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- Die öffentliche Hand und ihr Verhältnis zu Trägern der freien Jugendhilfe. Eine Studie zur Finanzierung der offenen Jugendarbeit im ländlichen Gebiet
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2018
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Bis heute kommt es immer wieder zu Unstimmigkeiten zwischen Trägern der freien Jugendhilfe und örtlichen Trägern der Jugendhilfe. Auf Grund ihrer Position erlauben sich nur wenige freie Träger einen Widerspruch und nehmen die ihnen angebotenen Vorschläge der Verwaltung häufig resignierend an. Die Ursachen dafür dürften vielfältig sein. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist vermutlich, dass die freien Träger einen guten Teil ihrer Arbeit im Ehrenamt ausfüllen, besonders im Hinblick auf die Vorstände und Aufsichtsräte der Organisationen. Darüber hinaus verfügen diese Vorstände zum Teil kaum über Kenntnisse im SGB VIII. Ein weiterer wichtiger Faktor könnte sein, dass eine Mehrzahl der Organisationen sich scheut, einen Rechtsbeistand zu verpflichten und die ihnen vorgelegten Entscheidungen bzw. Intentionen der örtlichen Träger der Jugendhilfe auf Gültigkeit zu überprüfen. Häufig wird diese Scheu mit Kosten begründet, welche die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes nach sich ziehen würde, da man diese Mittel schlicht nicht zur Verfügung habe. Die Entscheidungsträger verlassen sich also lieber auf ihre eigenen, teilweise kaum vorhandenen Kenntnisse der Jugendhilfe und verzichten auf eines der wichtigsten Instrumente zur Wahrung eigener Interessen und der ihrer Klientel, der rechtlichen Prüfung. In dieser Studie wird untersucht, ob und wie sich die örtlichen Träger des Normensystems des Kinder- und Jugendhilferechts (KJHG) bedienen und in welchen Bereichen sie von den gesetzlichen Standards abweichen bzw. abweichende Interpretationen des KJHG entwickelt haben. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Angemessenheit des Handlungsinstrumentariums der örtlichen Träger gelegt und es wird untersucht, ob die Begründungen der entwickelten Interpretationen gesetzlichen Normen standhalten oder diesen möglicherweise widersprechen.
Textprobe: Kapitel 3.2 Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der Jugendhilfe Im § 79 SGB VIII ist die Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der Jugendhilfe formuliert. Dieser hat nicht nur die Verantwortung zur Erfüllung der Aufgaben nach SGB VIII sondern darüber hinaus auch die Planungsverantwortung (vgl. § 79, Abs. 1 SGB VIII). Das hat zur Folge, dass der örtliche Träger der Jugendhilfe nicht nur verantwortlich für die Planung der entsprechenden Dienste und Einrichtungen ist, sondern diese mit auskömmlichen Mitteln auszustatten hat, um ihren Aufgaben nachkommen zu können (vgl. § 79, Abs. 2, Sa. 1 SGB VIII). Dem Grunde nach müsste der Träger der örtlichen Jugendhilfe alle Maßnahmen ergreifen, also auch Räume und Personal zur Verfügung stellen, um die Einrichtungen und Dienste wirksam werden zu lassen. Der örtliche Träger der Jugendhilfe kann sich jedoch zur Erfüllung seiner Aufgaben der Träger der freien Jugendhilfe bedienen und soll auch, sofern Einrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe vorhanden sind oder rechtzeitig geschaffen werden können, von eigenen Angeboten absehen. In der Regel wird er dies aus inhaltlichen, finanziellen aber auch gesetzlichen Formulierungen heraus auch tun. Diese finden Ausdruck in § 4 SGB VIII. Formuliert ist dort neben der Maßgabe von eigenen Einrichtungen abzusehen auch, dass die öffentlichen Träger der Jugendhilfe mit den Trägern der freien Jugendhilfe partnerschaftlich zusammen