Bereich Gewaltkriminalität dem männlichen Geschlecht angehörten. Jugendgewalt wird also als ein Problem der männlichen Jugend gesehen. Dadurch treten die weiblichen Täterinnen in den Hintergrund und ihre Motive, Hintergründe und Anlässe, aus denen heraus sie aggressiv reagieren, sind unbekannt. Doch um die Vielfalt gewaltbereiter Mädchen und jungen Frauen zu erfassen und zu verstehen, bedarf es einer ausführlichen Forschungsreihe und Diskussion. Denn die Hintergründe und Motive ebenso wie die Folgen und Auswirkungen von erfahrener und selbst erteilter Gewalt gilt es aufzudecken und zu verstehen, vor allem wenn es in der sozialpädagogischen Arbeit darum geht, diesen Jugendlichen neue Perspektiven zu ermöglichen und ein Leben ohne Gewalt zu öffnen.
Textprobe: Kapitel 2.2, Begriffsklärungen: Gewalt und Aggression: Die Begriffe Gewalt und Aggression werden umgangssprachlich häufig genutzt, jedoch teilweise in verschiedenen Kontexten. Sie können zum einen sehr weit gefasst werden und schließen dann alle Momente ein, in denen Personen so manipuliert werden, dass eine Distanz (und sei sie noch so gering) zwischen ihrem potentiellen Auftreten und ihrem tatsächlichen Auftreten herrscht (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 17f.). Oder aber Gewalt lässt sich als Unterform der Aggression wiederum in mehrere Kategorien einteilen, welche explizit bestimmt werden können. Diese werde ich im Folgenden erarbeiten, um den Definitionsrahmen der Begriffe Gewalt und Aggression für die vorliegende Arbeit eindeutig zu bestimmen. 2.2.1, Gewalt, vorhandene Arten und Formen: Um Gewalt definieren zu können, muss sie vom potentiellen Opfer als solche erkannt werden (vgl. Munz 1999, S. 19). Gewalthandlungen sind somit immer an ‘…das Erleben der von einem bestimmten Verhalten betroffenen Person gebunden…’. Als Grund hierfür muss die Handlung gegen den Willen der betroffenen Person ausgeübt werden und muss ebenfalls eine Abwertung der Person beinhalten. Die dafür möglichen angewendeten Gewaltformen differenzieren sich in physische, psychische und strukturelle Gewalt (ders, S. 19ff.), wobei anzumerken ist, dass einige Gewaltformen staatlich legitimiert sind (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 18). Dies tritt ein im Fall der Notwehr, der Ausübung des polizeilichen Dienstes oder aber auch in Form von einigen Sportarten, welche Gewalt durch ihre jeweiligen Bestimmungen reglementiert haben. Physische und psychische Gewalt wird häufig unter dem Oberbegriff personale Gewalt geordnet, da es sich hierbei um von Personen ausgehende Gewalt handelt (vgl. Minarek 2004, S. 7). Physische Gewalt meint dabei alle Handlungen, bei denen ein Individuum körperlichem Zwang (hierzu zählt bereits die Androhung von körperlicher Gewalt (vgl. Böttger 1998, S. 20)) oder Verletzungen ausgesetzt ist, sowie angewandte Gewalt gegen Sachen (vgl. Munz 1999, S. 19f.). Diese Gewaltform ist offensichtlich feststellbar und wird somit am häufigsten registriert. Vor allem die Medien beschränken sich überwiegend auf Berichterstattung mit Grundlage dieser Gewaltdefinition. Psychische Gewalt schließt alle Formen von verbaler und nonverbaler Gewalt ein. Hierunter fällt vor allem das so genannte Mobbing, welches ‘negative kommunikative Handlungen’ (ders, S. 19) meint, die über einen längeren Zeitraum gegen eine Person gerichtet sind. Diese Form der Gewalt ist subtiler als körperliche Gewalt und wird häufig von Mädchen ausgeübt. Unter struktureller Gewalt wird allgemein die soziale Ungleichheit als Folge der klassenbedingten Benachteiligung verstanden (vgl. Böttger 1998, S. 20). Hierunter fällt ebenfalls jegliche Form von totalitären oder autoritären Gesellschaftsformen oder Erziehungsstilen (vgl. Struck 2007, S. 19). Gewalt ist somit eine Kraftform, welche von einer Person zur Schädigung einer anderen Person oder Sache genutzt wird (vgl. Munz 1999, S. 22). Gewalt stellt für die ausführende Person immer zweckgebundenes Handeln dar und lässt sich somit definieren als ‘… aktiv vollzogene Handlung, die sich gegen Lebewesen oder im Fall von physischer Gewalt gegen Gegenstände richtet bzw. eine Schädigung und Verletzung im Rahmen sozialer Interaktionen androht.’ (Herv. i. Org., Silkenbeumer 2007, S. 22). 