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- Homosexualität im professionellen Männerfußball: Ein kultureller Wandel?
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Homosexualität ist abnormal, ich werde niemals Homosexuelle in mein Team berufen . So drastisch äußerte sich Otto Baric, ehemaliger Teamchef der kroatischen Fußballnationalmannschaft. Auch wenn er als Hardliner angesehen werden kann, so spricht er einen Sachverhalt an, der dazu führt, dass sich derzeit kein aktiver Fußballer in der Regional- oder Bundesliga zu seiner Homosexualität bekennt. In anderen Teilen der Gesellschaft haben sich viele Berühmtheiten geoutet, ohne zu fürchten, ihr Ruf bzw. ihre Karriere könne zu Schaden kommen. Doch warum hält der Fußball beharrlich an überkommenen Werten und Normen fest und weigert sich gesellschaftliche Wandlungsprozesse anzuerkennen? Einen neuen Diskurs eröffnete 2013 das Outing Robbie Rogers als erster Fußballprofi einer westlichen Majorleague. Diese Arbeit soll weniger zu einer Genderdebatte beitragen oder eine Ideologie zu dieser Thematik vertreten. Vielmehr wird hier der Fußball als Arena der heteronormativen Männlichkeit mit aktuellen gesellschaftlichen Analysen um das Feld Fußball verglichen, die darüber Aufschluss geben, ob sich hier, besonders durch das Outing des Fußballspielers Rogers, ein Kulturwandel vollziehen könnte.
Textprobe: Kapitel 2, Männerdomäne Fußball: 2.1, Heteronormativität und Maskulinität: Fußball ist ein Sport, der in seinen Anfängen im 19. Jahrhundert gerade in England eine Art Sammelbecken für Männer war, denen ihre Verantwortung als vorindustrielle Handwerker, durch die aufkommenden Fabrikmaschinen genommen wurde. Der sinkende Bedarf männlicher Körperlichkeit in der Arbeitswelt suchte in der symbolischen Relevanz von Kraft und Stärke in den Arenen des Fußball seine Kompensation. Die körperliche Beanspruchung im Fußball war eine geeignete Möglichkeit, den exklusiven Männlichkeitstypus zu erhalten. Im Fußball spielte es immer eine wichtige Rolle Härte, Geschwindigkeit, Tapferkeit, Schmerztoleranz und schnelles zielorientiertes Handeln gepaart mit Bewegungsperfektion unter Beweis zustellen. Statt der, durch die industrielle Revolution, stark abnehmenden Nachfrage nach handwerklichen Fertigkeiten der Männer wurde die Ausübung, Demonstration und Anerkennung sportlicher Fähigkeiten besonders im Fußball immer wichtiger (vgl. Cashmore 2011, S. 4). Dies kann als ein relevanter Grund verstanden werden, warum ein Archetyp der Männlichkeit von Beginn der Fußballtradition an so stark aufgegriffen wird. Aggressivität kann hier nicht nur ausgelebt werden, sondern bekommt zudem eine positive Konnotation. Der Kampf im Sport weckt Assoziationen zum Männer dominierten Feld des Krieges. Heroisierung durch Überlegenheit, welche durch den kraftvollen Körper als Medium erreicht wird, schafft ein traditionelles Männerbild, dass sich kaum stärker von einem traditionellen Frauenbild unterscheiden könnte. Der Fußball bietet hier eine unvergleichliche Möglichkeit, stereotype männliche Geschlechtsidentität als eindimensionale Sozialstruktur zu reproduzieren. Denn jene Geschlechtsidentität wird einerseits von den Spielern demonstriert und andererseits massenhaft von den Zuschauern als gefeierter Idealtypus rezipiert. Mit der Verkörperung eines traditionellen Männlichkeitsbildes geht die Abgrenzung zum Weiblichen einher. Der Fußball ist somit einer der ersten Wege, durch den sich Jungen von Mädchen unterscheiden und eine maskuline Identität entwickeln können. Hierbei werden vermeintlich feminine Qualitäten und Eigenschaften nicht nur abgelehnt, sondern auch gerne verachtet. Weich, behutsam, durchsetzungsschwach, sensibel oder verletzlich sind Attribute, die ein Fußballer eher weniger aufweisen sollte, wenn er erfolgreich spielen und als respektiertes Mannschaftsmitglied angesehen werden möchte (vgl. Griffin 1993, S. 81). Als vermeintlich wichtiger Faktor bei der Verkörperung eines traditionellen Männlichkeitsbildes gilt die Heteronormativität. In der Theorie der Heteronormativität stecken zwei Grundannahmen: Die Erste besagt, dass es zwei distinkte Geschlechter, das männliche und das weibliche gibt. Diese basale Annahme geht davon aus, dass Männer und Frauen aufgrund ihrer Physis, ihren seelischen Eigenschaften, ihrer kulturellen Wesensart leicht zu identifizieren und eindeutig voneinander abzugrenzen sind (vgl. Eggeling 2010, S. 23f). Die essentialistische Annahme der Zweigeschlechtlichkeit in der heteronormativen Theorie soll Lebenspraxis, eine symbolische Ordnung, sowie eine Organisation des Gesellschaftsgefüges strukturieren. In dieser Logik ist