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- Gesellschaftsverweigerung und soziale Isolierung in einer individualisierten Gesellschaft: Psychosoziale Befindlichkeiten von Kindern und Jugendlichen
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Heute sind Subjektivität, Gefühle und moralische Empfindungen zentrale Fragestellungen für die Soziologie. Man nimmt an, dass es durch die Auseinandersetzung mit der Subjektivität gelingen könne, das Geheimnis der Sozialität des Menschen zu ergründen. Psychische Leiden wie Depressionen werden in diesem Zusammenhang als gesellschaftliche Pathologien verstanden. Soziologen und Sozialphilosophen verstehen sie entweder als Symptome einer Lockerung sozialer Bindungen, als Folge der Ich-Emanzipation der 60er und 70er Jahre oder des Kapitalismus, der das Ideal der Emanzipation individueller Subjektivität in neue Zwänge und Ausbeutungsformen verkehrten. Der französische Psychiater und Soziologe Alain Ehrenberg ist jedoch der Ansicht, dass Depression nicht durch Kapitalismus, Emanzipation oder dergleichen verursacht wird, noch das sie ein Symptom gesellschaftlicher Rückzugstendenzen darstellt. Sie gründet auf den Konflikt und Widerspruch eines Prozesses, welche auf der Aufwertung von Autonomie einhergeht. Vor vier Jahrzehnten basierte die Gesellschaft auf Gehorsam, Konformität und Verboten. Heute gelten die Autonomie, Initiative und Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen von uns. Während nach Freud die Neurose ein Krankheitsbild der Schuld war, scheint die Depression die Krankheit der Verantwortlichkeit und Unzulänglichkeit zu sein. Heute dreht sich die Frage nicht mehr um Darf ich das? , sondern um Kann ich das? .
Textprobe: Kapitel 3.1.1, Wertorientierungen und Lebenseinstellungen: In repräsentativen Kinderstudien wird, wie etwa das Salzburger Survey, LBS-Kinder-Survey (2003, N=1000) u.a. geprüft, ob sich Kinder glücklich und zufrieden fühlen (vgl. BDP-Bericht, S. 28f.). In Deutschland wie auch im europäischen Ausland werden Kinder mit dem Eintritt in die Pubertät subjektiv etwas unglücklicher. Insgesamt beurteilen Kinder und Jugendliche ihre Kindheit als glücklich, wobei der Wunsch nach Freizeit, Freunden und Freiraum als wichtige Variablen in diesem Zusammenhang zu vermerken sind. Bucher (2001) zufolge, sind Kinder glücklich, wenn sie in einer vollständigen Familie leben, Lob und Anerkennung erfahren, gemeinsame Ausflüge mit ihren Eltern und Freunden machen und wenn sie nicht mit Druck sondern mit Argumenten erzogen wurden. Weitere wichtige Faktoren sind neben dem Freiraum bezüglich des Wohnverhältnisses sowie der Erfolg in der Schule, auch die Qualität und der Anreiz des Unterrichts. Langeweile und der Gegensatz dieser Glücksfaktoren machen Kinder unglücklich. Dollase führte die größte NRW-Studie (2000, N=7.800) zur Zufriedenheit von Kindern in allen Schulformen der Sekundarstufe I (SI). Eltern , Familie und Freunde erhielten von 21 Lebensbereichen die drei Spitzenplätze. Die Lehrer liegen auf Platz 12, wohingegen meine Schulklasse auf Platz 16 und die Schule auf dem drittletzten Platz landet. Es besteht ein starker Abfall der Zufriedenheit von Lehrern und Klassenkameraden ab etwa 12/13 Jahren. Sowohl das Klassenklima, als auch der Bezug zum Lehrer scheinen sich ab diesem Alter deutlich zu verschlechtern, während das Verhältnis zu Freunden und Eltern gleich positiv bleibt. Dollase stellt in den Kinder-Studien zum emotionalen Zustand ein relativ positives Bild fest. Die Erhebungen zur Prävalenz seien allerdings