2.2.2, Aggression, vorhandene Arten und Formen: Aggression ist ein von der psychologischen Wissenschaft geprägter Begriff (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 13). Weit gefasst definiert kann er sowohl positiv besetzt sein und gleichgesetzt mit dem Begriff Tatkraft verstanden werden, oder aber negativ begriffen werden, im Sinn von einem Verhalten mit Schädigungsabsicht gegenüber anderen Personen. Um ein Verhalten als eindeutig aggressiv zu bewerten, muss die Person, an welche das gezeigte Verhalten gerichtet ist, dieses als verletzend empfinden (vgl. Scheithauer 2003, S. 17). Es werden mehrere Arten von Aggression nach der jeweiligen Motivation für ihr Auftreten differenziert (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 14). Außerdem wird zwischen Aggressivität als eine Verhaltensdisposition und Aggressionen als gewohnheitsmäßige Verhaltensmuster unterschieden (vgl. Micus 2002, S. 19). Auch die Art der Schädigung kann unterschieden werden (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 16). So wird die direkte von der indirekten Schädigung unterschieden. Während Männer meist auf die direkte Art, mittels einer Konfrontation, agieren, nutzen Frauen mehrfach die indirekte Art. Aggression meint somit das Verhalten einer Person, welches in einem gewissen Maß als durchaus normal zu sehen ist, da aggressive Handlungen neben der Schädigung einer anderen Person ebenso dem Schutz der eigenen Person dienen können (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 15). Bei der Bestimmung der Rangfolge von Gewalt zu Aggression gibt es keine eindeutige Zuweisung. Während Silkenbeumer (2007, S. 22) von einer Unterform der Aggression von Gewalt ausgeht, betrachtet Scheithauer (2003, S. 21) die Gewalt als Unterform von Aggression. Micus (2002, S. 21) stellt beide Begriffe als bedeutungsgleich nebeneinander und differenziert lediglich die Überschneidungen der Definitionen. So geht er davon aus, dass personale Gewalt sowohl die Begriffsbestimmung Aggression als auch die der Gewalt darstellt, während strukturelle Gewalt keinerlei Aggression enthält und nichtgewaltsame Aggression ohne den Gewaltbegriff verstanden werden muss. Weiterhin muss unterschieden werden zwischen Aggression als gelebtes Verhalten und aggressive Emotion als Gefühlszustand, welche nicht zwangsläufig ausgelebt werden muss (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 15f.). Es wird davon ausgegangen, dass beide Geschlechter das gleiche Aggressionspotential besitzen, jedoch durch die unterschiedliche Sozialisierung geschlechtsspezifische Äußerungsformen haben. Individuen sind demnach nicht prinzipiell aggressiv, sondern äußern lediglich einen Teil ihrer vorhandenen aggressiven Potentiale. Wissenschaftliche Untersuchungen auf diesem Themengebiet können nur das aggressive Verhalten analysieren, nicht jedoch potentielle aggressive Emotionen. Da Frauen jedoch im Gegensatz zu Männern indirekter handeln und auf Grund ihrer Sozialisation darum bemüht sind, ihre Wut zu unterdrücken, ist wenig über die vorhandenen aggressiven Potentiale bei Frauen bekannt. 2.2.3, Jugendgewalt ist überwiegend Jungengewalt: Das Thema Gewalt wird in der Öffentlichkeit, vor allem durch die Medien, häufig als Jugendproblem dargestellt, durch Dramatisierungen unnötig verschärft und durch die Gesellschaft als Furcht einflößend wahrgenommen (vgl. Krafeld 1999, S. 6). Dabei hat die Quantität der durch Jugendliche ausgeführten Gewalt nicht eindeutig zugenommen (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 54). 90% der Gewalttaten werden von Jungen begangen (vgl. Krafeld 1999, S. 15). Weibliche Gewalttäter werden durch ihre Seltenheit als nicht vorhanden wahrgenommen und wird von ihnen berichtet, dann in einer unangemessenen Art und Weise (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 7). Gewalttätige Mädchen werden von der Gesellschaft als männlich begriffen, ihnen wird ihre weibliche Seite abgesprochen, sie werden als unnormal gesehen. Auch auf Forschungsebene werden gewaltbereite weibliche Jugendliche vernachlässigt (vgl. Lütkes 2002, S. 4). Dies liegt zum einen an der Überpräsenz männlicher gewalttätiger Jugendlicher und zum anderen an der überwiegend subtilen Art von Mädchen, Gewalt anzuwenden (vgl. Silkenbeumer 2000, S. 57). Denn sie nutzen vorwiegend psychische Gewaltformen, welche unauffälliger und schwerer zu erkennen sind als physische Gewaltformen. Während Jungen bereits im Grundschulalter durch aggressive Verhaltensweisen auffallen, verhalten