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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Abb.: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Geschichte der Kopfnoten ist wechselvoll. In den 60er - 70er Jahren wurden die Kopfnoten in den meisten alten Bundesländern, nach der Wende auch in den neuen Bundesländern, abgeschafft. Dies geschah nicht zuletzt deshalb, weil die Ungenauigkeit der Erfassung des Schülerverhaltens in den Blick gerückt wurde. Daneben galt, dass es nicht in den Aufgabenbereich der Schule gehören dürfe, die Persönlichkeit der Schüler zu beurteilen: Die Schule beurteilt Leistungen, nicht Charaktere. Umso mehr überrascht die Kehrtwende, die viele Bundesländer in den letzten Jahren vollzogen haben. Seit Ende der 1990er Jahre findet sich in immer mehr Bundesländern eine Verordnung zur Wiedereinführung von Kopfnoten. Die Wiedereinführung von Noten, die einige Jahre zuvor bewusst abgeschafft worden sind, legt nahe, dass diesen eine wichtige Bedeutung vonseiten der Beteiligten zugemessen wird. So keimte z. B. in Thüringen die Hoffnung auf, dass durch eine Wiedereinführung der Kopfnoten als ergänzende Beurteilung eine Qualitätsnachbesserung erreicht werden könne. Oder wie Nordrhein-Westfalens Schulministerin Barbara Sommer Ende 2008 formulierte: Kopfnoten ermöglichen eine transparente und differenzierte Rückmeldung zum Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen. So können wir jedes einzelne Kind noch individueller in den Blick nehmen. Für die Schüler bedeute die Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens eine klare und hilfreiche Rückmeldung, so die Pressemeldung. Für die Eltern und Arbeitgeber ergebe sich durch diese Maßnahme ein zusätzliches Bild über die Persönlichkeit des Schülers als sinnvolle Ergänzung zu den Fachnoten. Solch euphorische Aussagen wecken den Wunsch, die Noten aufgrund ihres Gehaltes zu überprüfen. Werden die Noten tatsächlich dieser Rolle gerecht? Für eine Qualitätsverbesserung des Zeugnisses müssten mit den Kopfnoten demnach zusätzliche Informationen, über die fachliche Leistungsbeurteilung hinaus, erteilt werden. Weiterhin müssten diese Informationen wesentlich für das erhobene Merkmal sein. Die hier vorliegende Studie gliedert sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Im Theorieteil in Kapitel 2 werden der inhaltliche Gehalt und die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Kopfnoten abgeklärt. In Kapitel 3 werden die Kriterien aufgezeigt, nach denen die Qualität einer Beurteilung bewertet werden kann. In Kapitel 4 erfolgt eine Darstellung der Problematik der Beurteilung von Menschen durch Menschen. Es werden die wahrnehmungs-, persönlichkeits- und sozial-spezifischen Faktoren aufgezeigt, die negativ auf die Güte einer Beurteilung wirken. Weiter sollen Lösungsversuche aufgezeigt werden, um diesen Tendenzen bewusst entgegenwirken zu können. Im praktischen Teil der Arbeit wird eine Exploration mit Erhebungsdaten aus Baden-Württemberg durchgeführt. Es wird versucht, die im Theorieteil genannten Problemkreise anhand des hier vorliegenden Datenmaterials zu überprüfen und zu ersten empirischen Schlüssen zu gelangen. Kann durch die Vergabe von Kopfnoten die Qualität von Zeugnissen verbessert werden?