alarmierend, so auch bei den NRW-Kindern. Eine aktuelle Metaanalyse lässt eine Prävalenzrate von 15 bis 22% psychischer Störungen vermuten, welche zu Folgestörungen führen können (Ihle & Esser 2002). Fuhrer (2005) geht Untersuchungen zufolge von 18 bis 27% psychischer Störungen aus. Insbesondere Angststörungen zeigen eine Häufigkeit auf, die oftmals mit der Schule im Zusammenhang stehen. Befragungen von Lehrern nach den Problemen mit Schülern zufolge, gibt es gerade mal 7% der Klassen ohne ein auffälliges Kind. In 93% der Klassen ist mindestens ein auffälliges Kind zu verzeichnen, das eine Störung im Arbeits- und Lernverhalten aufweist (Berliner Studie Berg, Seifried, & Winkelmann, 2001). Dieser Befund verweist wieder auf die Schule als einen wesentlichen Unglücksfaktor für Kinder, wo es offenbar nicht gelingt, einen kinderfreundlichen und leistungsfördernden Unterricht zu gestalten. Die Ursachen von Verhaltensstörungen, sind vielfältig (vgl. BDP-Bericht, S. 30f.). Im Wesentlichen sind sie jedoch in zwei Faktoren zusammen zu fassen: zum einen ist es die Überbeanspruchung durch die Schule (Hurrelmann 2002) und zum anderen sind es Defizite im Erziehungsverhalten (Hahlweg 2001). Es existiert bereits ein umfangreicher Forschungsstand zum Erziehungsverhalten, wie etwa der interparentale Kontakt, die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung sowie die kindlichen, temperamentbedingten (relativ stark genetisch determinierte) Verhaltensauffälligkeiten, bei nicht Berücksichtigung sozio-ökonomischer Faktoren, wie z.B. Armut. Eine Reihe entscheidender Einflussfaktoren können nicht berücksichtigt werden, da sie schwer zugänglich sind: Dazu gehören die Einflüsse innerhalb der Familie, die Kindheitserfahrungen der Eltern, ihre Persönlichkeitsmerkmale, die Beziehung der Ehepartner, das soziale Netzwerk der Eltern und auch die Ressourcivität, also den Spaß, den das Kind den Eltern bereitet, ist entscheidend für den Einfluss auf die Eltern-Kind-Interaktion. Neben dem kognitiven Niveau, der Bildung der Eltern, der elterlichen Persönlichkeit, der Zufriedenheit mit dem Partner spielt auch die Eigenheit und das Temperament des Kindes eine bedeutende Rolle. Zu einer Beeinträchtigung der elterlichen Erziehungskompetenz gehören: frühes Alter der Mutter bei der Geburt des Kindes, niedriges Bildungsniveau, geringes Selbstwertgefühl, niedrige Intelligenz, niedriges Einkommen, fehlender Partner, eine große Kinderzahl und zuletzt ein schwieriges kindliches Temperament (Hannan & Luster 1991). Häufig tragen neben den Rahmenbedingungen gerade des Temperament des Kindes und seine Eigenheiten zu Ratlosigkeit und Verzweiflungstaten der Eltern im Erziehungsverhalten bei, die meist Misserfolge nach sich ziehen. Untersuchungen zeigen, dass sich Eltern nach der Pflegeleichtigkeit des ersten Kindes für weitere Kinder entscheiden oder nicht. An dieser Stelle postuliert Dollase für weitere Beratungshilfen, die Eltern mit schwierigen Kindern angeboten werden könnten und bereits europaweit bewährt haben. Die Ausstattung mit Schulpsychologen des Schul- und Bildungssystems, wie es bereits Familien in den PISA-Sieger-Ländern genießen, wäre eine wünschenswerte Maßnahme, so Dollase. Auch die Shell-Studie von 2010 belegt, dass die soziale Einbindung, Leistung und Lebensfreude die Lebenszufriedenheit stärken (vgl. Shell-Studie 2010, S. 31f.). Die Fähigkeit der Jugendlichen zur Zufriedenheit ist deutlich durch ihren Leistungswillen und ihre moralischen Bedürfnisse unterbaut. Auch die Religiosität (wo sie zur Verfügung