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- Die Stadtbahn in Berlin: Planung, Bau, Auswirkungen
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 124
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Ein steinernes Viadukt mitten durch Berlin, es prägt das Stadtbild von Friedrichshain bis Charlottenburg und ist für den öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt seit über 130 Jahren unverzichtbar die Rede ist von der Berliner Stadtbahn. Die Geschichte dieses architektonischen Meisterwerkes ist Gegenstand dieses Buches. Erläutert werden die Gründe für die Planung, das Ringen um die Ausführung, der Bau und die Auswirkungen die die fertiggestellte Stadtbahn auf die Entwicklung Berlins im ausgehenden 19. Jahrhundert gehabt hat. Außerdem erlaubt das Buch spannende Einblicke in die Entstehung der Millionenmetropole Berlin, in das Handeln von kommunaler und staatlicher Verwaltung im Kontext von Bevölkerungswachstum und sozialer Not und den Hoffnungen die man im 19. Jahrhundert in die Allmacht des technischen Fortschritts gesetzt hat.
Textprobe: Kapitel 2.2.2, Die Versuche staatlicher Stadtplanung bis 1862: Trotz des im vorigen Kapitel beschriebenen Verwaltungs- und Planungschaos war es letztendlich nicht so, dass vonseiten der staatlichen Behörden keine Versuche unternommen wurden, die bestehenden Probleme der expandierenden Stadt mit projektierten Stadterweiterungen zu lösen oder zumindest zu lindern. Allerdings hatten sich die Möglichkeiten des staatlichen Eingriffes auf die Stadtplanung bzw. die Stadtentwicklung grundlegend geändert. So war es für den Landesherrn im 17. oder 18. Jahrhundert noch problemlos möglich eine Stadt zu gründen, oder auch nur eine bestehende Stadt zu erweitern. Der Kurfürst bzw. später der König bestimmte, wo eine Stadt oder eine Stadterweiterung angelegt werden und wie sie beispielsweise bezüglich des Straßenrasters, der vorgesehenen Bebauung und der Anzahl der anzusiedelnden Personen geplant werden sollte. Zwar wurden beispielsweise die Dorotheenstadt 1673 und einige Jahre später die Friedrichstadt 1688 auf städtischem Hufen- und Almendeland angelegt, doch in seiner Funktion als oberster Grundherr Preußens konnte der Kurfürst jederzeit die besitzrechtlichen Ansprüche der Stadt oder auch von Einzelpersonen außer Kraft setzen. Die bei der Stadtgründung oder Erweiterung entstandenen Baugrundstücke wurden dann gegen einen mehr oder weniger hohen Zins an bauwillige Bürger vergeben. Diese waren dann nicht nur zur Bebauung der Grundstücke verpflichtet, sondern sie mussten sich auch an die von der Regierung oder vom Landesherrn vorgegebenen Baupläne und Regeln halten. Hielt sich der Bauwillige nicht an diese Vorgaben, so konnte er nicht nur verwarnt werden, sondern es konnte das so genannte Heimfallrecht in Kraft treten, wonach ein Bürger das Bauland ohne Entschädigung wieder abzugeben hatte, er also quasi enteignet wurde. Mit diesen Maßnahmen war es dem Staat möglich, gezielt eine Neuansiedlung von Bürgern zu betreiben, zumal eine solche Stadterweiterung normalerweise nicht aufgrund eines besonders hohen Bevölkerungsdrucks stattfand, sondern in der Regel eine bewusste, lange vorher geplante Siedlungspolitik darstellte. Besonders die Ansiedlung der französischen Hugenotten in der Friedrichstadt oder die Ansiedlung französischer Refugiés in Moabit sind hierzu sehr bekannte Beispiele. Mit der Überführung von Grund und Boden in die Form des freien uneingeschränkten Privateigentums im Zuge der Separation, verlor der Staat in weiten Teilen seine Einflussmöglichkeit auf die Stadtplanung und den Städtebau. Durch das Ende der Erbuntertänigkeit, sowie der Beseitigung der Beschränkung beim Grundstückserwerb, wurde in Preußen