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- Tausche Sex gegen Nahrung?: Eine Untersuchung über das gleichgeschlechtliche soziosexuelle Verhalten weiblicher Bonobos (Pan paniscus) bei der Nahrungsaufnahme
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Abb.: 14
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Teilen von Nahrung ist kein seltenes Phänomen unter Primaten. Es wurde unter anderem bei Kleideraffen, Gibbons, Schimpansen und auch bei den in dieser Studie behandelten Bonobos beobachtet. In den zuerst genannten Fällen kann dieses Verhalten meist auf Basis der Verwandtschaftsselektion erklärt werden. Betrachtet man jedoch das Teilen von Nahrung bei Bonobos, treten zwei Besonderheiten in den Vordergrund. Erstens teilen am häufigsten die aufgrund der patrilinearen Gruppenstruktur nicht oder nur entfernt verwandten Weibchen die Nahrung miteinander. Dies lässt die Frage aufkommen, welche Faktoren dieses Verhalten zwischen nicht-verwandten Tieren begünstigen. Zweitens tritt das Teilen von Nahrung oft zeitnah zu sexueller Interaktion auf. Hierzu beschreibt z.B. Frans de Waal (1998), einer der renommiertesten Forscher im Bereich Verhaltensforschung bei Primaten, Situationen, in denen die Bereitschaft eines Männchens zum Teilen von Nahrung mit einem Weibchen durch eine vorangegangene Kopulation positiv beeinflusst zu sein schien. Sowohl Weibchen als auch Männchen forderten dabei zur Kopulation auf, wobei Weibchen anschließend stets von der Nahrung des Männchens fressen konnten. Seine Beobachtungen interpretierte de Waal (1998) dahin gehend, dass Männchen Nahrung gezielt dazu einsetzen, um mit Weibchen zu kopulieren und Weibchen ihrerseits die sexuelle Attraktion der Männchen nutzen, um Zugang zu einer begehrten Nahrung zu erlangen. Nun kann dieses Verhalten in heterosexuellen Paarkonstellation leicht durch die Begrenzungsfaktoren des reproduktiven Erfolges beider Geschlechter erklärt werden, welche für Weibchen durch den Zugang zu hochwertiger Nahrung und für Männchen durch den Zugang zu fruchtbaren Weibchen bestimmt sind. Amy Randall Parish (1994) beobachtete jedoch ein ähnliches Verhalten zwischen Weibchen untereinander. Wenn Weibchen die Nahrung miteinander teilten, kam es dabei ebenfalls häufig zur sexuellen Interaktion in Form des für Bonobo-Weibchen typischen Genito-Genital-Reibens (GG-rubbing). Auch Parish vermutete einen engen Zusammenhang zwischen dem Teilen von Nahrung und dem Auftreten von Genital-Kontakt entsprechend eines Austausches von sexueller Interaktion und Nahrung zwischen den beteiligten Tieren (Sex-for-Food-Exchange). Sie konnte in einer experimentellen Studie an in Gefangenschaft lebenden Bonobos zeigen, dass dieser Sex-for-Food-Exchange regelmäßig unter Weibchen vorkommt. Bisher wurden jedoch keine Daten über den zeitlich direkten Zusammenhang von sexueller Interaktion und Nahrungsteilen zwischen weiblichen Bonobos erhoben. Ziel dieser Studie ist es deshalb, weitere Erkenntnisse über die Funktion von GG-rubbing im Sinne eines direkten Sex-for-Food-Exchange zwischen Bonobo-Weibchen zu erlangen.
