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- Die Selbstwahrnehmung von Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik 1955-1973
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Zwischen 1955 und 1973 warb die bundesdeutsche Wirtschaft millionenfach Arbeitnehmer aus dem Ausland an, um die jährlichen Wachstumsraten der Nachkriegswirtschaft weiter aufrecht erhalten zu können und das Lohnniveau im Sektor der gering qualifizierten Tätigkeiten niedrig halten zu können. Die Rolle der sogenannten Gastarbeiter wurde in der einschlägigen Fachliteratur bislang recht einseitig beleuchtet. Die Arbeitsmigranten, welche vornehmlich aus Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, Jugoslawien und der Türkei kamen, werden zumeist als Opfer einer verfehlten Integrationspolitik betrachtet, oder dienen als Beispiel kapitalistischer Ausbeutung. Die vorliegende Untersuchung soll nicht nur, bislang vernachlässigte, außenpolitische Aspekte der Anwerbevereinbarungen zwischen der Bundesrepublik und ihren Vertragspartnern berücksichtigen, sondern vor allem die Arbeitsmigranten selbst zu Wort kommen lassen. Im Fokus der Untersuchung stehen hierbei Selbstaussagen der Betroffenen, in denen sie über ihre Motive, ihre Heimat zu verlassen, um ein Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik aufzunehmen sowie ihre soziale Herkunft berichten. Hierbei soll vor allem die Frage geklärt werden, ob die ausländischen Arbeitnehmer vor allem aus ökonomisch motivierten Gründen ein temporäres Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik aufnahmen, wie oftmals in der Fachliteratur dargestellt, oder ob auch andere Aspekte, wie der Wunsch nach größerer persönlicher Freiheit oder besseren Bildungschancen ausschlaggebend waren. Weiterhin wird auch die Lebens- und Arbeitswelt in der Bundesrepublik aus Sicht der Arbeitsmigranten geschildert, die sich oftmals stark von der in der eigenen Heimat unterschied. Insbesondere der Kulturschock , den Arbeitsmigranten aus ländlich geprägten Regionen im industrialisierten Arbeitsalltag der Bundesrepublik erlebten sowie ihre Unterbringung in Gastarbeiterunterkünften werden hierbei thematisiert.
Textprobe: Kapitel 2.4, Außenpolitische Aspekte der Anwerbeabkommen: Wie bereits erwähnt, spielte bei den Verhandlungen über das Anwerbeabkommen mit Italien vor allem die wirtschaftliche und gesellschaftliche Westintegration der noch jungen Bundesrepublik eine entscheidende Rolle. Ein wirklicher Bedarf an zusätzlichen ausländischen Arbeitskräften bestand bis Anfang der 1960er Jahre in der Bundesrepublik nicht. Erst 1961, als die Vollbeschäftigung praktisch erreicht war und durch den Mauerbau der Flüchtlingsstrom aus der DDR versiegte, sah man die Notwendigkeit, externe Arbeitskräfte für die bundesdeutsche Wirtschaft im Ausland anzuwerben. Doch bereits 1960 schloss die Bundesregierung zwei weitere Abkommen zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte mit Spanien und Griechenland. Beide Staaten erfuhren bereits seit Ende der 1950er Jahre größere wirtschaftliche und auch politische Unterstützung seitens der Bundesregierung. Dies stieß zuweilen auf recht offene Kritik, da in beiden Ländern autoritäre, rechtsgerichtete Regime herrschten. Allerdings sah man in ihnen wertvolle Verbündete im Kampf gegen den Kommunismus und unternahm infolgedessen vermehrt Anstrengungen, diese Staaten in das westeuropäische Wertesystem einzugliedern. Zu diesen Maßnahmen zählten auch die beiden schon erwähnten Anwerbeabkommen mit der Bundesrepublik. Auch der damalige Arbeitsminister Theodor Blank stellte 1964 fest, dass die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte einen nicht unerheblichen Beitrag zur Europäischen Einigung leisten würde. So sprach er vor dem Hintergrund der bestehenden Anwerbeverträge von der ‘Verschmelzung Europas’ und der ‘Annäherung von Menschen verschiedenster Herkunft und Gesinnung in Freundschaft und Realität.’ Dass nicht, wie oftmals dargestellt, wirtschaftliche Interessen ausschlaggebend für die Unterzeichnung der beidseitigen Vereinbarungen zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte waren, zeigt insbesondere das Beispiel Jugoslawiens. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Jugoslawien wurde 1968 unterzeichnet, also in einem Zeitraum, in dem noch die unmittelbaren Nachwirkungen der ersten bundesdeutschen Nachkriegsrezession allgegenwärtig waren und aus ökonomischer Sicht eine weitere Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte höchst umstritten war. Hinzu kam, dass die übrigen Partnerstaaten große Bedenken gegen ein weiteres Abkommen der Bundesrepublik äußerten, da für sie nicht ersichtlich war, warum ein solches geschlossen werden sollte, wenn bei ihnen doch genügend freie Arbeitskräfte vorhanden waren. Das Anwerbeabkommen mit Jugoslawien stand vielmehr im Zeichen der Ost-West-Entspannungspolitik und der gegenseitigen Annäherung. Die Bundesrepublik hatte 1957 die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien