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- Häusliche Gewalt: Eine kritische Analyse von Familien türkischer Herkunft
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Gewalt ist in unserer Gesellschaft in vielfältiger Form verbreitet. Sie ist die historisch gewachsene primitive Methode zur Machtgewinnung und -erhaltung und begründet sich auf kulturellen Traditionen, religiösen Geboten, Gewohnheitsrechten. Auf dem Weg der türkischen Migrantinnen in Deutschland die Gefahr in ihren Familien zu überwinden stellen die Tatsachen, dass der Koran einerseits als unbedingt zu befolgendes, unverfälschtes Wort Gottes gilt und andererseits explizit den Männer gebietet, ihre Frauen zur Erzwingung der Unterordnung zu schlagen, zwei besondere Hindernisse dar. Die häusliche Gewalt widerspricht zwar der deutschen, nicht aber der islamischen Rechtsordnung. Daher ist unter den muslimischen Migrantinnen und Migranten, egal welcher nationaler Herkunft, ein stärkeres Bewusstsein für die Ungültigkeit gewaltfordernder religiöser Normen für das Zivilleben zu fördern. Häusliche Gewalt verursacht nicht nur großes individuelles menschliches Leid, sondern auch erhebliche, durch die Gesellschaft zu tragende Kosten: für Polizeieinsätze, für die medizinische und/oder psychologische Betreuung der Opfer, für ihre juristische Beratung, für Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen. Deswegen darf und kann es niemandem egal sein, wenn er oder sie von Fällen häuslicher Gewalt erfährt. Über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge finanziert er oder sie diese Fälle jeweils mit. Unabdingbar für die Zurückdrängung der häuslichen Gewalt in Migrantenfamilien ist die schnelle und konsequente Anwendung des deutschen Rechts, ohne Verständnis für die ‚Kultur’ oder ‚Tradition’ der Täter. Hier ist vor allem die Justiz gefordert, da die Gesetzeslage eindeutig ist und die Entwicklung der Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik auch das Bemühen der Polizei, das bislang erhebliche Dunkelfeld in diesem Bereich aufzuhellen, beweist. Im Rahmen eines Projektes hatte die Autorin mit Familien zu tun, in denen mindestens ein Angehöriger Opfer von häuslicher Gewalt war. Auf diese Opfer wird in der folgenden Arbeit näher eingegangen.
Textprobe: Kapitel 3.1, Die Situation in der Türkei: In der Türkei ist die Situation hinsichtlich der Frauenrechte sehr widersprüchlich. So besteht eine große Diskrepanz zwischen dem, was rechtlich festgelegt wurde und der gelebten Realität. 1985 hat die UNO die CEDAW beschlossen. Die Türkei hat das Abkommen mitunterzeichnet. Als Folge davon mussten in der Türkei eine Reihe von Gesetzen überarbeitet und reformiert werden, so dass heute Frauen in der Türkei gesetzlich den gleichen Schutz und formell die gleichen Rechte wie z.B. in Deutschland haben. Die Formulierung formell deutet schon an, dass bisher die Umsetzung in die Praxis jedoch noch nicht umfassend gelungen ist und es dabei auch ein erhebliches Gefälle zwischen den Regionen von West nach Ost gibt. Die türkische Gesellschaft ist – ungeachtet aller Gesetze – auch heute noch stark durch Gewalt geprägt. Sie wird als etwas Selbstverständliches hingenommen und von Frauen und Männern nicht hinterfragt. Unglücklicherweise gehört sie zum Alltag. Nach Robert W. Connell (Connell 2006: 104, zit. n. Somersan 2011: 126) können zwei Formen der Gewalt unterschieden werden, die die ständige Gegenwart von Gewalt im Alltag verdeutlichen: 1. Zum einen als ein Mittel der privilegierten Gruppen der Männer gegenüber Frauen um die Herrschaft bzw. Dominanz zu sichern, d.h. Gewaltausübung als Unterdrückungsinstrument und. 2. Zum anderen zwischen den Männern, um sich untereinander die Männlichkeit zu beweisen. Laut Amnesty International werden täglich gegenüber Hunderttausenden von Frauen in der Türkei die Menschenrechte verletzt. Angaben der türkischen staatlichen Familienforschungsinstitution (TCBAAK) zufolge schlagen 25 % aller Männer, also jeder vierte Mann, seine Mutter, Ehefrau, Tochter, Schwester oder andere weibliche Verwandte. Bei Akademikern beträgt