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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Abb.: 6
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Mit der Übersetzung von Millers und Rollnicks ‘Motivational Interviewing. Preparing people to change addictive behavior’ und Kellers Einführung des Transtheoretischen Modell der intentionalen Verhaltensänderung in den deutschsprachigen Raum (beides 1999) bekam der in Deutschland schon von einigen Suchtexperten ab Mitte der 80er Jahre angeschobene Diskurs um den Stellenwert von Veränderungsmotivation und Motivationsförderung für eine möglichst früh einsetzende effektive Behandlung von Abhängigkeitskranken und -gefährdeten Auftrieb. Ohne an dieser Stelle die vielen Für und Wider des Diskurses um Krankheits-, Bewältigungs- und Motivationsmodelle, um Abstinenz als höchstes Ziel und Zieloffenheit, um weltanschauliche und wissenschaftliche Ansichten auszuführen, sei darauf hingewiesen, dass dieser Diskurs bei weitem noch nicht beendet ist. Trotzdem kann mittlerweile von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden. Moderne Suchtprävention und -behandlung nutzt ein verändertes Motivationskonzept: Motivation wird nicht als quantitativer Status, sondern interaktioneller Prozess und Motivation nicht Behandlungsvoraussetzung, sondern als (zentraler) Teil der Behandlung angesehen. Anstelle von Motivationsprüfungen und -hürden geht es darum, Veränderungsschritte früh zu fördern und so viel Unterstützung wie möglich anzubieten unter Wahrung der Autonomie und der Würde des Klienten. In den Blick der Suchthilfe kommen nun auch Personen mit riskantem Substanzkonsumverhalten, um hier früh die Auseinandersetzung mit dem Verhalten anzuregen, um letztlich möglichen (weiteren) Störungen vorzubeugen. Zur Förderung von Veränderungsmotivation bietet sich insbesondere der Ansatz der ‘Motivierenden Gesprächsführung’ an. Dieser aus der Praxis heraus entstandene und als überwiegend wirksam erprobte Ansatz zieht sozialpsychologische Theorien und sozial-kognitive Lerntheorien heran, um zu verstehen, wie sich Verhalten und Einstellungen entwickeln und sich gegenseitig beeinflussen. Ebenso wie die theoretischen Grundlagen sind auch die methodischen Umsetzungen Kombinationen aus verschiedenen Therapie- und Beratungsrichtungen. Die theoretischen Erklärungen des Ansatzes scheinen entwicklungsbedürftig in Richtung einer klareren aus den verwendeten Theorien logisch folgenden Beschreibung in der Praxis etabliert sich ‘Motivierende Gesprächsführung’ auch außerhalb der Suchthilfe in weiten Teilen der Früherkennung und Frühintervention bei gesundheitsgefährdendem Verhalten.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Anwendung und Wirksamkeit in der Suchthilfe: Es gibt kaum noch eine neuere Konzeption im ambulanten und stationären Bereich der Suchthilfe, in der ‘Motivierende Gesprächsführung’ keine Rolle spielt. Besonders im Zusammenhang mit Früherkennung riskanten Substanzkonsums und möglichst darauf folgender Frühintervention wird in der Regel ‘Motivierende Gesprächsführung’ eingesetzt. Dieser Ansatz mit den relativ kurzen klaren Aussagen zu Veränderung, Motivation, Ambivalenz und Widerstand in Verbindung mit dem TTM und einem übersichtlichen Methodenpool ermöglicht es, ‘unmotivierte’ gefährdete oder abhängigkeitskranke Menschen nicht konfrontierend zu erreichen und bei ihnen eine Auseinandersetzung mit dem riskanten Verhalten anzustoßen. Hier besteht die Möglichkeit des ‘reinen’ Anwendens von ‘Motivierender Gesprächsführung’, wie im Punkt 2.5 beschrieben. Ein Beispiel dafür wäre ein Klient, der von der Arbeitsagentur die Auflage zur Suchtberatung bekommt. Hierzu können eine gewisse Anzahl Gesprächseinheiten vereinbart werden und in dieser Zeit eine Auseinandersetzung mit der Problematik und mögliche Veränderung angeregt werden. Wird ‘Motivierende Gesprächsführung’ als übergeordneter Kommunikationsstil mit anderen Behandlungselementen kombiniert, wird von ‘Adaptierter motivierender Gesprächsführung’ (‘Adapted Motivational Interviewing’ - kurz AMI) gesprochen. Besonders im Bereich der medizinischen Basisversorgung (niedergelassene Fach- und Hausärzte, Allgemeinkrankenhaus) wurden aufgrund der breiten Erreichbarkeit Modelle und Manuale zur Kurzintervention entwickelt und erprobt, die eine Auseinandersetzung mit dem Problemverhalten und Motivationsförderung zum Ziel haben. Ein typisches Beispiel hierfür ist im Rahmen hausärztlicher Versorgung und Behandlung z. B. die Rückmeldung von Laborwerten, die