abgebrochen, da dieses die Deutsche Demokratische Republik als souveränen Staat anerkannt hatte. Der Impuls ging hierbei wiederum nicht von der Bundesregierung aus, sondern von Seiten der jugoslawischen Regierung. Jugoslawien litt bereits seit einigen Jahren unter der unkontrollierten Abwanderung von Facharbeitern, vor allem nach Deutschland, da dort mehr zu verdienen war. Durch das Abkommen hoffte man dieses in geregelte Bahnen lenken zu können, da nun sowohl bislang ungeklärte Fragen bezüglich des Sozialversicherungsschutzes jugoslawischer Arbeiter in Deutschland, als auch die Begrenzung des Aufenthaltes jugoslawischer Arbeitsmigranten vertraglich geregelt wurden. Ebenso wie Jugoslawien litt auch die Türkei zu Beginn der 1960er Jahre unter hohen Abwanderungswellen bei qualifizierten Arbeitskräften, die man stärker regulieren, bzw. kontrollieren wollte. Zudem wies man von türkischer Seite auf die hohe Bedeutung der Türkei als NATO-Partner hin und forderte eine gleichrangige Behandlung mit den bisherigen Vertragsstaaten Italien, Spanien und Griechenland. Die Bundesregierung gab dieser Forderung schließlich nach, so dass im Oktober 1961 eine Vereinbarung zur Anwerbung türkischer Arbeitnehmer zwischen beiden Staaten unterzeichnet wurde, obwohl seitens der Bundesrepublik gar kein zusätzlicher Bedarf an Arbeitskräften bestand, da dieser bereits durch die bestehenden Abkommen gedeckt werden konnte. Gleichzeitig fürchtete man auf deutscher Seite, auch andere Länder könnten künftig ähnlich argumentieren und ebenfalls auf den Abschluss eines Anwerbeabkommens mit der Bundesrepublik bestehen. In einem solchen Fall hätte man nur schwer begründen können, warum eine solche Vereinbarung nicht auch mit diesen Ländern zustande kommen sollte, ohne dass jene sich diskriminiert gefühlt hätten. Dies mag ein Grund gewesen sein, warum im Vertragstext des Abkommens mit der Türkei nicht mehr von einer ‘Anwerbung’ der Arbeitskräfte gesprochen wurde, sondern von der ‘Vermittlung’ türkischer Arbeitnehmer. Konkret bedeutete dies, dass nicht mehr die deutschen Behörden eine Bedarfsmeldung herausgaben, auf die hin sich die Interessenten bewarben, sondern dass nunmehr konkrete Arbeitsangebote deutscher Unternehmen vorliegen mussten. Die Initiative bei der Vermittlung der türkischen Arbeitskräfte ging somit von den Behörden auf die deutschen Betriebe über, so dass weiterhin nach außen kommuniziert werden konnte, ausländische Arbeitskräfte nur zu konjunkturellen Spitzenzeiten und nur dort wo sie gerade benötigt würden, vermitteln zu wollen. Hinzu kam, dass die Dauer des Aufenthaltes für türkische Arbeitskräfte, im Gegensatz zu den vorangegangenen Abkommen, von vorneherein auf zwei Jahre und ohne die Möglichkeit einer Verlängerung, begrenzt wurde. Diese Regelung wurde jedoch vor allem auf Bestreben der türkischen Militärregierung getroffen, da sie den Aufenthalt ihrer Bürger in der Bundesrepublik als Bildungs- und Qualifikationsmöglichkeit sah, um westliche Standards in die Heimat zu importieren. Diese Bestimmung wurde jedoch bereits 1964 auf vier Jahre ausgedehnt, da zahlreiche deutsche Betriebe ihre angelernten Arbeiter länger im Betrieb halten wollten. Sowohl die Türkei als auch die übrigen Entsendeländer waren zum Zeitpunkt der jeweiligen Vertragsabschlüsse wichtige Handelspartner für die Bundesrepublik. Um auch weiterhin vom starken Exportgeschäft profitieren zu können, war den beteiligten Regierungen stets daran gelegen das Außenhandelsgleichgewicht zu wahren. Dieses konnte durch die Lohntransfers der in Deutschland beschäftigten Arbeiter gewährleistet werden, so dass die Absatzmärkte für den deutschen Export gesichert und ausgebaut werden konnten. Oftmals überstiegen die Gesamtsummen der Überweisungen ins Heimatland sogar die Einnahmen durch den Tourismus. So berichtete Der Spiegel in einem Artikel von 1971, dass im Vorjahr rund 14,3 Milliarden Escudos von portugiesischen Arbeitern in ihr Heimatland überwiesen wurden, während die Tourismusbranche gerade einmal 7 Milliarden erwirtschaften konnte. Im gleichen Jahr konnte die Türkei ihre ca. 700 Millionen DM Zahlungsverpflichtungen im Ausland mit den Überweisungen ihrer Bürger (900 Millionen DM), die in der Bundesrepublik beschäftigt waren, decken. Die vertraglich geregelten Anwerbevereinbarungen waren für die Vertragspartner der Bundesrepublik nicht zuletzt auch deshalb von Bedeutung, da sie auf diese Weise hofften, die unkontrollierte Anwerbung von Fachkräften durch deutsche Unternehmen zu verhindern, bzw. deren Abwanderung durch die Beschränkung der Arbeitsvertragslaufzeiten besser kontrollieren zu können.
René Feldvoß wurde 1982 in Lübeck geboren. Sein Studium der Geschichtswissenschaften an der Universität Hamburg schloss er 2014 mit dem akademischen Titel Master of Arts (M.A.) ab. Die Schwerpunkte des Autors liegen in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts sowie der Zeitgeschichte und der Mediengeschichte.
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