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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2023
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Im Rahmen des demografischen Wandels rücken die Potenziale des Alter(n)s ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Wohlfahrtsstaatliche Leistungen sozialer Sicherung werden zunehmend eine eigenverantwortliche Aufgabe der Individuen. Die Figur des unternehmerischen Selbst bestimmt die Lebensphase Alter, sodass ältere Menschen stetig dazu angerufen werden sich zu optimieren, jung zu bleiben und an ihrer Gesundheit zu arbeiten. Niemand kann sich dem Prozess des Alter(n)s entziehen. Doch im Kontext aktuell vorherrschender Aktivierungsparadigmen geht es darum, das Alter(n) zu vermeiden, um nicht sozial ausgeschlossen zu werden. Ziel dieses Buches ist eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen Diskursen und Praktiken im Hinblick auf das Alter(n). Ältere Menschen leben hierbei in einem Spannungsfeld von Aktivierung und Ausschließung. Durch einen historisch neuen Typus der Macht werden sie über ihre Psychen regiert. Interessant ist es zu untersuchen, welche Ausschließungsmechanismen entdeckt werden können und wie sich die Soziale Arbeit im Kontext eines aktivierenden Sozialstaates positionieren kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1.2 Therapeutisierung der Gesellschaft – Zur Regierung der Psyche: Das Verständnis der gegenwärtigen Gesellschaft und die ihr zugrundeliegenden Denk- und Handlungsweisen werden sowohl durch neoliberalistische Prinzipien als auch durch eine Therapeutisierung der Gesellschaft maßgeblich mitbestimmt. Das neoliberalistische Denken ist den Grundprinzipien des Liberalismus verpflichtet, nicht mehr nur auf die Wirtschaft begrenzt und bringt Effekte mit sich, die sich auf verschiedene Teile der Gesellschaft auswirken (vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20176/neoliberalismus). So ist zum Beispiel die Soziale Arbeit nicht marktfern, definiert Produkte und steht in Konkurrenz zu anderen Anbieter*innen (vgl. Rau 2016, S.647f.). Das Konzept der Gouvernementalität weist auf die zunehmende Bedeutung disziplinierender Techniken in Zeiten des Neoliberalismus hin. Dazu zählen Technologien, die das Subjekt zum eigenverantwortlichen Tun zwingen und als Standard setzen, so dass jeder als eigenverantwortlicher Gestalter seines Lebens Glück und Pech selbst verschuldet. Das Leben wird von strukturellen Faktoren losgelöst und ist ein individuelles Projekt (vgl. Spetsmann-Kunkel 2013, S.4f). Eine sichtbare Wirkung des Prozesses der Therapeutisierung der Gesellschaft ist die zunehmende Individualisierung und Entpolitisierung von gesellschaftlich bedingten Interessenkonflikten und strukturellen Widersprüchen. Es geht darum, dass therapeutische Praktiken und Perspektiven in zunehmendem Maß die gesellschaftliche Wahrnehmung und Bearbeitung von politischen, sozialen, kulturellen, ökonomischen Konflikten und Verhältnissen bestimmen. Die Eigenständigkeit der Therapeutisierung begründet sich durch einen historisch neuen Typus der Macht, der sich der Form der Psychopolitik bedient und die Art der Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsweise grundlegend verändert. Das Konzept der Gouvernementalität als Pyschopolitik beschreibt, wie der Mensch durch den Modus der Psyche regiert wird. Dieser historisch neue Typus der Macht umfasst Formen der Aktivierung, der Selbstführung sowie Praktiken der Selbstoptimierung, die man nach Foucault als Techniken des Selbst beschreiben kann. Die Psychopolitik stellt für die Therapeutisierung der Gesellschaft einen wichtigen Pfeiler unternehmerischer Praktiken dar, welche dem Neoliberalismus Ansatzpunkte für Strategien der Regierung geben kann (vgl. Rau 2016, S.648f.). Gouvernementalität bezeichnet also Macht- und Wissenskomplexe, in denen sich die Formen der politischen Regierung der Führung des Selbst bedienen. Durch die Neufiguration des Menschen als unternehmerisches Selbst und als homo oeconomicus, der sein eigener Produzent, sein eigenes Kapital sowie Einkommen ist, wird als Individuum gouvernementalisierbar. Dieses Konzept fungiert als Problematisierungsformel für menschliches Verhalten und gilt als Ausgangspunkt für politische und ökonomische Verhaltenssteuerung. Aktuelle Regierungsstrukturen schaffen Anreize sowie Aktivierungs- und Ermächtigungsprogramme. Zeitgleich setzen sie allerdings auf das unternehmerische Selbst. Die Selbstoptimierung erweist sich als Versuch einer permanenten Anpassung an Umstände, die man nicht zu verantworten hat, für deren Wirkung man aber verantwortlich gemacht wird. Das Selbst erfährt eine Neufiguration, denn alle Techniken des Selbst etablieren einen Zirkel aus kontinuierlicher Evaluation des Selbst und daraus abgeleitete Anpassungen der Selbstführung (vgl. Duttweiler 2016, o.S.). In diesem Kontext spricht Kessl (2005b, S.32) von einer subjektiven Lebensgestaltungsverantwortung , die unabhängig von den sozialen Möglichkeiten der Teilhabe der einzelnen verlangt wird. Das setzt voraus, dass die Individuen Einfluss nehmen können auf eben diese Gestaltung ihrer Handlungsvollzüge (Kessl 2005a, S.180). Jede*r soll unabhängig davon, wie die Zugangsbedingungen verteilt sind, sein Leben selbst aktiv gestalten (vgl. Bröckling 2019, S.283). Die Psyche ist ein Produkt der Moderne und Ausgangspunkt für zahlreiche Psy-Disziplinen, die im Kontext der Therapeutisierung maßgebliche Schrittmacherdienste geleistet haben. In diesem Kontext sind sowohl die Entwicklung vom Feudalismus zum Kapitalismus als auch die sich entwickelnden neoliberalistischen Logiken interessant, die nicht mehr nur in der Wirtschaft verortet sind, sondern sich auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen etablieren. Bedeutend ist die Frage, wie die Vorstellung der Psyche, wie wir sie kennen, überhaupt entstanden ist. Innerhalb der Moderne zeigen sich zwei Aspekte, die von besonderer Bedeutung für die Therapeutisierung der Gesellschaft sind. Zum einen sind es die Psy-Disziplinen, die Anfang des 20.Jahrhunderts begannen ihr Wissen weit zu streuen, dieses zur Verfügung stellten und behaupteten grundlegendes vom Menschen zu wissen. Die Psy-Wissenschaften erlangten zunehmende gesellschaftliche Bedeutung. Zum anderen verdrängten hermeneutisch verstehende Ansätze die Vormachtstellung von einer naturwissenschaftlich experimentellen Psychologie. Freud und die Psychoanalyse galten hier als entscheidende kulturelle Matrix in Bezug auf den Aufstieg des Therapeutischen innerhalb des Psychobooms der 1960er. Das Reparaturmodell wurde zugunsten einen Wachstumsmodells aufgegeben. Die Psyche galt nun als Ort, der durch die Arbeit am Selbst verändert werden kann und an dem, um der Normalität Willen, gearbeitet werden muss. Normalität ist also kein Zustand mehr, sondern eine Aufgabe. Normale Menschen werden Adressat*innen der Psychoanalyse. Die Soziale Arbeit kann in diesem Zusammenhang als wohlfahrtsstaatlicher Transportriemen des Therapeutischen betrachtet werden (vgl. Rau 2016, S.649-653). Im Prozess der Therapeutisierung nimmt die zweite deutsche Frauenbewegung eine bedeutende Position ein. Kollektiv vertrat sie das Anliegen die Privatsphäre zu politisieren. Letztlich resultierte daraus aber eine Privatisierung des Politischen, eine Entpolitisierung durch Therapeutisierung. Aus der Sicht des Individuums verbirgt sich eine kleine Revolution im Emanzipationsversprechen der Therapeutisierung, da das Individuum erstmals in der Geschichte die Möglichkeit hat sich durch die Arbeit am Selbst zu befreien. Als Beispiel dafür gilt die zweite Deutsche Frauenbewegung. In diesem Zusammenhang ist eine Politisierung des Privaten ohne das Element der Selbsterfahrungsgruppen, nicht zu denken. Die zweite deutsche Frauenbewegung bediente sich direkter und indirekter Anleihen aus der Psychoanalyse und entwickelt Selbsttechniken, um sich selbst zu befreien. Man ging davon aus, dass sich das Politische in psychischen Strukturen niederschlägt und das Sprechen über das Private ein notwendiger Schritt zur Emanzipation ist. Die Psyche hat hier den Status eines Ortes, an dem feministischer Widerstand realisierbar wird. Bedeutend ist, dass sowohl der neue Herrschaftsdiskurs als auch Ansätze widerständigen Handelns der Therapeutisierung den Weg bereiten. Der Aspekt der Handlungsfähigkeit ist auch für die Soziale Arbeit ein wichtiger Anspruch. Individualität soll so beschaffen sein, dass Menschen aus sich selbst heraus handeln und sich von dort aus verändern können. Personen werden nicht länger durch eine äußere Ordnung bewegt, sondern müssen sich auf innere Antriebe und Fähigkeiten stützen. Durch eine Therapeutisierung der Gesellschaft werden unsere Leben psychologisch. Es entwickelte sich eine Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsweise, die durch das Therapeutische informiert ist (vgl. Rau 2016, S.654ff.).

