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- Gentrifizierung im Kieler Stadtteil Gaarden: Welchen Beitrag kann Soziale Arbeit zur Stadtteilaufwertung leisten?
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Abb.: 9
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Der Kieler Stadtteil Gaarden ist ein historisch gewachsener Stadtteil, der seit Jahrzehnten Wohnort für Arbeiter und ihre Familien war und auch heute größtenteils noch ist. Doch Städte und Quartiere wandeln sich. Zeitgemäße Arbeitsbereiche und Fachgebiete entstehen. Qualifizierte Kräfte orientieren sich um und ziehen weiter, weniger Qualifizierte und/oder von Transferleistungen abhängige fallen neuen Strukturen zum Opfer und bleiben am Ort, Menschen aus anderen Stadtteilen, die auf preiswerten Wohnraum ausweichen müssen, ziehen hinzu. Aufgrund niedriger Mieten und einer geringen Motivation zur Sanierung durch die Hauseigentümer wurde der Stadtteil zum Abstellgleis einer sozial problematisch gestellten Klientel. In den vergangenen Jahren wurde im Hinblick auf Stadtteile wie Gaarden vielfach der Begriff Gentrifizierung diskutiert, bei dem es um die Aufwertung durch Investitionen und letztendlich um die Verdrängung der Stamm-Bevölkerung geht. Ob ein solcher Prozess tatsächlich stattfindet, zur Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität beiträgt und sinnvolle Lösungsansätze bietet, ist Inhalt dieser Studie.
Textprobe: Kapitel 2.2, Gemeinwesenarbeit: Wie schon bei der Sozialen Arbeit gab es auch bei der Gemeinwesenarbeit eine Praxis vor der institutionalisierten Praxis. In den Vereinigten Staaten von Amerika orientierten sich Konzepte der Gemeinwesenarbeit daran, gemeinsam mit Helfern und Betroffenen Lösungen für Probleme im Stadtteil oder Sozialraum zu finden. ‘Gemeinwesenarbeit (GWA) ist eine sozialräumliche Strategie, die sich ganzheitlich auf den Stadtteil und nicht pädagogisch auf einzelne Individuen richtet. Sie arbeitet mit den Ressourcen des Stadtteils und seiner BewohnerInnen, um seine Defizite aufzuheben. Damit verändert sie dann allerdings auch die Lebensverhältnisse seiner BewohnerInnen’. Dabei weist die Gemeinwesenarbeit verschiedene Merkmale auf. Zum einen ist sie interdisziplinär. Sie bedient sich, um die vor Ort herrschende Situation in diesem Moment zu erklären und aufzuzeigen, verschiedener Theorien, die aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen stammen. Neben der Psychologie oder Erziehungswissenschaft können dabei auch Theorien aus den Sozialwissenschaften oder der Politischen Ökonomie zum Tragen kommen. Ein weiterer Aspekt ist die ‘lokale Richtigkeit’. Dies bedeutet, dass sich die Gemeinwesenarbeit an Theorien und Methoden bedient, die für die Situation vor Ort, im Stadtteil oder Sozialraum notwendig und brauchbar sind. Dieser Sozialraum (Stadtteil oder auch Institution) wird aus der Perspektive der Bewohner betrachtet (Lebensweltorientierung) und greift die Probleme der dort lebenden Menschen auf, vor allem jene, die diese für besonders wichtig halten. Das oberste Ziel der Gemeinwesenarbeit ist, aus den Stadtteilen handlungsfähige Quartiere zu machen, in denen die Menschen in der Lage sind, ihre Lebenswelt zu ordnen und zu verbessern. Durch die Schaffung von Zugängen zu Behörden und anderen Institutionen sollen die Menschen ‘zunehmend Kontrolle über ihre Lebensverhältnisse gewinnen’. Oelschlägel beschreibt fünf zentrale Aufgaben der Gemeinwesenarbeit. Zum einen soll sie Dienstleistungen und Ressourcen zur Verfügung stellen, die den Menschen im Quartier besonders nützen. Diese müssen dabei nicht immer neu und hochwertig sein, häufig geht es darum, Lebensmittel und Beratung kostengünstig zur Verfügung zu stellen oder auch Orte zu schaffen, an denen sich die Menschen aufhalten können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen, wenn sie sich nicht so verhalten, wie es von ihnen erwartet wird. Ein weiteres Handlungselement ist die Aktivierung betroffener Menschen. Die