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.1, Beurteilungstendenzen: Kapitel 4.1.1, Der Begriff der Impliziten Persönlichkeitstheorie (IPT): Die Wahl des Begriffes ‘implizite Persönlichkeitstheorie” kann, je nach den Implikationen, die mit den einzelnen Wortteilen verbunden sind, zu einer falschen Einschätzung dessen führen, was damit gemeint ist. KLEITER macht deutlich, dass mit ‘implizit, im Gegensatz zu explizit [...] Theorienbildung über Kategorien und Messung nicht unabhängig, sondern in der Person des Raters zugleich erfolgen’. Des weiteren soll der Wortteil ‘Theorie’ nicht bedeuten, dass es sich um eine wissenschaftliche Theorie als ‘deduktiv geordnetes System von Gesetzeshypothesen mit einem gemeinsamen Gegenstandsbereich’ handelt. Für eine solche gilt: ‘[In] einer Theorie sind alle anderen Aussagen ... deduktiv logisch ableitbar.’ Stattdessen geht es um das Wissen eines Alltagsdiagnostikers, im Besonderen eines Lehrers, der dieses Wissen nicht systematisch im Blick auf dessen empirische Absicherung und seinen formal-konstruktiven Aufbau hinterfragt, sondern ihm relativ unkritisch vertraut. Im nächsten Kapitel soll deshalb die alltägliche Wahrnehmung von Personen im Modell dargestellt werden. Kapitel 4.1.2, Modell zur Wahrnehmung und Erfassen von Informationen: Die Beurteilung eines Menschen basiert darauf, wie wir ihn wahrnehmen. Dadurch wird sie abhängig von internen, subjektiven Faktoren, die die Beurteilung wesentlich beeinflussen können. Um die Tendenzen in der Urteilsbildung näher erschließen zu können, soll der Prozess der Personenwahrnehmung exemplarisch dargestellt werden. Dies soll anhand des Personenwahrnehmungsmodells von WARR und KNAPPER geschehen. Wenn wir eine Person kennenlernen, stehen zuerst Wahrnehmungen im Mittelpunkt: Wir sehen und hören die Person in einem bestimmten Kontext der Wahrnehmung. Das gleiche Verhalten kann u. U. an verschiedenen Orten und bei unterschiedlichen Gelegenheiten jeweils völlig anders von uns verarbeitet werden. Diese Verarbeitung hängt von einer Vielzahl von Erfahrungen ab, die wir mit der entsprechenden Person bei früheren Gelegenheiten gemacht haben. Die gesamte Fülle von Informationen kommt jetzt in einen Eingangsselektor. Was uns bei dieser Auswahl besonders wichtig erscheint, ist auch geprägt von unseren eigenen Eigenschaften und von unserer augenblicklichen Verfassung. So urteilen wir anders, wenn wir gereizt oder unausgeschlafen sind oder uns glücklich und sorgenfrei fühlen. Danach werden die selektierten Informationen im Verarbeitungszentrum verarbeitet. Hier werden aus dem Informationsmaterial Urteile gebildet, teils durch Analogieschlüsse, teils aus Wertungen der Einzelurteile. Diese Urteile können z. B. zugeschriebene Eigenschaften, wertende Stellungsnahmen oder künftige Erwartungen an den Schüler sein. Mit diesen Analogieschlüssen unterstellt man direkte Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung. Beurteilungsfehler entstehen meist dann, wenn eigenschaftsorientierte statt empirisch gefasster Begriffe für die Beurteilung herangezogen werden oder wenn die Relationen zwischen den Begriffen ungeprüft oder falsch sind. Werden Urteile auf diese Weise beeinflusst, werden die Urteile subjektiv und damit wenig valide ausfallen. HOFER führte 1969 eine Studie zur impliziten Persönlichkeitstheorie von Lehrern durch. Diese beschäftigte sich mit Eigenschaftspaaren, deren Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit durch Gruppen von Lehrern beurteilt werden sollten. Als Fazit der Studie hält HOFER fest: ‘Im übrigen legt das Ergebnis nahe, Persönlichkeitsbeurteilungen generell zu misstrauen und [in ihnen dargestellte Beurteilungen] ... eher als Ausdruck subjektiver Erwartungshaltungen, denn als Abbild der Beurteiltenpersönlichkeit aufzufassen’. Auch ULICH/MERTENS sehen in der Beurteilung der Persönlichkeit eines Schülers die Gefahr, dass in ‘völlig unkontrollierter Weise stereotypisierte Maßstäbe an das Schülerverhalten herangetragen’ werden, ‘die letztlich mehr über Gesellschaftsbild, Begabungsbegriff, Menschenbild und Einstellungen des Urteilers aussagen als über den Schüler’. SCHRÖDER betont aber den Entwicklungscharakter, den eine Beurteilung durchlaufen kann. Dazu hält er fest, dass die vorwissenschaftlichen oder vorkritischen Beurteilungen, wie