das Grundeigentum anerkannt. Nun war es nicht mehr möglich, die Verwirklichung eines Bebauungsplans durch Vergabe und Entzug von Bauland oder per Dekret durchzusetzen. Von nun an musste sich die staatliche Planung an den Interessen der Grundeigentümer ausrichten, was zwangsläufig zu Problemen führen musste. Bereits mit der Aufstellung des Bebauungsplanes von Johann C. L. Schmid aus dem Jahre 1830 prallten die unterschiedlichen Interessen aufeinander. Das Innenministerium hatte Schmid bereits im Sommer 1827 beauftragt, einen ‘Bebauungsplan für die Umgebung Berlins’ zu erarbeiten. Zwar sollte das gesamte damalige Gebiet des Berliner Weichbildes bearbeitet werden, jedoch konzentrierten sich die Planungen Schmids besonders auf das ‘Cöpenicker Feld’ , das Gebiet am Frankfurter Tor, und das innerhalb der Akzisemauer noch unbebaute Gebiet in der Luisenstadt. Dieser Plan sah große rechtwinklige Baublöcke vor und orientierte sich vorwiegend an den in diesem Gebiet vorhandenen Wegen und Grundstücksgrenzen, um so die Entschädigungs- und Erschließungskosten so gering wie möglich zu halten. Bereits hier machten sich die neuen Grundbesitzverhältnisse bemerkbar. Hatte in früherer Zeit der Landesherr das Gelände ‘verschenkt’, und damit ganz bestimmte Forderungen an die bauwilligen Bürger gestellt, so musste jetzt der Staat auf das Grundeigentum Rücksicht nehmen und bei der Anlage des Straßenrasters teilweise dessen Forderungen berücksichtigen. Auch der revidierte Schmidsche Bebauungsplan von 1840, den Peter Joseph Lenné erstellte, musste sich dieser Problematik unterordnen. Lennés Pläne zur Stadtentwicklung wurden von König Friedrich Wilhelm IV. unterstützt, dessen Vorstellungen von einer mehr ästhetischen Gestaltung der Stadt geprägt waren und eine Distanz zu Schmids Bebauungsplänen bedeuteten. Schmids Bebauungsplan war dem damaligen Kronprinzen nicht repräsentativ genug. Lenné wurden alle städtebaulichen Planungen der Residenzstadt übertragen und in seinen Überlegungen hatte er die durch den Bau von Eisenbahnen und Bahnhöfen veränderten Bedingungen der Flächennutzung teilweise bereits berücksichtigt. Auch die Vorstellungen des Kronprinzen bezüglich der Luisenstadt mussten von Lenné mit eingearbeitet werden, denn dieser wünschte sich dort ein repräsentatives Stadtviertel, mit breiten Straßen und großen monumentalen Plätzen. Die Häuserblocks sollten eine Randbebauung mit innen liegenden Gärten erhalten. Auch an eine Gewerbeansiedlung war hier gedacht. Unter dem Titel ‘Projektierte Schmuck- und Grenzzüge von Berlin mit nächster Umgegend’ reichte Lenné schließlich seinen Gesamtplan für die Berliner Stadtentwicklung am 24.4. 1840 beim Ministerium des Inneren ein. Dieser Bebauungsplan war letztendlich eine Art Kompromiss zwischen den Planungen Schmids, den Wünschen des jetzigen Königs für die Luisenstadt und den Vorstellungen Lennés. So schlug er unter anderem vor, den Landwehrkanal schiffbar zu machen und, in Anlehnung an Schmid, einen neuen Kanal durch die Luisenstadt zu führen. Sein Plan schloss ebenso Bebauungspläne für das Köpenicker Feld, den Friedrichshain, Bellevue, den Charité-Garten, für die Hasenheide, den Zoologischen Garten, das Gelände der ehemaligen Pulvermühlen in Moabit und auch die Linienführung und Bepflanzung des Luisenstädtischen und Landwehrkanals ein. Während der Plan im Norden Berlins einen übergeordneten bogenförmigen Boulevard vorsah, der die weitere Ausdehnung der Stadt nach Norden und Osten festlegen sollte und später von Hobrecht mit seinem Ringstraßenkonzept umgesetzt wurde, gab er im Süden mit dem Bau des Luisenstädtischen Kanals auch wirtschaftlichen Spielraum. In Lennés Plänen zeigt sich ein letzter Versuch, der expandierenden Stadt noch