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Soziologie

Manuel Neumann

Facebook und Politik: So nutzen Spitzenpolitiker das Online-Netzwerk

ISBN: 978-3-8428-8983-5

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Mehr als 25 Millionen Deutsche nutzen regelmäßig das Soziale Netzwerk Facebook. Natürlich sind auch die Spitzenpolitiker dort vertreten. Fernab aller Quoten, wie viele Facebook-Nutzer wahlberechtigt sind, ist alleine eine solche Masse für die Politik hochinteressant. Denn so viele potenzielle Wähler sind an keinem anderen Ort anzutreffen. Doch haben Angela Merkel, Frank Walter Steinmeier und Co. die Potenziale erkannt, die sich dahinter verbergen? Nutzen sie das Netzwerk ernsthaft und halten sie sich dabei an kulturelle Praxen? Nirgendwo können Politiker ungefilterter mit dem Wählervolk kommunizieren, nirgendwo können sie besser ihre eigenen Themen in den Vordergrund stellen, aber kann die Politprominenz das wirklich? Die Studie umfasst einen Überblick über Vertreter aller Parteien aus dem Bundestag (inklusive FDP).

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2, Politische Kommunikation im Internet: 2.2.1, Das Modell der deliberativen Demokratie im Kontext von Facebook: Das normative Modell der Deliberation in einer Demokratie von Jürgen Habermas fußt auf dessen eigener Theorie des kommunikativen Handelns. Im Zentrum derselben steht die öffentliche Debatte, die allen politischen Entscheidungen vorausgeht und in dieselben mündet. Politische Entscheidungen sind also Ausdruck und Manifestierung der öffentlichen Meinung. Dem Modell zufolge limitiert die Gatekeeper-Rolle der Massenmedien dieses Prinzip. Soziale Netzwerke im Internet dagegen bilden einen idealen Nährboden für die Grundannahmen der deliberativen Demokratie, die eine mündige Öffentlichkeit voraussetzt. Vertreter dieser Theorie sehen in der Popularisierung von Web-Angeboten wie Facebook die Möglichkeit, dass die systematischen Parameter viele Potenziale für die Demokratie besitzen, sie den Diskurs verbessern und die politische Mobilisierung unterstützen. Die Deliberation findet nach Habermas in einem öffentlichen System statt, zu dem alle Bürger und politischen Akteure Zugang haben. Habermas bezeichnet diese als Lebenswelt. Grundsätzlich ist das Ziel, dass in einer Demokratie möglichst viele Menschen an diesem Diskurs beteiligt sind. Aus der Perspektive der Bevölkerung ist also ein freier, möglichst unkomplizierter Zugang wichtig gleichzeitig ist es ein Ziel der Politik, zu mobilisieren. Im Sinne dieses Modells ist allein durch die hohe Anzahl von Bürgern in einem Staat keine Basisdemokratie, die auf dem direkten Austausch einzelner Individuen, Gruppen und Entscheidungsträgern basiert, möglich. Vielmehr handelt es sich durch die Allmacht der Massenmedien de facto nicht um eine Öffentlichkeit, sondern um eine Medienöffentlichkeit, da Meinungen aus dem Wissen und dem Austausch über Sachverhalte gebildet werden und die Massenmedien die Wissensvermittler sind. Massenmedien beschränken also die Deliberation und verletzen die demokratisch nötige Transparenz innerhalb des öffentlichen Systems. Facebook als partizipatorisches Element im Medium Internet bietet an dieser Stelle eine Lösung von den Ketten der massenmedialen Gatekeeper und hat das Potenzial, individuelle Mitteilungen zu unterstützen, zielgerichtete Fragen des Publikums beim Kommunikator abzurufen sowie eine many-to-many-Kommunikation, eine umfassende Reichweite und eine Gleichberechtigung herzustellen. Warum die traditionellen Massenmedien die Entstehung einer deliberativen Öffentlichkeit innerhalb einer demokratischen Gesellschaft behindern und warum das Web 2.0 ein besseres Mittel zu politischen Kommunikation im Sinne des Modells ist, zeigen die Kriterien für die öffentliche Deliberation. Was Habermas ‘Unabgeschlossenheit des Publikums’ nennt, bedeutet nicht, dass es keine Grenzen hinsichtlich Themen und ‘Meinungen (die nicht kommunikabel sind)’ gibt. Vielmehr ist damit gemeint, dass ‘was immer in einer Öffentlichkeit getan wird, (…) in eine unübersehbare Umwelt (diffundiert). (…) Öffentlichkeit (besitzt) (…) keine klare Mitgliedschaft (und) prinzipiell jeder kann (…) Publikum sein.’ Normativ ist die Teilnahme am Diskurs jedem offen und darf nicht durch Schranken begrenzt werden. Genau dieses Merkmal ist bei der Teilhabe via Internet praktisch gegeben. Denn um sich bei Facebook anzumelden, bedarf es keinerlei Erfüllung etwaiger Kriterien. Vielmehr ist der Zugang zu in diesem Fall Politiker-Seiten offen und die Partizipation von Besuchern einer Seite sogar gewollt und ein Teil der Seite selbst, zum Beispiel über die Kommentarfunktion. Eine Facebook-Seite, auf der ein Kommunikator etwas mitteilt und auch die Kommentare und Likes nur vom jeweiligen Kommunikator selbst erledigt würden, würde das System Facebook geradezu ad absurdum führen. Eine weitere Komponente der deliberativen Öffentlichkeit ist die absolute Gleichheit aller am Diskurs Beteiligten, dementsprechend die Hinwegsetzung über soziohierarchische Strukturen, Schichten und spezialisierte Expertenrollen. Der Aspekt der Kommunikation auf Augenhöhe ist ein wichtiger Teil der kulturellen Praxis auf Facebook. Das Internet ist eine weitgehend hegemonialfreie Zone, da hier alle die gleichen Gesprächs- und Partizipationsrechte besitzen. Auf Facebook besitzt – anders als bei realen Begegnungen – ein Hartz IV-Empfänger den gleichen Status wie ein schwerreicher Manager, denn es gibt keine Profile höherer oder niedriger Klassen. Auch in diesem Punkt zeigt sich eine systematisch durchaus gewollte Egalität, da niemand strukturell die Möglichkeit hat, sich ein besseres oder schlechteres Profil anzulegen. Informationen dazu können jeweils nur aus dem kommunizierten Inhalt innerhalb des einheitlichen Profils kommen, allerdings ist an dieser Stelle niemand gezwungen, etwaige negative Informationen über Einkommen, sozialen Stand oder Privates zu teilen. Einschränkend und kritisch muss dabei jedoch bedacht werden, dass die vorhandene Struktur es Nutzern ermöglicht, Rollen zu spielen. Ferner können Formulierungen und Sprachduktus in eigenen Beiträgen zumindest Rückschlüsse auf die Bildung zulassen. Allerdings ist zumindest letzteres keine spezifische Einschränkung durch Facebook sondern ein grundsätzlich kritisch zu beurteilender Umstand der Merkmale deliberativer Demokratie, in der der Diskurs lediglich und allein über das Medium Sprache verlaufen soll, metapersonale Merkmale wie Geld, Prestige oder Macht also keine Relevanz besitzen. Gleiches gilt auch für Wahlerfolge oder Parlamentsmandate politischer Parteien. Allgemein sind alle Mitglieder bei Facebook gleich. Wahlkampfmittel zum Beispiel richten sich nicht nach den Zahlen der letzten Wahl und brauchen sich auch gar nicht daran zu orientieren, denn Präsenz und Aufmerksamkeit sind auf Facebook grundsätzlich kostenlos. Die SPD hat keine besseren Voraussetzungen als die Linkspartei, die CDU hat nicht mehr Möglichkeiten als die Piraten. Dies führt zu einer Egalität im Netzwerk und stellt an die politischen Akteure gleichsam besondere Anforderungen. Auf Facebook kann eine Partei oder ein politischer Vertreter nämlich nicht mit bloßer Aufmerksamkeit punkten, sondern vor allem mit Geschick, den richtigen Inhalten und vor allem der Akzeptanz der strukturellen Gegebenheiten. Kommunikation via Facebook bedeutet Kommunikation auf Augenhöhe. Unter anderem daran muss sich ein Kommunikator halten, wenn es eine erfolgreiche politische Kommunikation über das Netzwerk sein soll. Dass allein dies zumindest zu Achtungserfolgen führen kann, zeigt der (kurzfristige) Erfolg der Piratenpartei, die hauptsächlich mit einem Thema, weitestgehend formuliert Recht und Freiheit in Neuen Medien, und einer damit verbundenen geschickten Kommunikation über soziale Netzwerke zu beachtlichen Stimmenanteilen kamen. Eine ‘ideale Sprechsituation’, die Kennzeichen des Modells und Kriterium für den Diskurs ist, finden Diskursteilnehmer ebenso im Internet vor. Während ihnen in traditionellen Massenmedien in der Regel ohnehin nur die Adressatenrolle bleibt und sie hier eine Kommunikatorrolle einnehmen können, kann dies im Web 2.0 auch zeit-, raum- und ressourcenunabhängig geschehen. Da sich öffentliche Meinung auf öffentliches Wissen stützt, ist die ebenfalls jederzeit mögliche unbeschränkte Informationsbeschaffung im Internet generell ein weiterer Vorteil für das neue Medium. Das letzte wichtige Merkmal für die deliberative Öffentlichkeit ist die Annahme, dass der Diskurs zu einem gesellschaftlich bedeutsamen Thema theoretisch unbegrenzt weitergeführt beziehungsweise zu jedem Zeitpunkt wieder aufgenommen