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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 48
Abb.: 12
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Sofern neue Tourismusformen üblicherweise Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels sind, kann auch der Slumtourismus als ein solcher angesehen werden. Das Slumming kann als Antwort auf eine gesellschaftliche, wie urbane Veränderung gesehen werden. Mit der heutigen Globalisierung gehen verschiedene Prozesse einher, die das Phänomen des Slumtourismus seit den 1990er-Jahren prägen. Als wesentliche Aspekte können hier die verstärkte Megastadtentwicklung und Urbanisierung im globalen Süden genannt werden, mit denen eine vermehrte Produktion von Slums einhergeht. Als signifikanteste Ursache dieser Verstädterung zählt die Migration aus den ruralen Gebieten in die Städte, womit eine Verlagerung der Armut vom Land in die Stadt verursacht wird. Man spricht auch von einer Verstädterung der Armut . Als weiteres Moment des globalen Wandels in Bezug auf den Slumtourismus kann eine Veränderung des Reiseverhaltens vermerkt werden. Vor allem in den letzten Dekaden ist ein Trend hin zum Entwicklungsländertourismus zu erkennen. Durch die verbesserten Kommunikationsmittel, den technischen Fortschritt und geringe Reisekosten fällt es Menschen leichter, sich für eine Fernreise zu entscheiden. Daneben gilt es als in viele, exotische Länder besucht zu haben. Die Medien tragen einen enormen Teil dazu bei, Bilder von Slums weltweit zu verbreiten. Außerdem sind sie dazu in der Lage, Menschen in ihrer Reiseentscheidung durch Werbung oder emotionale Bilder zu beeinflussen. Die Globalisierung (und damit einhergehenden Homogenisierung) der Welt - man spricht auch vom globalen Dorf - weckt in vielen Menschen den Wunsch etwas Andersartiges, Nichtalltägliches zu sehen bzw. zu erleben und ihren individuellen Horizont zu erweitern. Da Slums hauptsächlich in den Entwicklungsländern als Problem bestehen, sind es zunehmend die Länder des globalen Südens, die von dieser Art des Tourismus betroffen sind. Es entsteht eine Nachfrage auf die ein Angebot folgt oder anders herum ein Angebot, das gerne wahrgenommen wird. In diesem Falle das Angebot von Slumtouren. Der Slum als touristischer Ort wird dadurch ermöglicht. In der Megastadt Mumbai wird der Slumtourismus in Dharavi durchgeführt. Der Slum ist von einer ethnischen, religiösen wie auch sozialen Heterogenität geprägt. Diese Vielfältigkeit, zusammen mit der Kleinindustrie Dharavis, ist Hauptgegenstand einer von Reality Tours and Travel angebotenen Slumtour. Dadurch zielt die Agentur darauf ab, eine Slumtour so realistisch wie möglich zu gestalten. Ein weiteres Anliegen ist es, die Besucher nicht mit der krassesten Armut zu konfrontieren und einem abfälligen Voyeurismus durch ein Fotoverbot entgegenzuwirken. Durch kleine Teilnehmergruppen wird generiert, die Einwohner nicht bei ihren täglichen Aufgaben und ihrem Leben zu stören. Außerdem gehen 80% der Einnahmen an eine im Slum ansässige NGO, die sich für den Aufbau von Schulen, Kindergärten und community-centern einsetzt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.1.1, Das touristisches Erkunden des Londoner East End: Seinen Ursprung findet der Slumtourismus im viktorianischen London des 19. Jahrhunderts. Durch die Industrialisierung wandelte sich die Stadt erheblich. Die starke Land-Stadt-Wanderung und die irische Immigration verursachten ein gewaltiges Städtewachstum und machten London mit sechs Millionen Einwohnern zur damals größten Stadt der Welt. Damit einhergehend segregierte sich die Stadt in Arm und Reich und es kam zur vermehrten Ausbildung von Slums, vor allem im Osten des urbanen Raums. (Der Begriff ‘Slum’ entstand erst in dieser Zeit und ging in den 1820iger Jahren in die englische Hochsprache ein). London war zu jener Zeit durch eine Klassengesellschaft geprägt, die ausgehend von der Kolonialisierung sehr verstärkt wurde. Das riesige Ausmaß der Agglomeration führte dazu, dass die Londoner nicht mehr alle Viertel ihrer Stadt kannten. Das sogenannte East End wurde als unzivilisierter, gefürchteter und von Seuchen befallener Ort angesehen, von dem aus eine große Gefahr ausging. Damals auch als ‘dunkler Kontinent’ (in Anlehnung an das arme Afrika) bezeichnet, wurde das East End oftmals als Antithese der feinen bürgerlichen Ordnung dargestellt (STEINBRINK/POTT, 2010). Doch galten die Slums schon damals als interessant und andersartig. Die Entdeckungsreisen der Engländer sollten sich zu der Zeit nicht mehr nur auf ferne Kontinente beziehen sondern auch auf die innerstädtischen Areale der eigenen Umgebung. Ziel war es, ‘die Ferne in der Nähe’, also das Unbekannte und das