einmal ein nach veralteten feudalen Gesichtspunkten entwickeltes Gerüst für ihre Expansion zu geben, als die industrielle Entwicklung und das Privateigentum an Grund und Boden dies schon nicht mehr zuließen. Die Bebauung entwickelte sich dann auch ganz anders, als es sich Lenné und der König vorgestellt hatten. Zwar wurden das Straßennetz und der Kanal tatsächlich in den geplanten Formen nach dem Bebauungsplan von 1840 ausgeführt, jedoch reichte der Einfluss der Stadtplanung jetzt nicht mehr aus, über einen Bebauungsplan auch die Bebauung zu bestimmen. Nicht mehr der Landesherr diktierte, sondern die Spekulationsinteressen der Haus- und Grundeigentümer. Statt der Vorstadthäuser entstanden vier- bis fünfgeschossige Mietskasernen mit mehreren Hinterhöfen und statt der in den Baublocks liegenden Gärten wurden ‘Fabrikhöfe’ gebaut. Noch deutlicher als in der Luisenstadt zeigten sich die neue Macht des Privateigentums, sowie die Wirkungslosigkeit der Stadtplanung, im letzten großen Bebauungsplan, dem ‘Bebauungsplan der Umgebung Berlins’ von 1862. Als Vorbereitung auf die geplante Stadtgebietserweiterung von 1861 (das Stadtgebiet vergrößerte sich dabei von 3511 auf 5923 Hektar), wurde im Auftrag des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten und des Berliner Polizeipräsidenten seit 1852 von einem eigens eingesetzten ‘Commissarium’ unter Leitung von Heinrich Julius Köbicke, und nach dessen Erkrankung von James Hobrecht, ein neuer Bebauungsplan erstellt. Die Planungskommission sollte das neue Stadtbild kartographisch erfassen, für eine vorausgeschätzte Bevölkerung von 1,5 Millionen die erforderlichen Wohnquartiere und für den künftigen Verkehr die Straßenanlagen entwerfen. Das dem Bebauungsplan zugrunde gelegte Stadtgebiet beinhaltete wesentlich größere Gebiete als Berlin in seinen neuen Grenzen von 1861. Zusätzlich umfasste es die Gemeinden Charlottenburg, Wilmersdorf, Rixdorf, Reinickendorf, Weißensee und Lichtenberg. Am 13. Dezember 1861 konnte Hobrecht dem Polizeipräsidenten den fertigen Plan vorlegen, welcher in 14 Abteilungen unterteilt war und die Baufluchtlinien für die unbebauten Flächen in der Umgebung Berlins auswies. Der Bebauungsplan enthielt auf Wunsch des Königs Vorschläge zur Einfassung der Stadt durch ringförmige Prachtstraßen nach Pariser Vorbild, wie sie bereits Lenné 1840 geplant hatte, und das regelmäßige Straßenraster sollte mit einer größeren Zahl von Markt- und Schmuckplätzen gegliedert werden, von welchen allerdings die meisten aus Kostengründen unverwirklicht blieben. Der Plan konzentrierte sich auf das zukünftige Straßen- und Platzraster und verzichtete auf Vorgaben für die Füllung der Baublöcke, da eine solche staatliche Vorgabe längst nicht mehr hätte durchgesetzt werden können. Ein großes Problem bei der Umsetzung des Planes lag auch in der stark eingeschränkten Entscheidungsbefugnis der Planungsbehörde. Es gab von Anfang an Instruktionen, dass bei der Planung des Straßennetzes Privatgrundstücke besonders schonend behandelt werden sollten und die neuen Straßen diese Grundstücke möglichst nicht durchschneiden sollten und man aus Kostengründen auf die bereits vorhandenen Feldwege zurückgreifen sollte. Ebenfalls waren keine Durchbrüche für Straßenzüge aus der Innenstadt heraus vorgesehen, denn man konzentrierte sich vorwiegend auf das unbebaute Gelände. Und selbst hier kam man den zahlreichen Beschwerden und Einsprüchen der betroffenen privaten Besitzer in zeitraubenden Revisionsverfahren weitgehend entgegen. Dies führte dazu, dass in einigen Abschnitten des Bebauungsplans ganze Straßenzüge abgeändert wurden und es so zu einer großen Zahl von Detailänderungen kam. Besonders deutlich, und heute noch sichtbar, wurde eine solche