Textprobe: Kapitel 2.9, Soziosexuelles Verhalten: Wie bei vielen anderen Primaten sind die Funktionen sexueller Verhaltensweisen auch bei Bonobos nicht auf die Fortpflanzung beschränkt, sondern als integraler Bestandteil des sozialen Beziehungsgefüges anzusehen (Fedigan, 1992 de Waal, 1998). Im Speziellen das Auftreten homosexueller Kontakte, heterosexueller Kopulation außerhalb des Östrus der Weibchen und sexuellen Verkehrs mit Jungtieren weist darauf hin, dass das Sexualverhalten von Bonobos mehr als nur der Reproduktion dienlich ist. Tatsächlich finden sich zahlreiche weitere Funktionen im Bereich der sozialen Kommunikation der Tiere. (de Waal, 1998) bezeichnete Sex als den ‘magischen Schlüssel zur sozialen Organisation von Bonobo-Gesellschaften’. Viele der sexuellen Interaktionen von Bonobos können deshalb als soziosexuelles Verhalten bezeichnet werden, also sexuelle Kontakte die vom eigentlichen Primärziel der Reproduktion entkoppelt und dem sozialen Gefüge von Gesellschaften dienlich sind (Fedigan, 1992). Paoli et al. (2007) und de Waal (1991) vermuteten, dass bei Bonobos die Hauptfunktionen des soziosexuellen Verhaltens der Abbau und die Regulation sozialer Spannung ist. Diese treten vermehrt in den Kontexten Aggression und Nahrungsaufnahme auf. Hashimoto (1997) und Parish (1994) untersuchten zudem die Ausbildung von sozialen Bindungen und Allianzen durch häufigen sexuellen Kontakt unter Weibchen. Im Folgenden sollen Auftreten und Funktion sexueller Interaktion in den genannten Kontexten genauer erläutert werden. 2.9.1, Soziosexuelles Verhalten im Kontext ‘Aggression’: Sexuelle Aktivität von Bonobos wird mit dem Abbau von Aggression in Zusammenhang gebracht (Westheide & Rieger, 2004). Kano (1980) vermutete aufgrund seiner Beobachtungen in freier Wildbahn schon früh, dass Spannungen zwischen Weibchen durch GG-rubbing abgebaut würden. Später zählte man auch andere Formen soziosexuellen Verhaltens, wie Steiß-Kontakt und Kopulation, zu spannungsregulierenden Verhaltensweisen (Kuroda, 1984, zit. nach Parish, 1994). Beobachtungen von de Waal (1991) weisen darauf hin, dass sexuelle Interaktion bei Anzeichen von Aggression als Beschwichtigungsmaßnahme eingesetzt wird und schwere körperliche Aggressivität dadurch meist ausbleibt. Da der Ausgang dieser Situationen ohne das Auftreten von soziosexuellem Verhalten nicht sicher rekonstruiert werden kann, bleiben dies jedoch nur Vermutungen. Unterstützt werden diese durch eine zweite Funktion soziosexuellen Verhaltens im Kontext von Aggression, nämlich der Versöhnung. de Waal (1991) beschreibt Situationen, in denen auf eine aggressive Auseinandersetzung sexuelle Interaktion folgte. Aufgrund des erhöhten Aufkommens affiliativer Interaktion nach diesen sexuellen Begegnungen, wie z. B. Allogrooming, schloss er, dass Bonobos Sex als Mittel zur Versöhnung einsetzen. Hohmann & Fruth (2000) fanden in einer großangelegten Freilandstudie in Lamako, dass die Rate von GG-rubbing nach aggressiven Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Weibchen höher war als die Rate vor einer aggressiven Auseinandersetzung. Da Aggression meist in Fütterungssituationen aufkam, ist es nicht ganz eindeutig, ob die sexuellen Interaktionen durch die Anwesenheit von Nahrung ausgelöst wurden oder tatsächlich als Versöhnungsakt fungierten. De Waal (1998) beobachtete jedoch auch Versöhnungen, die nicht während der Fütterung stattfanden. Zum Beispiel führten Bonobo-Männchen, die sich um die Kopulation mit einem Weibchen stritten, kurz danach Steiß-Kontakt aus. Kam Aggression zwischen einem Weibchen und einem fremden Jungtier auf, so konnte die Situation durch intensives GG-rubbing zwischen dem Weibchen und der Mutter des Jungtieres entspannt werden. Diese Mechanismen zur Prävention von physischer Aggression sind ein wichtiges Element in der sozialen Organisation von Bonobos, ohne die die Gruppengröße und -konstellation vermutlich nicht möglich wäre (Blount, 1990 de Waal, 1991). 