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Sozialwissenschaften

Stefanie Sukal

Magerwahn 2.0: Wie Pro-Ana und Pro-Mia Essstörungen glorifizieren

ISBN: 978-3-95820-423-2

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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 68
Abb.: 25
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Innerhalb der Pro-Ana und Pro-Mia Bewegung findet eine offensichtliche Glorifizierung von Anorexia und Bulimia Nervosa statt. Junge Frauen erklären im Internet ihre Essstörung zum Lifestyle. Dadurch entsteht eine ganz neue Plattform für die Verbreitung der Pro-Ana und Pro-Mia Bewegung. In diesem Buch geht die Autorin der Frage nach, wie Essstörungen im Rahmen der Pro-Ana und Pro-Mia Bewegung im Internet dargestellt werden. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet eine Analyse dreier Pro-Ana bzw. Pro-Mia Internetseiten. Darüber hinaus erläutert die Autorin die Grundlagen der Krankheitsbilder von Essstörungen und ihrer Entstehung sowie auch die Rolle der Medien in diesem Kontext. Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, ob die mediale Präsenz von Pro-Ana und Pro-Mia zu einer Verharmlosung von Essstörungen beiträgt und wie mithilfe eines fundierten, auf umfangreichem Wissen basierenden Konzepts die Aufklärung und Intervention bei Pro-Ana und Pro-Mia verbessert werden kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.1.1, Exkurs: Ätiologiemodell und Risikofaktoren: Die Frage, wie Essstörungen entstehen, beschäftigt die Forschung zwar seit längerem, doch kann sie bisher nicht vollständig geklärt werden. Da Essstörungen – und somit auch Anorexie und Bulimie – zu den psychischen Störungen gezählt werden, stützen sich die meisten Entstehungstheorien auf ein multifaktorielles Ätiologiemodell (vgl. JACOBI u.a. 2004: S. 21). Die Bezeichnung multifaktoriell bezieht sich hierbei auf drei wesentliche Klassen von ,Ursachen‘ […]: prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren (GROß 2008: S. 54), die zusammenwirken müssen, damit sich eine Essstörung manifestieren kann. Dies bedeutet auch, dass es nicht nur eine Ursache gibt und die Entstehung von Essstörungen ein komplexer Vorgang ist. Dadurch wird die Prävention erschwert, die in mehreren Lebensbereiche wirken muss um erfolgreich zu sein. Die Vorgänge, die zu einer Essstörung führen, hat Jacobi in einem sogenannten Bedingungsmodell zusammengefasst (vgl. JACOBI u.a. 2004: S. 34ff. und JACOBI 2011: S. 205ff.): Soziokultureller Kontext, Risikofaktoren [und ein] niedriges/labiles Selbstwertgefühl (JACOBI 2011: S. 206) sind die Grundlage, auf der Anorexie und Bulimie entstehen können. Ausgelöst wird die Erkrankung durch bestimmte Situationen oder Lebenslagen. Es kommt zum bereits beschriebenen Krankheitsbild, gezeichnet durch einen Kreislauf von Nahrungskontrolle und kompensatorischen Maßnahmen. Aufrechterhalten wird dieser Kreislauf durch den Ehrgeiz, die Nahrungsaufnahme noch stärker zu reglementieren. Dieses Verhalten bedingt körperliche, psychische und soziale Folgeschäden (ebd.: S. 206), die wiederum das Selbstwertgefühl weiter senken und somit zur Aufrechterhaltung der Störung beitragen. Die Unterscheidung in Ursachen und Folgen einer Essstörung ist dabei oft schwierig (vgl. JACOBI u.a. 2004: S. 21). Das labile Selbstwertgefühl z.B. ist Ursache und Folge zugleich. Viele der Risikofaktoren, die bei der Entstehung von Essstörungen eine Rolle spielen, können ebenso nicht eindeutig als ursächlich bezeichnet werden. Als sicher kann nur gelten, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren gibt, die sich grob in drei Bereiche gliedern lassen: biologische, psychosoziale und soziokulturelle Risikofaktoren. In biologischer Perspektive stellt sich vor allem die Frage, ob Essstörungen genetisch bedingt sind. Familien- und Zwillingsstudien haben zwar ergeben, dass es in der direkten Verwandtschaft zu Anorexie- oder Bulimiepatient_innen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko gibt (vgl. FRIELING & BLEICH 2008: S. 63 f.), eine zwangsläufige Erkrankung lässt sich dadurch allerdings nicht vorhersagen. Ebenso wird ein Mangel an verschiedenen Hormonen und am