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- Reiz des Unterirdischen: Diachrone Betrachtung von Vorstellungswelten über das Subterrane am Beispiel von ausgewählten Höhlen im Harz
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In dieser Bachelorarbeit werden die kulturellen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster über das Subterrane in der Frühen Neuzeit am Beispiel ausgewählter Höhlen im Harz untersucht. Die Arbeit versteht sich als eine historisch-anthropologische Studie, die sich konzeptuell im Kontext der Forschungen über Naturphänomene in der Frühen Neuzeit sowie über historische Reisekultur verortet. Grundlage der Studie sind 30 Erlebnisberichte über Höhlenfahrten vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert, die mit Hilfe texthermeneutischer Verfahren interpretiert werden. Es wird gezeigt, dass Höhlen in der Frühen Neuzeit u.a. als außergewöhnliche Naturobjekte wahrgenommen wurden, die man aus verschiedenen Motivationen heraus erkundete. Anhand der beschriebenen Höhlenexkursionen wird ebenso auf die Naturwahrnehmung und deren Veränderungen eingegangen wie auf die (weitere) Entwicklung der wirtschaftlichen Nutzung (etwa in Form touristischer Reisen) und die wissenschaftliche Erforschung dieser Naturphänomene.
Textprobe: Kapitel 5, Erkundung des subterranen Raums: 5.1, Beschreibung der Befahrungsmodalitäten: 5.1.1, Widrigkeiten der Höhlenexkursion: Das Befahren der Höhlen im Harz war am Beginn der Frühen Neuzeit äußerst beschwerlich, wie die Quellen berichten. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden sie weiter erschlossen und für die Besucher ausgebaut, dennoch musste mit Unannehmlichkeiten gerechnet werden. Die Erkundung dieser unterirdischen Landschaft war dement-sprechend im Untersuchungszeitraum durchgehend mit körperlichen Anstrengungen verknüpft. Im Verlauf dieses Abschnitts soll nun auf die Bedingungen der Befahrung und die physischen Befindlichkeiten während eines Höhlenbesuchs eingegangen wer-den, um nachvollziehen zu können, wie dadurch bestimmte Vorstellungswelten über das Subterrane konstituiert wurden. In fast allen Quellen werden die Modalitäten vor dem Gang in die Höhle beschrieben. Zunächst war es notwendig, einen Führer auszumachen, der anschließend mit Trink-geld bezahlt wurde. Die Familie Becker aus Rübeland wurde ab 1668 durch die Obrigkeit privilegiert, Besichtigungen in der Baumannshöhle durchzuführen. Die Höhle wurde ferner mit einer Tür vor Unbefugten verriegelt, sodass das eigenständige Befahren nicht möglich war. In der Einhornhöhle übernahmen Ortsansässige gegen Entlohnung die Führung. Es lässt sich feststellen, dass ein Wegweiser in der unterirdischen Landschaft notwendig war, da er die benötigte Ausrüstung stellte sowie durch seine Kenntnis der Gänge die Besucher auf die richtigen Pfade leitete. Der Topos des ‘Verirrens’ und die damit einhergehende Angst sind in den Texten sehr häufig zu finden und oft mit dem Motiv des ‘Labyrinths’ als symbolische Beschreibung für die Höhle verbunden. In einigen Quellen wird die Furcht vor dem Gefangen-Sein im subterranen Raum durch tradierten Geschichten über Höhlenerkunder unterstrichen, die mehrere Tage vergebens im Unterirdischen umherirrten, dann ausgezerrt den Weg nach außen fanden und kurz danach im Wahn starben. Der Verweis auf die Thematik des Wahns sollte ex negativo zur Befolgung der Regeln des Höhlenführers beitragen, denn dann kann der Besucher ‘ohne einziges Irre-Gehen gut und wohl daraus kommen’. Eine erste ausführliche Beschreibung des