auf erhöhten Alkoholkonsum oder auch Drogenkonsum hinweisen als Diskrepanzauslöser inklusive der anschließenden (Kurz-)Interventionen im Stil der ‘Motivierenden Gesprächsführung’. Die Kombination von ‘Motivierender Gesprächsführung’ und anderer Methoden und Ansätze erfährt die breiteste Anwendung, was die gute Anschlussfähigkeit bestätigt. Zwei Beispiele adaptierter Modelle werden weiter unten näher erläutert: das mittlerweile bundesweit eingesetzte Projekt zur Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten (FRED) und eine Kombination von ‘Motivierender Gesprächsführung’ und Case Management (MOCA) für die psychosoziale Betreuung im Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung von Opiatabhängigen. ‘Motivierende Gesprächsführung’ eignet sich ebenfalls gut als vorangestelltes bzw. vorbereitendes Behandlungselement. Vom Erstkontakt an ist ‘Motivierende Gesprächsführung’ Standardkommunikationsstil in ambulanten Sucht- und Drogenberatungsstellen. Neben der Förderung von Veränderungsmotivation spielen hier häufig soziale und persönliche Problemlagen ebenfalls eine erhebliche Rolle, die weitere aktive Hilfen erfordern. Auch die Einbeziehung des sozialen Umfeldes ist häufig angezeigt. Bei indizierter und gewünschter Vermittlung in weiterführende Hilfen (z. B. rehabilitative oder sozialtherapeutische Maßnahmen) wird in die Planungsphase (Phase 2 der ‘Motivierenden Gesprächsführung’) die Vorbereitung und die Auseinandersetzung mit den möglichen Konsequenzen der folgenden Behandlung mit aufgenommen. Während einer Behandlung kann es immer wieder zu motivationalen Problemen und Verstärkung der Ambivalenz kommen (z. B. Neugewichtung der Vor- und Nachteile nach neuen Informationen oder Erfahrungen). Hier kann auf ‘Motivierende Gesprächsführung’ zurückgegriffen werden, sozusagen zwischengeschaltet, um die Motivation wieder zu festigen und die Behandlung dem Tempo des Klienten anzupassen. Die Wirksamkeit ‘Motivierender Gesprächsführung’ ist durch zahlreiche Studien belegt worden. Besonders im Bereich der Kurzinterventionen kann in der Summe der bisherigen Untersuchungen eine eindeutige positive Evidenz von Kurzinterventionen, die auf ‘Motivierender Gesprächsführung basieren, nachgewiesen werden. Die Wirksamkeit bezieht sich auf Veränderungen im Konsumverhalten und auf die Inanspruchnahme weiterführender Hilfen. Bei dem Versuch, die effektiven Komponenten der auf ‘Motivierender Gesprächsführung’ basierenden Kurzinterventionen herauszufiltern, wurden deutliche Hinweise auf a) den empathischen Beratungsstil und b) auf sachliche Information und Rückmeldung über diagnostische Befunde an erster Stelle gefunden. Das führt erneut zu der Erkenntnis, dass der Kommunikationsstil mehr Einfluss auf das Ergebnis zu haben scheint als die Inhalte von Interventionen. Bei Anwendung von ‘Motivierender Gesprächsführung’ als vorangestelltes Behandlungselement belegen die Studienergebnisse eine erhöhte Mitwirkung in der späteren Behandlung und eine geringere Abbruchquote. Für den Einsatz des ‘reinen’ Ansatzes und dem Rückgriff auf ‘Motivierende Gesprächsführung’ während einer weiterführenden Behandlung ‘bei Bedarf’ gibt es bisher keine Wirksamkeitsstudien. ‘Motivierende Gesprächsführung’ wird als Beratungsstil in den bisher erarbeiteten Behandlungsleitlinien für substanzbezogene Störungen von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wegen hoher nachgewiesener Evidenz vorrangig empfohlen. Die Attraktivität des Ansatzes beruht nicht unwesentlich auf den breiten praktischen Anwendungsmöglichkeiten in der Suchthilfe. In den bisherigen Ausführungen klang schon an, dass ‘Motivierende Gesprächsführung’ auch in den mit Suchthilfe kooperierenden Feldern eingesetzt wird, z. B. in der Jugendhilfe und in der medizinischen Basisversorgung. Für die Wohnungslosenhilfe wurde ein Modell zur Förderung der Reduzierung oder Einstellung von riskantem Alkoholkonsum in Kombination von aufsuchender Hilfe, ‘Motivierender Gesprächsführung’ und dem Konzept des ‘Kontrollierten Trinkens’ (Projekt WALK) entwickelt und mit Erfolg erprobt. ‘Motivierende Gesprächsführung’ hat sich im Rahmen des Projektes als geeignet erwiesen, mit problematisch Alkohol konsumierenden Wohnungslosen ins Gespräch zu kommen und Veränderungsmotivation zu fördern, die mit Hilfe nachfolgender zieloffener Programme (Abstinenz oder ‘kontrolliertes Trinken’) eine deutliche Reduktion ihres Alkoholkonsums erreichen konnten. Neueste Anwendungsmöglichkeiten werden aktuell im Bereich der Online-Beratung