arbeiten sollen (vgl. § 4 Absatz 1 u. 2 SGB VIII). Dem folgend überträgt das Jugendamt besonders die offene Jugendarbeit an Träger der freien Jugendhilfe und hat sie demzufolge auch mit den erforderlichen Mitteln auszustatten. Wie beschrieben obliegt dem Träger der Jugendhilfe die Planungsverantwortung. Daraus lässt sich ableiten, dass nicht nur geplant werden muss, welche Einrichtungen und Dienste zur Verfügung stehen sollen, sondern zusätzlich auch, wie die Inhalte aussehen sollen, mit denen der örtliche Träger der Jugendhilfe seine Aufgaben erfüllen will. Dazu ist auch auf § 79a SGB VIII zu verweisen. Hier wird die Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in der Jugendhilfe geregelt (vgl. § 79a S. 1 SGB VIII). Dies steht jedoch scheinbar im Widerspruch zu § 4 SGB VIII, der formuliert, dass die Träger der freien Jugendhilfe frei in ihren Zielsetzungen, ihrer Organisation und ihren Aufgaben sind (vgl. § 4, Abs. 1 SGB VIII). Für den örtlichen Träger hat das zur Folge, dass er bei der Entwicklung und Formulierung seiner Qualitätsstandards einerseits ein Mindestmaß an Qualitätskriterien entwickeln muss, andererseits aber zu beachten hat, keine Eingriffe in die Organisationshoheit der Träger der freien Jugendhilfe vorzunehmen. Die Träger der freien Jugendhilfe haben ihre finanziellen Angelegenheiten zunächst selbst zu regeln. Nicht entbunden wird der öffentliche Träger der Jugendhilfe davon, die notwendigen Einrichtungen und Dienste einzurichten. Ebenso wie er einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen hat (vgl. § 79, Abs. 2, Sa. 2 SGB VIII). Dem folgend muss der örtliche Träger entsprechende Einrichtungen und Dienste auch für die offene Jugendarbeit zur Verfügung stellen. Was als angemessen gilt, ist Aushandlungsprozess auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Die unscharfe Formulierung im SGB VIII führt diesbezüglich zu Spannungen zwischen örtlichen Entscheidungsträgern und Trägern der freien Jugendhilfe. Dennoch verweist Kunkel nicht zu unrecht darauf, dass eine Jugendhilfeplanung nach rein fiskalischen Erwägungen heraus de-facto der Pflichtaufgabe im erforderlichen Umfang nicht mehr gerecht wird (vgl. Kunkel 2016, S. 983). 3.2.1 Die Frage des Ermessens Diese Frage hat für die Träger der freien Jugendhilfe weitreichende Bedeutung. Ermessen bedeutet im Sinne des Gesetzgebers, dass den Ausführenden, also den Jugendämtern ein Ermessen bei der Erfüllung der Aufgabe eingeräumt wird. Zunächst ist das erst einmal eine unbestimmte Begriffsbestimmung. In § 39 Absatz 1 Satz 1 SGB I wird formuliert, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe ihr Ermessen dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausüben müssen. Ebenso muss die Begründung dieser Entscheidungen erkennen lassen, auf welchen Merkmalen die Behörde ihre Ermessensentscheidung trifft (vgl. Wabnitz 2003, S. 73 f.). Eine erste Einengung des Begriffes Ermessen findet sich in § 39 SGB I. Demnach ist das Ermessen fehlerfrei und pflichtgemäß auszuüben woraus sich nach Wabnitz ein subjektiver Rechtsanspruch ergeben kann (vgl. ebd., S. 74). Eine weitere Einengung beziehungsweise Anspruchsverdichtung auf Förderung dem Grunde nach, kann sich aus der Jugendhilfeplanung und dem § 74 SGB VIII ergeben. Da eine vorliegende Jugendhilfeplanung und Aufnahme in einen Bedarfsplan eine ermessensleitende Wirkung haben (vgl. Münder 2003, S. 635). Den Trägern ist nur unter engen Voraussetzungen zuzumuten, die übertragenen Aufgaben unter Einsatz eigener finanzieller Mittel durchzuführen. Gleichwohl sind sie aufgefordert und verpflichtet, angemessene Eigenmittel zur Erfüllung der Aufgaben einzusetzen (vgl. § 74, Abs. 1, Halbs. 