dieser Anteil immerhin noch 18% (vgl. Mor Çati 1996, zit. n. Somersan 2011: 126). In vielen Fällen beginnen die Verletzungen der Frauenrechte und Misshandlungen in der Familie. Bis heute hat die Familie eine sehr große Bedeutung in der türkischen Gesellschaft. Dies ist ein Grund dafür, dass diese Problematik meistens aus der familiären, d.h. privaten, nicht-öffentlichen, Perspektive betrachtet wird. Auch Frauen, die körperlich in der Verfassung sind, sich zu verteidigen, wagen es nicht sich zu wehren und nehmen die Misshandlungen hin. Trotz der vielen Kampagnen gegen häusliche Gewalt und Ehrenmorde zeigen die Statistiken, dass Frauen, die sexueller Aktivitäten vor der Ehe oder ehelicher Untreue beschuldigt werden oder über die auch nur Gerüchte wegen bloßen Herumflirtens im Umlauf sind, weiterhin von männlichen Familienangehörigen exekutiert werden (vgl. WWHR 2006: 32f., zit. n. Somersan 2011: 126). Dies macht deutlich, dass für Frauen das Ausleben ihrer sexuellen Bedürfnisse weiterhin faktisch unter Strafe steht und schlimmstenfalls mit dem Leben bezahlt werden muss. Sogar bei Vergewaltigungen, bei denen die Frauen Opfer sind, werden sie oft als die Schuldigen betrachtet. Im Rahmen einer Studie stimmten 4% von 50 Gerichtsmedizinern, 6% von 85 Psychologen, 10% von 100 Anwälten, 17% von 80 Richtern und Staatsanwälten und 33% von 100 Polizisten dem Satz zu: Manche Frauen verdienen es, vergewaltigt zu werden. (vgl. Kerestecioglu 2003: 8f., zit. n. Somersan 2011: 128). Die Frage, ob das Aussehen und die äußere Erscheinung von Frauen zur Vergewaltigung führen kann ergab ähnliche Prozentzahlen (ebd.). Diese Haltung findet man jedoch nicht nur in der Türkei. Es ist leider noch eine weltweit verbreitete Einstellung, dass Frauen an sexuellen Übergriffen wegen ihrer aufreizenden Bekleidung selber schuld seien, wie die Aussage eines Polizisten aus Toronto Frauen sollten sich nicht wie Schlampen kleiden, um nicht schikaniert zu werden , belegt (AFP-Meldung vom 28.05.2011, zit. n. http://www.spiegel.de/panorama/ gesellschaft/0,1518,765499,00. html). In der Türkei besteht jedoch zusätzlich noch ein weiteres Problem, das in den strukturell verfestigten, maskulinistischen und hegemonial männlichen Praktiken der staatlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begründet ist. Diese eingefahrenen Denk- und Handlungsmuster führen dazu, dass Verletzungen von Frauenrechten nicht anerkannt und geahndet werden. So versuchen Richterinnen und Richter vor Gericht die misshandelten Frauen zu überreden, zu ihren Männern zurückzukehren. Ähnliche Verhaltensweisen findet man bei Polizistinnen und Polizisten, wenn Frauen auf der Polizeistation Schutz vor ihren gewalttätigen Männern suchen (vgl. Arin 1996, 1998 Levine 1982, zit. n. Somersan 2011: 127). Aktueller Ausdruck dieser Haltung ist die im türkischen Polizeimagazin, einer Dienstzeitschrift, im Januar 2012 veröffentlichte Ansicht des früheren Abteilungsleiters für Planung und Koordination bei der Generaldirektion für Sicherheit, Dr. Hasan Yagar, wonach unsere Männer nicht grundlos einen Mord begehen , ergänzt um die Folgerung, dass türkische Frauen selbst ihre Ermordung provozierten, was die Männer dann ihre Zukunft koste (http://derstandard.at/1330390456380/Gesetz-gegen-Pruegel-Ehemaenner-kommt). Bedenkt man, dass bei der Zahl von 257 ermordeten Frauen in der Türkei 2011 nur die vom eigenen Mann Ermordeten erfasst sind, Morde an Töchtern z.B. dagegen nicht, während in der Berliner Zahl von 5 getöteten Personen 2010 alle Opfer häuslicher Gewalt erfasst sind, so erscheint das Niveau von 1 hG-Mord pro 272.000 Einwohner in der Türkei gegenüber 1 hG-Mord pro 698.000 Einwohner in Berlin immer noch zu niedrig gegriffen zu sein. Hinzu kommt, dass auch in der Türkei die Armut ganz überwiegend weiblich ist: rund 90% der absolut Armen sind geschiedene, verwitwete oder getrennt lebende Frauen, dabei gibt es keine statistisch messbaren Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen (vgl. Hattatoglu 2007, zit. n. Somersan 2011: 175).
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