2.9.2, Soziosexuelles Verhalten im Kontext ‘Nahrung’: Obschon unterschiedlichster Untersuchungsschwerpunkte in Studien zum soziosexuellen Verhalten von Bonobos, erwies sich als zuverlässiger Auslöser für sexuelle Interaktion immer die Anwesenheit von Nahrung. De Waal (1998) beobachtete in einer Bonobo-Gruppe in Gefangenschaft, dass alle Männchen eine Peniserektion aufwiesen, sobald sich ein Tierpfleger mit Nahrung dem Gehege näherte. Noch bevor die Tiere Zugang zur Nahrung hatten, kam es schon zu zahlreichen Genital-Kontakten und Kopulationen. Parish (1994) löste erhöhte Raten sexuellen Verhaltens durch die Darbietung von begehrter Nahrung in Form eines mit Honig gefüllten, künstlichen Termitenhügels aus. Freilandbeobachtungen von Hohmann & Fruth (2000) ergaben erhöhte Raten von Genital-Kontakten bei der Ankunft einer Bonobo-Gruppe an einem früchtetragenden Baum. Doch nicht nur das Auftreten sexueller Interaktion ist auffällig, sondern auch die Wirkung, die sexueller Kontakt auf die Tiere zu haben scheint. Die Aufregung und Spannung, die durch die Präsentation von Nahrung aufkommt, scheint sich unmittelbar nach den sexuellen Kontakten zu legen und ermöglicht das gemeinsame Fressen ohne aggressive Auseinandersetzungen (Kuroda, 1980), wie es z. B. bei Schimpansen häufig beobachtet wurde (de Waal, 1991). Es liegt nahe zu interpretieren, dass sich die Aufregung über Nahrung in sexuelle Erregung verwandelt, als ob sich die Begeisterung für Nahrung und Sex vermischte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Konkurrenz um Nahrung der Auslöser für sexuelle Interaktion ist und die aus der Konkurrenz resultierende Anspannung zwischen den Tieren durch soziosexuelles Verhalten abgebaut wird (de Waal, 1998). Beobachtungen aus Zoos bestätigen, dass die Bereitschaft zum Teilen von Nahrung unter anderem durch sexuelle Kontakte begünstigt wird (Parish, 1994 de Waal, 1991). De Waal (1998) beschreibt sogar den gezielten Einsatz von sexueller Attraktion, um an Nahrung zu gelangen. Zum Beispiel boten sich rangniedere Weibchen häufig den Männchen an, die im Besitz von begehrter Nahrung waren. Anschließend konnten die Weibchen dann Teile oder die gesamte Nahrung für sich allein beanspruchten. Parish (1994) bezeichnete dieses Verhalten bei Bonobos als ‘Sex-for-Food-Exchange’ und fand heraus, dass dieses nicht nur in heterosexuellen Konstellationen vorkommt. Auch Weibchen teilten häufiger ihre Nahrung mit anderen Weibchen, wenn sie zuvor ihre Genitalschwellungen aneinander gerieben hatten. 2.9.3, Soziosexuelles Verhalten im Kontext ‘Ausbildung sozialer Bindung’: Die Tatsache, dass enge soziale Bindungen unter nicht-verwandten Weibchen bei Primaten sehr selten sind, lässt die Frage nach den Mechanismen zur Herstellung dieser Bindung bei Bonobos aufkommen. Die Integration gruppenfremder Weibchen in eine bestehende Bonobo-Gesellschaft gibt Hinweise auf die Entstehung affiliativer Beziehungen zwischen weiblichen Bonobos. Aus mehreren Beobachtungen dieser Integrationsprozesse geht hervor, dass vermehrtes GG-rubbing letztendlich zur Eingliederung des Weibchens in die Gruppe beiträgt (de Waal, 1998 Kano, 1980). Fremde Weibchen werden dabei sehr häufig von anderen Weibchen zum GG-rubbing eingeladen und sogar bevorzugt ausgewählt (Pfalzer & Ehret, 1995). Auch in Zoos, die Bonobos nach dem Fission-Fusion-Konzept halten, wurde bei Fusionen der Subgruppen ein vermehrtes Aufkommen von GG-rubbing zwischen den Weibchen beobachtet, die für eine Zeit voneinander getrennt waren. Es wird vermutet, dass diese Kontakte der Erneuerung sozialer Bindungen dienen (de Waal, 1998).
Katharina Reichert wurde 1985 in Bretten bei Karlsruhe geboren. Ihr Studium der Biologie an der Universität Marburg schloss die Autorin im Jahr 2011 mit dem 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien mit Prädikat ab. Bereits während des Studiums zeigte sich ein großes Interesse am Sozialverhalten von Primaten, welches in der wissenschaftlichen Studie zum soziosexuellen Verhalten der Bonobo-Gruppe des Frankfurter Zoos zunächst Befriedigung fand. Katharina Reichert entschied sich nach ihrem Abschluss gegen eine Laufbahn als Lehrerin, um sich weiterhin auf die Verhaltensforschung an Primaten konzentrieren zu können.
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