erprobt. Ausdruck der dem Ansatz beigemessenen hohen Bedeutung ist die Aufnahme der Fortbildung in ‘Motivierender Gesprächsführung’ und darauf basierender Kurzinterventionen in umfassende Weiterbildungscurricula wie die ‘Fachkunde Suchtmedizinische Grundversorgung’ der Bundesärztekammer, die ‘Fachkunde Suchtpsychologie’ der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie, dem Aufbaustudium zum ‘Suchtmaster’ der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen sowie das Curriculum ‘MOVE’ - ‘Motivierende Kurzinterventionen bei konsumierenden Jugendlichen’, welches sich an Mitarbeiter in der Jugendhilfe richtet. Auch wenn bei Weitem nicht der volle Umfang der Anwendung der ‘Motivierenden Gesprächsführung’ in der Suchthilfe und angrenzenden Feldern benannt wurde, ist deutlich geworden, dass ‘Motivierende Gesprächsführung’ - wie von Veltrup empfohlen - mittlerweile als überwiegendes ‘Betriebssystem’ im Rahmen von Suchtprävention und -behandlung mit zahlreichen Anschlussmöglichkeiten an die bekannten suchttherapeutischen Interventionen fungiert. Anhand von zwei konkreten Praxismodellen soll Anwendung und Wirksamkeit im Folgenden noch einmal dargestellt werden. 3.1, Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten (FRED): In dem von der Koordinierungsstelle Sucht entwickelten Projekt zur ‘Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten’ - kurz ‘FRED’ - geht es darum, jungen Menschen ein frühzeitiges (d. h. möglichst nah am Zeitpunkt des Erstkonsums) Angebot zu unterbreiten, um der Entwicklung von missbräuchlichen bzw. abhängigen Drogenkonsum vorzubeugen und eine Auseinandersetzung mit dem problematischen Verhalten zu fördern sowie eine (erneute) strafrechtliche Auffälligkeit zu verhindern. Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Alter von 21 Jahren, die über eine justizielle Auflage (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe) oder aufgrund einer ‘pädagogischen Einflussnahme’ (Eltern, Schule, ambulante und stationäre Jugendhilfe) vermittelt werden. Angestrebt wird ein freiwilliges Annehmen des Angebotes, wobei die ‘Freiwilligkeit’ häufig eher ein ‘vermeiden können’ von Strafe bedeutet. Theoretisch stützt sich ‘FRED’ auf Aaron Antonovskys Modell der Salutogenese und will damit den Blick weniger auf die Defizite als vielmehr auf die Ressourcen und Stärken der Jugendlichen lenken. Als Grundhaltung und Beratungskonzept kommt der Ansatz der ‘Motivierenden Gesprächsführung’ zur Geltung aus der Überlegung heraus, den Jugendlichen in ihrer häufig ambivalenten Haltung respektierend und Autonomie fördernd begegnen zu können. Struktur des Kursangebotes: - Informationen: über das Angebot und zur Kontaktherstellung durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendhilfe etc., - Einzel- oder ‘In-Take-Gespräch’: zur vertieften Information und erstes Besprechen der Situation des auffällig gewordenen Jugendlichen Feststellen der Eignung durch den Ausschluss von Abhängigkeit (bei manifester Abhängigkeitserkrankung Motivation zur Annahme suchtspezifischer und/oder psychosozialer Hilfen) ‘Brückenfunktion’ in das Kursangebot, - Kursangebot: Umfang von acht Zeitstunden (4 x 2 oder 2 x 4 Stunden) inhaltliche Schwerpunkte sind: persönliche Drogenkonsumreflexion und die zugrundeliegenden Situationen, Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum mit Bezug auf persönliche Folgen, fundierte Informationen über Wirkungen und Risiken der verschiedenen Drogen, eigenverantwortliche Entscheidung zum künftigen Verhalten, Informationen über das regionale Hilfesystem Durchführung des Kurses durch zwei pädagogische Fachkräfte Teilnahmebescheinigung zum Abschluss des Kurses, - Individuelles Auswertungsgespräch: auf Wunsch des Kursteilnehmers, nicht obligatorisch. In einer Nachbefragung (nach 17 bis 29 Monaten) hoben die Teilnehmer des Angebotes vor allem die informativen Anteile sowie die Möglichkeiten des persönlichen Kontaktes als besonders hilfreich hervor. Die Hälfte der Befragten gab an, im Zeitraum seit dem Kurs keine illegalen Drogen mehr konsumiert zu haben rund siebzig Prozent waren nicht (erneut) polizeilich auffällig. ‘Motivierende Gesprächsführung’ stellt in diesem Fall einen hilfreichen Kommunikationsstil dar, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und sie zur Auseinandersetzung mit problematischem Verhalten anzuregen. In Verbindung mit themenzentrierten Gruppengesprächen stellt ‘FRED’ ein modernes sekundärpräventives Angebot dar.

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