Änderung im südlichen Teil der Gürtelstraße, die nur unvollständig entwickelt wurde. Man hatte die Pläne Lennés übernommen, die südliche Gürtelstraße als eine Aneinanderreihung von Boulevards zu konzipieren, denen man die Namen berühmter Generäle aus der Zeit der Befreiungskriege gab: Tauentzien, Kleist, Bülow, Yorck, Gneisenau und Blücher. Diesem ‘Generalszug’ wurden Plätze beigeordnet, die an die siegreichen Schlachten der Jahre 1813/14 erinnerten: Wittenberg, Nollendorf, Dennewitz und Wartenburg. Zentrum dieses Boulevards sollte der Wahlstattplatz sein, der als Park konzipiert auch als Endpunkt einer Nord-Süd-Allee gedacht war. Da der Platz jedoch in der Yorckstraße inmitten zweier ausgedehnter Eisenbahnanlagen gelegen hätte, musste er den Interessen der beiden Eisenbahngesellschaften (Potsdamer und Anhalter Bahn) geopfert werden, die mit ihrem anhaltenden Widerstand und ihren Kopfbahnhöfen bereits die Planungen Lennés in diesem Bereich gestoppt hatten. Mittlerweile waren diese Bahnanlagen zu riesigen Güterumschlagplätzen geworden, welche durch zahlreiche Rangieranlagen miteinander verbunden waren, und so eine Barriere bildeten, die von der Stadtplanung nicht mehr überwunden werden konnte. Sowohl der Platz als auch die gesamte Nord-Süd-Allee wurden ersatzlos aus dem Bebauungsplan gestrichen und die Ringstraße an dieser Stelle unterbrochen. Die Yorckstraße knickte nun nach Süden ab, führte unter den Eisenbahnanlagen hindurch und stellte die Verbindung der Ringstraße her. Dieses Verkehrshindernis existiert bis heute. Der Bebauungsplan von 1862 hatte weit reichende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung Berlins und die Wohnverhältnisse seiner Bevölkerung. Und er wurde teilweise zu Unrecht heftig kritisiert. Hauptkritikpunkt fast aller Stadtplaner des 19. und 20. Jahrhunderts war die Aussage, der Bebauungsplan hätte das Mietskasernenelend und die Mietskaserne als solche in Berlin erst ermöglicht. Zwar förderte der Plan die damals um sich greifende Grundstücksspekulation in starkem Maße, wie selbst der Berliner Magistrat in einem Schreiben an den Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten 1871 feststellte: ‘Die Ausarbeitung des Bebauungsplans für Berlin – richtiger des Straßenplans von Berlin –, ohne dass diese Straßen wirklich angelegt wurden, hat eine große Zahl von Flächen zwar nicht der Bebauung erschlossen, denn die Straßen existieren nur auf dem Papier, wohl aber hat er den Inhabern dieser Flächen Veranlassung gegeben, Baustellenpreise dafür zu fordern, und er hat somit zur Preissteigerung der Baustellen wesentlich mitgewirkt’ , jedoch machte der Bebauungsplan keinerlei Aussagen über die Art der Bebauung. Viel entscheidender in dieser Hinsicht war die unheilvolle Verbindung der oben erwähnten Bodenspekulation und blankem Profitdenken der Baugesellschaften mit einer mehr als unzureichenden Bauordnung. Diese vom Polizeipräsident am 21. 4. 1853 erlassene Bauordnung zielte in erster Linie darauf ab, einen umfassenden Feuerschutz zu gewährleisten. Maßnahmen, die dem Schutz der Gesundheit der Bewohner dienen sollten, wurden dagegen völlig vernachlässigt. So wurden innerhalb der Bauordnung die Baufluchtlinien reglementiert und man stellte zugleich einen Katalog über die maximale Höhe der Wohngebäude auf. Diese Höhe war abhängig von der Straßenabmessung, sodass die Breite der Straße die Höhe der Häuser definierte. Da im Bebauungsplan die Straßen für einen zukünftig zu erwartenden Verkehr ausgelegt waren und somit zwischen 22 und 38 Metern breit waren, ergab sich überall eine Bauhöhe von 5 bis 6 Geschossen. Da darüber hinaus im weitmaschigen Straßenraster des Bebauungsplans Wohnstraßen nicht vorgesehen waren, ergaben sich ungewöhnlich