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- Alleinerziehende Frauen in Deutschland: Ursachen des überproportionalen Armutsrisikos bis ins Alter
Soziologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In Literatur und Wissenschaft finden sich mittlerweile diverse Studien, die die Lebenssituation Alleinerziehender umreißen und ein Bild darüber vermitteln, welchen Belastungen Alleinerziehende insbesondere als alleinige Haushaltsvorstände ausgesetzt sind und welche finanziellen Nachteile sich daraus ergeben. Mehr als ein Viertel der Ein-Eltern-Familien sind armutsgefährdet, in Familien mit mindestens zwei Erwachsenen dagegen höchstens jeder Elfte. Häufig leben auch Kinder in relativer Armut, weil ihre Eltern nicht in der Lage sind, die notwendige materielle Sicherheit zu gewährleisten. Zu 35 bis 40 Prozent betrifft sie Kinder in Einelternfamilien. Doch was heißt all das für die Zukunft? Werden die Armen von heute auch die Armen von morgen sein? Ausgehend von der Behandlung der Frage, welche Ursachen das überproportionale Armutsrisiko von Alleinerziehenden hat, untersucht die Autorin unter Berücksichtigung der Entwicklungen in der gesetzlichen Rentenversicherung wie hoch das Risiko Alleinerziehender ist, auch im Alter von Armut betroffen zu sein.
Textprobe: Kinder in Einelternfamilien: Die alarmierende Beobachtung, dass in Deutschland gerade die Armut bei Kindern steigt, hat in hohem Maße mit dem wachsenden Anteil von Kindern, der in Alleinerziehenden-Haushalten aufwächst, zu tun, also mit einem Strukturwandel in der Zusammensetzung der Familienhaushalte (Cyprian, S. 15). Grundbedingung eines kindgerechten Armutsbegriffs ist dabei eine kindzentrierte Sichtweise, die die Lebenssituation der untersuchten Altersgruppe und die jeweils anstehenden Entwicklungen einschließt, wie auch den familiären Zusammenhang und die Gesamtsituation des Haushalts. Viel weniger als Erwachsene leben Jugendliche und vor allem Kinder als Monaden, das heißt als in sich geschlossene und nicht mehr auflösbare Einheit. Vielmehr ist ihre Lebenssituation in vielen Bereichen von der Lebenslage der Eltern direkt abhängig (Holz, S. 484). Häufig leben Kinder in relativer Armut, weil ihre Eltern oder andere, die sie unterstützen, nicht in der Lage sind, die notwendige materielle Sicherheit zu gewährleisten, um unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen leben zu können (Bertram, 2008a, S. 20). Kinderarmut ist demnach familiäre Armut und liegt immer dann vor, wenn das Einkommen der Familie unterhalb der EU-Armutsrisikogrenze liegt (Holz, S. 485). Gegenwärtig verfügen 2,36 Millionen Kinder und Jugendliche in 1,4 Millionen Haushalten in Deutschland über ein materielles Sicherungsniveau, das unterhalb von 60 Prozent des gewichteten Medianeinkommens liegt (BmFSFJ, 2008, S.44). Nach Untersuchungen auf Datenbasis des sozio-ökonomischen Panels waren im Zeitraum von 1991 bis 2004 zwischen 7 und 9 Prozent der Kinder von Armut betroffen, wobei die Armutsrate in Ostdeutschland im Durchschnitt mit 10 Prozent etwas höher ausfällt als im Westen (7-8 Prozent). Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist jedoch ein deutlicher Anstieg der Kinderarmut zu verzeichnen, der in beiden Landesteilen in ähnlicher Weise zu beobachten ist. Es zeigt sich dabei, dass Kinder von alleinerziehenden Eltern dramatisch höhere Armutsraten aufweisen als Kinder in Haushalten mit zwei Erwachsenen. Zwischen 35 und 40 Prozent der Kinder in Einelternfamilien lebten im betrachteten Zeitraum in Armut. Bei Kindern, die mit zwei Erwachsenen zusammenleben, sind es hingegen nur etwa 5 Prozent (ebenda, S. 155/156). Rund 800.000 armutsgefährdete Kinder und Jugendliche, das entspricht rund einem Drittel aller armutsgefährdeten Minderjährigen leben gegenwärtig in Einelternfamilien. Diese weit überdurchschnittliche Betroffenheit ist – trotz besonderer öffentlicher Förderung von Alleinerziehenden – unmittelbar plausibel, da in diesen Haushalten nur eine Person erwerbstätig sein kann und dies aufgrund der derzeit gegebenen Betreuungssituation zumeist nur eingeschränkt. Abgesehen von Ausnahmefällen, in denen das Kind hohe Unterhaltszahlungen erhält, ist in diesen Fällen relative Armut nahe liegend (Böhmer/Heimer, S. 16). Kinder und Jugendliche sind umso häufiger von Armut betroffen, je älter sie sind. Dies gilt insbesondere für Jugendliche von 15 Jahren bis unter 18 Jahre. Auf diese Gruppe entfallen fast 30 Prozent aller in Armut lebenden Kinder und Jugendliche. Für die überdurchschnittliche Armutsrisikoquote unter Jugendlichen von 15 bis 18 Jahren gibt es mehrere Erklärungen: Zum einen ist der Anteil der Jugendlichen aus Alleinerziehendenhaushalten in dieser Gruppe höher als bei den unter 15-Jährigen. Weiterhin entfällt für die Alleinerziehenden der Unterhaltsvorschuss, der nur bis zum 12. Lebensjahr des Kindes gewährt wird (ebenda, S. 12/13). Von den mit Abstand höchsten Kinderarmutsrisikoquoten sind Familien betroffen, in denen kein Elternteil einer Erwerbsarbeit nachgeht und/oder die in den Regelungsbereich des SGB II fallen. Je nach Alter der Kinder und Familientyp sind in Haushalten ohne Erwerbstätigen bis zu 72 Prozent der Kinder von einem Armutsrisiko betroffen. Dabei liegt die Armutsbetroffenheit bei Kindern unter sechs Jahren etwas niedriger. Zudem fällt auf, dass Alleinerziehendenhaushalte hier eine etwas bessere Position einnehmen als Paarhaushalte. Dies dürfte mit besonderen Unterstützungsleistungen für Alleinerziehende zu tun haben, die zumindest für einige zur Armutsvermeidung beitragen. Gleichwohl fällt auch in dieser Gruppe die Armutsrisikoquote mit 61 Prozent hoch aus (Böhmer/Heimer, S. 19). Hinzu kommt, dass insbesondere Kinder von Alleinerziehenden stark von dauerhafter Armut betroffen sind. Sie werden wesentlich häufiger in Armut hineingeboren, verbleiben längere Zeit in Armut und treten schneller wieder in Armut ein. Dabei unterscheiden sich Kinder in Ostdeutschland in Bezug auf Ein- und Austritt aus Armut nicht von vergleichbaren Kindern im Westen, sie werden jedoch häufiger in Armut hineingeboren. Selbst wenn der Elternteil vollbeschäftigt ist, leben mehr als zwei Drittel dieser Kinder mindestens ein Jahr in Armut, 10 Prozent sogar dauerhaft, das heißt mindestens 5 von 18 Jahren. Durchschnittlich leben Kinder in Einelternfamilien annähernd 2 Jahre in Armut. Ist der alleinerziehende Elternteil nicht vollzeitbeschäftigt, erhöht sich die durchschnittliche Anzahl der Jahre in Armut auf 3 bis 4 Jahre. Annähernd ein Drittel dieser Kinder lebt dauerhaft in Armut. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass den Eltern die Chance geboten wird, Vollzeit zu arbeiten (ebenda, S. 162). Langwierige Armutserfahrungen im Kindes- und Jugendalter erhöhen das Risiko multipler Deprivation, also von deutlichen Unterversorgungs- und Mangellagen in gleich mehreren Armutsdimensionen. Umgekehrt gelingt es manchen Familien jedoch auch, trotz materieller Armut Kindern ein Aufwachsen im Wohlergehen zu ermöglichen. Armut ist ein starker Risikofaktor, der aber nicht zwangsläufige und eindeutige Folgen hat (Benz, S. 386). Alleinerziehende mit einer ungünstigen Sozialstruktur, mehreren Kindern, niedrigem Alter des jüngsten Kindes usw. sind in ihrer wirtschaftlichen Lage in besonderem Maße darauf angewiesen, dass öffentliche Transfers ihre Situation und vor allem die Situation der Kinder verbessern. Durch Familienleistungen wird gegenwärtig eine Reduzierung des Armutsrisikos von Kindern um 9 Prozentpunkte erreicht (Cyprian, S. 21). Ökonomische Deprivation kann aber trotz vielfältiger staatlicher Hilfsangebote erhebliche negative Konsequenzen für die kindliche Entwicklung haben. Das bedeutet beengte Wohnverhältnisse und benachteiligte Quartiere mit schlechter Infrastruktur, aber auch die mangelnde Möglichkeit für viele Kinder in solchen Lebenssituationen, an den sozialen und kulturellen Angeboten ihrer Umwelt in angemessener Weise zu partizipieren, bis hin zu möglichen innerfamiliären Spannungen und Stresssituationen aufgrund der ökonomischen Schwierigkeiten (Bertram, S. 21). Zwar spielt in den ersten Lebensjahren die Verfügbarkeit über Geldmittel noch keine große Rolle, doch mit zunehmendem Alter werden materielle Mangellagen für Kinder und Jugendliche immer bedeutender, etwa wenn ‘Markenzwang’ bei Kleidung zum Thema wird, Mobiltelefone mittlerweile zum Kommunikationsstandard geworden sind, Vereinsmitgliedschaften am Beitrag und viele Freizeitangebote am Preis scheitern (Benz, S. 386). Wissenschaftliche Studien belegen, dass Kinder aus Familien in Einkommensarmut im Vergleich zu Gleichaltrigen aus finanziell gesicherten Verhältnissen ein rund doppelt so hohes Risiko haben, in ihrer sprachlichen, sozialen und gesundheitlichen Entwicklung beeinträchtigt zu sein (Deutscher Bundestag, S. 55). Zudem erleben sie häufig ihre Eltern in der Abhängigkeit von staatlichen Unterstützungssystemen als ausgeschlossen von der gesellschaftlichen Entwicklung und der Teilhabe an vielen gesellschaftlichen Möglichkeiten. Sie haben es daher schwer, ihre Eltern als ein positives Rollenvorbild zu erleben und selbst Strategien zu entwickeln, um erfolgreich an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Die Sicherung der materiellen Existenzgrundlage von Kindern ist unter dieser Perspektive eine ganz erhebliche Investition in die Zukunft der gesamten Gesellschaft (Bertram, S.21).
Solveig Schuster ist gelernte Journalistin und arbeitet für verschiedene Medien in Berlin. Bereits während der Abschluss-Arbeit ihres interdisziplinären Studiums, das sie am Journalisten-Kolleg der FU Berlin absolvierte, beschäftigte sie sich mit dem Alterssicherungssystem und verglich die Rentensysteme Deutschlands und der Schweiz. Später befasste sie sich schwerpunktmäßig mit der Familienpolitik und insbesondere der Situation Alleinerziehender. Eine zum Thema begonnene Dissertation mündete in diesem Fachbuch. Seit 2011 ist Solveig Schuster ehrenamtliches Mitglied des Bundesvorstandes des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV).