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- Ist Offener Unterricht zeitgemäß? Das Lernen an Stationen als eine Form des offenen Unterrichts: theoretische Grundlagen, Praxisbeispiele, Möglichkeiten und Grenzen
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 64
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Wie sollte ein Unterricht aussehen, der Kindern und Jugendlichen - ob nun mit oder ohne Beeinträchtigung - hilft, sich in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsphase und in ihrem späteren Dasein in einer sich permanent verändernden Welt weitgehend selbstständig und selbstverantwortlich zurechtzufinden? In jener ‘alten Frage’, die wohl nie obsolet sein wird und noch immer nach aktueller Beantwortung drängt, klingen pädagogische Schlüsselbegriffe an, die zum Leitanspruch von Schule avancierten: die Förderung selbstbestimmten und selbstgesteuerten Lernens. Vor allem Formen des Offenen Unterrichts gelten als prädestiniert, aktive, selbstbestimmte und weitgehend selbstständige Lernarrangements zu fördern. Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer speziellen Form des Offenen Unterrichts: dem Lernen an Stationen. Das Lernen an Stationen ist eine Methode, die es ermöglicht, Schüler sukzessive an die Öffnung von Unterricht und Schule sowie an selbstgesteuertes Lernen heranzuführen. Es ermöglicht zudem einen konklusiven Übergang vom entwicklungsbezogenen zum handlungsbezogen Unterricht, der insbesondere von Fachleuten heutzutage evident eingefordert wird. Allerdings zeigt sich in der alltäglichen Unterrichtspraxis, dass den Schülern aufgrund ihrer spezifischen Voraussetzungen recht wenige Entscheidungsfreiheiten zugestanden werden und dass selbstgesteuerte Lernprozesse, die ein selbstständiges Handeln der Schüler einfordern, eher in geringem Maße im Unterricht stattfinden. Nach einer fundierten theoretischen Einführung zum Offenen Unterricht im Allgemeinen und zum ‚Lernen an Stationen` im Besonderen, wird in dieser Arbeit anhand von Praxisbeispielen aus dem Lernbereich Mathematik eine Lerngruppe von Schülern mit dem Förderschwerpunkt ‘Geistige Entwicklung’ untersucht. Die Arbeit soll zeigen inwieweit die offene Unterrichtsmethode ‚Lernen an Stationen` die Spannung zwischen Anspruch und Praxis aufzuheben vermag und wie ein möglichst effektives, aktives und selbstgesteuertes Lernen an der Schule aussehen kann.
Textprobe: Kapitel 1.4, Merkmale der Methode des Lernens an Stationen: In diesem Abschnitt wird die Methode des Stationenlernens anhand seiner Merkmale charakterisiert sie stellen zugleich die wesentlichen Vorzüge der Methode dar. Der Fokus soll insbesondere vor dem Hintergrund einer erfolgreichen Lernprozesssteuerung gerichtet sein - Unterricht hat sich nicht nur am Lernstand (kognitive Passung), sondern auch am Interesse und an den Motivationen (emotionale und motivationale Passung) zu orientieren, um einer individuellen Förderung im Lernen gerecht zu werden. Denn: Lernen hat viel mit emotionaler Einstellung zu tun Schüler lernen das am besten, was sie motiviert und interessiert. In diesem Zusammenhang spielen zentrale Begriffe wie Differenzierung, selbstständiges Lernen, selbsttätiges Arbeiten und soziales Lernen eine gewichtige Rolle. Das Lernen an Stationen partizipiert zwangsläufig an den Begründungszusammenhängen und Eigenschaften des Offenen Unterrichts neben den allgemeinen Vorteilen des Offenen Unterrichts bietet die Methode an sich spezielle Vorteile, die bereits in der bisherigen Darstellung erwähnt wurden. Einerseits bietet das Lernen an Stationen den bereits mehrfach angesprochenen Einstieg in den offenen Unterricht für alle Beteiligten. Den