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- Der Kriminalroman als Medium für (allgemeine) Gesellschaftskritik: Am Beispiel des schwedischen Autors Henning Mankell
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Mitte der 90er Jahre beginnt eine Flut von Kriminalromanen aus dem skandinavischen Sprachraum den deutschen Krimimarkt zu überfluten. Angeführt wird diese neue Riege von Krimiautoren durch Henning Mankell, der in kurzer Zeit eine große Fangemeinde in Deutschland findet. Europa befindet sich nach dem Fall der Mauer im Wandel und auch die nördlichsten Länder Europas sind davon betroffen. Henning Mankell nennt diese Zeit in dem Vorwort von Wallanders erster Fall (erschienen 1999) die europäische Unruhe. In diesem Vorwort fragt Mankell nach den Chancen für das Überleben der Demokratie, wenn das Fundament des Rechtsstaates nicht mehr intakt ist. Europa befindet sich in einem neuen Bewusstsein für Verbrechen und Gewalt, die es umgeben. Terrorismus, Rassismus, Gewaltorgien, Soziopathie, Massenmord, Serienverbrechen erfassen alle Länder und drängen sich in die Wahrnehmung der Menschen. Diese Untersuchung beschäftigt sich mit Ursachensachenforschung und dem Sichtbarmachen der Kritik, die Henning Mankell in seinen Büchern, speziell in der Wallander-Reihe an der Schwedischen Gesellschaft übt.
Textprobe: Kapitel 4.3, Mankell und der Fall Anna Lindh: Henning Mankell hat in Deutschland sehr wenige Interviews geführt. Wenn diese zustande kamen, sprach er vor allem über seine Einstellung zu den Entwicklungen in Schweden, über sein Leben und die Verarbeitung seiner Impressionen in seinen Büchern. Im Folgenden sollen einige Auszüge aus den von Mankell gegebenen Interviews aufgeführt werden, um vor allem die These zu untermauern, dass Mankell seine Romane dazu verwendet, um Kritik an der schwedischen Gesellschaftsentwicklung zu äußern. Gleichwohl sind die Stellungnahmen von Mankell zu bestimmten Missständen in seinem Land sehr aufschlussreich, denn sie spiegeln wider, wie intensiv er sich mit diesen Themen auseinander setzt. 4.3.1, Wie sieht sich Mankell selbst? Henning Mankell: (energisch) … ich schreibe keine Kriminalgeschichten, obwohl manche sie so nennen. Wenn ich gefragt werde: Nennen Sie eine gute Kriminalgeschichte, dann sage ich ‚Macbeth’ von Shakespeare: Die Gesellschaft im Spiegel des Verbrechens zu betrachten, das ist eine sehr alte Art des Schreibens – angefangen bei den alten Griechen, der Bibel, Shakespeare, Joseph Conrad, wer auch immer. Ich schreibe darüber, was in der Gesellschaft vor sich geht. Genießen Sie Popularität? Henning Mankell: Nein, nicht so sehr, aber ich stecke in einem Widerspruch: Einerseits schreibe ich, um Menschen zu erreichen andererseits muss ich sehr aufpassen, dass die Medien meine Person nicht interessanter machen als meine Bücher. Da hat es schon einen Vorteil, dass ich weit weg in Moçambique lebe. 4.3.2, Gewalt: ZDFonline: Haben Sie selbst jemals Gewalt erlebt? Henning Mankell: Nun, ich lebe in Afrika, und da hat es schon zwei Situationen gegeben, in denen ich wirklich dachte, dass ich jetzt sterben muss. Ich wurde ausgeraubt, sie hielten mir dabei die Pistole an den Kopf. Normalerweise bringen sie einen auch um, mich haben sie aber nicht umgebracht, ich weiß nicht warum. ZDFonline: Ist die auffällige Gewalt in ihren Büchern durch diese Situationen inspiriert worden? Henning Mankell: Nein, denn schon als zehnjähriges Kind hat man erlebt, was Angst ist. Und wenn es nur ein Kaugummi ist, das ein Fünfjähriger verschluckt. Du hast einfach Panik zu sterben. Ein zehnjähriges Kind weiß alles über das Leben und die Angst. Wenn du dann später solche Gewalt erlebst, kennst du das Gefühl schon. Es ist Teil unseres menschlichen Wesens, Angst und Tod zu erleben. ZDFonline: Das Phänomen der Serienkiller ist ein typisch amerikanisches Genre. Henning Mankell: Ich habe mir