Neurotransmitter Serotonin als Ursache für Essstörungen diskutiert, doch ist hierbei unklar, inwieweit diese Werte ursächlich sind, da sie auch durch die Störung selbst hervorgerufen werden können (vgl. WUNDERER & SCHNEBEL 2008: S. 58f.). Die Gruppe der psychosozialen Risikofaktoren bezieht vor allem die familiäre Situation sowie individuelle Verhaltensmuster und Copingstrategien ein. Das bereits erwähnte niedrige Selbstwertgefühl ist dieser Gruppe zuzuordnen, ebenso wie ein ausgeprägtes Diätverhalten, exzessive sportliche Betätigung, negative und belastende Lebensereignisse (z.B. sexueller Missbrauch), weitere psychische Erkrankungen, familiäre Probleme im interaktiven und kommunikativen Bereich sowie ein starker Perfektionismus (vgl. JACOBI u.a. 2004: S. 22). Auch hier finden sich Faktoren, die sowohl Ursache als auch Folge sein können: Eine gestörte Kommunikation zwischen einer Tochter und ihren Eltern kann auch durch das gestörte Essverhalten der Tochter entstanden sein. Weitere Risikofaktoren liegen schließlich im soziokulturellen Bereich, also in gesellschaftlichen Anforderungen und kulturellen Prägungen. Den wichtigsten Aspekt scheint der westlich geprägte, gesellschaftliche Druck zum Schlanksein darzustellen… (JÄGER 2008: S. 75), welcher zwar nicht alleinverantwortlich für Essstörungen ist, aber aufgrund seiner ständigen Präsenz, z.B. in den Medien, nicht unterschätzt werden darf. Schlankheit ist Teil des modernen Schönheitsideals in der westlichen Gesellschaft. Wie dieses Schönheitsideal gestaltet ist, wie es sich auf die Entstehung von Anorexie und Bulimie auswirkt und welche Rolle die Vermittlung durch diverse Medien dabei spielt, wird nun im Folgenden erläutert. 3.1.2, Bedeutung des medialen Schlankheitsideals: Das aktuelle Schönheitsideal für Frauen ist durch mehrere Aspekte geprägt. Waltraud Posch führt an dieser Stelle Schlankheit, Jugendlichkeit, Fitness und Authentizität (POSCH 2009: S. 85) an. Für diese Arbeit ist allerdings nur Schlankheit relevant und somit gehe ich allein darauf ein. Während Gesundheitsinstitutionen den Body Mass Index als Maßstab für Körper anlegen, vertreten Medien und Modeindustrie ein Schlankheitsideal, dass sich in nur drei Zahlen niederschlägt: 90-60-90 (vgl. ebd.: S. 86). Gemeint ist der ideale Brust-, Taillen- und Hüftumfang einer erwachsenen Frau in Zentimetern. Diese Traummaße werden vor allem durch eine Berufsgruppe vertreten, nämlich die der Models. Das britische Model Cara Delevingne erfüllt beispielsweise diese Anforderungen: Sie hat ihrer Agentur zufolge einen Taillenumfang von 60,96 Zentimetern und einen Hüftumfang von 86,36 Zentimetern, als Konfektionsgröße wird 34 angegeben (vgl. STORMMODELS). Doch nicht nur Models verkörpern dieses Ideal. Die Süddeutsche Zeitung konstatierte anlässlich einer deutlich sichtbaren optischen Veränderung der Schauspielerin Renée Zellweger: Die Filmindustrie fordert makellose, fettlose, alterslose Stars (KOCK 2014). Schlankheit ist also gefragt und sogar eine Voraussetzung, wenn Frauen als Models oder Schauspielerinnen erfolgreich sein wollen. Somit wird das Schlanksein auch mit Erfolg und Starksein gleichgesetzt. Wer abnimmt, hat sich unter Kontrolle, wird bewundert – selbst oder gerade wenn er bereits sehr schlank ist (WUNDERER & SCHNEBEL 2008: S. 53). All diese Faktoren setzen sich zum Idealbild einer überaus schlanken, willensstarken, erfolgreichen und bewundernswerten Frau zusammen. Einer breiten Masse zugänglich gemacht wird dieses Idealbild vor allem durch seine breitgefächerte mediale Vermittlung. Über den Auftritt der jünger und schlanker aussehenden Renée Zellweger berichteten im Oktober 2014 mehrere Internetseiten, darunter die Onlineredaktionen der Welt, des Sterns und des Spiegels (vgl. BING NEWS 2014). Cara Delevingne war 2014 auf dem Titelblatt der Septemberausgabe der britischen Vogue zu sehen, einer der bekanntesten Modezeitschriften der Welt (vgl. VOGUE). In Filmen, Serien und Fernsehwerbungen sowie auf Plakatwänden sind schlanke Models und Schauspielerinnen auch ständig präsent. Somit ergibt sich eine große Bandbreite an Medien, die dieses Schlankheitsideal der Öffentlichkeit präsentieren und es dadurch