Über den Autor

Elisabeth Stückradt, M.A., wurde 1995 geboren. Bereits im Jahr 2012 begann ihre Tätigkeit in einer Kindertageseinrichtung. Nach der Ausbildung zur Sozialassistentin und ihrem Fachabitur absolvierte sie von 2013 bis 2016 die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Im Anschluss daran arbeitete sie von 2016 bis 2017 als Vollzeitkraft in einer Kindertageseinrichtung. Das Studium der Sozialen Arbeit schloss sie im Jahr 2021 mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts an der Evangelischen Hochschule Darmstadt erfolgreich ab. Im Verlauf des Studiums etablierte Elisabeth Stückradt nebenberuflich das Generationenprojekt Menschen stärken und wurde Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Innerhalb der Ausbildung entwickelte die Autorin das Hauptziel, Menschen in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken und zur Echtheit zu ermutigen. Im Juni 2021 veröffentlichte sie ihr ihr erstes Buch Menschen stärken: Ein Generationenprojekt. Intergenerative Projekte und ihre Potenziale für die Soziale Arbeit . Im Rahmen des Masterstudiengangs Soziale Arbeit setzte sie sich intensiv und kritisch mit dem Thema Alter(n) in der Gesellschaft auseinander und beendete ihr Studium im Jahr 2022 erfolgreich. Während des Studiums arbeitete sie als Lehrkraft für Musik und Bewegung an einer Berufsschule und später in einer Schule für Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Förderbedarfen.

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