die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch geordnet, wobei die kohärenten Geschlechter Mann und Frau im Zentrum dieser Norm stehen (vgl. Wagenknecht 2007, S. 17). Sofern also Abweichungen von dieser Norm auftreten, muss die betreffende Person sich erklären oder rechtfertigen, da die Essentialismen dadurch hinterfragt werden. Auch der organisierte Sport ist ein Abbild der Geschlechterordnung, da es kaum Wettkämpfe einer Sportart gibt, in der Männer und Frauen gemeinsam aktiv werden und somit eine klare Zuteilung erforderlich ist. Graduelle Abstufungen oder verschieden gewichtete Mischungen in einem Spektrum zwischen den Polen Mann und Frau stoßen gerade im Sport auf große Schwierigkeiten. Dies wird an dem Fall der südafrikanischen Mittelstreckenläuferin Caster Semenya deutlich, die sich einigen Geschlechtstests unterziehen musste, da ihre Identität als Frau angezweifelt wurde. Das ‘biologische’ Geschlecht (sex) ist zwar im Sport offiziell Maß der Dinge für die Herstellung der Chancengleichheit, ein eindeutig kulturelles Geschlecht (gender) wird allerdings gerade im Fußball stark am stereotypischen Ideal festgemacht. Wer im Männerfußball ein eher stereotypisch weibliches Auftreten und Verhaltensweisen an den Tag legt, stellt die Hetero-Maskulinität, die in dieser Sportart besonderen Respekt erfährt, in Frage. In der Heteronormativität wird also das uneindeutige Geschlecht als nicht normal registriert und gerade im Fußball bzw. im Sport allgemein durch organisatorische und kulturelle Mechanismen zu einer klaren Zuteilung bewegt. Die zweite Annahme der Heteronormativität geht von einem grundsätzlich heterosexuellen Begehren aus. Das heißt, dass nicht nur eine klare Unterscheidung zwischen Mann und Frau vorausgesetzt wird, sondern dass deren gegenseitige Anziehung die Basis der sozialen Bindung darstellt. In der westlichen Kultur wurzelt diese Annahme in der christlichen Morallehre, in der eine ‘natürliche Ordnung’, die lebenslange treue Ehe von Mann und Frau, zum verbindlichen Modell des Zusammenlebens und der Geschlechtsverkehr allein zum Zweck der Nachwuchserzeugung dient (vgl. Wagenknecht 2007, S. 19). Da Schwule diese heteronormative Ordnung nicht erfüllen, verstoßen sie hier automatisch gegen die Normen der Männlichkeit, die fraglos als heterosexuell angenommen werden. Als unmännlich wird ihnen häufig das Weibliche zugeordnet und deren Eigenschaften attributiert (vgl. Eggeling 2006, S. 3). Schlicht durch ihr Homosexuellsein sieht sich das heteronormative Lebenskonzept in Frage gestellt. Dieses versucht sich daraufhin zu verteidigen, indem Homosexualität tabuisiert, diskriminiert oder gar verfolgt wird. Wer in der Öffentlichkeit seine Homosexualität preisgibt, wird wahrscheinlich mit einem Reaktionsspektrum von Ablehnung über Abneigung bis zur Anfeindung rechnen müssen (vgl. ebd. 2006, S. 2). Gerade im Fußball, als heteronormatives Feld, lernen die Spieler in den Jungendmannschaften früh, dass erstens schwul zu sein, zweitens als schwul verdächtigt zu werden, oder drittens nur die Heterosexualität nicht beweisen zu können, nicht akzeptiert wird. Deswegen demonstrieren sie oft, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, übertrieben maskuline Eigenschaften. Der amerikanische Soziologie Eric Anderson zieht es sogar in Betracht, dass sehr verschlossene junge Schwule harte Kontaktsportarten betreiben, damit sie eine Fassade aufbauen können, die vor gesellschaftlichem Verdacht schützt (vgl. Anderson 2011a, S. 570). Auch wenn sich unsere Gesellschaft in einem Liberalisierungsprozess befindet, so reguliert auch noch die Theorie der Heteronormativität in der Praxis die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über Verteilung der Ressourcen, fungiert als Zuweisungsmodus der Arbeitsleistung - ist also eines der wichtigsten Prinzipien zur Wahrnehmung und Organisation des sozialen Lebens (vgl. Wagenknecht 2007, S. 17f). Da kulturhistorisch gesehen der Fußball als Eigenwelt in der Gesellschaft konservativ angesehen wird, beharrt dieser Sport stärker auf heteronormativen Werten und wirkt durch seine enorme globale Aufmerksamkeit in den Alltag des gesellschaftlichen Lebens hinein. Es kann angenommen werden, dass eine Liberalisierung hinsichtlich der Lockerung der Geschlechterordnung und sexuellen Selbstbestimmung auch gerade durch die heteronormative Darstellung der Fußballwelt ein Stück weit gehemmt wird.
Lukas Niggel absolvierte sein Bachelorstudium der Kulturwissenschaft und Sportwissenschaft an der Universität Bremen, sein Magisterstudium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.
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