Gemeinwesenarbeit muss sich an deren Bedürfnissen ausrichten, damit die Ziele für die Menschen auch erreichbar sind. Der dritte Aspekt ist die Kulturarbeit. Im Rahmen von Gemeinwesenarbeit soll immer ein Kulturangebot zur Verfügung gestellt werden, da die GWA davon ausgeht, dass der Mensch kulturelle Bedürfnisse hat und eine kulturelle Szene in jedem Stadtteil Bestand haben sollte. Das vierte Handlungselement ist laut Oelschlägel das der Einmischung. GWA hat immer auch eine politische Seite. Immer, wenn Aufgaben von höherer Stelle bis in die Gliederungen im Stadtteil weitergegeben werden, muss die GWA reagieren können, auch ‘zur Verteidigung von Lebensräumen’ . Der letzte Aspekt ist der der Vernetzung. GWA hat die Aufgabe, im Stadtteil verschiedene Gruppierungen zu gründen und zu fördern. Diese müssen nicht zwangsläufig aus Behörden oder anderen Institutionen kommen. Es sollten auch Sportvereine, Kneipengruppen oder andere Gruppen daran teilnehmen, um bei wichtigen Anlässen agieren zu können. Galuske zeigt (‘ohne Anspruch auf Vollständigkeit’) vier Konzepte der GWA auf, wie sie bis zu Beginn der 1980er Jahre bestanden. Die wohlfahrtsstaatliche Gemeinwesenarbeit hat die Verbesserung der Ausstattung sowie der Dienstleistungsangebote in den Sozialräumen zum Ziel. Die unterschiedlichen Träger sollen in diesem Modell koordiniert werden. Kritisiert wird an diesem Konzept, dass der Sozialarbeiter seinerseits Angebot und Nachfrage verbessern soll, Betroffene oder Bürger jedoch nur Einfluss auf die Ausstattung haben. Die Integrative Gemeinwesenarbeit ist das bis in die 1970er Jahre am häufigsten verwendete Modell. Es setzt eine gerechte Gesellschaft voraus, in der die Bürger ihre Rechte auf Freiheit, Gestaltung und soziale Sicherung optimal nutzen sollen. Ziel dieses Konzeptes ist es, ‘innerhalb des avisierten Sozialraums eine Bedürfnishierarchie zu ermitteln, die es mittels Ausnutzung existierender bzw. potentiell aktivierbarer Quellen zu befriedigen gilt’. Der Sozialarbeiter übernimmt die Aufgabe, den sozialen Bedarf zu formulieren und sie aufgrund gesetzlicher Grundlagen und Möglichkeiten umzusetzen. Das dritte Modell, das Galuske beschreibt, ist das der Aggressiven Gemeinwesenarbeit. In diesem Konzept sollen sich die Betroffenen zur Gegenmacht gegen die kapitalistische Gesellschaft formieren, wenn erforderlich auch durch politische Einmischung und/oder Provokation. Aufgabe des Gemeinwesenarbeiters ist, die organisierten Bürger für ihren ‘Kampf’ zur Veränderung des gesellschaftlichen Systems zu beraten. Seine Werkzeuge sind dabei unter anderem das Wissen über die Arbeit der so genannten ‘Gegner’. Die katalytische/aktivierende Gemeinwesenarbeit stellt Galuske als viertes Modell vor. Karas und Hinte beschreiben sie als ‘Antwort auf die fehlende gesellschaftskritische Perspektive der wohlfahrtsstaatlichen und integrativen Ansätze einerseits, und den von der Reichweite her zu grundlegend und damit die Aktionspotentiale der Betroffenen überschätzenden aggressiven Ansätze andererseits […].’ Zentrale Aussage des Konzeptes ist der Einsatz von kompetenten Bürgern im Stadtteil, die als erste Ansprechpartner für die Menschen fungieren, die Aufgaben des Sozialarbeiters sind die Förderung der Eigenaktivität der Betroffenen und die Solidarität mit der Gruppe.
Paul Hirnstein, M.A. wurde 1984 in Arnsberg (Westfalen) geboren. Sein Studium der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Devianzpädagogik an der Universität Vechta schloss er im Jahr 2009 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts ab. Während seines Studiums der Pädagogik mit den Schwerpunkten Sozialarbeit und Bildungsmanagement an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel entdeckte er den Stadtteil Gaarden und verfolgte die Debatte zum Thema Gentrifizierung auf sozialräumlicher und politischer Ebene. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse entstand im Jahr 2011 die Motivation für die vorliegende Studie.