steht) bringt einen eigenständigen Beitrag zur Zufriedenheit der Jugendlichen. Dies zeigt auch, dass das von den Jugendlichen bekundete Wohlbefinden auch auf Grundwerten beruht. So sind gerade weibliche Jugendliche auch deshalb zufriedenheitsfähiger, weil sie bei der Gestaltung ihres Lebenskonzeptes näher an Werten orientiert sind, als die männliche Jugendliche. Jedoch ist neben den Werten auch die lebensfreudige Einstellung von besonderer Bedeutung. So macht Hedonismus einen wichtigen Beitrag zur Zufriedenheit der Jugendlichen aus und wird nicht böse , leistungsfeindlich oder oberflächlich angesehen, solange er nicht exzessiv gelebt wird. Werden Probleme mit Humor angenommen, indem sie anerkannt, aber nicht mit Hysterie oder Verbissenheit angegangen werden, fühlen sich die Jugendlichen deutlich zufriedener. Insbesondere wenn moralische Werte und gleichzeitig ein hohes Leistungsbedürfnis besteht – wie es bei den meisten Jugendlichen der Fall ist – sind hohe Leistungsanforderungen und ein gemäßigter Hedonismus für ein nachhaltig gutes Lebensgefühl von großer Bedeutung. Interessant ist, dass die Kombination dieser drei Faktoren: aus Leistung, Moral, nicht exzessiver Spaß, auch mit einem erhöhten gesellschaftlichen Interesse verbunden ist. Die Shell Jugendstudie verzeichnete im Jahre 2010 im Vergleich zu vorausgegangenen Studien einen Anstieg im Optimismus trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise (vgl. ebd., S. 16f.). 59% der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren sind zuversichtlich in bezug auf ihre eigene Zukunft gestimmt. 35% sehen dies mal so, mal so, während 7% ihrer Zukunft eher düster entgegen sehen. Bei Kindern und Jugendlichen aus der sozial schwächsten Schicht ist die Zuversicht eher rückläufig. Die Shell Jugendstudie unterscheidet fünf soziale Schichten, die über die Bildungsherkunft der Jugendlichen und dem verfügbaren häuslichen Einkommen definiert werden. Gemäß dieser Abgrenzung gehören 14% der Jugendlichen zur Oberschicht und 22% zur oberen Mittelschicht. Den größten Anteil bilden Jugendliche aus der Mittelschicht mit 30%, wobei 24% der Jugendlichen der unteren Mittelschicht sowie 10% der sozial schwächsten Schicht zuzuordnen sind. So ist der Optimismus der Jugendlichen mit der Zukunftsperspektive verbunden. So glauben viele Jugendliche aus der Unterschicht den angestrebten schulischen Abschluss nicht zu erreichen. Dies verstärkt zusätzlich das Risiko der Schulverweigerung. Der Schulerfolg ist in Deutschland wie in keinem anderen Land stark von der jeweiligen sozialen Herkunft abhängig, so will es auch PISA bescheinigt haben. Das gute Lebensgefühl der großen Mehrheit der Jugendlichen erfüllt, der Shell Studie zufolge, nicht nur eine pragmatische und selbstmotivierende Funktion des optimistischen Denkens, in der durchaus als schwierig wahrgenommenen gesellschaftlichen Lebensumstände (vgl. ebd., S. 28f.). Vorrangig geht es um die Sicherung und Verbesserung eines Netzwerks befriedigender Beziehungen in bezug auf Familie, Freunde und Bekannte. Nur wenige weiten dieses Netzwerk in Form von z.B. Ehrenamt bis in die Zivilgesellschaft aus. Gegenüber gesellschaftlichen Missständen zeigt sich die heutige Jugend wach. Rund 70% sind der Ansicht, dass es gerade aufgrund von Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft und Arbeitswelt nötig sei, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Tatsächlich ist diese Einstellung unter Jugendlichen auch mit Ohnmachtsgefühlen verbunden.
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