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- Die Familie als Betrieb: Wie ein neues Frauenleitbild die Mutter zur Familienmanagerin erniedrigt
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Frauen, die sich für Beruf und Familie entscheiden, sind doppelbelastet. Diese Situation macht viele ratlos, denn um beide Bereiche vereinbaren zu können, müssen erwerbstätige Mütter die räumliche Trennung von beruflicher und häuslicher Sphäre genauso bewältigen, wie die Umstellung zwischen familiärer und beruflicher Logik. Bei der Erwerbsarbeit gilt es, dem Effizienzdruck standzuhalten, zielgerichtet und akkurat Aufgaben in dafür vorgegebener Zeit zu erledigen. Zu Hause hingegen folgen Haushalt und Familienpflege anderen Gesetzmäßigkeiten. Kinder brauchen Zuwendung, Wärme, Ruhe und Geborgenheit. Der Staat reagiert nur unzureichend auf diese Situation und fordert unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Gleichstellungspostulats mehr Frauen in Führungspositionen. Gleichzeitig steigt die öffentliche Forderung nach Geburtenwachstum. So wächst die Ratlosigkeit der Betroffenen. Beratung verspricht hier Abhilfe. Sie reagiert zielgerichtet auf gesellschaftliche Notlagen und entlastet den Staat von seiner Verantwortung, indem sie die Verantwortung auf jeden einzelnen Bürger, jede einzelne Bürgerin zurückwirft, wie die Autorin aufzeigt. Jennifer Altmann analysiert in der vorliegenden Untersuchung einen schriftlichen Ratgeber, der doppelbelasteten Frauen Hilfe verspricht. Darin zeigt sie auf, wie der Ratgeber den ratlosen Leserinnen ein visionäres Leitbild zuführt und sie im Namen der Nutzenmaximierung zur Selbstverformung auffordert. Am Beispiel dieses Ratgebers zeigt die Sozialwissenschaftlerin die absurde Botschaft von Beratung auf: Wer ratlos ist, ist selbst das Problem und muss an sich arbeiten!
Textprobe: Kapitel 3.1, Demografische Bedrohung : In der Bundesrepublik wird seit Jahrzehnten ein Geburtenrückgang beobachtet. Seit 1972 werden mehr Sterbefälle als Geburten verzeichnet. Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten weist Deutschland recht geringe Geburtenraten auf. Diese Entwicklung wird von regierungspolitischer Seite als demografische(s) Problem bezeichnet, denn ab 2010 wird ein Rückgang des ökonomisch relevanten Arbeitskräfteangebots erwartet, das auf den, im internationalen Vergleich, verhältnismäßig wenigen Geburten basiert. So wirkt sich der demografische Wandel, nach volkswirtschaftlichen Berechnungen, negativ auf das wirtschaftliche Wachstum in der BRD aus und gefährdet in Folge dessen auch die sozialen Sicherungssysteme. Jene seien bedroht, wenn die Alterung der Gesellschaft dazu führt, dass die Rentenansprüche steigen und die einzahlenden EwerbsarbeiterInnen verhältnismäßig weniger werden. Zur Aufrechterhaltung der Sicherungssysteme und des ökonomischen Wachstums werden familienpolitische Maßnahmen eingesetzt, die ein Geburtenwachstum in Gang setzen sollen. Um die Hintergründe der ‚familienfreundlichen’ Maßnahmen, die von staatlicher und unternehmerischer Seite geplant und durchgeführt werden, zu verstehen, muss zunächst auf die Ursachen des Geburtenrückgangs eingegangen werden, welche vom Bundesministerium definiert werden. Anhand eines Gutachtens des BMFSFJ werde ich nachzeichnen, auf welcher Argumentationsgrundlage die Maßnahmen basieren. Dr. S. Gruescu und Prof. Dr. Dr. h. c. B. Rürup sind am Institut für Volkswirtschaftslehre der Technischen Universität Darmstadt im Fachbereich Finanz- und Wirtschaftspolitik tätig. Sie erstellten 2003 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ein Gutachten, in dem sie Vorschläge für eine Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer aktiven Bevölkerungsentwicklung definieren. Darin schließen sie, dass sich das Geburtsverhalten in Deutschland nach (...)nationaler Herkunft, Familienstand und Bildungsstand. unterscheidet. Frauen mit Migrationshintergrund bekämen demnach häufiger Kinder als Frauen deutscher Herkunft. Auch die Heirat wird in Zusammenhang mit der Geburt von Kindern gebracht. So entschieden sich verheiratete Paare häufiger für Kinder als unverheiratete. Hochqualifizierte Frauen seien ebenfalls häufiger kinderlos als geringer qualifizierte, was auf die beruflichen und finanziellen Konsequenzen der Erwerbspause zurückzuführen sei. Demnach überwögen Geld und Karrierepläne bei Frauen mit (i.d.R.) besserbezahlter Arbeit gegenüber dem Kinderwunsch. Die Opportunitätskosten seien zu hoch, heißt es. Zu diesem Ergebnis kommen die AutorInnen bei Betrachtung der ökonomischen Bedingungen des Geburtenrückgangs mit Hilfe der ökonomischen Theorie. Zwar relativieren Gruescu und Rürup, dass diese bestimmte Belange nicht berücksichtigt, doch seien es gerade die ökonomischen Erkenntnisse, die der (Familien-) Politik als Betätigungsfeld zur Verfügung stehen. Letztendlich ist es einfacher, durch familienpolitische Maßnahmen z.B. die finanzielle Lage eines Haushaltes zu beeinflussen, als kulturelle und historisch gewachsene