sie z. B. im Modell von WARR/KNAPPER dargestellt wurden, im Alltag generell nicht schlecht seien, obwohl sie den Kriterien einer Wissenschaftlichkeit nicht genügen können. Das grundlegende Merkmal für eine solche Beurteilung ist die intuitive Entstehung. Diese vorwissenschaftlichen Beurteilungen können nach SCHRÖDER unter gewissen Umständen durchaus in eine kritische Beurteilung übergehen, ohne dass sich deshalb der Inhalt der Beurteilung ändern muss. Eine kritische Beurteilung wird nach SCHRÖDER bewusst und gewollt ausgeführt und erfüllt damit die Kriterien einer Wissenschaftlichkeit. Wissenschaftliches Vorgehen ist damit für SCHRÖDER, dass richtige, aber ungültige Erkenntnisse in gültige Beurteilungen überführt werden. Um dieses wissenschaftliche Vorgehen zu fördern, fordert KLEBER eine diagnostische Kompetenz des Lehrers. Ohne diese sind Kontrolle und mögliche Revision des ersten Urteils nicht gegeben. Kapitel 4.1.3, Informationsreduktion: ULICH/MERTENS weisen auf die Informationsreduktion bei der Personenwahrnehmung hin, die beim Beurteilen eine Rolle spielen. Sie halten fest, dass ein Lehrer bei der Beurteilung einer Person immer nur einen Bruchteil dessen verarbeiten kann, was tatsächlich an Daten vorhanden ist und berücksichtigt werden könnte. Dies ist bedingt durch das großes Beziehungsgeflecht mit sehr vielen Schülern, von dem der Schulalltag geprägt ist. Diese vielen Eindrücke überfordern die Kapazität des Lehrers, informelle intensive zwischenmenschliche Beziehungen aufrecht zu erhalten. KLEBER sieht deshalb die Informationsreduzierung als eine dringend benötigte Maßnahme für die Praxis. Der Lehrer ist gezwungen, sich eine so genannte ‘Lehrerbrille’ aufzusetzen, mit einem Referenzrahmen für jeden einzelnen Schüler. Der Lehrer kann nicht jeden Schüler genau kennen, muss aber den Schüler in ein bestimmtes Verhaltensraster einordnen können, sozusagen ein ‘Bild’ des Schülers parat haben (ebenda). Dieses Bild ist nicht frei von Erwartungsmustern des Lehrers. Solche Erwartungsmuster bestimmen das Bild des anderen entscheidend mit, wie es durch das Modell von WARR und KNAPPER im vorigen Kapitel aufgezeigt wurde. Das Bild verändert sich mit den laufenden Beobachtungsinformationen über den Schüler. Ob der Lehrer diese selbst erhoben hat oder durch einen Lehrerkollegen vermittelt bekommt, ist nicht relevant. Um ein prägnantes, relativ einfaches Raster für jeden Schüler zu erhalten, wird die Beobachtungsinformation systematisiert und kompromittiert. Das geschieht durch Interpretation von Beobachtungsdaten und einer Zuweisung von bestimmten Eigenschaften auf den Schüler. Ein solches Beurteilungsverfahren stellt sich als anscheinend notwendiges Gesetz zur Ökonomisierung innerhalb der Informationsverarbeitung dar. Nur so ist der Lehrer in der Lage, in komplexen Situationen rechtzeitig und adäquat zu reagieren. WEISS sieht es kritisch, dass der Lehrer dazu angehalten wird, in Klassen von teilweise mehr als 30 Schülern ständige Beurteilungen durchzuführen. Er vermutet eine Überforderung der Lehrer, selbst dann, wenn sie es selbst nicht so einschätzen würden und meinten, der Aufgabe gerecht werden zu können. Er bezieht sich auf Erfahrungen aus der Betriebswirtschaft, wo die ‘Kontrollspanne’, d. h. die Zahl der Arbeitsplätze, die durch eine Person überwacht werden kann, mit sechs bis maximal 15 angegeben wird. Selbst wenn ein Lehrer bei optimaler Ausbildung in pädagogischer Diagnostik einer bei unsystematischen Beobachtungen üblichen Wahrnehmungsverzerrung entgehen könnte, könne er seine Beobachtungen schon aufgrund dieser zu hohen Anzahl an Schülern nicht zutreffend durchführen. WEISS sieht in diesem Umstand neben der Problematik der Rollenzuweisungen die Problematik der selektiven Wahrnehmung durch den Lehrer. Dies soll im nächsten Kapitel näher erläutert werden.

Über den Autor

Johanna Hausmann, Jahrgang 1969. Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Fernuniversität Hagen mit Abschluss Diplom Kauffrau. Studium des Diplom-Handelslehrer an der Universität Hohenheim mit Abschluss Diplom Handelslehrer. Mentoren bzw. Dozententätigekeiten für die Fernuniversität Hagen und die Duale Hochschule Baden-Württemberg.Diverse andere Unterrichtstätigkeiten im Fachbereich BWL.

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