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- Transkulturelle Räume bei Fatih Akin: Eine Betrachtung der Filme "Gegen die Wand" und "Auf der anderen Seite"
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Während die ersten Filme über Gastarbeiter in den 1960er und -70er Jahre bedenkenlos noch als ‚Migrantenfilme‘ bezeichnet wurden, verändert sich einige Jahrzehnte später die Rezeption des ‚Migrantenkinos‘. Erst als die Nachfahren der ersten Migrantengeneration damit begannen Filme zu produzieren, wurde die Problematik einer vereinfachten Zuschreibung in ihrem ganzen Ausmaß spürbar. Vor allem bei der Auseinandersetzung mit Filmen von deutschen Regisseuren mit türkischer Abstammung wird deutlich, dass die Filme differenzierter betrachtet werden müssen und nicht dem Stereotyp ‚Migrantenkino‘ zugeschrieben werden können. In Erkenntnis dessen, führte man den Hilfsterminus ‚Deutsch-Türkisches-Kino‘ ein. Als Einwandererkinder, die selbst keine direkte Migrationserfahrungen mehr gemacht haben, lassen sich Filme von entsprechenden Regisseuren jedoch nur noch schwer einer ‚deutschen‘ oder einer ‚türkischen‘ Kultur zuschreiben. Als gebürtige Deutsche verstehen sie sich selbst als deutsche Regisseure, die deutsche Filme produzieren und sehen sich im ‚Deutsch-Türkischen-Kino‘ daher deplatziert. Regisseure wie Fatih Akin, dessen Filme in der vorliegenden Arbeit als anschauliches Beispiel dienen werden, plädieren für ein globales Kino, das von universellen Themen handelt. In Anbetracht dessen wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, die Filme Fatih Akins von sämtlichen nationalen Zuschreibungen loszulösen und sie stattdessen als Produzenten transnationaler Räume zu verhandeln.
Textprobe: Kapitel 3.3, Transkulturalität: Das Modell der ‚Transkulturalität‘ greift den Austauschgedanken zwischen den Kulturen auf, nimmt jedoch Abstand von Vorstellungen des ‚Eigenen‘ und des ‚ Fremden‘: Eines der größten Probleme der Konzepte der Multi- und Interkulturalität ist nach Welsch die Tatsache, dass die Trennung zweier Kulturkreise die Zuschreibung von Stereotypen verstärkt und zu Stigmatisierung von ganzen Nationen führen kann31. So geht Welsch in seinem Aufsatz Transkulturalität – Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen soweit zu sagen, dass die traditionellen Kulturkonzepte deskriptiv falsch und normativ irreführend 32 sind. Die reinliche Trennung von Kulturen führe dazu, dass man nach Charakteristiken für die andere, fremde Kultur sucht, um diese kategorisieren und zuschreiben zu können. Insofern handelt es sich bei den Konzepten der Multi- und Interkulturalität um essenzialistische Konzepte, die Fragen nach dem Wesen, der ‚Essenz‘ stellen. Problematisch daran ist, dass der Essenzialismus glaubt, allein durch äußere Beobachtungen und Erfahrungen eine objektive Wahrheit benennen zu können. Durch die auf rein äußerlichen Beobachtungen basierenden Zuschreibungen wird die Kultur zum Ghetto und der Fremde in seiner Andersartigkeit in dieses Ghetto gesperrt33, so Welsch. Daher deklariert er das Konzept der Interkulturalität als prinzipiell für ungenügend 34 und stellt die Gegenthese auf, dass die Bewegung zweier unterschiedlicher Kulturkreise zu einer Verwischung oder gar Aufhebung der Grenzen führt - wodurch nicht nur der Gedanke von Kulturen als homogene Einheiten aufgehoben wird, sondern letztlich auch stereotype Zuschreibungen nicht mehr möglich sind. Abstand von den traditionellen Kulturkonzepten nimmt Wolfgang Welsch auch, weil seiner Meinung nach bei der Trennung der Kulturen in homogene Einheiten übersehen wird, dass im Innenverhältnis einer Kultur kaum weniger Fremdheiten existieren als in ihrem Außenverhältnis zu anderen Kulturen. Nach Welsch verbietet die innere Komplexität einer Kultur - die sich in etwa durch Migrationsbewegungen oder den technologischen Fortschritt ergeben hat - eine Zusammenfassung vereinzelter Individuen zu einer großen Einheit. Daher plädiert er für die Vorstellung von Einzelkulturen, die in sich bereits hybrid sind. Als eine der größten Abgrenzungen der Transkulturalität von bisherigen Kulturkonzepten, hält Welsch daher in seinem Artikel Transkulturalität – Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen von 1994 fest: Transkulturalität gilt nicht nur auf der Ebene der Kulturen, sondern ebenso auf der der Lebensformen. Sie wirkt sich sogar bis in die Struktur der individuellen Identität hinein aus. 35 Dieser Ansatz von Wolfgang Welsch findet sich in anderen Theoriemodellen wieder. Mit seiner Vorstellung konform geht unter anderem das an den Strukturalismus anschließende Konzept der Intersektionalität, das die bestehenden Differenzen innerhalb einer scheinbar einheitlichen Gruppe ebenfalls als wesentlichen Bestandteil markiert. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die säuberlich voneinander getrennten Einheiten gar keine Einheit bilden, da nicht jedes Individuum einer großen Gruppe durch gewisse stereotype Zuschreibungen adäquat repräsentiert werden kann.36 Dass die Konstruktion von Differenzen innerhalb einer Kulturgruppe überaus notwenig ist, stellt auch das Konzept der Transdifferenz heraus, das sich Derridas Vorstellung der différance anschließt. Der Begriff der Transdifferenz zielt dabei insbesondere auf die Phänomene, die in einer dichotomen Differenzstruktur nicht aufgehen. 37 Die Aufmerksamkeit wird also auf gesellschaftliche Phänomene gelenkt, die durch rein binäre Denkschemata nicht mehr klar kulturell zugeschrieben werden können. Ein gutes Beispiel für ein solches Phänomen, um zum Thema ‚Film‘ zurückzukehren, stellt eine strukturelle Gegebenheit in Fatih Akins Auf der anderen Seite dar: Die Figur Nejat ist Deutscher mit türkischer Abstammung, Germanistik-Professor in Deutschland und führt später eine deutsche Buchhandlung in Istanbul. Die kulturelle Identität der Figur kann dichotom nicht klar erfasst werden, sprich: Was an dem Phänomen nun ‚türkisch‘ und was ‚deutsch‘ ist, kann nicht mehr bestimmt werden. Um solchen Phänomenen gerecht zu werden, stellt Welschs Konzept der ‚Transkulturalität‘ gute Ansätze bereit. Denn Transkulturalität zielt auf eine Kultur, deren pragmatische Leistungen nicht in Ausgrenzung, sondern Integration besteht. 38: Es gilt, nicht Ausdifferenzierungsbestände der eigenen Kultur, sondern transkulturelle Komponenten miteinander zu verbinden. […] Eine derartige Integration zielt […] auf die gleichzeitige Anerkennung unterschiedlicher Identitätsformen innerhalb der Gesellschaft, wobei diese einzelne Identitäten durch unterschiedliche transkulturelle Anschlüsse und Identitätslinien gekennzeichnet sind. 39 Nicht selten wurde an Welschs Konzept Kritik geübt. Ein häufiger Vorwurf ist, dass das Konzept der ‚Transkulturalität‘ zu einer Uniformierung der Weltzivilisation führe. Gerade dies trifft jedoch nicht zu. Welsch selbst nimmt zu dem Vorwurf Stellung und verweist dabei auf die Verschiebung der Differenzierungsachse 40: Bestehe die Differenz bei den traditionellen Kulturkonzepten noch in dem Nebeneinander klar abgegrenzter Kulturen, bilde sich bei der Transkulturalität die Differenzen im Durch- und Miteinander unterschiedlicher Lebensformen. Dadurch formt sich nach Welsch eine Vielheit neuen Typs: die Vielheit unterschiedlicher Lebensformen von transkulturellem Zuschnitt. 41 Eine weitere Kritik an Welschs Konzept wird in Transkulturalität – Türkisch-deutsche Konstellationen in Literatur und Film42 formuliert. Die Autoren weisen darauf hin, dass Welschs Konzept nicht bedenkt, dass aufgrund sozialer und ökonomischer Unterschiede nicht jeder Mensch im gleichen Maße die Möglichkeit hat, auf Ressourcen und kulturelles Kapital zuzugreifen. Es muss demnach bedacht werden, dass beispielsweise Menschen aus prekären sozialen Verhältnissen Schwierigkeiten haben, Vernetzungen im Sinn der ‚Transkulturalität‘ einzugehen, und daher auch schwieriger ein transkulturelles Verständnis der Welt herausbilden können. Trotz dieser sicherlich zutreffenden Kritik wird Welschs Theorie in dieser Arbeit als Ausgangspunkt für eine Besprechung von Fatih Akins Filme dienen. Denn selbst wenn Welschs Vorstellung von einer hybriden Kultur sicherlich nicht ohne weiteres auf alle Menschen übertragbar ist, so scheint sie doch insbesondere im Hinblick auf die Erfahrungswerte von Migranten explizit zuzutreffen. Migranten sind in noch höherem Maße als Nicht-Migranten mit verschiedenen Kulturen vertraut und vereinen stark sowohl die ‚eine‘ als auch die ‚andere‘ Kultur in sich. Als noch passender stellt sich die Übertragung des Konzepts der Transkulturalität auf die zweite oder dritte Migrantengeneration heraus. Als jene Generation, die selbst keine direkte Migrationserfahrungen mehr gemacht hat, aber dennoch mit dem kulturellen Hintergrund ihrer Eltern vertraut und aufgewachsen ist, trägt diese zweite oder dritte Generation von Grund auf Anteile von (mindestens) zwei Kulturen in sich. In noch höherem Maße als bei Migranten der ersten Generation oder auch bei Nicht-Migranten, findet bei ihnen eine Vermischung, wenn nicht gar Verschmelzung der Kulturen statt, die elementar gegeben ist und tagtäglich gelebt wird.
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