sozial Andersartige in der eigenen Stadt zu erkunden. Die Slums versprachen große Abenteuer und Raum für wilde, oft auch erotische Phantasien. Durch Berichte und Schilderungen der ersten Kirchenleute oder Journalisten, die sich in das East End wagten, wurde der Slum durch deren Sozialreportagen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und rühmten sich immer größer werdender Popularität. Oft aus Mitleid und mit der (angeblichen) Absicht Wohltaten zu tun, besichtigten ab Mitte des 19. Jahrhunderts viele Menschen aus den gehobenen Vierteln der Stadt die Slums im Osten Londons (www.sciencedaily.com). Diese Besichtigungen wurden schnell als Slumming bezeichnet wodurch der Begriff geprägt wurde. Er ist also fast genauso alt wie der Begriff Slum an sich (STEINBRINK/POTT, 2010). 3.1.2, Merkmale des Slumming in New York: In der zweiten historischen Phase des Slumming wurde diese Form von Tourismus aus London um New York und später auch um andere Städte der USA ergänzt. Hier entwickelte sich eine andere Form des Slumming. Es ging nicht mehr darum Wohltaten zu tun oder das moralisch Gegensätzliche zu erleben, sondern eher darum, verschiedenste Kulturen, ethnische Hintergründe (die oft mit Armut konnotiert waren) kennen zu lernen und sich an ihnen zu erfreuen. Das New York des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts war durch eine große internationale Migration geprägt, die schon schnell kulturspezifische Diskriminierungen und eine damit einhergehende Segregation von Arm und Reich oder auch Schwarz und Weiß zur Folge hatte. Es entstanden ganze Migrantenkolonien, wie etwa Little Italy oder Chinatown (STEINBRINK/POTT, 2010). Ghettos und ‘Schwarzenviertel’ wie Harlem, entstanden nach der Jahrhundertwende durch die Migration der schwarzen Unterschicht aus den Südstaaten, was zu einer Verschärfung der sozialen Probleme aber auch zu einer starken kulturellen, afro-amerikanischen Dynamik innerhalb der Stadt führte. Insbesondere der Jazz und andere künstlerische bzw. musikalische Ausdrucksformen der ansässigen schwarzen Bevölkerung wurden als ‘exotisch’ angesehen. Harlem erhielt das Image des Ortes mit dem ‘Dschungel-Flair’ und der Primitivität. Schnell wurde es ein Ort des allabendlichen Amüsements der weißen Oberschicht, die ihre kulturelle Neugier in den Nachtlokalen des Viertels befriedigten. Slumming wurde hier also mit dem ‘nightclubbing’ gleichgesetzt. Allerdings kam es sogar innerhalb dieses Viertels zu einer krassen Segregation von Schwarz und Weiß. Schwarze durften die von den Weißen besuchten Nachtlokale nicht aufsuchen. Lediglich die Künstler und die Bedienung waren schwarz, die Inhaber und das Klientel weiß. Die Oberschicht wollte die kulturelle Vielfalt zwar erleben, sich aber keines Falls unter die Schwarzen mischen und sich mit ihnen ‘abgeben’ (WELZ, 1993:40). Die touristische Attraktion ‘Slum’, zu denen folglich auch die Migrantenviertel aus Europa und Asien gehörten, wurde in den USA also als ein Ort des kulturell wie ethnisch Anderen erfunden und in den Städtetourismus aufgenommen. Bei einem Besuch der Metropole sollte der kosmopolitische Charakter zur Geltung kommen, um den Erwartungen der Städtetouristen, die ständig auf der Suche nach Andersartigkeit und Authentizität waren, gerecht zu werden. Der Slumtourismus konnte in den USA dazu beitragen, dass soziale Ungleichheiten entproblematisiert wurden. So schreiben Steinbrink/Pott (2010:252): Zitat: ‘Der Slum wurde nicht mehr primär als Manifestation sozialstruktureller Ungleichverhältnisse, sondern als Ausdruck der kulturellen Konfiguration einer modernen Weltstadt gesehen’. Weiter führen sie aus: Zitat: ‘(…) diente er (der Slum) (…) zugleich als Sehnsuchtsraum, der sie (die Touristen) eine ansonsten längst vergangene vormoderne Welt erleben ließ. Die Kulturalisierung des Slums (…) wirkte wie eine Legitimation des sozialen und ökonomischen Gefälles (…). ‘Ethnic slumming’ bedeutet folglich nicht die Annäherung, sondern letztlich immer Herstellung und Bestätigung sozialer Distanz.’

Über den Autor

Wiebke Schröder wurde 1984 in Thedinghausen bei Bremen geboren. Sie studierte zunächst Geographie und Spanisch auf Gymnasiallehramt in Hamburg. Seit 2010 ist sie im Master of Education in Berlin eingeschrieben und wird voraussichtlich im Februar 2013 das Studium beenden. Während ihrer Reisen in verschiedene Entwicklungsländer dieser Welt, wurde sie auf den Slumtourismus aufmerksam. Obwohl die Autorin persönlich nie an einer Slumtour teilgenommen hat, hegt sie großes Interesse an dem kontrovers zu diskutierenden Phänomen und beschäftigt sich auch nach Beendigung ihrer Bachelorarbeit weiterhin ausgiebig mit dem Thema.

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