zu einem medialen Schönheitsideal machen. Obwohl sich Frauen und Mädchen in vielen Situationen und Bereichen mit dem Ideal des schlanken weiblichen Körpers konfrontiert sehen, entspricht dieser keineswegs der Realität. Beim aktuellen Schönheitsideal handelt es sich einen an Unterernährung erinnernden Kunstkörper (POSCH 2009: S. 87). Wie weit dieser Kunstkörper von realen Frauenkörpern entfernt ist, wird klar, wenn man die durchschnittlichen Maße deutscher Frauen zum Vergleich mit dem 90-60-90-Ideal heranzieht: Die Nationale Verzehrsstudie II misst bei Frauen einen durchschnittlichen Taillenumfang von 83 Zentimetern (MRI 2008: S. 79) und einen durchschnittlichen Hüftumfang von 103,6 Zentimetern (vgl. ebd.: S. 80). Der Hüftumfang liegt somit 13,6 Zentimeter über dem propagierten Ideal, der Taillenumfang sogar 23 Zentimeter darüber. Die durchschnittliche deutsche Frau müsste ihren Körperumfang also drastisch reduzieren um wenigstens in die Nähe des Schlankheitsideals zu kommen. Das scheint viel verlangt und ist auf gesundem Wege kaum zu erreichen. Anorexie und Bulimie stehen nicht für den gesunden Weg der Gewichtsreduktion. Gerade Anorektikerinnen, die aufgrund ihres Krankheitsbildes ja bereits untergewichtig sind, müssten das Schlankheitsideal erfüllen bzw. sogar unterbieten. Daraus müsste sich nun folgern lassen, dass der Schlankheitsdruck, der durch die Medien aufgebaut wird, eine der Hauptursachen für Anorexie ist. Doch genau das ist nicht der Fall. Bei der Entstehung von Anorexie stehen psychosoziale Probleme im Vordergrund und nicht das Ziel, so schlank wie das mediale Idealbild zu werden (vgl. JÄGER 2008: S. 76). Die bereits erwähnte Gleichsetzung von Gewichtsreduktion mit Stärke, Selbstkontrolle und Bewunderung ist allerdings ein wichtiger Aspekt der Aufrechterhaltung einer anorektischen Erkrankung. Durch das Gefühl, stark zu sein und bewundert zu werden, wird das Selbstwertgefühl der Betroffenen gesteigert und somit kann der Kreislauf der Störung fortbestehen. Das Schlankheitsideal wirkt sich also auf die Manifestation der Anorexie weit mehr aus als auf ihre Entstehung. Als Ursache für Bulimie spielt der Schlankheitsdruck hingegen eine wichtige Rolle: Vorausgehende, jahrelange Diätversuche sind typisch für Bulimikerinnen und haben ihren Ursprung im vorherrschenden schlanken Schönheitsideal (vgl. ebd.: S. 77). Aufgrund der positiven Konnotation von Schlanksein und Selbstwert kommt dem medialen Schönheitsideal eine große Bedeutung bei der Aufrechterhaltung einer bulimischen Störung zu, ebenso so wie bei einer anorektischen Störung. Welchen Einfluss Medien generell auf Frauen haben, die ein erhöhtes Risiko tragen an einer Essstörung zu erkranken, zeigt Katrin Kiehl in ihrer Studie von 2011: Durch Computerexperimente und Fragebögen fand sie heraus, dass Frauen mit einem hohen Erkrankungsrisiko lieber so aussehen wollen wie die Frauen, die im Fernsehen und in Filmen auftreten, und wie Models in Zeitschriften und Musikvideos (KIEHL 2011: S. 143). Zudem ist ihr Medienkonsum (Internet, Zeitschriften, Fernsehen) im Vergleich zu Frauen mit niedrigerem Risiko wesentlich höher und sie messen Schlankheit eine größere Bedeutung zu (vgl. ebd.: S. 144). Die verschiedenen Medien mit ihrem Schönheitsideal beeinflussen also die individuelle Meinung über Schlankheit und können sogar Auswirkungen auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexie und Bulimie haben.

Über den Autor

Stefanie Sukal wurde 1988 in Fürth geboren. Nach dem Abitur beschäftigte sie sich mit Theater- und Medienwissenschaft. Ein längeres Orientierungspraktikum in einer sozialen Einrichtung brachte sie dazu, Soziale Arbeit an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm zu studieren. Im Rahmen dieses Studiums setzte die Autorin in mehreren Seminaren ihren Schwerpunkt auf die Arbeit mit Mädchen und Frauen. Dazu absolvierte sie Praktika in einem Frauenhaus sowie in einer Beratungsstelle für Sexarbeit. Ihre erste Studienarbeit zum Thema Magersucht und Medien inspirierte sie zu einer intensiveren Beschäftigung mit dieser Problematik, woraus schließlich dieses Buch entstand.

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