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- Sozialpädagogische Fanarbeit im deutschen Fußball: Rahmenbedingungen und Konzepte der deutschen Fanprojekte
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Auch aufgrund der aktuellen Geschehnisse ist das Verhalten der Fußballfans in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in den letzten Jahren wieder verstärkt in den öffentlichen und medialen Fokus gerückt. Angesichts von Spielunterbrechungen oder Abbrüchen in Folge des Einsatzes von Wurfgeschossen oder illegaler Pyrotechnik, gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Fans, Schmähgesängen, beleidigenden oder rassistischen Choreographien der Fangruppen und nicht zuletzt dem notwendig gewordenen, äußerst kostspieligen wöchentlichen Einsatz hunderter Polizeibeamter im Rahmen der Bundesligaspiele wird der Kultur der Fußballfans vielerorts mit Argwohn begegnet. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Berichterstattung der Massenmedien, welche sich bisweilen äußerst plakativ, polemisch und vor allem sachlich undifferenziert gestaltet. Vielfach werden ganze Fangruppierungen unter Generalverdacht gestellt. Von ‚Verbrechern‘ und ‚Chaoten‘ ist die Rede, welche das Massenereignis Fußball als willkommene Bühne für Krawall und Provokation ausnutzen. Fraglos ist Gewalt gegen friedfertige gegnerische Fans, Spieler oder Schiedsrichter scharf zu verurteilen und natürlich kein Fundament für die Erhaltung des Fußballsports in Deutschland als Massenereignis und ‚Volksreligion‘. Jedoch ist diesbezüglich eine differenziertere Wahrnehmung aller Beteiligten vonnöten. Welche Emotionen dürfen im Fußballstadion ausgelebt werden? Wo verschwimmt die Grenze zwischen hochemotionalem Ultra -Fan, der oft unter erheblichem Einsatz von Freizeit und Geld sein Team unterstützt, und gewaltsuchendem Hooligan , welcher den Fußball für die Auslebung seiner Gewaltgelüste benutzt? Welche Rolle spielt die teils repressive Vorgehensweise der Polizei bei der Bekämpfung des Gewaltproblems in deutschen Stadien? Um diese Fragen beantworten und einen möglichst weitreichenden Einblick in die vielschichtigen Lebenswelten der innerdeutschen Fankulturen gewähren zu können, wird anhand von Fachliteratur versucht, die relevanten Begrifflichkeiten und Ausprägungen des ‚Fan-Seins‘ zu definieren, das Selbstverständnis der verschiedenen Fangruppen aufzuzeigen und anhand von Beispielen darzulegen. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Tätigkeit der deutschen Fanprojekte in ihrer Gesamtheit zu erfassen und vorzustellen sowie die zugrunde liegende pädagogische Methodik und Konzeption der Fanprojektarbeit nachvollziehbar zu machen.
Textprobe: Kapitel 2.4.3, Ultras- Ideologien, Werte und Feindbilder: Betrachtet man eine Ultragruppierung als reine Ansammlung von stark mit ihrem Verein verbundenen Fans, ist dies zunächst natürlich richtig, umfasst allerdings sicherlich nicht in Gänze die Bedeutung einer solchen Gruppe. Aus ihren Anfängen in den späten 1990er Jahren heraus haben sich die Ultras als fester Bestandteil im deutschen Vereinsfußball etabliert. Sie kennzeichnen sich mit eigener Kleidung und Symbolen und verstehen sich gewissermaßen als Wahrer des ursprünglichen, anti-kommerziell orientierten Fußballs und ihre Gruppe als eine Art Bruderschaft, welcher drei wesentliche Werte zugrunde liegen: Engagement, Gruppenzusammenhalt und Verantwortungsgefühl gegenüber der Gruppe. Die Ultras eint ein gemeinsames Selbstverständnis, welches als Fundament für den Gruppenzusammenhalt anzusehen ist und auf dessen Einhaltung mittlerweile durchaus penibel geachtet wird. (Vgl. Gabler 2010, S.57) Pilz/Wölki beschreiben dieses Selbstverständnis wie folgt: ‘Ultra sein bedeutet für sie eine neue Lebenseinstellung zu besitzen, sich von der Masse der passiven Zuschauer abzuheben, besonders und ‘extrem’ (Ultra) zu sein, ‘durchzudrehen’ (Ultra), Spaß zu haben, Teil einer eigenständigen neuen Fußballfan-und Jugendkultur zu sein.’ (Pilz/Wölki 2006, S.72). Diese Interpretation des ‚Fan-Daseins‘ geht einher mit traditionellen Männlichkeitswerten wie Stärke, Macht und Durchsetzungsvermögen. Weiterhin spielen die Liebe zum eigenen Verein, der individuelle Idealismus sowie Solidarität, kollektive Freundschaft und Brüderlichkeit innerhalb der eigenen Gruppe eine zentrale Rolle bei den Ultras. (Vgl. ebd., S. 104) Die Identität als Ultra und die Wertvorstellungen dieser Jugendkultur werden zu einer neuen Lebenseinstellung, welche sich auch im Alltag widerspiegelt und in letzter Konsequenz eine Unterordnung von Schule, Beruf, Familie oder anderer soziale Bereiche nach sich zieht (vgl. ebd., S.60). Der freundschaftliche und solidarische Zusammenhalt innerhalb der Ultragruppierungen spielt eine zentrale Rolle im Werteverständnis der Ultras (vgl. Gabler 2010, S. 57). Pilz beschreibt die Ultras aufgrund ihrer expressiven Verhaltensweisen als erlebnisorientierte Fans, die gleichzeitig eine Fußballzentrierung aufweisen (vgl. Pilz 2005b, S. 1). Häufig wird sowohl von Seiten der Vereine als auch der ‚normalen‘ Fans in kritischer Weise auf das hohe Maß an Selbstinszenierung der Ultras hingewiesen. Der Sportwissenschaftler Jürgen Schwier interpretiert diese Form der Eigendarstellung als einen Reflex auf den allgemeinen Bedeutungsverlust der Fans im heutigen kommerzialisierten Fußballgeschäft (vgl. Schwier 2005, S.29). Speziell unter diesem Gesichtspunkt muss auch die aktuell medial äußerst präsente und kontrovers geführte Debatte bezüglich des Einsatzes von Pyrotechnik betrachtet werden. Dieser dient den Ultras neben dem Support auch als Stilmittel des Protestes gegen die herrschenden, kommerziell orientierten Rahmenbedingungen des Profifußballs. Denn auch wenn die meisten Ultragruppen untereinander in kultivierter Feindschaft zueinander stehen (vgl. Brenner 2009, S.79), eint Ultras aller Vereine die gemeinsame Sorge um den Verlust ‚ihres’ Fußballs. Während sich viele Vereine kontinuierlich hin zu wirtschaftlich orientierten Unternehmen entwickeln, Stadiennamen und sogar Vereinsnamen gewechselt, Spieler im Jahreswechsel ausgetauscht werden und sich die Kartenpreise, Spielergehälter und Fernsehgelder in astronomische Höhen entwickeln, fürchten die Ultras, als Bewahrer von Traditionen, echter Identifikation mit dem Verein und urtümlicher Fußballromantik dabei auf der Strecke zu bleiben. Gabler (2010, S.67f.) beschreibt diesen Wertegrundsatz wie folgt: ‘Ultra bedeutet, seinen Verein bedingungslos zu lieben. Das bedeutet aber keineswegs eine automatische Akzeptanz gegenüber denjenigen, die diesen Verein repräsentieren. Diese Repräsentanten sind heute nämlich eher beliebig und kurzfristig austauschbar. Und das gilt gleichermaßen für Spieler, Trainer und Funktionäre. Anders ist das bei den Fans, die ihrem Verein in der Regel ihr Leben lang die Treue halten. Die Ultras konstruieren sich also ihr eigenes Bild des Vereins, das sich aus seiner Geschichte, seinen Erfolgen und Misserfolgen, den damit verbundenen Emotionen und Enttäuschungen all derer, die sich dem Verein verbunden fühlen, seinen Traditionen und nicht zuletzt aus seiner Fankultur speist. Dieses Konstrukt ist das Objekt ihrer Liebe, das sie ehren und verteidigen, im Zweifelsfall auch gegen die eigenen Spieler, den Trainer oder die Funktionäre.’
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