große Baublöcke, denn die Grundstückseigentümer sahen in speziellen Wohnstraßen nur eine Verringerung des Mietvolumens und damit eine Verringerung ihres Gewinns. So wurden letztendlich die riesigen Baublöcke nicht, wie von Hobrecht vorgesehen, teilweise durchgrünt und von Bebauung freigehalten, sondern die Großparzellen wurden hochverdichtet bebaut und das teilweise über mehrere hundert Meter Bautiefe und somit entsprechend der Bauordnung maximal ausgenutzt. Diese jetzt entstehenden Mietskasernen mit ihren teilweise dutzenden Quer- und Seitenflügeln waren teilweise nur über die zahlreichen Innenhöfe zu erreichen, welche gemäß der Bauordnung so winzig bemessen waren, dass teilweise kein Sonnenlicht den Boden erreichte. Ihre Mindestgröße war jedoch definiert: 5,34 m im Quadrat also 28,52 Quadratmeter. Das entsprach dem Wenderadius der damals benutzten Feuerspritzen. So entwickelte sich aus einer völlig unzureichenden Bauordnung in Verbindung mit einem Bebauungsplan, der allzu oft wegen den Interessen der Grundstücksbesitzer hatte revidiert werden müssen, eine Baupraxis, unter der sich die Wohnverhältnisse Berlins sehr bald zum Schlechten entwickelten. War es dem Staat beim von Lenné ausgearbeiteten Bebauungsplan bereits nicht mehr möglich, den geplanten baulichen Charakter des Stadtteils, hier der Luisenstadt, durchzusetzen, so wurde doch der Straßenplan als solcher realisiert, da der Staat zu diesem Zeitpunkt noch teilweise in den Prozess der Separation des Bodens dahingehend eingreifen konnte, dass das für gemeinnützige Zwecke von Staat und Kommune erforderliche Land im Separationsverfahren rechtzeitig erworben werden konnte. Im Falle des Bebauungsplans von 1862 sah sich der Staat jetzt vor die Tatsache gestellt, seine Planungsabsichten auf Grund und Boden zu realisieren zu müssen, der jetzt Privateigentum geworden und somit dem staatlichen Zugriff entzogen worden war. Folglich reduzierte der Staat den Inhalt seines Bebauungsplanes auf die Reservierung von Grund und Boden für das zu bauende Straßennetz und betrieb dessen Anlegung. Art und Ausmaß der Bodennutzung bzw. die Quantität und Qualität der Bebauung überließ er den Eigentümern. Hier zeigt sich besonders deutlich, welchem grundlegenden Wandel der Berliner Städtebau Mitte des 19. Jahrhunderts unterworfen war. Eine Aussage von Paul Voigt macht die Problematik, mit der Berlin und insbesondere seine Bewohner zukünftig zu kämpfen hatten besonders deutlich: ‘Vom Mittelalter bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts hat die Anlage und Erweiterung einer Stadt, die Schaffung der Existenzgrundlage für die städtische Bevölkerung, als eine im eminentesten Sinne öffentlich-rechtliche Angelegenheit und deshalb auch stets als eine Aufgabe der städtischen oder staatlichen Gewalt gegolten erst dem 19. Jahrhundert blieb es vorbehalten, die Schaffung der Existenzgrundlage der ganzen Bevölkerung der privaten Spekulation zu überantworten.’ Fortan wuchs die Stadt, und mit ihr die Mietskasernen, ohne staatliche oder städtische Planung, nur noch bestimmt durch die wirtschaftlichen Interessen der Grund- und Hauseigentümer, im Stile der Bau- und Terrainspekulation. Dass diese Tatsache dann sehr bald zu einem katastrophalen Wohnungselend führen würde, deutete sich hier bereits an.
Falko M. Krause M.A. wurde 1975 in Lauffen am Neckar geboren. Nach seinem Abitur und Zivildienst in Heilbronn absolvierte er ein Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaften und Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein intensives Interesse am ÖPNV spiegelt sich auch in diesem Buch, welches 2005 als Magisterarbeit angenommen wurde. Seit 2008 leitet der Autor die Bibliothek einer privaten Hochschule in Berlin.