Umstände zu verändern . Die ökonomische Theorie setzt ein rationales und auf Nutzenmaximierung angelegtes Kalkül im Menschen voraus, der durch Abwägen von Kosten-Nutzen-Rechnungen Entscheidungen trifft und danach handelt. Hiernach träfen Frauen bzw. Eltern die Entscheidung ein Kind zu bekommen nach der Aufrechnung anfallender Kosten mit den Nutzen, die ein Kind mit sich bringe. Auch Vanberg erklärt mit Hilfe der ökonomischen Theorie den Einfluss ökonomischer Kalkulation auf persönliche Entscheidungen und begründet damit den Rückgang bzw. Wandel sozialer Normen. Rationale Bewertungen nehmen demnach einen erheblichen Einfluss auf die Lebensplanung und –Gestaltung, da die Nutzenmaximierung zum wichtigsten Entscheidungskriterium würde, das kulturell und historisch gewachsene Werte überwindet. Als Kosten, die dem Kinderwunsch entgegenstehen, werden bei Gruescu und Rürup Kleidung, Nahrung, Wohnraum, Erziehung, Ausbildung genannt, die als ‚direkte’ Kosten bezeichnet werden. Die ‚indirekten’ Kosten entstünden vorwiegend durch die Schwierigkeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Denn durch die Geburt eines Kindes verschöben sich die Pflichten zum Nachteil der Erwerbsarbeitsphäre, was sich auf das Einkommen oder spätere Rentenansprüche niederschlagen könnte. Der Nutzen, den Eltern aus ihren Kindern zögen, sei persönlich variabel und könne deshalb nicht in den Berechnungen berücksichtigt werden. Generell wird festgestellt, dass Eltern in der Regel lediglich den persönlichen Nutzen bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind bedenken, statt die Vorteile der Gesellschaft, durch den Nachwuchs, in ihre Kinderplanung einzubeziehen: Da in das Nutzenkalkül der Eltern weder die Konsequenzen auf die gesellschaftliche Reproduktion noch die auf den für die langfristige Weiterentwicklung wichtigen Humankapitalbestand eingehen, wird tendenziell das Gut Kind ‚zu wenig konsumiert’. . Trotz der stark begrenzten Perspektive auf die Lebensverhältnisse von Frauen, erklären Rürup und Gruescu anhand der ökonomischen Theorie, weshalb sich gerade Besserverdienerinnen für die Erwerbsphäre und gegen Kinder entscheiden. Eine Erwerbsunterbrechung bedeute für sie finanziell größere Einbußen als bei geringer bezahlten Erwerbsarbeiterinnen. Historische, kulturelle und soziale Entwicklungen werden dabei nicht berücksichtigt. In diesem Erklärungsansatz werden Menschen auf ein unternehmerisches Kalkül begrenzt, welche durch den richtigen ‚Input’, gleich eines Betriebs, den berechenbaren ‚Output’ produzieren. Menschen werden hier für die staatliche Planung auf ihre ökonomische Relevanz reduziert, wobei die Frauen Reproduktions- und Produktionsfunktionen übernehmen. Die familienfreundlichen Maßnahmen, welche im Sinne nachhaltiger Familienpolitik empfohlen werden, basieren auf der Idee einer Senkung der Opportunitätskosten, um Frauen dazu zu bringen mehr Kinder zu bekommen. Die ökonomische Theorie dient hier, um relativ kurzfristig familienpolitische Maßnahmen formulieren zu können, die darauf abzielen, direkte und indirekte Kosten zu senken, um ein Abwägen zugunsten der Geburtenentscheidung, insbesondere besserverdienender Frauen, zu beeinflussen. Gleichzeitig basiert sie jedoch auf einem Menschenbild, dass die Menschen und ihre Lebenszusammenhänge, meines Erachtens nach, nicht ausreichend berücksichtigt. So verhindert diese Perspektive die realen Nöte und Schwierigkeiten der erwerbstätigen Mütter zu bedenken, die, wie im letzten Kapitel gezeigt, sehr persönlich, vielfältig und damit nicht berechenbar sind. Die ökonomischen Berechnungen des Humankapitals im Gutachten des Bundesministeriums legen nahe, dass familienpolitische Maßnahmen auf Basis jener betriebswirtschaftlichen Denkweisen geplant und umgesetzt werden. Ausgehend von der staatlichen Intention, die Geburtenhäufigkeit in Deutschland zu steigern und Deutschland somit wettbewerbsfähig zu halten, werde ich im folgenden Kapitel auf weitere betriebswirtschaftliche Effekte der vermeintlich ‚familienfreundlichen’ Maßnahmen eingehen, welche in deutschen Unternehmen zunehmend etabliert werden, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ‚verbessern’.
Jennifer Altmann wurde 1980 im Schaumburger Land geboren und studierte Diplom-Sozialwissenschaften an der Leibniz Universität Hannover mit den Schwerpunkten Gender Studies und Sozialstaat. Um ihre Qualifikationen auch praktisch weiter auszubauen engagierte sich die Autorin während der gesamten Studienzeit in diversen Redaktionen des hannoverschen Bürgerfunks. Neben dem Studium arbeitete sie als studentische, wissenschaftliche Hilfskraft bei der Vernetzungsstelle für Gleichberechtigung, Frauenbeauftragte und Gleichstellungsbeauftragte. Hier vertiefte sie ihre Kenntnisse des Gender Mainstreamings und erweiterte ihr fachliches Wissen um tagespolitische Aspekte. Bei dieser Tätigkeit entwickelte sich die Fragestellung, welche Jennifer Altmann in der vorliegenden Studie behandelt.
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