2, Nr. 4, Abs.3, Sa. 3 SGB VIII). 3.2.2 Zu den Eigenmitteln nach § 74 Absatz 4 SGB VIII Ebenso wie das pflichtgemäße und fehlerfreie Ermessen gewinnt die Angemessenheit der Eigenmittel eine zentrale Bedeutung für die Träger der freien Jugendhilfe. Im SGB VIII, § 74, wird beschrieben, dass die Träger der freien Jugendhilfe einen angemessenen Eigenanteil selbst leisten sollen (vgl. § 74, Abs. 1, Sa. 1, Halbs. 2, Nr. 4 SGB VIII). Wie hoch als angemessen gelten kann, hat der örtliche Träger der Jugendhilfe zu prüfen. Dabei darf er jedoch nicht pauschal festlegen, dass für alle Träger der freien Jugendhilfe eine gleich bemessene Höhe als Eigenmittelquote bestimmt wird. Vielmehr muss der örtliche Träger die Angemessenheit der Eigenmittel im Einzelfall prüfen (vgl. BverwG 5 C 25.08, Nr. II, Abs. 31). Ungleiches darf also nicht gleich behandelt werden. Unter Berücksichtigung der Gemeinnützigkeit und den damit verbundenen Anforderungen sind die Träger der freien Jugendhilfe grundsätzlich in nur begrenztem Rahmen in der Lage, auskömmliche Finanzen in ausreichender Höhe aus eigenen Mitteln zur Verfügung zu stellen. Ist bei den großen Wohlfahrtsverbänden die Frage der Finanzierbarkeit, mit Blick auf die anderen Aufgaben die sie noch erfüllen, als leistbar, also grundsätzlich positiv zu beantworten, kann dies bei den kleinen Trägern der freien Jugendhilfe kaum noch bestätigt werden. Sie haben häufig eine bescheidene Finanzausstattung zur Verfügung, die sich im besten Falle aus Spenden, dem Bezug von finanziellen Zuweisungen der Gerichte und Mitgliedsbeiträgen speisen. Gewinnbringende Einnahmen haben diese Träger in der Regel nicht vorzuweisen. Außerdem würde dies mit dem Kriterium der Gemeinnützigkeit kollidieren und sie würden diese unter Umständen verlieren. Zumindest unter steuerlich relevanten Überlegungen. Darüber hinaus würde ein Konflikt mit § 74 SGB VIII entstehen, der die Gemeinnützigkeit als eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine Förderung voraussetzt (vgl. § 74, Abs. 1, Halbs. 2, Nr. 3 SGB VIII). Somit begrenzt sich die Finanzierbarkeit der offenen Jugendarbeit aus Vereinsmitteln auf ein Minimum. Die Vorgaben der örtlichen Träger, bezogen auf Mindeststandards und Qualitätskriterien, lassen den Trägern der freien Jugendhilfe demzufolge wenig Spielraum, ihre ohnehin knappen Ressourcen zur Einholung weiterer Mittel einzusetzen. Die Erwartungen an das Personal hinsichtlich Qualifikation, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung und zu leistender Alltagsarbeit bieten kaum zeitliche Freiräume, um diesbezüglich tätig zu werden. In der Trägerlandschaft finden sich Organisationen, wie AWO, Diakonie oder Volkssolidarität, deren Finanzkraft um ein vielfaches höher ausfallen dürfte als die eines kleinen Vereins mit zwei oder drei Mitarbeiterinnen. Das hat für die Jugendämter einen Mehraufwand zur Folge. Der Aufwand dürfte jedoch im Sinne der Unterschiedlichkeit der freien Träger der Jugendhilfe gerechtfertigt erscheinen. Nur auf diese Weise kann die Vielfalt dieser Träger, angemessen berücksichtigt werden. Wabnitz führt das in seinem Buch Recht der Finanzierung der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit treffend an in dem er schreibt, dass es bei den zu erbringenden Eigenleistungen abzulehnen ist, die Höhe von Eigenleistungen als feststehende Bezugsgröße zu wählen (vgl. Wabnitz 2003, S. 66). Verkürzt formuliert wird also mit einer pauschalisierten Festlegung einer Eigenmittelquote ungleiches gleich behandelt. In den untersuchten Gebieten wird die Anteilsfinanzierung praktiziert. Das bedeutet, dass nur ein bestimmter Prozentsatz der benötigten Mittel gefördert wird. Bei ausreichender Berücksichtigung der als angemessen geltenden finanziellen Beteiligung setzt dies die Offenlegung der Finanzen des freien Trägers voraus. Wie sonst sollte dieser Anteil bemessen werden? Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Träger der freien Jugendhilfe die Gewähr für einen zweckmäßigen sparsamen Einsatz der zur Verfügung gestellten Mittel übernehmen müssen. Formuliert im allgemeinen Haushaltsgrundsatz, […] nach dem öffentliche Mittel wirtschaftlich und sparsam zu verwenden sind [...], Zuwendungen nur gewährt werden dürfen, wenn der Zuwendungsgeber an der Erfüllung des Zweckes, für den diese gewährt werden, ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendung nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann [...] und bei der Gewährung von Zuwendungen zu bestimmen ist, wie die zweckentsprechende Verwendung der Zuwendungen nachzuweisen ist [...] (BverwG, 5 C 25.08, Nr. II Abs. 18). Üblicherweise wird dies im Rahmen einer Verwendungsnachweisprüfung durch das zuständige Jugendamt geprüft. Auch einem Jugendamt können hin und wieder Fehler bei der Erstellung von Zuwendungsbescheiden unterlaufen. In diesem Fall wird von fehlerhaftem Ermessen auszugehen sein. Das kann sich äußern in Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch. Ein Ermessensfehlgebrauch könnte vorliegen, wenn der örtliche Träger der Jugendhilfe gegen höherrangiges Recht verstößt. Von einem Ermessensnichtgebrauch kann gesprochen werden, wenn das ermessen nicht erkannt oder ausgeübt wurde. Für die Ermessensüberschreitung muss der örtliche Träger gegen bindende Festlegungen seiner Jugendhilfeplanung verstoßen (vgl. Wabnitz 2003, S. 74 f.). Natürlich sind die hier genannten Fälle nicht abschließend und es kommen eine Reihe weiterer Fehler in Betracht. 3.2.3 Zum Gleichheitsprinzip Im § 74 SGB VIII lässt sich zum Gleichheitsprinzip ein wichtiger Hinweis, bezogen auf das Verhältnis örtlicher Träger der Jugendhilfe zum Träger der freien Jugendhilfe finden. Die örtlichen Träger sollen darauf achten, dass die gleichen Grundsätze und Maßstäbe für die Dienste und Einrichtungen angelegt werden, wie für den öffentlichen Träger der Jugendhilfe (vgl. § 74, Abs. 5 SGB VIII). Auch lohnt es sich, den Blick auf eines der grundlegendsten Gesetzeswerke der Bundesrepublik Deutschland zu werfen: das Grundgesetz. Dort findet sich dieses Prinzip in Artikel 3 (vgl. Art. 3, Abs. 1 GG). Wirksam ist dies somit zweifelsfrei auch für die Soziale Arbeit, genauer gesagt die offene Jugendarbeit. Es ist darauf hinzuweisen, dass Gleiches nicht nur gleich behandelt werden soll, sondern darüber hinaus auch Ungleiches eben nicht gleich behandelt werden darf. Das Gleichheitsprinzip beinhaltet also auch für die Träger der freien Jugendhilfe, korrekt angewendet, Chancengleichheit. Das schließt den Ausgleich bei objektiven Benachteiligungen, wie das beispielsweise bei der Erbringung von Eigenmitteln regelmäßig, zumindest für die kleinen Träger der freien Jugendhilfe der Fall sein dürfte, mit ein. Ob diesem Prinzip auf wirksame Weise Rechnung getragen wird, wird sich bei der Auswertung der Untersuchungen zeigen.
Maik Friedrich wurde 1964 in Frankenberg geboren. Sein Studium zum Sozialarbeiter an der Hochschule Mittweida schloss der Autor im Jahr 2018 mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen in der Sozialarbeits-Branche. Fasziniert von den vielen unterschiedlichen Interpretationen insbesondere des SGB VIII, befasste er sich intensiv mit den einschlägigen Kommentaren zum SGB VIII und studierte höchstrichterliche Entscheidungen zum Thema. Seine freiberufliche Mitarbeit in einer Anwaltskanzlei motivierte ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.