Lehrern ermöglicht der Wechsel zwischen stärker geschlossenen und eher offenen Unterrichtspraktiken innerhalb dieser Methode eine verhältnismäßig enge Bindung an Lerninhalte und Lernziele, die ihnen das Gefühl von Sicherheit geben, was ihnen andere Formen des offenen Unterrichts - wie Freiarbeit - nicht geben. Die wohl wesentlichste Zielsetzung dieser Ebene für die Schüler ist das Lernen, weitgehend selbstständig und selbstgesteuert zu arbeiten. Dem Schüler wird mehr Eigenverantwortung übertragen, sich für bestimmte Aufgaben (Stationen), Hilfsmittel etc. zu entscheiden. Er kann somit den Grad der Selbstständigkeit mit beeinflussen und bestimmen. Dieses trägt erfahrungsgemäß auch zu einer hohen Eigenmotivation bei. Die Schüler erwerben so in zunehmendem Maße auch personale Kompetenz durch das Wahrnehmen von Eigenverantwortung in Form von Auswählen und Sich-Entscheiden. Dass die Schüler lernen, sich zwischen mehreren verschiedenen Angeboten auf unterschiedlichen Niveaustufen und mit unterschiedlichen Zugangswegen und Materialien zu einer Thematik zu entscheiden, verfolgt im Sinne des ‘Angebotslernens’ Wahldifferenzierung zu realisieren. Wahldifferenzierung oder auch ‘Differenzierung von unten’ meint, dass nicht der Lehrer, sozusagen ‘von oben’, sondern die Schüler selbst differenzieren, indem sie ihre Lernwege selbst bestimmen – gleichwohl sie dabei der Hilfe durch den Lehrer bedürfen und als notwendige Voraussetzung für die so genannte Wahldifferenzierung überhaupt eine Wahl aus verschiedenen Angeboten haben müssen. Jene ‘Auswahl’ liegt aus lernpsychologischer Perspektive vor allem im didaktisch-methodischen Bereich: So berücksichtigt das Lernen an Stationen durch die geschaffenen Lernarrangements die individuellen Lernvoraussetzungen und gegebenheiten: (1) Entsprechend der Ausgangslage und der individuellen Ansprache können die Lernwege und Lernschritte unterschiedlich gestaltet werden: So kann der Lernvorgang systematisch nach einem aufeinander aufbauenden Stufenprinzip erfolgen als auch in einem ganzheitlichen Erfassen von Sachverhalten und Beziehungen. (2) Die Schüler können die für sie optimalen Lernstrategien und Lernweisen entsprechend ihrer individuellen Aneignungs und Bearbeitungsmethoden auswählen. Jeder Mensch nimmt seine Umwelt auf unterschiedliche Art und Weise wahr jeder Mensch lernt anders. Es gibt verschiedene Theorien, die das Lernen zu erklären versuchen und sicher ihre Berechtigung haben. Aber, wie Lernen in jedem Individuum geschieht, bleibt unklar, ist komplex und nicht generalisierbar. Lernen scheint etwas Individuelles zu sein. Bei der Konzeption des ‘Stationenlaufs’ sollten die unterschiedlichen Lerntypen und Begabungen – Vester (1978) unterscheidet unterschiedliche Lernzugänge mittels verschiedener Eingangs und Lernkanäle, die er in vier Lerntypen (visuell, akustisch, haptisch, intellektuell) einteilt – angesprochen und berücksichtigt werden, indem mehrere Zugänge angeboten werden, die sich bezüglich der Eingangskanäle und des Schwierigkeitsgrades unterscheiden (vgl. Bauer 1997, 33ff., 77). Gemeinhin treten die Lerntypen allerdings selten in Reinform auf. Deshalb sollten nach Brunner (1974) zudem die drei Repräsentationsebenen (enaktiv, ikonisch und symbolisch) angeboten und durchlaufen werden, die eine Bearbeitung auf der Handlungsebene, der bildlichen Darstellungsebene und der Beschreibungsebene in symbolhafter Form ermöglichen und helfen, Lernprozesse zu optimieren. (3) Zudem weisen die Schüler nicht nur in ihren spezifischen Lernzugangsweisen und wegen Unterschiede auf, sondern auch in ihren kognitiven, sozialemotionalen und motorisch-praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Schüler