sich Mädchen überwiegend ruhig und angepasst (vgl. auch Kapitel 4 und 5). Wenden Mädchen Gewalt an, liegen ihre Motive überwiegend im emotionalen Bereich, während Jungen aggressive Handlungen instrumentell zur Wahrung ihres Status oder zur Bereicherung an materiellen Dingen einsetzen (vgl. Scheithauer, 2003, S. 80). Vorraussetzungen für gewalttätiges Verhalten im Jugendalter sind nach Lütkes (1999, S. 3) vor allem in den verschiedenen Sozialisationsinstanzen zu suchen (vgl. auch Kapitel 3.3). Treten hier Probleme auf, neigen besonders männliche Jugendliche zu aggressivem Verhalten, denn Jungen lernen nach einer Studie von Campbell (1995) in ihrer Sozialisation Gewalt als Mittel der Macht einzusetzen, während Mädchen Gewalthandlungen als Verlust ihrer Selbstkontrolle erleben (vgl. Silkenbeumer 2007, S. 72). Doch nicht nur die Tätergruppe besteht überwiegend aus männlichen Jugendlichen, ebenso die Opfergruppe ist dementsprechend zusammengesetzt (vgl. Enzmann 2002, S. 8ff.). So bleibt das Phänomen Jugendgewalt in diesem Lebensalter und lässt Erwachsene weitestgehend unbetroffen. Jugendgewalt lässt sich demnach definieren als ein ‘passages Problem’ (ders.), welches mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter in der Regel aufhört. Lediglich ein kleiner Teil der Jugendlichen, welche sich bereits durch ein früh auffälliges aggressives Verhalten auszeichnen, zeigen ein persistentes Verhalten bis ins Erwachsenenalter hinein. Die jugendliche Tätergruppe setzt sich demnach überwiegend aus Jungen zusammen, diese lassen sich noch mal nach Herkunftsland differenzieren. Hierbei fällt auf, dass der überwiegende Teil deutscher Herkunft ist (39,9%), gefolgt von Jugendlichen türkischer Herkunft (26,8%) (ders, S. 13). Diese Zahlen gehen aus einer von dem Kriminologischen Institut Niedersachen 1998 durchgeführten Akteneinsicht hervor. Jugendgewalt ist demnach tatsächlich überwiegend Jungengewalt. Doch folgt nun die Frage, warum auch Mädchen gewalttätig werden, oder anders ausgedrückt: Warum werden nicht genauso viele Mädchen wie Jungen gewalttätig? Wo liegt der geschlechtsspezifische Unterschied bei der Ausbildung von aggressivem Verhalten? Gerade vor dem Hintergrund, dass beide Geschlechter das gleiche Aggressionspotential in sich tragen (vgl. Kapitel 2.2.2), bedarf diese Frage einer genaueren Untersuchung.
Yvonne Zander, Dipl.-Päd., wurde 1983 in Hannover geboren. Ihr Studium der Erziehungswissenschaft an der Hochschule Vechta schloss die Autorin im Jahre 2009 mit dem akademischen Grad des Diploms erfolgreich ab. Bereits während des Studiums beschäftigte sich die Autorin durch ihren Vertiefungsschwerpunkt Devianz intensiv mit der Gewaltbereitschaft im Jugendalter, was sie dazu motivierte dieses Buch zu schreiben.
weitere Bücher zum Thema
Antisemitismusprävention in der Grundschule und Sekundarstufe I. Geschichte, Ansätze, Konzeptformulierung und Lernmaterialentwicklung für Klassenstufe 4-6
ISBN: 978-3-96146-971-0
EUR 49,50
Stuttgart 21: Scheindiskurs oder ideale Sprechsituation? Diskursanalyse der Schlichtung zu Stuttgart 21 anhand von Videosequenzen
ISBN: 978-3-96146-972-7
EUR 34,90
Waffenverbote in Deutschland. Potential und Schwächen von Waffenverbotszonen als kriminalpräventives Konzept zur Verhinderung von Gewaltdelikten unter Einsatz von Messern
ISBN: 978-3-96146-965-9
EUR 34,90
Käthe und Gusti. “Die raue Nazi-Wirklichkeit lehrte uns, keine richtigen Deutschen zu sein.“
ISBN: 978-3-96146-959-8
EUR 24,99
Förderung der Lesekompetenz bei Schülern mit Migrationshintergrund. Methodisch-didaktische Konsequenzen für den integrativen Deutschunterricht
ISBN: 978-3-96146-960-4
EUR 34,90
Systemisch-tiergestützte Intervention bei Familientrauer. Wie Tiere Familien bei einem Verlust unterstützen können
ISBN: 978-3-96146-950-5
EUR 34,50
Migration and Nationalism. The Olympics and the International Trade with Athletes
ISBN: 978-3-96146-948-2
EUR 39,50
Das Dispositiv des Alter(n)s. Zur Regierung der Psyche zwischen Aktivierung und Ausschließung im Kontext der Sozialen Arbeit
ISBN: 978-3-96146-951-2
EUR 39,50
Der Tod als Reflexionsgegenstand oder Teil des Lebens. Sterbende als Lehrende im Hospiz
ISBN: 978-3-96146-944-4
EUR 34,50
Prävention sexualisierter Gewalt. Kompetenzentwicklung im Rahmen des Religionsunterrichts
Aspektorientierte Analyse der Problematik, christliche Perspektiven und Unterrichtsansätze