Ablaufs der eigens durchgeführten Befahrung der Baumannshöhle liefert Kolodey (1668), der im Sommer 1653 mit einer Gesellschaft in den Harz reiste. Er beschreibt, wie sie den Führer in dem kleinen Ort Rübeland auf-suchten und von diesem zur Höhle geleitet wurden. Im Folgenden wird erwähnt, dass die Gruppe Gegenstände und Kleidungsstücke ablegen musste, ‘so uns in die Höle reinzugehen verhinderlich seyn können’ . Auch Behrens (1703) gibt den Hinweis, dass es wichtig sei, die Bergkleidung anzuziehen, ‘wenn sie [die Kompagnie der Höhlenbesucher] anders nicht im Durchkriechen derer Hölen ihre Kleider mit Staub- und Koht abscheulich besundeln und verderben auch wohl gar zu ihrem Schaden noch Spott haben wollen’. Die Bekleidung konnte auch Amüsement hervorrufen, wie Behrens am Beispiel eines ‘curieuse[n] Frauen-Zimmer[s]’ berichtet, ‘über derer Posituren sich auch mancher melancholischer Sauer-Tropff hätte zu Schanden lachen müssen’. Bei Kundmann (1737) werden auch ‘Frauenzimmer’ erwähnt, denen, ‘wenn sie keine Hosen angehabt, [die Erkundung] sehr beschwerlich gefallen’ sei. Es kann durch die Teilnahme der Frauen an der Besichtigung davon ausgegangen werden, dass ‘Thrill’, also der Nervenkitzel durch das Erleben gefährlicher beziehungsweise außergewöhnlicher Situationen, keine rein ‘männliche’ Intention darstellte. Die Verbindung der vordergründigen Problematik der Unangemessenheit der Kleidung mit der Betonung der ‘geschlechtsspezifischen’ vestimentären Codes bringt zum Vorschein, dass Frauen als nicht geeignet für die Höhlenexkursion angesehen wurden. Es wurde sich durch die Hervorhebung der visuellen Attribute von dem relational konstruierten Geschlecht ‘Frau’ abgegrenzt. Die Erwähnung der Hose als ein typisch ‘männliches’ Symbol unterstreicht neben dem pragmatischen Effekt ihrer Verwendung die Dominanz des Mannes bei der Erkundung der unterirdischen Welt. Es wird deutlich, dass Kleidung performativ Geschlechterbilder erzeugt, die angeeignet und für die Aufrechthaltung von Machtverhältnissen nutzbar gemacht werden. Die Bemerkungen in den Texten sowie der Umstand, dass die Autoren der vorliegenden Quellen allesamt Männer waren, verweisen darauf, dass der Besuch von Höhlen und damit auch einhergehend die Suche nach ‘Thrill’ eine vornehmlich geschlechtsspezifisch konnotierte Domäne in der früh-neuzeitlichen Gesellschaft darstellte. Eine Auskunft über die Bekleidungsbedingungen gibt unter anderem auch Burgsdorf (1786), der mit einer größeren Gesellschaft die Höhle besichtigte. Er kritisiert, dass ‘nicht genug Kittel für uns alle da waren’, sodass viele ‘Schürzen und Weibermäntel um[hingen]’. Das Aussehen der Kleidung wird weiterhin bei Schröder (1789) geschildert. Der Führer gab den Gästen ‘schwarze, grobe leinene gewöhnliche Grubenkittel oder Puchjacken (…), die den Leib vom Halse an bis unter die Hüften bedecken’. In den Berichten ist des Weiteren die Rede davon, dass die Höhlenerforscher ‘mit Feuerzeug und einer Nothdurfft brennenden Liechter (…) versehen’ waren. Auf die Problematik der Lichtverhältnisse wird folgend noch gesondert eingegangen werden, da sie das Sehen beeinflussten und somit bestimmte Vorstellungswelten bei den Besuchern hervorriefen. Es bleibt an dieser Stelle zu konstatieren, dass das Anlegen der spezifischen Form der Ausrüstung essentiell war, um auf die Widrigkeiten in der Höhle vorbereitet zu sein. Ferner trug die ungewöhnliche Bekleidung dazu bei, die Besichtigung der unterirdischen Landschaft als ein besonderes Spektakel und somit als ein aus dem Alltag