sollten durch das unterschiedliche Material und Aufgabenangebot angeregt werden, einen Weg zu beschreiten, der ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entspricht. Sind die Lernarrangements so eingerichtet, dann berücksichtigen sie die Individualität und Komplexität, mit der Kinder und Jugendliche lernen. Das Lernen an Stationen bietet somit die Möglichkeit, den vertrauten Leitspruch aus der Reformpädagogik ‘mit Kopf, Herz und Hand’ zu lernen, einzulösen. Zum anderen fördert die Methode – wie jede andere Form des Offenen Unterrichts auch – Aspekte des gemeinsamen Lernens. So stellt die Methode in graduierter Form unterschiedliche Anforderungen an die Sozialkompetenz der Schüler teilweise lernen sie individualisiert in Einzelarbeit oder auch kooperativ in Partner bzw. Gruppenarbeit zu arbeiten. Es bedarf der Herausbildung verschiedener Kompetenzen bei den Schülern: von der Kontaktaufnahme bis zur Teamfähigkeit, von der gegenseitigen Zusammenarbeit und Hilfe bis zur gegenseitigen Kontrolle und helfender Sachkritik. Sukzessive erweitern die Schüler so in zunehmenden Maße ihre Sozialkompetenz als auch ihre personale Kompetenz. Zudem eröffnet die Methode den Lehrern, eine andere Rolle einzunehmen, da die Methode des Stationenlernens als eine offene Unterrichtsform grundsätzlich auf einen Kompetenzzuwachs im Bereich der Förderung selbstständigen Arbeitens intendiert. Diese Ausrichtung zieht eine veränderte Lehrerrolle nach sich: Der Lehrer ist nicht mehr Mittelpunkt und Hauptakteur des Unterrichts, sondern Lernbegleiter und berater. Das Anforderungsprofil an den Lehrer lässt sich als Pendant vereinfacht wie folgt gegenüberstellen: Anregen statt Vorgeben, Beraten statt Bestimmen und Begründen statt Anweisen. Es ermöglicht dem Lehrer so, individuelle Förderung und Binnendifferenzierung konkreter zu planen, durchzuführen und anschließend zu evaluieren. Die Lehrperson kann sich gezielt einzelnen Schüler zuwenden, ohne dass ein ‘Leerlauf’ für die anderen Schüler entsteht (vgl. Bauer 1997, 132ff.). - Natürlich verbirgt sich hinter den augenscheinlichen Vorzügen, die diese Methode für den Lehrer als auch für den Schüler offeriert, auch ein hohes Anforderungsprofil an den Lehrer, da die Bandbreite der Lehreraktivitäten insgesamt betrachtet größer ist: sie wechseln schneller und sind seltener steuernd, dafür müssen sie öfters viel flexibler und spontaner adäquat reagieren. Heckhausen formuliert bereits Anfang der 70er Jahre die zeitintensiven und aufwendigen Anforderungen des Lehrers, Lehrziele und Methoden ständig an die Lernvoraussetzungen jedes einzelnen Schülers anzupassen, die Lernvoraussetzungen durch objektivierte Verfahren zunächst zu ermitteln, Lernfortschritte ständig zu dokumentieren und dann mit geeigneten Maßnahmen zu reagieren, so dass man durchaus eine Positionierung für das Stationenlernen zu erkennen vermag: ‘Momentaner Fähigkeitsstand und Aufgabenanforderung müssen fortlaufend aufeinander passen, zwischen beiden muss ‚Passung sein […] das ist am besten gewährleistet, wenn das Aufgabenmaterial eine Schwierigkeitsgraduierung zuläßt, die das Kind selbst manipulieren kann oder wenn das Kind Material mit dem jeweils passenden Schwierigkeitsgrad selbst auswählen kann. Dies setzt eine individuelle Selbstbeschäftigung jedes einzelnen Kindes voraus’ (Heckhausen 1971, 209).
Sven Heinrich, geboren 1974, studierte Sonderpädagogik an der HU zu Berlin und Germanistik und Geschichte an der Universität Potsdam und an der FU Berlin. Er ist beruflich tätig als Sonderpädagoge und systemischer Familientherapeut.
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