die Statistik angeschaut. Auch in Europa gibt es immer mehr Serienmörder. Einer der wahrscheinlichsten Gründe ist, dass die Menschen in Europa sich mittlerweile genauso vernachlässigt fühlen wie die Amerikaner schon seit langem. Die USA sind eine harte Gesellschaft. Wenn du nicht funktionierst, bist du raus. Und so ist es inzwischen auch in Europa. Dabei hatten wir einmal versucht, eine Gesellschaft aufzubauen, in der wir den Schwachen helfen. Das machen wir nicht mehr und deshalb handeln manche Leute auch so, wie wir es nicht wünschen. ZDFonline: Zeitungen berichten über Verbrechen von Rechtsextremen in Schweden. Warum diese Gewalt? Henning Mankell: Es hat in Schweden einige Gewalttaten von Rechtsextremen gegeben. Doch sie haben keinen politischen Einfluss. In Schweden wird nie eine Rechtsaußenpartei in der Regierung vertreten sein - anders als in Österreich. ZDFonline: Um Gewalt geht es auch in Ihren Büchern - muss es denn immer so drastisch sein? Henning Mankell: Was immer ich schreibe, die Realität ist noch schlimmer. Das bestätigt sich früher oder später bei jedem meiner Bücher. ZDFonline:Wie erklären Sie sich die Serienmorde in westlichen Ländern? Henning Mankell: Ich lese manchmal Statistiken des amerikanischen FBI und der Interpol - die sind erschreckend. In westlichen Gesellschaften gab es noch nie so viele Serienmorde wie heute. Wir verlieren das Gefühl für den Wert des einzelnen Lebens. Am Beispiel eines Serienmörders in ‚Mittsommermord’ zeige ich eine Form des moralischen Zusammenbruchs. Ein Mann verliert zuerst seine Arbeit und dann auch die Kontrolle über sein Leben, denn keine sozialen Bindungen oder Werte halten ihn mehr. Kontrolle hat er einzig noch über die Untaten, die er plant und ausführt. 4.3.3, Terrorismus: SPIEGEL ONLINE: Es gibt eigentümlicherweise wenig Protest gegen den Afghanistan-Krieg, während es nach den Terroranschlägen in den USA viele Kundgebungen und Demonstrationen gegeben hat ... Mankell: In Schweden gibt es Proteste. Auch ich bin gegen diesen Krieg. Es bringt überhaupt nichts. Es muss andere Wege geben, um die Taliban zu stürzen. Wir müssen meiner Ansicht nach die Armut dort bekämpfen. Dann werden die Leute nämlich aufstehen und gegen ihre Unterdrückung durch die Taliban kämpfen. Vielleicht dauert das fünf oder auch zehn Jahre. Aber die Bomben werden gar nichts lösen. Was jetzt in Afghanistan passiert, ist Terror. Das ist genau das, was Bin Laden wollte. SPIEGEL ONLINE: In Deutschland wird über ein umfassendes Sicherheitspaket gegen den Terror diskutiert. Brauchen wir effektivere Gesetze? Mankell: Wir müssen verschiedene Dinge anpacken. Unsere Gesellschaft soll geschützt werden. Dazu gehört es auch, dass wir zum Teil unsere Gesetze ändern. Doch das eigentliche Problem, das wir lösen müssen, ist die Kluft zwischen Arm und Reich. Wir können Bin Laden finden und ihn töten. Aber wir werden 50 andere Bin Ladens haben, wenn wir die Armut nicht in den Griff bekommen können. 4.3.4, Lösungen? ZDFonline: Was sollte dagegen unternommen werden? Henning Mankell: Uns war in Schweden vor zehn Jahren klar, dass das Wohlfahrtssystem geändert werden musste. Aber statt diese Reformen zu machen, schafften wir eine Gesellschaft, die es nicht zu geben bräuchte. Wir hätten diese Probleme anders lösen können, aber wir wählten einen schlechten Weg. Die Gesellschaft heute ist hundertmal härter als vor zehn Jahren.
Kevin Keijo Kutani, M.A., wurde 1972 in Hamburg geboren. Sein Studium der Angewandten Kulturwissenschaft schloss der Autor in Jahre 2005 mit dem akademischen Grad Magister Artium erfolgreich ab. Als halb Japaner und halb Deutscher, entwickelte der Autor schon frühzeitig eine Faszination für andere Kulturen und Welten. Die immer deutlicher gezeigten Formen von Gewalt in Büchern und Filmen Mitte der 90er Jahre, inspirierten den Autor, sich der Thematik des vorliegen Buches zu widmen.