herausgehobenes Ereignis anzusehen. Die naturräumlichen Gegebenheiten werden in den Schilderungen größtenteils als Unannehmlichkeit empfunden. Kolodey (1668) führt beispielsweise an, dass ‘der Eingang der Höle nun/ (…) gantz niedrig und enge [war]/ also/ daß wir auf Händen und Füssen/ einer nach dem andern/ uns hinein dringen müsten’. Er verweist, wie auch andere Autoren der vorliegenden Quellen, auf die unangenehmen klimatischen Bedingungen, die durch ‘hefftigere Kälte’ gekennzeichnet waren. Kundmann (1737) widerspricht den allgemeinen Aussagen über die Temperaturverhältnisse, ‘da bey mir das Contrarium sich geäussert, in dem durch das beschwerliche Steigen und Kriechen in nicht wenigen Schweiß gerathen’, wodurch die von subjektiven Dispositionen abhängige Umweltwahrnehmung deutlich wird. Ferner ist in den meisten Texten über die Baumannshöhle von dem sogenannten ‘Roß’ die Rede. Diese Felsformation war der Übergang zu weiteren Hohlräumen und musste rittlings überquert werden, wovon sie ihren Namen erhielt. Dieser Pass war für viele Besucher mit Gefahr verbunden, sodass ‘sich nicht ein jeder darauf zu steigen oder zu klettern getrauet’. Der weitere Gang durch die Baumannshöhle war ebenfalls sehr beschwerlich, da ‘man auf Leitern und Riemen sich hinunter lassen muß[te]’. Kolodey konstatiert, dass ‘[man] ohne große Mühe und Arbeit/ ja gar Leibes und Lebens-Gefahr/ (…) zu solchen enfersten Höle nicht wohl gelangen [kann]’. Um 1700 wurde der Zugang zur Höhle durch obrigkeitliche Maßnahmen erweitert, dennoch mussten die Besucher partiell ‘auf allen Vieren kriechen’ und ‘eine Strecke von der vorderen Öffnung zur inneren nach Art eines Kaninchens’ überwinden. Von der Hardt (1702) schildert ebenfalls die Widrigkeiten beim Überqueren des ‘Roßes’: ‘Aus der ersten Höhle in die zweite gelangt man über eine Leiter, die durch eine sehr enge Passage führt, über eine darüber gelegte Bohle, unter der ein Abgrund gähnt. (…) Wer diesen Engpass vermeiden will, sei es wegen der Körperfülle, sei es aus Angst vor der Gefahr, muss zur Rechten über einen Felsen kriechen, wie ein Reiter. (…) Von hier steigt man über die Leiter in die erhabene zweite Höhle’. Des Weiteren findet dieser zentrale Punkt in der Baumannshöhle bei Hellwig (1702) Erwähnung, der von der Mühsal des Rückgangs einen Eindruck vermittelt, denn ‘so schwer es uns ankam/ an dem Seile sich wieder hinauff zuziehen/ so viel schwerer war es/ durch die obgedachte enge Klufft hindurch (…) biß auffs Rößlein zukriegen/ da wir öffters am Seile schweben müssen/ fast nicht Fussen können/ und sich die Ohnmachten bey uns einstellten wolten’. Von der Verweigerung solcher Strapazen wird ebenfalls berichtet, da ‘unserer zwey sich resolviret’. Zückert (1763) verweist auch noch auf die Beschwerlichkeiten der Überquerung der Felsformation, denn ‘dieser Ritt war sehr gefährlich, weil auf den beyden Seiten des Rosses zwey unabsehliche Klüfte sind, deren Tiefe noch niemand er-gründet hat’. Es ist zu beachten, dass die Besucher während der ganzen Besichtigung mit Lichtern unterwegs waren, das heißt, sie mussten ‘mit brennenden Fackeln/ auff den Händen fortgehutsche[n]’. An dieser Stelle kann konstatiert werden, dass weitestgehend keine Unannehmlichkeit gescheut wurde, um die Neugierde zu befriedigen. Weder die körperliche Belastung, noch der ubiquitäre Schmutz oder die Befürchtung des Auftretens von Gespenstern konnte davor abschrecken. Um 1700 wurden nur 2 Hohlräume der Baumannshöhle gezeigt. Die Existenz einer dritten Höhle war bekannt, doch war sie noch nicht