werden kann. Auch hierfür bietet die erwähnte zeitliche und räumliche Unabhängigkeit den idealen Boden. Facebookspezifisch kann sogar davon gesprochen werden, dass praktisch unendlich viele Ressourcen für die Interpretationen zu Problematiken vorhanden sind, weil praktisch unendlich viele Statusmitteilungen und unendlich viele Kommentare zu einem Thema möglich sind. Kritische Theorien zu den Voraussetzungen des Internet zur Entstehung einer deliberativen Öffentlichkeit basieren insbesondere auf der These, dass im Internet eben nicht die Gesamtöffentlichkeit abgebildet ist, sondern lediglich Teile davon, die wiederum zu sogenannten Teilöffentlichkeiten werden. In diese Kategorie passen wiederum Begriffe wie ‘Netzgemeinde’, ‘Internetgemeinde’ oder ‘digitale Welt’. ‘Dieser Fragmentierungs-These entgegnen die Anhänger des Modells, sie übersehe, dass sich gesellschaftliche Fragmentierung auch in der Medienöffentlichkeit durch zunehmende Individualisierung der Nutzer und der Angebote vollzogen habe.’ Die zunehmende Pluralisierung innerhalb der Gesellschaft ist mittlerweile vielfach belegt. Insofern muss die Frage gestellt werden, ob es die sogenannte Gesamtöffentlichkeit überhaupt noch irgendwo gibt, falls es sie je gegeben hat. Darüber hinaus spricht die Entwicklung eine klare Sprache. Das Zeitalter des Internet ist gerade einmal etwas mehr als 20 Jahre alt und befindet sich noch immer in einer starken Wachstumsphase. Die Kommunikation über das Internet ist ein Prozess der immer bedeutsamer wird, weil die Nutzerzahlen immer höher gehen. Gemäß der ARD/ZDF-Onlinestudie ist ein Rückgang des Trends nicht zu erwarten. Im Gegenteil, glaubt man den Zahlen, so dürfte es nicht mehr allzu lange dauern, bis eine Vollversorgung der deutschen Haushalte mit einem Internetzugang erreicht ist. Die Entwicklung geht sogar noch weiter und umfasst seit einigen Jahren das mobile Internet. Natürlich sind diese Statistiken nicht auch gleichbedeutend damit, dass jeder Nutzer auch bei Facebook angemeldet ist. Aber auch hier zeigte sich zuletzt, dass sich wie erwähnt die Nutzerschaft nicht mehr nur noch auf Studenten zwischen 19 und 25 Jahren begrenzt, sondern längst ein gesamtgesellschaftlicher Zugang zu konstatieren ist. Das Modell der deliberativen Demokratie zugrunde gelegt, lässt sich festhalten, dass Facebook zumindest das strukturelle Potenzial besitzt, den Zugang zum politischen Diskurs zu vermehren und zu erhöhen und damit einhergehend der Prozess der politischen Entscheidungsfindung im Sinne von Habermas‘ Modell verbessert wird. Ferner zeigen die hohen Nutzerzahlen und Beispiele aus der Realität (Piratenpartei), dass die Annahme der umfangreichen politischen Mobilisierung von Facebook-Nutzern nicht nur rein theoretisch ist. Inwiefern die politischen Kommunikatoren diese Potenziale auszuschöpfen wissen, welche Methoden dabei deutlich werden, wie diese kategorisiert werden können und ob es sich dabei um eine gelungene Politische Kommunikation handelt, werden die folgenden Kapitel, insbesondere der Forschungsteil zeigen. Die immens hohen Erwartungen an das Internet für die politische Kultur ziehen normativ-demokratietheoretisch sogar noch weitere Kreise. Hierbei geht es nicht nur um die Mobilisierung neuer Wähler, sondern darum, ob die anfangs vor allem bei Jugendlichen beliebten sozialen Netzwerke im Internet möglicherweise Politik- und Parteienverdrossenheit entgegenwirken könnten. Einige grundlegendere Forschungen befassten sich angesichts der riesigen in diesem Kapitel begründeten partizipatorischen Potenziale mit der Frage, ob mit dem Kommunikationswandel von Massenmedien hin zu den neuen Medien Internet und dem Web 2.0 sogar eine neue Demokratiequalität entstehen kann bzw. schon entstanden ist. Wie der Kommunikationswandel aussieht und auf welche theoretischen Überlegungen sich die genannten Annahmen stützen und ob sie sich bestätigen, dementieren oder in irgendeiner Weise relativieren lassen, soll im folgenden Kapitel kurz dargelegt werden.

Über den Autor

Manuel Neumann, M.A., wurde 1986 in Bielefeld geboren. Er arbeitet in der Unternehmenskommunikation der AOK sowie als Gerichtsreporter u.a. für das Westfalen-Blatt. Bisherige Publikationen u.a. in der Süddeutschen Zeitung, Bild Zeitung und Münchner Abendzeitung.

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