erschlossen und mit allerlei ominösen Geschichten behaftet. In der Mitte des 18. Jahrhunderts ist beispielsweise bei Zückert (1763) schon die Rede von sechs solcher Räumlichkeiten, die besichtigt werden konnten. Es wird deutlich, dass die Erschließung und Fahrbarmachung der Höhlen zunehmend von den Ortsansässigen und der Obrigkeit voran getrieben wurde, was sich positiv auf den Führungsbetrieb auswirkte. Burgsdorf (1786) konstatiert trotzdessen, dass ‘die Leitern (…) sehr schlüpfrig [sind], und (…) sogar Sprossen daran [fehlen] auch waren für eine so große Gesellschaft, wie die unsrige, nicht genug Lampen vorhanden, daher kletterten wir oft im Finstern, und einer mußte dem andern auf der oft schräge liegenden Leiter den Fuß setzen’. Im Gegenzug gibt Heun (1793) Mitteilung von der Bielshöhle, die durch einen Rübeländer Bergmann primär zum touristischen Nutzen erschlossen wurde und ‘so bequem als möglich zum Befahren eingerichtet’ sei. Die Befahrungsmodalitäten der Baumannshöhle werden auch durch ihn kritisiert, denn ‘der Stollen [war] schmutzig und eng, und so niedrig, dass man mehrentheil gebückt gehen musste’ sowie war der ‘Fussboden so schlüpfrig, dass man leicht ausgleiten, und hie und da Gefahr laufen kann, einen Abgrund zu messen, und die mehresten Fahrten sind so morsch, und von der ewigen Nässe so bald verfault, dass man mit jedem Augenblick zusammen zu brechen befürchten muss’. In diesem Auszug wird eine touristische Grundhaltung deutlich, da auf der einen Seite der ‘Thrill’ gefordert wurde und auf der anderen Seite die Gefahr bei der Exkursion kontrollierbar bleiben sollte. Der Besuch der Höhle stellte demnach eine Art Freizeitvergnügen dar, das die körperliche und mentale Ausreizung der Besucher in einem angemessenen Rahmen inkludierte und damit Unterhaltungswert besaß. Im Kontext der gefahrvollen Besichtigung des subterranen Naturraums ist in den Texten um 1800 immer wieder von ‘Muth’ die Rede und von der ‘Eitelkeit, sagen zu können’, die Höhle befahren zu haben. Bei Eichendorff (1805) kommt beispielsweise eine latente Selbststilisierung zum Ausdruck, wenn er emphatisch das Durchstehen der Widrigkeiten in der Höhle beschreibt: ‘Mit großer Mühe, ja fast mit Lebensgefahr durchkletterten wir die […] unterirdischen Gemächer’. In verschiedenen Quellen wird auch der Usus genannt, seinen Namen in die Höhlenwand einzugravieren. Dieser Brauch signalisierte das erfolgreiche Überwinden der Gefahren und diente somit zur Demonstration einer Art bestandenen ‘Mutprobe’, was letztlich Ausdruck des sozialen und kulturellen Kapitals nach Bourdieu war. Es lässt sich konstatieren, dass die ständig steigende Zahl der Veröffentlichung von Reisebeschreibungen immer mehr Personen inspirierte, diese unterirdische Landschaft selbst zu erforschen. Die Höhleninteressierten setzten sich freiwillig und weitestgehend im Wissen um die Unannehmlichkeiten bestimmten Risiken aus. Die Exkursion stellte dementsprechend für den Großteil der Besucher ein unterhaltsames Abenteuer dar, was als frühe Ausprägung eines touristischen Moments im Kontext der Höhlenerkundung anzusehen ist.
Franziska Völkel, B.A., wurde 1990 in Leinefelde (Eichsfeld) geboren. Im Jahr 2013 schloss sie ihren Zweifach-Bachelor-Studiengang in den Fächern Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie und Geschichtswissenschaft an der Georg-August-Universität in Göttingen ab. Ihre Interessen- und Arbeitsfelder sind vor allem im Bereich der Historischen Anthropologie zu verorten.
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